Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.468/2006
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{T 0/2}
5P.468/2006 /blb

Urteil vom 28. März 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Alain Joset,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Advokat Andreas Mayer,
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, Postfach
635, 4410 Liestal.

Art. 5 BV etc. (Sicherstellung nach Art. 132 ZGB),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 14. August 2006.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 22. Dezember 1997 schied das Bezirksgericht Liestal die Ehe
von X.________, geboren 1954, und Y.________, geboren 1941, und genehmigte
die Scheidungskonvention. Demnach schuldet X.________ seiner geschiedenen
Ehefrau einen lebenslänglichen und indexierten nachehelichen
Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'200.-- pro Monat. Zugleich verfügte das
Bezirksgericht einen dreijährigen Direktlohnabzug mit Anweisung an die
damalige Arbeitgeberin, welchen es am 9. August 2004 in eine unbefristete
Anordnung umwandelte.

B.
Auf Ersuchen von Y.________ verfügte der Gerichtspräsident von Liestal am
9. Dezember 2005 gestützt auf Art. 132 Abs. 2 ZGB superprovisorisch die
Sperre des Vorsorgeguthabens von X.________ bei seiner Arbeitgeberin. Nach
Anhörung der Parteien ordnete der Gerichtspräsident mit Urteil vom 5. Mai
2006 an, dass X.________ für die Bezahlung seiner monatlichen
Unterhaltsbeiträge den Betrag von Fr. 185'904.-- sicherzustellen habe, und
bestätigte die Sperrung des Vorsorgeguthabens in diesem Umfang. Zudem wies er
die zuständige Arbeitslosenkasse an, von der X.________ zustehenden
Arbeitslosenentschädigung den Betrag von monatlich Fr. 1'260.-- direkt an
Y.________ zu überweisen. Dieses Urteil enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.

C.
X.________ erhob gegen das Urteil des Gerichtspräsidenten am 19. Mai 2006
Beschwerde beim Kantonsgericht Basel-Landschaft und verlangte insbesondere
die Aufhebung der Sicherstellungspflicht und der Sperre seines
Vorsorgeguthabens. Die angerufene Instanz kam zum Schluss, dass gegen das
angefochtene Urteil nicht die Beschwerde, sondern die Appellation gegeben
sei, und nahm die Eingabe als solche entgegen. Da die dreitägige
Appellationsfrist nicht gewahrt worden war, trat das Kantonsgericht mit
Beschluss vom 14. August 2006 auf die Appellation nicht ein.

D.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 7. November 2006 beantragt X.________
dem Bundesgericht die Aufhebung des kantonsgerichtlichen Beschlusses.

Y. ________ verlangt, im Fall der Abweisung der Beschwerde seien die
Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen und die Parteikosten
wettzuschlagen; im Fall der Gutheissung seien allfällige Gerichts- und
Parteikosten dem Kantonsgericht aufzuerlegen, eventuell die Parteikosten
wettzuschlagen.
Das Kantonsgericht verweist auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses
und schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Auf das vorliegende Verfahren gelangen die Vorschriften des
Bundesrechtspflegegesetzes (OG) zur Anwendung, da das angefochtene Urteil vor
Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110) am
1. Januar 2007 ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Der Entscheid über die Sicherstellung der künftigen Unterhaltsbeiträge
nach Art. 132 Abs. 2 ZGB betrifft zwar die Zeit nach der Scheidung. Diese
Anordnung kann indes auch im Massnahmenverfahren nach Art. 137 Abs. 2 ZGB
getroffen werden. Praxisgemäss liegt in einem solchen Fall kein Endentscheid
nach Art. 48 OG vor, womit einzig die staatsrechtliche Beschwerde gegeben ist
(BGE 126 III 261 E. 1). Dies muss von der Sache her auch für den
Sicherstellungsentscheid gelten. Der angefochtene Beschluss erweist sich als
letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG). Damit ist die staatsrechtliche
Beschwerde gegeben. Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet indes
das erstinstanzliche Urteil. Damit ist auf die Vorwürfe gegen die
Prozessführung des Gerichtspräsidenten und die Rüge der Gehörsverweigerung
nicht einzutreten.

2.
Das Kantonsgericht hat vorab festgestellt, dass das Urteil des
Gerichtspräsidenten keine Rechtsmittelbelehrung enthalte. Gestützt auf eine
Analyse der kantonalen Rechtslage ist es zum Schluss gekommen, dass gegen
Entscheide über Sicherheitsleistungen nicht die Beschwerde, sondern einzig
das ordentliche Rechtsmittel der Appellation gegeben sei. Die Rechtsschrift
des Beschwerdeführers werde daher als Appellation entgegengenommen und die
Einhaltung der diesbezüglichen Formvorschriften geprüft. Das angefochtene
Urteil sei im beschleunigten Verfahren ergangen, weshalb die
Appellationsfrist § 216 Abs. 3 lit. c ZPO zufolge drei Tage betrage. Die
Eingabe des Beschwerdeführers sei jedoch innert zehn Tagen ab Erhalt des
Urteils erfolgt und die gesetzliche Appellationsfrist damit verpasst.
Aufgrund der fehlenden Rechtsmittelbelehrung habe der Beschwerdeführer davon
ausgehen können, dass kein ordentliches Rechtsmittel gegeben sei. Daraus
dürfe ihm nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) kein Nachteil
erwachsen, es sei denn, er hätte den Fehler selber erkannt oder bei
zumutbarer Sorgfalt erkennen müssen. Im vorliegenden Fall habe der anwaltlich
vertretene Beschwerdeführer die Problematik des zulässigen Rechtsmittels von
Anfang an erkannt und sich dahingehend geäussert, dass die Appellation
zulässig sei. Nachdem er selber einen Eventualantrag gestellt habe, seine
Beschwerde als Appellation entgegen zu nehmen, wäre es ihm auch zuzumuten
gewesen, rechtzeitig zu appellieren, zumal hierfür eine Erklärung genügt
hätte und im Gegensatz zur Beschwerde keine Begründung erforderlich gewesen
wäre. Nun habe er aber nur die zehntägige Beschwerdefrist respektiert, obwohl
sich aus der massgeblichen Verfahrensbestimmung ohne weiteres ergebe, dass
die Rechtsmittelfrist für die Appellation nur drei Tage betrage. Somit trete
zur fehlenden Rechtsmittelbelehrung der ersten Instanz noch eine grobe
prozessuale Unsorgfalt des Beschwerdeführers hinzu, welche den Behördenfehler
aufwiege und eine Verlängerung der Appellationsfrist ausschliesse. Demzufolge
sei auf das als Appellation entgegenzunehmende Rechtsmittel infolge
Verspätung nicht einzutreten.

3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und
Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) sowie des Anspruchs auf ein gerechtes
Verfahren (Art. 29 Abs. 1 BV), welches auch jeden überspitzten Formalismus
ausschliesse. Er macht geltend, das im konkreten Fall gegebene Rechtsmittel
sei weder aus dem Wortlaut der massgebenden Erlasse (EG ZGB und ZPO des
Kantons Basel-Landschaft) noch den einschlägigen Gesetzesmaterialien
erkennbar, sondern erst aufgrund der unpublizierten Praxis des
Kantonsgerichts. Daraus dürfe ihm kein Nachteil erwachsen. Zwar habe er
eventualiter beantragt, die Beschwerde als Appellation zu behandeln. Dass er
dabei die dreitägige Appellationsfrist nicht in Betracht gezogen habe, dürfe
ihm ebenfalls nicht zum Nachteil gereichen.

3.1 Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) verschafft einen Anspruch
auf Schutz berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder
sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten, sofern sich dieses
auf eine konkrete, den betreffenden Bürger berührende Angelegenheit bezieht
(BGE 130 I 26 E. 8.1 S. 60; 129 II 361 E. 7.1). Hat die Behörde dem Empfänger
eines Entscheides eine falsche Rechtsmittelbelehrung erteilt, so darf ihm
daraus kein Nachteil erwachsen, wenn er gutgläubig ist (BGE 118 Ia 223 E. 2).
Konnte er den Fehler bei zumutbarer Sorgfalt selber feststellen, so kann er
sich nicht darauf berufen. Dies trifft vor allem dann zu, wenn sich das im
konkreten Fall zulässige Rechtsmittel bereits aus der Konsultation des
Gesetzes ergibt. Diese Regeln gelten auch, wenn der eröffnete Entscheid
vorschriftswidrig gar keine Rechtsmittelbelehrung enthält (Weber-Dürler,
Neuere Entwicklungen des Vertrauensschutzes, ZBl 6/2002, S. 292 ff. mit
Hinweisen).

3.2
3.2.1 Nach § 212 Abs. 1 ZPO/BL werden Urteile den Parteien mündlich oder
schriftlich eröffnet. Gleichzeitig werden die Parteien mündlich oder
schriftlich auf das Rechtsmittel der Appellation und dessen Voraussetzungen
aufmerksam gemacht. Nach unbestrittener Auffassung des Kantonsgerichts ist im
vorliegenden Fall die Appellation gegeben, womit der Bezirksgerichtspräsident
seiner Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung keine Beachtung geschenkt hat.
Soweit das Kantonsgericht davon ausgeht, der Beschwerdeführer habe mit der
Appellation als zulässigem Rechtsmittel gerechnet, so ist damit für den
vorliegenden Fall nichts gewonnen. Als entscheidend erweist sich, dass der
Beschwerdeführer nicht von einer dreitägigen Appellationsfrist ausgegangen
ist, sondern vielmehr angenommen hat, die Appellation könne innert zehn Tagen
ergriffen werden. Im Weiteren gilt es daher zu prüfen, ob er die geltende
Frist bei zumutbarer Sorgfalt hätte feststellen können.

3.2.2 Während der Bezirksgerichtspräsident sich zum Verfahren nicht äussert,
in welchem über Begehren nach Art. 132 Abs. 2 ZGB zu befinden ist, ergehen
entsprechende Urteile nach Auffassung des Kantonsgerichts im beschleunigten
Verfahren. Zwar ist nach § 216 Abs. 3 lit. c ZPO/BL die dreitägige
Appellationsfrist namentlich auf beschleunigte Verfahren anwendbar. Doch wird
die Sicherstellung nach Art. 132 Abs. 2 ZGB in § 261 ZPO, welcher die im
beschleunigten Verfahren zu beurteilenden Fälle aufzählt, nicht erwähnt. Im
Lichte dieser gesetzlichen Bestimmungen erweist sich die dreitägige
Appellationsfrist mithin keineswegs als evident, wie das Kantonsgericht
annimmt; bei der gesetzlichen Unklarheit bleibt unerfindlich, wie der
Beschwerdeführer bei zumutbarer Sorgfalt innert nützlicher Frist hätte
herausfinden können, dass die Frist zur Einreichung der Appellation im
vorliegenden Fall nicht zehn, sondern drei Tage beträgt; im Lichte von Art. 9
BV war er jedenfalls nicht gehalten, Nachforschungen in der kantonalen
Rechtsprechung oder den Gesetztesmaterialien anzustellen. Vor dem
aufgezeigten Hintergrund kann ihm unter Berücksichtigung der äussert kurzen
Frist keine Verletzung der zumutbaren Sorgfalt angelastet werden, welche die
Lückenhaftigkeit des Gesetzes bzw. die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung
aufzuwiegen vermöchte. Somit bleibt es dabei, dass dem Beschwerdeführer aus
der fehlenden Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen darf. Die
Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Beschluss aufzuheben. Das
Kantonsgericht wird nunmehr die Appellation zu behandeln haben.

4.
Der Beschwerdeführer obsiegt mit seiner Beschwerde. Die Beschwerdegegnerin
hat in der Sache keinen Antrag gestellt. Zudem beruht die Gutheissung der
Beschwerde auf einem Verfahrensfehler, den keine Partei zu verantworten hat.
Da dem Kanton keine Kosten aufzuerlegen sind (Art. 156 Abs. 2 OG), ist von
der Erhebung einer Gerichtsgebühr abzusehen.
Angesichts der aufgezeigten Umstände hat der Kanton den Beschwerdeführer für
das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 OG). Der
Beschwerdegegnerin, die in der Sache keinen Antrag gestellt hat, ist keine
Parteientschädigung zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 14.
August 2006 aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Basel-Landschaft hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. März 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: