Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.255/2006
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{T 0/2}
6S.255/2006 /rom

Urteil vom 15. November 2006
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter, Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Näf.

A. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Storrer,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Larese,
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8510 Frauenfeld.

Nötigung usw.; Opferstellung,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 16. März 2006.

Sachverhalt:

A.
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau vom 24. März
2005 wird X.________ vorgeworfen, er habe am 12. November 2003 in der
Tiefgarage vor seinem Kellerabteil auf der Zufahrt zum Parkplatz von
A.________ Kartonschachteln, die er dort ausgebreitet hatte, nicht entfernt,
obschon ihn A.________ während rund 10 Minuten dazu aufgefordert habe, damit
sie ihren Wagen einparkieren könne; sie habe erst ca. eine Stunde später
einparkieren können. Dadurch habe er sich der Nötigung schuldig gemacht.
X.________ wird im Weiteren zur Last gelegt, er habe am 15. November 2003, um
ca. 21.30 Uhr, im Heizungsraum bei einem Wortwechsel A.________ gesagt, sie
wisse gar nicht, was für eine Wut er auf sie habe, dabei seine Fäuste geballt
und sie einige Minuten am Weggehen gehindert. Dadurch habe er sich der
Drohung, eventuell der Nötigung schuldig gemacht. X.________ wird
schliesslich vorgeworfen, er habe am 6. Juli 2004 einen Sonnenschirm von
A.________ beschädigt und mutwillig die als Abgrenzung der Rasenfläche
dienenden Drahtgeflechte von A.________ entfernt. Dadurch habe er sich der
geringfügigen Sachbeschädigung und der unerlaubten Selbsthilfe schuldig
gemacht.

B.
Die Bezirksgerichtliche Kommission Diessenhofen sprach X.________ mit Urteil
vom 25. Mai/20. Juli 2005 in sämtlichen Anklagepunkten frei.

A. ________ erhob Berufung mit den Anträgen, X.________ sei im Sinne der
Anklage schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen. Zudem sei er zu
verpflichten, ihr Fr. 300.-- Schadenersatz und Fr. 500.-- Genugtuung zu
zahlen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf die Einreichung einer
Berufung.

Das Obergericht des Kantons Thurgau trat mit Entscheid vom 16. März 2006 auf
die Berufung mangels Legitimation der Berufungsklägerin nicht ein.

C.
A.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der
Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Obergericht beantragt in seiner Stellungnahme die Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde. Weitere Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz trat auf die Berufung im Schuldpunkt nicht ein mit der
Begründung, dass die Berufungsklägerin nicht Opfer im Sinne von Art. 2 OHG
und daher gemäss den Bestimmungen des thurgauischen Strafprozessrechts zur
Berufung im Schuldpunkt nicht legitimiert sei. Auf die - allfällige -
Berufung im Zivilpunkt trat die Vorinstanz unter anderem mangels des hiefür
erforderlichen Streitwertes nicht ein.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei als Opfer im Sinne von Art. 2
Abs. 1 OHG anzusehen und daher gemäss dem kantonalen Strafprozessrecht zur
Berufung im Schuldpunkt legitimiert.

2.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer jede Person, die durch eine Straftat in
ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar
beeinträchtigt worden ist.

2.1 Die Straftaten der Drohung (Art. 180 StGB) und der Nötigung (Art. 181
StGB) sind Delikte gegen die Freiheit des Individuums. Solche Straftaten
können grundsätzlich im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG die psychische Integrität
des Betroffenen unmittelbar beeinträchtigen. Zur Bejahung der Opferstellung
genügt indessen nicht jede geringfügige Beeinträchtigung, sondern ist eine
Beeinträchtigung von einer gewissen Schwere erforderlich (BGE 129 IV 216 E.
1.2.1; 127 IV 236 E. 2b/bb; 125 II 265 E. 2a/aa; 120 Ia 157 E. 2d/aa, je mit
Hinweisen). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich nach den
konkreten Umständen des Einzelfalles (BGE 120 Ia 157 E. 2d/aa mit Hinweisen).

Die Vorinstanz verneint für die beiden inkriminierten Vorfälle (bei der
Zufahrt zum Tiefgaragenparkplatz sowie im Heizungsraum) die von der
Rechtsprechung zur Bejahung der Opferstellung verlangte Intensität der
Beeinträchtigung, welche zudem von der Beschwerdeführerin ohnehin nicht
substantiiert dargelegt worden sei.

2.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihr psychischer Zustand nicht
nur durch die in der Anklageschrift genannten Vorfälle beeinträchtigt worden
sei, sondern durch das gesamte Verhalten des Beschwerdegegners im Rahmen der
nachbarschaftlichen Auseinandersetzungen seit dem Jahre 2002, das als
stalking bezeichnet werden müsse. Mit dieser Argumentation verkennt sie, dass
sich die erforderliche Betroffenheit aus den angeblichen Straftaten ergeben
muss, die Gegenstand des Verfahrens bilden. Ein Vorwurf des stalking wird
indessen in der Anklageschrift in keiner Weise erhoben und bildet nicht
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

2.3 Die Beschwerdeführerin beschränkt sich im Übrigen darauf, wiederholt eine
schwere psychische Belastung als Folge des inkriminierten Verhaltens zu
behaupten, ohne jedoch näher darzulegen, worin diese psychische
Beeinträchtigung bestanden haben soll. Die Vorinstanz erklärt zu Recht, dass
dies zur Bejahung der Opferstellung gemäss Art. 2 OHG nicht genügt, zumal das
inkriminierte Verhalten bei objektiver Betrachtung keineswegs als schwerer
Angriff auf die psychische Integrität erscheint.

2.4 Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich das Verhalten des Präsidenten
der ersten Instanz kritisiert, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, da
das behauptete Verhalten nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids
bildet. Es ist im Übrigen auch nicht geeignet, eine Opferstellung der
Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 2 OHG zu begründen.

2.5 Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen. Dem Beschwerdegegner ist keine
Entschädigung zuzusprechen, da ihm im Verfahren vor dem Bundesgericht keine
Umtriebe entstanden sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dem Beschwerdegegner wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau
und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. November 2006

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: