Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.521/2006
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{T 0/2}
5P.521/2006 /blb

Urteil vom 24. April 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Manuela B. Vock,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Rita Wenger-Lenherr,
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12A, 8500 Frauenfeld.

Art. 9 und Art. 29 Abs. 3 BV (Trennungsfrist nach Art. 114 ZGB),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 6. November 2006.

Sachverhalt:

A.
Der Präsident des Bezirksgerichts G.________ nahm in einer Eheschutzverfügung
vom 27. Oktober 2004 unter anderem Vormerk vom Getrenntleben der Eheleute
X.________ und Y.________ "per" 14. Juli 2004.
Mit einer vom 14. Juli 2006 datierten und gleichentags persönlich
überbrachten Eingabe erhob Y.________ beim Bezirksgericht H.________ gegen
X.________ Klage auf Scheidung der Ehe. X.________, der am 15. Juli 2006
seinerseits eine an das Gericht seines Wohnsitzes im Kanton Zürich gerichtete
Scheidungsklage aufgab, hielt dafür, die zweijährige Trennungsdauer gemäss
Art. 114 ZGB sei erst an diesem Tag abgelaufen gewesen; die von Y.________
aus seiner Sicht zu früh eingereichte Klage sei abzuweisen.
Die Kommission des Bezirksgerichts H.________ stellte in einem als
Vorentscheid bezeichneten Beschluss vom 6. September 2006 fest, die
zweijährige Trennungszeit sei am 13. Juli 2006, um 24.00 Uhr, abgelaufen und
auf die Scheidungsklage von Y.________ sei einzutreten. Ferner wurde
beschlossen, dass über die Verlegung der Kosten mit der Hauptsache
entschieden werde.

B.
Mit Beschluss vom 6. November 2006 wies das Obergericht des Kantons Thurgau
den von X.________ erhobenen Rekurs ab, soweit es darauf eintrat
(Dispositiv-Ziffer 1). Ausserdem verpflichtete es X.________, eine
Verfahrensgebühr von Fr. 1'200.-- und Y.________ für das Rekursverfahren eine
Entschädigung von Fr. 600.-- zu zahlen (Dispositiv-Ziffer 2).

C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, den
obergerichtlichen Beschluss aufzuheben. Ausserdem ersucht er darum, ihm für
das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Y. ________ (Beschwerdegegnerin) und das Obergericht schliessen auf Abweisung
der Beschwerde (soweit darauf einzutreten sei).

D.
Durch Präsidialverfügung vom 22. Januar 2007 ist dem weiteren Antrag des
Beschwerdeführers, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen,
entsprochen worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG; SR
173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid
ist vorher ergangen, so dass noch die Bestimmungen des
Bundesrechtspflegegesetzes (OG) anzuwenden sind (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).

2.
Zur Sache erklärt das Obergericht, es handle sich bei der Frage, ob die
zweijährige Trennungszeit gemäss Art. 114 ZGB abgelaufen sei, um eine solche
materiellrechtlicher Natur: Falls die Frist abgelaufen sei, sei die Klage zu
schützen, wenn nicht, sei sie abzuweisen. Dies habe zur Folge, dass entgegen
dem Vorgehen der ersten Instanz die Frage nach dem Fristenlauf und damit der
Begründetheit des Scheidungsanspruchs nicht zu einem Vorentscheid über das
Eintreten auf die Klage gemacht werden könne, weshalb auf den Rekurs
grundsätzlich nicht eingetreten werden könne. Alsdann hat die kantonale
Rekursinstanz sich gleichwohl zur strittigen Frage geäussert. Sie weist auf
die Feststellung des Eheschutzrichters hin, wonach die Parteien per 14. Juli
2004 getrennt lebten, und hält dafür, dass von einer Trennung an diesem Tag
um 00.00 Uhr auszugehen sei, zumal der Eheschutzrichter keine konkrete Zeit
angegeben und keine der Parteien im Scheidungsverfahren den Nachweis der
exakten Trennungszeit erbracht habe. Demzufolge erweise sich die von der
Beschwerdegegnerin am 14. Juli 2006 um 08.00 Uhr eingeleitete Klage nicht als
verfrüht und die Ehe sei unter Vorbehalt eines von den Parteien in der
Zwischenzeit allenfalls unternommenen Versuchs der Wiederaufnahme des
Zusammenlebens zu scheiden.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer bezeichnet die Ausführungen des Obergerichts als
widersprüchlich. Wenn die Rechtsmittelinstanz in einem kantonalen
Rekursverfahren zum Schluss komme, das Vorgehen der ersten Instanz sei nicht
korrekt gewesen, dürfe sie nicht materiell entscheiden, sondern habe sie
deren Entscheid aufzuheben. Indem das Obergericht nicht so verfahren sei, sei
es in Willkür verfallen.

3.2 Der Beschwerdeführer verkennt, dass Willkür nicht schon dann vorliegt,
wenn einzelne Erwägungen unhaltbar sind oder sich miteinander nicht
vereinbaren lassen. Die Aufhebung eines kantonalen Entscheids rechtfertigt
sich nur, wenn nicht einzig seine Begründung, sondern auch das Ergebnis
vollkommen unhaltbar ist (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17 mit Hinweisen).

3.2.1 Durch die Abweisung des Rekurses hat das Obergericht im Ergebnis den
Entscheid der Bezirksgerichtskommission geschützt, wonach auf die Klage der
Beschwerdegegnerin einzutreten sei. Mit dieser Tatsache und den
entsprechenden (materiellrechtlichen) Erwägungen der kantonalen Rekursinstanz
setzt sich der Beschwerdeführer in keiner Weise auseinander. Da eine den
Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügende Begründung der
Beschwerde mithin fehlt, ist auf diese insofern nicht einzutreten, als sie
sich gegen die Abweisung des Rekurses richtet.

3.2.2 Es ist im Übrigen fraglich, ob die Beschwerde in diesem Punkt überhaupt
offen steht. Nach Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur
zulässig, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung nicht sonstwie durch
Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht gerügt werden kann. Der
angefochtene Entscheid befasst sich mit dem Lauf der zweijährigen Frist
gemäss Art. 114 ZGB. Es ging mithin um eine Frage des eidgenössischen Rechts
im Sinne der Art. 43 f. OG, die von der ersten Instanz zum Gegenstand eines
selbständigen Vorentscheids gemacht worden war. Nach Art. 50 Abs. 1 OG kann
ein solcher (ausnahmsweise) mit Berufung angefochten werden, wenn dadurch
sofort ein Endentscheid herbeigeführt und ein so bedeutender Aufwand an Zeit
oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass
die gesonderte Anrufung des Bundesgerichts gerechtfertigt erscheint. Dem
ersten Erfordernis zufolge muss das Bundesgericht in der Lage sein, mit einem
vom angefochtenen Entscheid abweichenden Urteil abschliessend und endgültig
über den strittigen Anspruch zu befinden (BGE 129 III 288 E. 2.3.3 S. 291 mit
Hinweisen). Sollte hier die Auffassung des Obergerichts hinsichtlich des in
Frage stehenden Fristenlaufs nicht zu teilen sein, wäre eine Berufung
gutzuheissen und festzuhalten, dass auf die Scheidungsklage der
Beschwerdegegnerin nicht einzutreten sei. Damit wäre das von dieser
eingeleitete Verfahren endgültig erledigt. Aus den dargelegten Gründen wäre
die staatsrechtliche Beschwerde eigentlich nicht zulässig.
Eine Umdeutung der als staatsrechtliche Beschwerde eingereichten
Rechtsschrift des Beschwerdeführers in eine Berufung fiele ausser Betracht:
Abgesehen davon, dass in der Eingabe nicht dargelegt wird, inwieweit sich mit
einer Aufhebung des Vorentscheids ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten
ersparen liesse, fehlt auch die nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG erforderliche
Auseinandersetzung mit den materiellen Erwägungen der kantonalen
Rekursinstanz. Zu bemerken ist ausserdem, dass ein Rechtsmittel nur als
Ganzes konvertiert werden kann, die vorliegende Beschwerde sich jedoch nicht
nur gegen die Abweisung des Rekurses richtet, sondern auch gegen die
Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege; eine Verletzung von Art. 29
Abs. 3 BV bzw. eine willkürliche Anwendung der kantonalrechtlichen
Bestimmungen zum Armenrecht können indessen einzig mit staatsrechtlicher
Beschwerde gerügt werden.

3.2.3 Soweit mit der staatsrechtlichen Beschwerde die Aufhebung der Abweisung
des kantonalen Rekurses durch das Obergericht verlangt wird, ist nach dem
Gesagten darauf nicht einzutreten.

4.
Mit der Auferlegung der Verfahrens- und Parteikosten hat das Obergericht
(stillschweigend) das vom Beschwerdeführer für das zweitinstanzliche
Verfahren gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen. In
seinen Erwägungen erklärt es, der Rekurs sei als aussichtslos zu
qualifizieren. Der Beschwerdeführer macht geltend, diese Annahme sei
willkürlich und die Verweigerung des Armenrechts verstosse gegen Art. 29
Abs. 3 BV.

4.1 Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich
geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft
bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos,
wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder
jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die
über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger
Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde: Eine Partei soll einen
Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht
deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Wie es sich damit
verhält, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht mit freier Kognition
(BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f. mit Hinweisen).

4.2 Das Obergericht hat sich eingehend mit der Frage befasst, in welchem
Zeitpunkt die in Art. 114 ZGB festgelegte Trennungsfrist zu laufen beginne,
und dabei verschiedene Literaturstellen und auch die einschlägige
bundesrätliche Botschaft konsultiert. Die von ihm angestellten Überlegungen
und die Tatsache, dass die herangezogenen Lehrmeinungen keineswegs einhellig
sind, zeigen, dass die strittige Frage bisher nicht klar beantwortet worden
ist. Es lässt sich unter diesen Umständen nicht sagen, der vom
Beschwerdeführer in seinem Rekurs vertretene Standpunkt sei im Sinne der
angeführten Rechtsprechung zur unentgeltlichen Rechtspflege aussichtslos
gewesen. Soweit der Beschwerdeführer dem Obergericht eine Verletzung von
Art. 29 Abs. 3 BV vorwirft, ist die Beschwerde aus dieser Sicht daher
begründet.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, soweit auf sie einzutreten
ist, und Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids (Auflage der
Verfahrens- und der Parteikosten der Beschwerdegegnerin) ist aufzuheben.

6.
Der Beschwerdeführer legt seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht dar, und
auch der angefochtene Entscheid enthält nichts, was auf die Erfüllung des
Erfordernisses der Bedürftigkeit (Art. 152 Abs. 1 OG) schliessen liesse. Dem
auch für das bundesgerichtliche Verfahren gestellten Begehren um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege, das insofern gegenstandslos ist, als der
Kanton Thurgau angesichts des Verfahrensausgangs zu einer (reduzierten)
Parteientschädigung zu verpflichten ist, kann deshalb nicht stattgegeben
werden. Da der Beschwerde teilweise Erfolg beschieden ist, ist dem
Beschwerdeführer jedoch eine reduzierte Gerichtsgebühr aufzuerlegen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist, wird sie
gutgeheissen, und Dispositiv-Ziffer 2 des Beschlusses des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 6. November 2006 wird aufgehoben.

2.
Soweit das Gesuch des Beschwerdeführers, ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, nicht gegenstandslos
geworden ist, wird es abgewiesen.

3.
Dem Beschwerdeführer wird eine Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- auferlegt.

4.
Der Kanton Thurgau wird verpflichtet, den Beschwerdeführer für seine Umtriebe
im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. April 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: