Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.490/2006
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{T 0/2}
5P.490/2006 /bnm

Urteil vom 2. April 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Levante.

X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Kurt Gaensli,

gegen

Z.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Fürsprecherin Annick Emmenegger Brunner,
Obergericht des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern,
Betreibungs- und Konkursamt Berner Oberland, Dienststelle Thun, 3601 Thun.

Art. 9 BV (Lastenverzeichnis),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, vom 24. Oktober
2006.

Sachverhalt:

A.
A.a Z.________ stellte am 16. Dezember 2005 in der Betreibung auf
Grundpfandverwertung Nr. 1 des Betreibungs- und Konkursamtes Berner Oberland
das Verwertungsbegehren. Die zuständige Dienststelle Thun publizierte am 10.
Mai 2006 die auf den 5. Juli 2006 angesetzte Steigerung verbunden mit der
Aufforderung, allfällige Forderungen bis zum 30. Mai 2006 anzumelden. Sie
ersuchte zudem die Bank Y.________ bezüglich zweier Inhaberschuldbriefe, bis
zum gleichen Datum Unterlagen einzureichen oder Angaben zu machen, da sich
aus den Grundbuchauszügen keine berechtigten Grundpfandgläubiger ergäben. Die
Bank liess der Dienststelle die beiden Titel - getrennt von ihrer
Forderungsanmeldung - kommentarlos zugehen. Im Lastenverzeichnis vom 12. Juni
2006 vermerkte die Dienststelle Thun bei den beiden Inhaberschuldbriefen,
dass sie nicht belehnt seien.

A.b Am 13. Juni 2006 machte X.________ geltend, die beiden Titel seien seit
der Ausstellung in ihrem Besitz und die Forderung betrage ca. Fr. 150'000.--.
Mit Verfügung vom 20. Juni 2006 lehnte die Dienststelle diese
Forderungseingabe als verspätet ab. Dagegen wandte sich X.________ an das
Obergericht des Kantons Bern als Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen, welches ihre Beschwerde am 27. September 2006 abwies
(Dispositiv-Ziff. 1) und zugleich die Dienststelle anwies, das Schreiben von
X.________ vom 13. Juni 2006 als rechtzeitige Bestreitung des
Lastenverzeichnisses zu behandeln und das Lastenbereinigungsverfahren
durchzuführen (Dispositiv-Ziff. 2).

A.c Am 12. Oktober 2006 fragte der Vorsteher des Betreibungs- und
Konkursamtes das Obergericht betreffend den Entscheid vom 27. September 2006
an, wie er Ziff. 2 des Dispositivs vollziehen solle. Er sehe keine
Möglichkeit, der Beschwerdeführerin eine Frist zur Bestreitung des
Lastenverzeichnisses anzusetzen.

B.
Am 24. Oktober 2006 hob das Obergericht Ziff. 2 des Dispositivs seines
Entscheides vom 27. September 2006 auf (Dispositiv-Ziff. 1).

C.
X.________ beantragt dem Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde vom
27. November 2006 die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides. Z.________
hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Obergericht hat sich nicht
vernehmen lassen. Der Präsident der II. Zivilabteilung wies das
Sistierungsgesuch von X.________ am 7. Februar 2007 ab.

D.
X.________ ist in gleicher Sache mit betreibungsrechtlicher Beschwerde an das
Bundesgericht gelangt (7B.204/2006).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Auf das vorliegende Verfahren gelangen die Vorschriften des
Bundesrechtspflegegesetzes (OG) zur Anwendung, da der angefochtene Entscheid
vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110)
am 1. Januar 2007 ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Gemäss Art. 57 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 81 OG wird die
staatsrechtliche Beschwerde in der Regel vor der betreibungsrechtlichen
Beschwerde behandelt. Im vorliegenden Fall besteht kein Grund, anders zu
verfahren.

1.3 Der angefochtene Entscheid betrifft die Fristwahrung im
Lastenbereinigungsverfahren. Er erweist sich als letztinstanzlich. Die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist
damit gegeben (Art. 84 Abs. 1 lit. a, Art. 86 Abs. 1 OG). Nicht einzutreten
ist aufgrund des Novenverbotes (vgl. BGE 119 II 6 E. 4a S. 7) allerdings auf
den Antrag der Beschwerdeführerin, ein Parteiverhör durchzuführen.

2.
Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht die Verletzung ihres rechtlichen
Gehörs vor. Es habe ihr keine Gelegenheit gegeben, sich zur Frage der
Wiedererwägung des bisherigen Entscheides und zum neuen für sie belastenden
Entscheid zu äussern.

2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV steht den Parteien das rechtliche Gehör zu.
Dieser Anspruch ist formeller Natur, womit seine Verletzung ungeachtet der
materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde
und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führt (BGE 125 I 113 E. 3 S.
118; 122 II 464 E. 4a S. 469). Das rechtliche Gehör dient einerseits der
Klärung des Sachverhaltes, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die
Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht
des Betroffenen, sich vor Erlass eines ihn belastenden Entscheides zur Sache
zu äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich
zumindest zum Beweisergebnis äussern zu können, wenn dieses geeignet ist, den
Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56).

2.2 Im vorliegenden Fall hob das Obergericht seinen inzwischen
rechtskräftigen Entscheid vom 27. September 2006 teilweise auf, nachdem sich
der zuständige Betreibungsbeamte erkundigt hatte, wie dieser zu vollziehen
sei. Nach Ansicht des Obergerichts litt der genannte Entscheid an einem
unauflösbaren Widerspruch, da dadurch zwar die Beschwerde gegen die Abweisung
der Forderungsanmeldung seitens des Betreibungsamtes abgewiesen, zugleich
aber die Behandlung dieser Anmeldung angeordnet worden war. Wie in einem
solchen Fall zu verfahren ist und inwieweit ein rechtskräftiger Entscheid
aufgehoben werden kann, dazu müssen sich die Betroffenen äussern können. Die
Beschwerdeführerin ist durch die Aufhebung der Anordnung an das
Betreibungsamt in ihrer Rechtstellung als Gläubigerin, deren
Forderungsanmeldung zuvor als verspätet abgewiesen war, direkt betroffen. Sie
hätte vor Erlass des neuen Entscheides angehört werden müssen, da sich dieser
für sie belastend auswirkt. Indem das Obergericht ihr keine Gelegenheit
gegeben hatte, sich zum Verfahren und Entscheid zu äussern, verletzte sie das
rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin. Der angefochtene Entscheid ist somit
aufzuheben, ohne das die von der Beschwerdeführerin überdies geltend gemachte
Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben noch zu prüfen wäre.

3.
Nach dem Gesagten ist der staatsrechtlichen Beschwerde Erfolg beschieden. Da
die Beschwerdegegnerin weder am kantonalen Verfahren teilgenommen noch vor
Bundesgericht sich hat vernehmen lassen, sind ihr weder Kosten noch eine
Parteientschädigung aufzuerlegen. Dem unterliegenden Kanton werden in der
Regel keine Kosten auferlegt (Art. 156 Abs. 2 OG), hingegen ist er zur
Leistung einer Parteientschädigung an die Beschwerdeführerin verpflichtet
(Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten
ist, und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern vom 24. Oktober 2006
aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Bern hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, sowie dem Betreibungs-
und Konkursamt Berner Oberland, Dienststelle Thun, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. April 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: