Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.369/2006
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{T 0/2}
6S.369/2006 /hum

Urteil vom 1. Februar 2007
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

S. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Vonesch,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern.

Vollzug einer aufgeschobenen Strafe,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Luzern, II. Kammer,
vom 26. Juni 2006.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte S.________ am 8. April 2003
wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung, Gewalt gegen Beamte, mehrfacher
Sachbeschädigung und Waffentragens ohne Bewilligung zu einer Gefängnisstrafe
von 8 Monaten. Es gewährte ihm den bedingten Strafvollzug bei einer Probezeit
von 3 Jahren, stellte ihn unter Schutzaufsicht und erteilte ihm die Weisung,
sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. Die
Schutzaufsichtsbehörde wurde angewiesen, die Behandlung zu organisieren, zu
überwachen und dem Gericht die allfällige Nichtbefolgung der Weisung zu
melden.

Am 15. März 2005 ermahnte das Obergericht S.________ wegen Nichtbefolgung der
Weisung. Es forderte ihn auf, sich innert 10 Tagen bei der Abteilung
Bewährungsdienst des Justiz- und Sicherheitsdepartements des Kantons Luzern
zu melden, ansonsten er mit dem Widerruf des bedingten Strafvollzugs rechnen
müsse. Der Bewährungsdienst wurde gleich wie im ersten Entscheid angewiesen.

B.
Am 26. Juni 2006 widerrief das Obergericht den bedingten Strafvollzug der
achtmonatigen Gefängnisstrafe und ordnete deren Vollzug an.

C.
S.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben, der bedingte Strafvollzug sei nicht zu widerrufen
und der Vollzug der Strafe sei nicht anzuordnen; eventuell sie die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei (act. 7).

D.
Mit Zwischenbeschluss vom 20. Oktober 2006 wies der Kassationshof das Gesuch
von S.________ um unentgeltliche Rechtspflege ab (act. 18).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom
17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110)
am 1. Januar 2007 ergangen. Auf das Rechtsmittel dagegen ist noch das
bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG, e contratio), hier
somit dasjenige der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff.
BStP.

Am 1. Januar 2007 ist auch der revidierte Allgemeine Teil des
Strafgesetzbuches in Kraft getreten. Die neuen Bestimmungen sind hier aber
noch nicht von Bedeutung, da das Bundesgericht im Verfahren der
Nichtigkeitsbeschwerde nur prüft, ob das kantonale Gericht das eidgenössische
Recht richtig angewendet habe (Art. 269 Abs. 1 BStP), mithin das Recht,
welches im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Urteils noch gegolten
hat (BGE 129 IV 49 E. 5.3 S. 51 f., mit Hinweisen).

2.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist ein kassatorisches
Rechtsmittel. Der Beschwerdeführer kann nur beantragen, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung an die
kantonale Behörde zurückzuweisen (Art. 277ter Abs. 1 BStP). Soweit er
begehrt, der bedingte Strafvollzug sei nicht zu widerrufen, ist auf die
Beschwerde nicht einzutreten.

3.
Gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB lässt der Richter die Strafe unter anderem
vollziehen, wenn der Verurteilte trotz förmlicher Mahnung des Richters einer
ihm erteilten Weisung zuwiderhandelt. Der Widerruf des bedingten
Strafvollzugs setzt die schuldhafte Missachtung der Weisung voraus (BGE 118
IV 330 E. 3a).

3.1 Die Vollzugs- und Bewährungsdienste des Kantons Luzern berichteten am 7.
Februar 2005, der Beschwerdeführer halte die Weisung, sich einer
psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, nicht ein und entziehe sich
beharrlich der Schutzaufsicht. Am 15. März 2005 wurde er wegen Nichtbefolgung
der Weisung gerichtlich ermahnt und angewiesen, sich innert 10 Tagen beim
Bewährungsdienst zu melden. Da der Beschwerdeführer nirgends angemeldet war
und polizeilich ausgeschrieben werden musste, konnte ihm der Entscheid erst
am 1. September 2005 eröffnet werden. Am 21. des gleichen Monats
unterzeichnete er eine Vereinbarung zur Durchführung der gerichtlichen
Weisung. Darin verpflichtete er sich unter anderem, bis Ende Oktober mit
einer geeigneten Fachperson oder Fachstelle ein Erstgespräch zu führen und
die Behandlung zu regeln sowie einen allfälligen Wohnsitzwechsel unverzüglich
sowohl der Fachperson wie auch dem Schutzaufsichts- und Fürsorgeamt zu
melden.

Am 17. März 2006 berichteten die Bewährungsdienste, der Beschwerdeführer habe
anlässlich des letzten Gesprächs Mitte Januar versprochen, sich bei seinem
Hausarzt zu melden, damit dieser ihn an einen Psychiatrie-Facharzt überweise.
Auch diese Abmachung habe er nicht eingehalten. Am 29. März 2006 habe er sich
erneut verpflichtet, in der ersten Aprilwoche mit seinem Hausarzt Kontakt
aufzunehmen, was er aber unterlassen habe. Zusammenfassend hielten die
Bewährungsdienste fest, durch das nicht Kooperieren sei es dem
Beschwerdeführer gelungen, eine Zusammenarbeit mit dem Dienst während drei
Jahren zu verhindern. In den Gesprächen habe er mehrmals grosse
Versprechungen gemacht, die er danach nicht eingehalten habe (Bericht vom 1.
Mai 2006).

3.2 Bei dieser Sachlage hat der Beschwerdeführer trotz förmlicher
richterlicher Mahnung seine Pflicht, sich einer psychiatrischen Behandlung zu
unterziehen, nicht befolgt und damit der ihm erteilten Weisung
zuwidergehandelt.

Entgegen seiner Ansicht hatten die Bewährungsdienste nicht den richterlichen
Auftrag, von sich aus zu bestimmen, bei welchem Facharzt die Behandlung
durchgeführt werden müsse. Da eine erfolgversprechende Psychotherapie ein
Vertrauensverhältnis zwischen der zu behandelnden Person und dem Theraupeuten
voraussetzt, ist es wichtig, dass die zu behandelnde Person bei der Wahl des
Therapeuten mitbestimmen kann. Damit haben die Bewährungsdienste ihren
Organisationsauftrag korrekt erfüllt, derweil  der Beschwerdeführer seiner
Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist und so der ihm erteilten Weisung
schuldhaft zuwidergehandelt hat.

Insoweit ist die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen.

3.3 Die übrigen Ausführungen des Beschwerdeführers widersprechen entweder dem
von der Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhalt oder betreffen
Tatsachen, die sich erst im Anschluss an den angefochtenen Entscheid ereignet
haben sollen. Darauf ist nicht einzutreten (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).
Dasselbe gilt für den Einwand, die Vorinstanz habe keinen ordentlichen
Schriftenwechsel angeordnet. Damit rügt der Beschwerdeführer sinngemäss eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) bzw. Willkür in der
Anwendung kantonalen Prozessrechts (Art. 9 BV), was im Rahmen der
Nichtigkeitsbeschwerde nicht zulässig ist (Art. 269 Abs. 2 BStP; Art. 84 Abs.
1 lit. a OG).

4.
Der Widerruf des bedingten Strafvollzugs ist nicht stets zwingend, wenn ein
Widerrufsgrund nach Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB gegeben ist. Besteht
begründete Aussicht auf Bewährung, kann der Richter in leichten Fällen vom
Widerruf Umgang nehmen und, je nach den Umständen, den Verurteilten
verwarnen, zusätzliche Massnahmen nach Art. 41 Ziff. 2 StGB anordnen und die
im Urteil bestimmte Probezeit um höchstens die Hälfte verlängern (Art. 41
Ziff. 3 Abs. 2 StGB).

4.1 Diese Bestimmung ist bei allen Widerrufsgründen gemäss Ziff. 3 Abs. 1
anwendbar. Damit das Bundesgericht überprüfen kann, ob der Widerruf des
bedingten Strafvollzugs bundesrechtmässig ist, hat sich der kantonale Richter
folglich nicht nur darüber auszusprechen, weshalb er einen Widerrufsgrund
gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB bejaht, sondern auch darüber, weshalb ein
Verzicht auf den Widerruf gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ausscheide.
Daran ändert der Umstand, dass ihm das Gesetz bei seinem Entscheid nach Art.
41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ein Ermessen einräumt, nichts (BGE 118 IV 330 E. 3d;
Roland Schneider, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, N 227 zu Art. 41
StGB).

4.2 Die Vorinstanz äussert sich nicht dazu, aus welchem Grund hier ein
Verzicht auf den Widerruf nach Ziff. 3 Abs. 2 ausser Betracht falle und eine
Verwarnung, zusätzliche Massnahmen nach Ziffer 2 und die Verlängerung der
Probezeit unzweckmässig seien. Der angefochtene Entscheid ist daher in
Anwendung von Art. 277 BStP aufzuheben und die Sache an sie zurückzuweisen.
Bei der Neubeurteilung kann sie sich an der Erwägung 3d des BGE 118 IV 330
orientieren, da in beiden Fällen im Wesentlichen die gleichen Fragen zu
beantworten sind.

5.
Soweit der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde unterliegt, hat er die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen; soweit er obsiegt, ist er angemessen zu
entschädigen (Art. 278 Abs. 1 und 3 BStP). Da sich die beiden Beträge
entsprechen, sind sie wettzuschlagen.

Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise
gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 26. Juni
2006 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigung zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Luzern und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 1. Februar 2007

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: