Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.499/2006
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{T 0/2}
5P.499/2006 /blb

Urteil vom 6. März 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Patrick M. Hoch,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Guolf Töndury,
Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, Obere Vorstadt 38,
5000 Aarau.

Art. 8 und 9 BV (Eheschutz),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 23. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
A.a X.________ (Ehefrau) und Y.________ (Ehemann) heirateten im Jahre 1982.
Aus ihrer Ehe gingen die Töchter A.________ (geb. Januar 1986) und B.________
(geb. April 1988) hervor. Die Eheleute leben seit Oktober 2004 getrennt.

A.b Auf Klage der Ehefrau vom 28. Dezember 2004 stellte der Gerichtspräsident
von Brugg im Rahmen von Eheschutzmassnahmen mit Urteil vom 14. September 2005
fest, die Parteien seien zum Getrenntleben berechtigt und lebten seit dem
8. Oktober 2004 getrennt. Im Weiteren verpflichtete er den Ehemann, der
Ehefrau ab dem 1. April 2005 für die Tochter B.________ Fr. 1'500.-- pro
Monat plus Kinderzulage und an ihren persönlichen Unterhalt monatlich
Fr. 6'150.-- zu bezahlen.

B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerden der Parteien verpflichtete das
Obergericht des Kantons Aargau am 23. Oktober 2006 den Ehemann, der Ehefrau
mit Wirkung ab dem 1. April 2005 monatlich und vorschüssig an den Unterhalt
von B.________ Fr. 1'500.-- zuzüglich Kinderzulage und an ihren persönlichen
Unterhalt Fr. 5'245.-- bis 31. Dezember 2005, Fr. 5'725.-- vom 1. Januar 2006
bis 30. Juni 2006 und Fr. 3'860.-- ab dem 1. Juli 2006 zu bezahlen (Disp.
Ziff. 1).

C.
Die Ehefrau führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, Disp. Ziff. 1
des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 23. Oktober 2006
aufzuheben. Es ist keine Vernehmlassung eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht in Kraft
getreten (BGG; SR 173.110; AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid
ist vorher ergangen, so dass noch die Bestimmungen des
Bundesrechtspflegegesetzes anzuwenden sind (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG). Die
vorliegende staatsrechtliche Beschwerde ist von der II. zivilrechtlichen
Abteilung zu beurteilen (Art. 32 Abs. 1 lit. c des Reglementes vom
20. November 2006 für das Bundesgericht; BgerR; SR 173.110.131).

2.
Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss die Beschwerdeschrift die wesentlichen
Tatsachen und eine kurz gefasste Darstellung darüber enthalten, welche
verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch
den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur
klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen
(Rügeprinzip; vgl. BGE 125 I 71 E. 1c S. 76; 129 I 185 E. 1.6 S. 189; 130 I
258 E. 1.3 S. 262). Allgemeine Vorwürfe ohne eingehende Begründung dafür,
inwiefern welches verfassungsmässige Recht verletzt sein soll, genügen den
gesetzlichen Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht (BGE 117 Ia 10
E. 4b). Ebenso wenig tritt es auf rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid ein (BGE 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3
S. 262). Unzulässig ist sodann der schlichte Verweis auf kantonale Akten (BGE
114 Ia 317 E. 2b S. 318). Nicht einzutreten ist schliesslich grundsätzlich
auf neue tatsächliche sowie rechtliche Vorbringen im Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde (BGE 114 Ia 204 E. 1a S. 205; 118 Ia 20 E. 5a
S. 26; 129 I 49 E. 3 S. 57).
Soweit die Eingabe den genannten Anforderungen nicht entspricht, ist darauf
nicht einzutreten. So begründet die Beschwerdeführerin z.B. nicht, inwiefern
die Bemessung des Unterhaltsbeitrages für ihre Tochter gegen die Verfassung
verstösst. Gleiches trifft auf den Vorwurf der Verletzung der
Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) zu, den die Beschwerdeführerin zwar erhebt, ohne
aber in einer Art. 90 Abs. 1 lit. b OG entsprechenden Weise darzulegen,
inwiefern diese Verfassungsbestimmung verletzt worden sein soll. Ungenügend
begründet ist die Beschwerde ferner mit Bezug auf die Kritik an der
festgesetzten Übergangsfrist zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit (Beschwerde
S. 8 f. 13.4), an der Höhe des erzielbaren Gehalts von Fr. 2'500.--
(Beschwerde S. 9 13.5) sowie an der vom Obergericht bejahten Möglichkeit,
eine Arbeitsstelle zu finden (Beschwerde S. 9 13.6). Dabei handelt es sich
durchwegs um appellatorische Kritik, die den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1
lit. b OG nicht zu genügen vermag. In dieser Hinsicht ist auf die
staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.

3.
Die Beschwerdeführerin erachtet das angefochtene Urteil als willkürlich
(Art. 9 BV). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon vor,
wenn eine andere Lösung vertretbar oder gar vorzuziehen wäre; das
Bundesgericht hebt einen Entscheid vielmehr nur auf, wenn dieser mit der
tatsächlichen Situation in offensichtlichem Widerspruch steht, eine Norm oder
einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei rechtfertigt sich die
Aufhebung des angefochtenen Entscheides nur, wenn er sich auch im Ergebnis
als verfassungswidrig herausstellt (BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211; 129 I 49
E. 4 S. 58, je mit Verweisen).

4.
4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe 1982 geheiratet und sei bis
kurz vor der Geburt des ersten Kindes in Brasilien als Coiffeuse tätig
gewesen; in der Schweiz sei sie indes nie einer Erwerbstätigkeit
nachgegangen; vielmehr habe sie eine traditionelle Hausgattenehe geführt und
sich um die Kinder gekümmert. Ihre Deutschkenntnisse seien vergleichsweise
schlecht. Demgegenüber habe sich der Beschwerdegegner auf sein berufliches
Fortkommen konzentriert. Den Grundsätzen von Recht und Billigkeit
widerspreche daher die Auffassung des Obergerichts, im vorliegenden Fall
seien die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien nach Art. 125
ZGB anzuwenden. Die vom Obergericht zitierte Rechtsprechung BGE 128 III 65
sei noch unter dem alten Scheidungsrecht ergangen, welches eine Trennungszeit
von vier Jahren vorgesehen habe, während das nunmehr geltende Recht lediglich
noch eine zweijährige Trennungszeit vorschreibe. Auch sei die Rechtsprechung
von anderen tatsächlichen Gegebenheiten hinsichtlich der finanziellen
Verhältnisse sowie der Änderung der gelebten Rollenverteilung ausgegangen und
habe sich auf einen Fall bezogen, in dem die Ehefrau teilweise erwerbstätig
gewesen sei (Beschwerde S. 5 ff. 13.1 und 13.2 und S. 9 f. 14.).
4.2 Das Bundesgericht stellte in der besagten Rechtsprechung nicht in Frage,
dass das Gericht bei der Festsetzung von Geldbeträgen des einen Ehegatten an
den andern nach Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB grundsätzlich von den bisherigen,
ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen der Ehegatten über
Aufgabenteilung und Geldleistungen ausgehen soll. Es hat indes betont, dass
das Ziel der wirtschaftlichen Selbstständigkeit zunehmend an Bedeutung
gewinnt, wenn mit der Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushalts nicht mehr
ernsthaft zu rechnen ist (BGE 128 III 65 E. 4a S. 67). Entgegen der
vermeintlichen Auffassung der Beschwerdeführerin war somit die Möglichkeit
der Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft und nicht die Frist des
Getrenntlebens nach Art. 114 ZGB oder die von der Beschwerdeführerin
erwähnten anderen tatsächlichen Verhältnisse massgebend. Nach den
Feststellungen des Obergerichts leben die Parteien seit über zwei Jahren
getrennt und sehen für ihre Ehe keine Zukunft mehr (Urteil S. 11 E. 4.2). Im
Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und den nicht als
verfassungswidrig beanstandeten tatsächlichen Feststellungen erweist es sich
nicht als willkürlich, bei der Beurteilung des Unterhalts und insbesondere
der Frage der Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit die für den nachehelichen
Unterhalt geltenden Kriterien mit einzubeziehen.

5.
5.1 Die Beschwerdeführerin macht zusammengefasst geltend, auch wenn vorliegend
auf die Kriterien von Art. 125 ZGB abzustellen sei, erweise sich der
Entscheid als willkürlich, zumal das Obergericht die Lebensstellung der
Parteien während der Ehe nicht berücksichtigt habe. Der Beschwerdegegner habe
mit weit über Fr. 20'000.-- pro Monat ein sehr gutes Salär verdient; die
Parteien hätten daher einen gehobenen Standard gepflegt. Ihr als Frau eines
Direktors könne nicht zugemutet werden, eine Anstellung im Bereich
untergeordneter Hilfsarbeiten zu suchen. Indem das Obergericht solches von
ihr verlange, verfalle es in Willkür. Wie die Lehre (Schwenzer, FamKommentar
Scheidung, 2005, N. 51 zu Art. 125 ZGB) beispielhaft erwähne, sei einer Frau,
die vor der Eheschliessung als Putzfrau gearbeitet habe, nach langer Ehe die
Wiederaufnahme der Putztätigkeit nicht zumutbar, auch wenn eine solche unter
Berücksichtigung der anderen, in Art. 125 Abs. 2 ZGB erwähnten Kriterien
möglich wäre (Beschwerde S. 7 f. 13.3 und S. 9 f. 14).

5.2
5.2.1 In der Lehre wird auf das grosse soziale Gefälle der Ehegatten bei
Eingehung der Ehe hingewiesen, welches den Kreis zumutbarer Erwerbstätigkeit
einschränkt (Schwenzer, a.a.O., N. 51 zu Art. 125 ZGB mit weiteren
Hinweisen). Dem wirtschaftlich Schwächeren soll nach besonders langer
Ehedauer nicht mehr zugemutet werden, auf den bisherigen Lebensstandard zu
verzichten, obwohl ihn der andere Ehegatte weiterhin finanzieren kann
(Hausheer/Geiser, Scheidungsunterhalt bei ausreichenden Mitteln Bemerkungen
zu BGE 127 III 136 ff., in: Festschrift für Jean Nicolas Druey, S. 155/167;
Pichonnaz/Rumo Jungo, Evolutions récentes des fondements de l'octroi de
l'entretien après divorce, SJ 2004 II 47/52). Eine Ehe, die - wie hier - weit
mehr als zehn Jahre (22 Jahre) gedauert und zwei Kinder hervorgebracht hat
und damit lebensprägend gewesen ist, kann Vertrauenspositionen schaffen, die
auch nach der Scheidung nicht enttäuscht werden dürfen. Dieser Schutz
berechtigten Vertrauens bezieht sich auf den Weiterbestand der bisherigen,
frei vereinbarten Aufgabenteilung. Angesprochen ist damit vorab die während
der Ehe gelebte Lebenshaltung als Bezugspunkt für den "gebührenden Unterhalt"
im Sinne von Art. 125 Abs. 1 ZGB. Er beschlägt aber auch die Frage, ob dem
Ehegatten unter den gegebenen Umständen die Aufnahme oder Ausdehnung einer
Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann. Ist das Vertrauen - wie hier - im
Grundsatz berechtigt und sind - wie hier - gute wirtschaftliche Verhältnisse
gegeben, kann es als unzumutbar erscheinen, dass der Ehegatte, der während
der Ehe nicht oder nur teilzeitlich erwerbstätig gewesen ist, im
fortgeschrittenen Alter eine Erwerbstätigkeit noch aufnehmen oder massiv
ausbauen muss.

5.2.2 Indes geht es nicht an, das angesprochene Kriterium der Lebensstellung
während der Ehe (Art. 125 Abs. 2 Ziff. 3 ZGB) ausschliesslich zu
berücksichtigen, wie die Beschwerdeführerin meint. Nach der Rechtsprechung
sind für die Beurteilung der Frage, ob eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder
auszudehnen ist, die Kriterien von Art. 125 Abs. 2 ZGB massgebend (vgl. BGE
127 III 136 E. 2a S. 138/139; 130 III 537 E. 3.4 S. 543), womit selbstredend
nebst der vorgenannten Lebensstellung während der Ehe (Art. 125 Abs. 2
Ziff. 3 ZGB), insbesondere auch die Dauer der Ehe (Ziff. 2 ZGB), Alter und
Gesundheit der Ehegatten (Ziff. 4) sowie Umfang und Dauer der von den
Ehegatten noch zu leistenden Kinderbetreuung (Ziff. 6) in die Würdigung mit
einzubeziehen sind.

5.2.3 Im vorliegenden Fall hat das Obergericht berücksichtigt, dass die Ehe
22 Jahre gedauert hat, ferner den Umstand, dass die Parteien in sehr guten
Verhältnissen gelebt haben und die Beschwerdeführerin während des
Zusammenlebens keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Mit in Betracht
gezogen wurde alsdann das Alter der Beschwerdeführerin von 42 Jahren bei der
Trennung, aber auch die gute Gesundheit der Beschwerdeführerin sowie die
Tatsache, dass sie von den Kinderbetreuungsaufgaben entlastet ist (Urteil
S. 12 E. 3.3 und 4.3). Aufgrund der geschilderten Umstände lässt sich die
Schlussfolgerung des Obergerichts, der Beschwerdeführerin sei die Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit zumutbar, mit Art. 9 BV vereinbaren.

6.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die
Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie schuldet dem
Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren keine Entschädigung,
zumal keine Vernehmlassung eingeholt worden ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. März 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: