Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.74/2006
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5P.74/2006 /zga

Urteil vom 19. Mai 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher
Stefan Gerber,

gegen

Y.________ GmbH,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher Roger Lerf,
Obergericht des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, Postfach 7475,
3001 Bern.

Art. 9, 29 Abs. 2 BV und Art. 6 EMRK (Parteientschädigung in einem
Rechtsöffnungsverfahren),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer, vom 17.
Januar 2006 (AHP 05 582).

Sachverhalt:

A.
X. ________ (Gesuchstellerin) ersuchte in der gegen die Y.________ GmbH
(Gesuchsgegnerin) angehobenen Betreibung Nr. 20518563 des Betreibungsamtes
Berner Oberland, Dienststelle Thun, um Gewährung der definitiven
Rechtsöffnung für den Betrag von Fr. 23'620.-- nebst Zins zu 5% seit 29. Juni
2005. Nachdem die Gesuchsgegnerin ihren Rechtsvorschlag zurückgezogen hatte,
schrieb die Gerichtspräsidentin am 2. November 2005 das
Rechtsöffnungsverfahren (Z 05 1904) als erledigt vom Protokoll und
verpflichtete die Gesuchsgegnerin, der Gesuchstellerin die Gerichtskosten von
Fr. 100.-- zu ersetzen und ihr eine Parteientschädigung von Fr. 600.-- zu
bezahlen. Mit einer am 2. November 2005 bei der Gerichtskanzlei eingegangenen
Eingabe hatte der Anwalt der Gesuchstellerin seine Kostennote für das
Rechtsöffnungsverfahren in der Höhe von Fr. 1'454.75 eingereicht.

B.
B.aDie Gesuchstellerin focht die Festsetzung der Parteientschädigung mit
Nichtigkeitsklage beim Appellationshof des Kantons Bern, 1. Zivilkammer, an
und beantragte, die Präsidialverfügung aufzuheben, eventuell die Kostenliste
auf Fr. 1'454.75 festzusetzen. Im Verfahren der Nichtigkeitsklage nahm die
Gerichtspräsidentin zur Klage Stellung und schob insbesondere eine Begründung
für den zugesprochenen, im Verhältnis zur Kostenliste reduzierten Betrag von
Fr. 600.-- nach. Die Gesuchsgegnerin schloss sich der Stellungnahme der
Gerichtspräsidentin an. Die Gesuchstellerin, welche ebenfalls zur
Stellungnahme zu den Ausführungen der Gerichtspräsidentin eingeladen worden
war, bestätigte die in der Nichtigkeitsklage gestellten Anträge.

B.b Mit Entscheid vom 17. Januar 2006 wies der Appellationshof die
Nichtigkeitsklage ab. Er schloss auf eine klare Verletzung von Art. 206 Abs.
1 ZPO, weil die Gerichtspräsidentin nicht erst nach Anhörung der Parteien
über die gegenseitige Kostenpflicht und die Höhe der Kosten bestimmt habe.
Soweit die Kostenliste anlässlich des Präsidialentscheids vorgelegen habe,
erachtete er ferner das rechtliche Gehör der Gesuchstellerin dadurch als
verletzt, dass die Gerichtspräsidentin die Kostennote abweichend vom
verlangten Betrag festgesetzt, die Abweichung aber nicht begründet habe. Da
die Gerichtspräsidentin in ihrer Stellungnahme eine Begründung für die
Festsetzung des Betrages von Fr. 600.-- nachgeliefert und die Gesuchstellerin
sich habe dazu äussern können, sei ein Verfahren nach Art. 206 Abs. 1 ZPO
obsolet geworden, zumal sich die Kostennote in den Akten befinde. Der
Appellationshof entschied in der Sache und erkannte, dass die
Gerichtspräsidentin bei der Festsetzung der Entschädigung auf Fr. 600.-- kein
klares Recht verletzt habe.

C.
Die Gesuchstellerin führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
rechtlichen Gehörs, willkürlicher Anwendung kantonalen Prozessrechts, sowie
Verletzung der Verfahrensrechte nach Art. 6 EMRK mit dem Antrag, den
Entscheid des Appellationshofs aufzuheben. Es sind keine Vernehmlassungen
eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid
im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde
offen steht. Auf die Eingabe der Beschwerdeführerin ist somit grundsätzlich
einzutreten.

2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Gerichtspräsidentin habe in ihrer
Eingabe vom 12. Dezember 2005 keinen Antrag auf Abweisung der
Nichtigkeitsklage gestellt, und beanstandet, dass das Obergericht willkürlich
einen solchen hineininterpretiert habe. Die Gerichtspräsidentin sei vielmehr
der Auffassung gewesen, dass über das Honorar unter Berücksichtigung des im
Parallelverfahren geforderten Honorars neu entschieden werden müsse. Dies
lasse vermuten, dass der Gerichtspräsidentin die Kostennote im Zeitpunkt der
Festsetzung der Entschädigung nicht vorgelegen habe.

Ob der Schluss des Obergerichts, die Gerichtspräsidentin schliesse
(sinngemäss) auf Abweisung, haltbar oder willkürlich ist, braucht nicht
beantwortet zu werden. Ein Entscheid ist nur dann wegen Verletzung von Art. 9
BV aufzuheben, wenn er sich auch im Ergebnis als willkürlich erweist (BGE 128
I 81 E. 2 S. 86). Dies ist offensichtlich nicht der Fall, hätte doch ein
Antrag der Gerichtspräsidentin auf Gutheissung einer Abweisung der
Nichtigkeitsklage durch den Appellationshof nicht entgegengestanden. Der
Willkürvorwurf erweist sich als unbegründet.

3.
Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, der Appellationshof bejahe zu
Recht, dass Art. 206 Abs. 1 ZPO/BE auch im Summarverfahren anwendbar sei. Die
Auffassung des Appellationshofs, es sei vorliegend nicht nach dieser
Bestimmung vorzugehen, erweise sich als willkürlich. Willkürlich sei ebenso
die Annahme, die Kostennote habe der Gerichtspräsidentin vorgelegen. Aber
auch wenn die Kostennote vorgelegen hätte, wäre die Präsidentin aufgrund von
Art. 206 Abs. 1 ZPO/BE verpflichtet gewesen, der Beschwerdeführerin das
rechtliche Gehör zu gewähren und im Zweifel eine Detailkostennote zu
verlangen, um den tatsächlichen Aufwand beurteilen zu können, falls sie die
(pauschale) Kostennote als nicht nachvollziehbar erachtet hätte. Das Vorgehen
der Präsidentin erweise sich als Verletzung klaren Rechts und als Verletzung
des rechtlichen Gehörs.

Der Appellationshof hat festgestellt, dass die Gerichtspräsidentin zu Unrecht
Art. 206 Abs. 1 ZPO nicht angewendet und (soweit die Kostennote der
Gerichtspräsidentin anlässlich der Abfassung des Entscheids bereits
vorgelegen habe) mangels Begründung der von der Kostennote abweichenden
Entschädigung das rechtliche Gehör verletzt hat. Insoweit hat der
Appellationshof selbst weder klares Recht noch das rechtliche Gehör der
Beschwerdeführerin verletzt. Was die Beurteilung des Verhaltens der
Gerichtspräsidentin durch den Appellationshof anbelangt, erübrigen sich
demnach weitere Ausführungen zur Beschwerde. Die Beschwerdeführerin scheint
aber auch anzunehmen, der Appellationshof selbst hätte nach Art. 206 Abs. 1
ZPO verfahren müssen. Die Kritik der Beschwerdeführerin erschöpft sich aber
in einer nicht substanziierten Behauptung und damit in appellatorischer, im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde unzulässiger Kritik, auf die nicht
einzutreten ist (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; 109 Ia 217 E. 2b S. 226; 125 I 492
E. 1b S. 495; 127 III 279 E. 1c S. 282). Im Übrigen hat der Appellationshof
bei der Gerichtspräsidentin eine Stellungnahme eingeholt, worin sie die
Kürzung der Kostenliste nachträglich begründet hat, und zwar zu einem
Zeitpunkt als die Kostennote vorlag; die Beschwerdeführerin hat sich zur
Stellungnahme äussern können. Soweit Art. 206 Abs. 1 ZPO im Verfahren vor dem
Appellationshof anwendbar wäre, versäumt die Beschwerdeführerin darzulegen,
inwiefern ihr diese Bestimmung weitere Rechte einräumt. Darauf ist nicht
einzutreten (BGE 119 Ia 197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127
III 279 E. 1c S. 282, mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 130 I 258 E.
1.3).

4.
Die Beschwerdeführerin macht zusammengefasst geltend, der Appellationshof
stelle zwar eine Verletzung des rechtlichen Gehörs fest, weiche aber in
willkürlicher Weise von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ab, wonach
eine Verletzung des Anspruchs ungeachtet der Erfolgsaussichten in der Sache
zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führe. Indem der Appellationshof
angesichts der klaren Verletzung des rechtlichen Gehörs eine Kassation des
angefochtenen Entscheides ablehne und selber prüfe, ob klares Recht verletzt
worden sei, verletze er seinerseits das rechtliche Gehör.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung führt eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör ungeachtet der Erfolgsaussichten in der Sache
selbst zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 126 I 19 E. 2d/bb S.
24; 125 I 113 E. 3 S. 118). Die Rechtsprechung hat aber ebenso anerkannt,
dass eine Verletzung des Anspruchs geheilt werden kann, soweit der
Rechtsmittelinstanz keine geringere Prüfungsbefugnis zusteht als der
Vorinstanz bzw. der letzten kantonalen Instanz und es sich nicht um eine
besonders schwere Verletzung der Parteirechte handelt (BGE 126 I 68 E. 2 S.
72). Der Appellationshof hat in der Sache entschieden, nachdem er die
Gerichtspräsidentin vorgängig zur Stellungnahme eingeladen hatte, die
unterbliebene Begründung für die Kürzung der Kostenliste von der
Gerichtspräsidentin nachgeschoben worden war und die Beschwerdeführerin dazu
hatte Stellung nehmen können; zudem befand sich die Kostenliste im Zeitpunkt
des obergerichtlichen Entscheids bei den Akten. Den Ausführungen des
angefochtenen Entscheids lässt sich entnehmen, dass der Appellationshofs den
Verfahrensmangel als geheilt betrachtet hat. Dem hält die Beschwerdeführerin
einen einfachen Verweis auf die formelle Natur ihres Anspruchs entgegen, die,
wie dargelegt, eine Heilung des Verfahrensmangels nicht ausschliesst; mit
diesem Verweis legt die Beschwerdeführerin indes nicht rechtsgenüglich dar,
dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Heilung des
Verfahrensmangels nicht erfüllt waren (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 119 Ia
197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282,
mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 130 I 258 E. 1.3). Die Rüge der
Verletzung des rechtlichen Gehörs ist demnach unbegründet, soweit darauf
überhaupt eingetreten werden kann.

5.
Mit Bezug auf den Entscheid in der Sache bringt die Beschwerdeführerin vor,
der Appellationshof stütze seine Überlegungen auf Art. 68 GebV SchKG, den es
in Wirklichkeit gar nicht gebe. Im Übrigen führe er aus, im
Rechtsöffnungsverfahren sei es im Wesentlichen um die Einforderung der gemäss
Vergleich zustehenden Summe gegangen. Der Vergleich beinhalte aber keine
Gesamtsumme, sondern vielmehr mehrere Einzelbeträge, bei denen es sich zum
Teil um Nettobeträge, zum Teil aber um Bruttobeträge handle. Mit Bezug auf
die Bruttobeträge heisse es im Vergleich, "von den Nettobeträgen hiervor
werden Fr.... abgezogen". Weiterhin gehe es im Vergleich um eine
Verpflichtung "zur Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge gemäss
vorstehenden Zahlen".

Es trifft zu, dass sich die Kriterien zur Bemessung der Parteientschädigung
aus Art. 62 Abs. 1 GebV SchKG ergeben (SR 281.35). Aus diesem Verschrieb kann
die Beschwerdeführerin allerdings nichts zu ihren Gunsten ableiten, zumal die
Kriterien, welche früher in Art. 68 Abs. 1 GebV SchKG aufgeführt waren, in
die nunmehr gültige Verordnung vom 23. September 1996 übernommen worden sind.
Die Kostennote enthält keinen Zeitaufwand. Mit ihren Erörterungen legt die
Beschwerdeführerin nicht substanziiert dar, inwiefern aus den Ausführungen im
Vergleich bzw. aus den im Vergleich aufgeführten Summen ein grösserer
Zeitaufwand im Rechtsöffnungsverfahren resultiert hätte und inwiefern das
Obergericht mit Bezug auf die Festsetzung der Kostenliste Verfassungs- oder
EMRK-Bestimmungen verletzt haben soll (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG (BGE 119 Ia
197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282,
mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 130 I 258 E. 1.3). Darauf ist nicht
einzutreten.

6.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die
Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie hat die
Gegenpartei für das bundesgerichtliche Verfahren nicht zu entschädigen, da
keine Vernehmlassung eingeholt worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Appellationshof, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Mai 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: