Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.96/2006
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{T 0/2}
5P.96/2006 /bnm

Urteil vom 23. Juni 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Ersatzrichter Hasenböhler,
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Daniel Bachmann,
Kantonsgericht St. Gallen (Einzelrichter im Familienrecht), Klosterhof 1,
9001 St. Gallen.

Art. 8 Abs. 2, Art. 9 und Art. 29 Abs. 1 und 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(Eheschutz),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St.
Gallen (Einzelrichter im Familienrecht) vom 27. Januar 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (Ehemann) und Y.________ (Ehefrau) heirateten im Jahre 1997 und
sind die Eltern des im Dezember 1998 geborenen Sohnes Z.________.

Mit Eingabe vom 29. April (recte: 29. Mai) 2005 reichte X.________ beim
Kreisgericht B.________ ein Gesuch um Anordnung von Eheschutzmassnahmen ein.

Der Präsident der 2. Abteilung des Kreisgerichts stellte mit Entscheid vom
22. Juli 2005 fest, dass die Ehegatten zum Getrenntleben berechtigt seien,
wies die eheliche Liegenschaft der Ehefrau zur alleinigen Benutzung zu,
stellte den Sohn Z.________ unter die Obhut der Mutter und räumte dem Vater
ein Besuchs- und Ferienrecht ein. Ausserdem wurde X.________ verpflichtet, an
den Unterhalt des Sohnes ab 1. Juni 2005 Beiträge von Fr. 800.-- im Monat,
zuzüglich allfällige Kinderzulagen, und an denjenigen der Ehefrau Beiträge
von Fr. 3'850.-- im Monat zu bezahlen. Weiter wurde mit Wirkung ab 1. Juni
2005 die Gütertrennung angeordnet.

X. ________ rekurrierte gegen diesen Entscheid. Der Einzelrichter im
Familienrecht am Kantonsgericht St. Gallen legte mit Entscheid vom 27. Januar
2006 die Unterhaltsbeiträge mit Wirkung ab 15. Dezember 2005 neu auf
monatlich Fr. 1'000.-- für das Kind und monatlich Fr. 2'800.-- für die
Ehefrau fest.

B.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 8
Abs. 2, Art. 9 und Art. 29 Abs. 1 und 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK und
beantragt, den kantonsgerichtlichen Entscheid aufzuheben.

Die Beschwerdegegnerin Y.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Der Einzelrichter im Familienrecht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV
bzw. von Art. 6 Ziff. 1 EMRK: Der erstinstanzliche Eheschutzrichter habe sein
mehrfach vorgebrachtes Begehren um Einsichtnahme in das Protokoll der
Verhandlung vom 14. Juli 2005 abgelehnt. Nachdem er, der Beschwerdeführer,
seinen Antrag im Rekursverfahren wiederholt habe, sei ihm das verlangte
Protokoll vom Kantonsgericht zwar zugestellt worden, aber nur einen Tag vor
Erlass des angefochtenen Entscheids und lediglich zur Kenntnisnahme.
Letzteres indiziere, dass die kantonale Rekursinstanz eine Stellungnahme auch
gar nicht mehr zugelassen hätte. Da er mithin sich zum erwähnten Protokoll
nicht habe äussern können, sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör missachtet
worden.

1.2 Der Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs umfasst als Teilgehalt
auch das Recht, Einsicht in alle Akten zu nehmen, die geeignet sind,
Grundlage des späteren Entscheids zu bilden, und sich dazu zu äussern (BGE
129 I 85 E. 4.1 S. 88 f.; 121 I 225 E. 2a S. 227; 119 Ib 12 E. 6b S. 20). Das
in Frage stehende Verhandlungsprotokoll hat der Beschwerdeführer nach seinen
eigenen Ausführungen kurz vor Fällung des angefochtenen Entscheids zugestellt
erhalten. Er legt in keiner Weise dar, dass und inwiefern er den Rekurs an
das Kantonsgericht anders begründet hätte, wenn er vom Inhalt des Protokolls
früher Kenntnis erlangt hätte, und macht denn auch keine Widersprüche
zwischen dem Entscheid der ersten Instanz und dem Protokoll geltend. Ist aber
mithin nicht dargetan, dass eine (frühere) Kenntnis des Protokolls für den
weiteren Verfahrensverlauf, namentlich für die Begründung des kantonalen
Rekurses, von Bedeutung gewesen wäre, stösst die Rüge der Gehörsverweigerung
ins Leere.

2.
Sodann wirft der Beschwerdeführer dem Einzelrichter im Familienrecht vor, er
habe bei der Bemessung der Unterhaltsbeiträge gegen das Willkürverbot (Art. 9
BV) verstossen.

2.1 Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht
schon dann vor, wenn eine andere Lösung als die beanstandete ebenfalls
vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen
kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur dann auf, wenn
er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder sonst wie in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft. Die Aufhebung eines kantonalen Entscheids rechtfertigt sich in
jedem Fall nur dort, wo nicht nur die Begründung, sondern auch das Ergebnis
unhaltbar ist (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17; 131 I 57, E. 2 S. 61, und 217,
E. 2.1 S. 219, mit Hinweisen).

Das Bundesgericht prüft nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Entscheid
verfassungswidrig ist. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG verlangt die Darlegung,
inwiefern verfassungsmässige Rechte und Rechtssätze verletzt worden seien,
was appellatorische Kritik, wie sie allenfalls im Rahmen eines
Berufungsverfahrens zulässig ist, ausschliesst. Wird Willkür gerügt, ist klar
und detailliert aufzuzeigen, inwiefern der kantonale Entscheid qualifiziert
unrichtig sein soll (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 262 mit Hinweisen).

2.2 Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des
Beschwerdeführers hat der kantonsgerichtliche Einzelrichter darauf
hingewiesen, dass dieser seit mehreren Jahren eine Anwaltskanzlei in einer
Gemeinschaftspraxis und daneben eine Einzelfirma führe und ferner
Gesellschafter einer GmbH sei. Mit den Nebentätigkeiten wolle der
Beschwerdeführer aber keinen Gewinn erzielt haben. Die Brutto-Einnahmen aus
der Advokatur hätten Fr. 215'000.-- für das Jahr 2003, Fr. 322'000.-- für das
Jahr 2004 und Fr. 309'000.-- für das Jahr 2005 betragen. Sodann bemerkt der
kantonale Richter, dass glaubwürdige Unterlagen, die die tatsächliche
Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers erhellten, weiterhin fehlten und der
geltend gemachte geschäftliche Aufwand als offensichtlich übersetzt
erscheine. Auf der Basis des schmalen in der Buchhaltung ausgewiesenen
Nettoerlöses der Anwaltskanzlei für das Jahr 2005 sei die Finanzierung der
privaten Auslagen von monatlich Fr. 4'400.-- für Hypothekarzins und
Amortisation der privaten Liegenschaft und ein an die Ehefrau ausbezahltes
Haushaltungsgeld von Fr. 1'500.-- nicht zu erklären. Dass der
Eheschutzrichter sich auf die Lebenshaltungskosten und auf eine Erhebung des
Schweizerischen Anwaltsverbandes abgestützt habe, die von höchstens 60 %
Aufwendungen eines Anwalts, bezogen auf die Bruttoeinnahmen, ausgehe, sei
unter den dargelegten Umständen und angesichts dessen, dass es sich beim
Eheschutzverfahren um ein Summarverfahren handle, ausreichend und angemessen
gewesen. Für das im Rekursverfahren neu vorliegende Ergebnis des
Geschäftsjahres 2005 ergebe sich bei Brutto-Einnahmen aus der Advokatur von
Fr. 309'000.-- unter Berücksichtigung von 60 % Aufwand ein mutmasslicher
Nettoertrag von Fr. 124'000.--.
2.2.1 Der Beschwerdeführer zieht die als Brutto-Einnahmen genannten Zahlen
nicht in Zweifel. Hingegen macht er geltend, der kantonale Richter habe sich
mit den steueramtlichen Belegen in keiner Weise auseinandergesetzt; die
Steuererklärungen, die vorhanden gewesen seien und den heutigen
Steuerveranlagungen im Wesentlichen entsprochen hätten, seien schlicht
negiert worden. Der Beschwerdeführer unterlässt es indessen, die Rüge näher
zu begründen: Weder gibt er an, um welche Steuererklärungen es sich gehandelt
habe, noch führt er aus, dass darin wesentlich andere Angaben enthalten
gewesen seien als in den vom kantonalen Richter beigezogenen Unterlagen.
Ebenso wenig zeigt er auf, weshalb der Rekursrichter in Willkür verfallen
sein soll, indem er auf die in diesen Unterlagen enthaltenen Zahlen
abgestellt habe. Insofern ist auf die Beschwerde deshalb mangels
hinreichender Substantiierung nicht einzutreten.

2.2.2 Weiter beanstandet der Beschwerdeführer, der kantonsgerichtliche
Einzelrichter habe sich mit der Bemerkung begnügt, der geschäftliche Aufwand
seiner Anwaltskanzlei sei übersetzt, und habe dabei verkannt, dass er aus
seinen Einnahmen zwei Anwälte (ihn selber und eine von ihm angestellte
Anwältin) sowie Sekretariatspersonal entlöhnen müsse und überdies einen hohen
Mietzins zu bezahlen habe. Das Monatseinkommen, das der kantonale Richter auf
Fr. 10'000.-- veranschlagt habe, liege in Wirklichkeit bedeutend tiefer.

Ob diese Ausführungen den Anforderungen an die Begründung einer
staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) genügen, mag offen
bleiben. Es obliegt im Eheschutzverfahren den Parteien, dem Gericht die für
die Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit erforderlichen Unterlagen
einzureichen. Der kantonale Rekursrichter hat festgehalten, es seien keine
glaubwürdigen Unterlagen zum Einkommen des Beschwerdeführers vorhanden.
Dieser Feststellung wird in der Beschwerde nicht einmal widersprochen. Da auf
jeden Fall in dieser Hinsicht eine hinreichende Begründung fehlt, ist
insofern auf die Beschwerde nicht einzutreten. Die Beschwerdeführung grenzt
in diesem Punkt gar an Mutwille.

2.3 Alsdann beanstandet der Beschwerdeführer, dass der kantonsgerichtliche
Einzelrichter bei der Beurteilung der Einkommensverhältnisse auf Seiten der
Beschwerdegegnerin ausser Acht gelassen habe, dass diese relativ stattliche
Unterhaltsbeiträge für ihre Kinder aus erster Ehe beziehe. Dadurch würden
jene Kinder gegenüber dem Sohn Z.________ bevorzugt behandelt. Bei einem
entsprechend korrigierten Einkommen würde zudem auch der eheliche
Frauenunterhalt sich massiv ändern, allenfalls sogar ganz untergehen.

Worauf der Beschwerdeführer mit dieser Argumentation abzielt, ist nicht klar.
Er macht auf jeden Fall nicht geltend, der kantonale Richter sei bei der
Festsetzung des Z._______ zustehenden Unterhaltsbeitrags in Willkür
verfallen. Seinen Ausführungen, wonach bei einer Berücksichtigung der
Unterhaltsbeiträge für die Kinder aus der ersten Ehe der Beschwerdegegnerin
deren persönlicher Unterhaltsbeitrag stark reduziert oder gar wegfallen
würde, ist entgegenzuhalten, dass den Kindern ein selbständiger
Unterhaltsanspruch mit eigenem rechtlichem Schicksal zusteht. Auch das
unmündige Kind ist kraft eigenen Rechts unterhaltsberechtigt, was auch für
das Eheschutzverfahren gilt; dass dem Kind in diesem Verfahren keine
Parteistellung zukommt, ist ohne Belang (BGE 129 III 417 E. 2.1.1 S. 420).
Von seinem Inhalt her ist der Unterhaltsbeitrag zweckgebunden und für die
Deckung der Bedürfnisse des berechtigten Kindes bestimmt. Vor diesem
Hintergrund erscheint es keineswegs unhaltbar, wenn der kantonsgerichtliche
Einzelrichter die Unterhaltsbeiträge für die Kinder aus der ersten Ehe der
Beschwerdegegnerin nicht in deren Einkommen einbezogen hat.

2.4 Schliesslich erblickt der Beschwerdeführer einen Verstoss gegen Art. 29
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie eine Verletzung von Art. 9 BV darin,
dass die kantonale Rekursinstanz im Gegensatz zum Eheschutzrichter
Unterhaltsbeiträge erst ab dem 15. Dezember 2005 zugesprochen und die
vorausgegangene Zeitspanne vom 1. Juni 2005 bis zum 14. Dezember 2005 einfach
übergangen habe.

Weshalb er durch die beanstandete Tatsache beschwert sein soll, ist den
Ausführungen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen und im Übrigen auch
sonst nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer legt ausserdem auch nicht in
einer Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entsprechenden Weise dar, inwiefern der
kantonsgerichtliche Einzelrichter gegen das Verbot der Rechtsverweigerung
bzw. -verzögerung (Art. 29 Abs. 1 BV) verstossen haben und Art. 6 Ziff. 1
EMRK sowie Art. 9 BV verletzt haben soll. Zur Sache ist zu bemerken, dass der
Beschwerdeführer, der durch Teilentscheid des Rekursrichters vom 25. November
2005 dazu verhalten worden war, die eheliche Liegenschaft bis zum
15. Dezember 2005 zu verlassen, nach den Feststellungen im angefochtenen
Entscheid genau an diesem Tag ausgezogen ist. Dass der Beginn der
Verpflichtung des Beschwerdeführers zur Leistung von Geldzahlungen an den
Unterhalt des gemeinsamen Sohnes und der Ehefrau auf den 15. Dezember 2005
angesetzt worden ist, ist unter diesen Gegebenheiten durchaus vertretbar,
zumal der Beschwerdeführer bis zur Auflösung des gemeinsamen Haushaltes im
Rahmen von Art. 163 ZGB für den Bedarf der Familie aufzukommen hatte. Auf
Grund der Erwägungen im angefochtenen Entscheid waren diese Zusammenhänge für
den rechtskundigen Beschwerdeführer auch ohne weiteres erkennbar. Von einer
Verletzung der sich aus Art. 29 Abs. 2 BV ergebenden Begründungspflicht, wie
sie vom Beschwerdeführer geltend gemacht wird, kann unter diesen Umständen
keine Rede sein.

3.
Soweit auf die Beschwerde einzutreten ist, ist sie nach dem Gesagten
abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist die Gerichtsgebühr dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Dieser ist ausserdem zu
verpflichten, die Beschwerdegegnerin für ihre Umtriebe im bundesgerichtlichen
Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer wird verpflichtet, die Beschwerdegegnerin für ihre
Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen
(Einzelrichter im Familienrecht) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Juni 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: