Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.458/2006
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 2006
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 2006


{T 0/2}
5P.458/2006 /blb

Urteil vom 6. Dezember 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Zbinden.

A. X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,

gegen

Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer,
als Rekursinstanz nach ZPO, Hirschengraben 16, 6002 Luzern.

Art. 9 BV (unentgeltliche Rechtspflege; Abänderung von Eheschutzmassnahmen),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer,
als Rekursinstanz nach ZPO, vom 17. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
A.a Mit Urteil vom 10. Mai 2005 im Verfahren nach Art. 175 ZGB hob der
Amtsgerichtspräsident II von Luzern-Land den gemeinsamen Haushalt der
Eheleute X.________ auf unbestimmte Zeit auf und verpflichtete A.X.________
zu einem Unterhaltsbeitrag an die Ehefrau im Betrag von Fr. 800.-- pro Monat.

A.b Am 3. April 2006 ersuchte A.X.________ um Aufhebung dieser
Unterhaltspflicht, da sich seine finanzielle Situation verschlechtert habe.
Mit Entscheid vom 21. Juli 2006 entsprach der Amtsgerichtspräsident dem
Begehren insofern, als er die Unterhaltspflicht für die Zeit von Mai bis
September 2006 auf Fr. 500.-- pro Monat reduzierte und danach gänzlich
aufhob.

B.
Dagegen rekurrierte die Ehefrau an das Obergericht des Kantons Luzern.
A.X.________, der im erstinstanzlichen Abänderungsverfahren nicht durch einen
Anwalt vertreten war, jedoch für das Rekursverfahren einen Anwalt mit der
Wahrung seiner Interessen betraut hatte, schloss auf Abweisung des Rekurses
und ersuchte überdies um unentgeltliche Rechtspflege für das
zweitinstanzliche Verfahren. Mit Urteil vom 17. Oktober 2006 wies das
Obergericht das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab (Ziff. 2).

C.
A.X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, Ziffer 2 des
Entscheides des Obergerichts des Kantons Luzern aufzuheben und ihm für das
Rekursverfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Für das
bundesgerichtliche Verfahren ersucht er ebenso um unentgeltliche
Rechtspflege.

Das Obergericht beantragt, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht gegebenen Ausnahmen
abgesehen, ausschliesslich kassatorischer Natur (allgemein: BGE 126 III 534
E. 1c S. 536 f. mit Hinweisen; mit Bezug auf die unentgeltliche Rechtspflege:
BGE 104 Ia 31 E. 1). Soweit der Beschwerdeführer mehr als die Aufhebung von
Ziff. 2 des Entscheides der letzten kantonalen Instanz verlangt, kann demnach
auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht lehne die unentgeltliche
Rechtspflege im Rekursverfahren einzig mit der Begründung ab, er sei
Eigentümer einer Liegenschaft, die einen Verkehrswert von Fr. 400'000.-- und
eine hypothekarische Belastung von Fr. 355'000.-- aufweise. Diese
Argumentation gelte als willkürlich, zumal für die Beurteilung der
Bedürftigkeit die vermögensrechtliche Situation des Gesuchstellers im
Zeitpunkt des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege ausschlaggebend sei.
Selbst wenn beim Verkauf der von ihm, seinen beiden unmündigen Kindern und
seiner Mutter bewohnten Liegenschaft ein Erlös erzielt werden könnte, wäre
dieser erst später realisierbar und damit im massgebenden Zeitpunkt noch gar
nicht vorhanden gewesen. Der angefochtene Entscheid sei überdies auch im
Ergebnis willkürlich, zumal das Obergericht zwar die Möglichkeit einer
hypothekarischen Mehrbelastung der Liegeschaft geprüft, die entsprechenden
Ausführungen aber offenbar wegen des negativen Ergebnisses nicht als
Eventualbegründung aufgenommen habe. Aus dem Schreiben der Bank vom
4. Oktober 2006 ergebe sich, dass eine Hypothekarerhöhung mangels
Kreditwürdigkeit während des laufenden Eheschutzverfahrens nicht möglich sei
(act. 1, S. 4 ff., Ziff. 6 und 7).

2.1 Der Umfang des Anspruches auf unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung bestimmt sich nach den Vorschriften des kantonalen Rechts,
ergibt sich aber auch direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV. Der Beschwerdeführer
bezeichnet die Abweisung seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege für
das kantonale Rekursverfahren als willkürlich. Er legt indes nicht dar,
inwiefern ihr das kantonale Recht einen über Art. 29 Abs. 3 BV hinausgehenden
Schutz gewährt. Allein im Lichte der Verfassungsnorm ist somit zu prüfen, ob
die Beschwerde bezüglich der unentgeltlichen Rechtspflege begründet ist (BGE
124 I 1 E. 2).

2.2 Nach der Rechtsprechung gilt als bedürftig im Sinne von Art. 29 Abs. 3
BV, wer die Kosten eines Prozesses nicht aufzubringen vermag, ohne die Mittel
anzugreifen, deren er zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes für sich
und seine Familie bedarf. Die prozessuale Bedürftigkeit beurteilt sich nach
der gesamten wirtschaftlichen Situation des Rechtsuchenden. Dazu gehören
einerseits sämtliche finanziellen Verpflichtungen, anderseits die Einkommens-
und Vermögensverhältnisse (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181; 124 I 1 E. 2a S. 2,
je mit Hinweisen). Der um unentgeltliche Rechtspflege ersuchende
Grundeigentümer hat sich die für den Prozess benötigten Mittel durch
Belehnung der Liegenschaft bzw. durch Aufnahme eines zusätzlichen
Hypothekarkredits, nötigenfalls durch Veräusserung der Liegenschaft zu
beschaffen (BGE 119 Ia 11 E. 5 S. 12 f.). Die Veräusserung der Liegenschaft
ist allerdings nur zumutbar, wenn damit zu rechnen ist, dass mit einem
Verkauf die für den Prozess erforderlichen Mittel erwirtschaftet werden
können, was namentlich vom Verkehrswert und der Belastung der Liegenschaft
abhängt. An den Nachweis des Verkehrswertes und der fehlenden Möglichkeit
zusätzlicher hypothekarischer Belastung dürfen keine allzu hohen
Anforderungen gestellt werden (Alfred Bühler, Die Prozessarmut, in: Christian
Schöbi [Hrsg.], Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche
Prozessführung, Bern 2001, S. 150).

2.3 Massgebend für die Beurteilung der Bedürftigkeit sind grundsätzlich die
Verhältnisse zum Zeitpunkt des Gesuchs (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181). Wie das
Obergericht in der Vernehmlassung zu Recht bemerkt (act. 6), wird in
Rechtsprechung und Literatur verschiedentlich auch auf den Zeitpunkt der
Entscheidung abgestellt (BGE 108 V 265 E. 4 S. 269; Bühler, a.a.O.,
S. 190 f.). Ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen auch im Lichte von
Art. 29 Abs. 3 BV ausnahmsweise auf den Entscheidungszeitpunkt abgestellt
werden kann, ist vorliegend nicht von Bedeutung und braucht daher nicht
erörtert zu werden. Die angemessene Berücksichtigung allfälligen Vermögens
fällt ohnehin ausser Betracht, wenn dieses erst nach Abschluss des Prozesses
realisiert werden kann (vgl. BGE 118 Ia 369 E. 4b S. 471; vgl.
Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung,
3. Aufl. Zürich 2000, N. 11 zu § 84 ZPO/ZH). Dies trifft im vorliegenden Fall
zu:
2.4 Das Obergericht geht im angefochtenen Entscheid einerseits davon aus, dass
die Liegenschaft nicht weiter hypothekarisch belastet werden kann (act. 2,
S. 6 E. 5); anderseits ist nicht erstellt, dass sie zum Zeitpunkt der
Entscheidung bereits verkauft und ein für die Tilgung der Prozesskosten zu
verwendender Geldbetrag bereits vorhanden war. Die Beschaffung dieses
Betrages durch Verkauf der Liegenschaft wäre dem Beschwerdeführer denn auch
kaum möglich gewesen, erging doch der Entscheid in der Sache am 17. Oktober
2006 und damit nur knapp zwei Monate nach Einreichung der Vernehmlassung im
Rekursverfahren (18. September 2006), mit welcher auch erstmals das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gestellt worden war. Das Obergericht verweigerte
dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege denn auch einzig
deshalb, weil dessen Liegenschaft einen Verkehrswert von Fr. 400'000.--
aufweist und nur mit Fr. 355'000.-- hypothekarisch belastet ist (act. 2,
S. 6 f., E. 5). Sogar zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügte der
Beschwerdeführer somit nicht über die liquiden Mittel zur Bestreitung der
Prozesskosten und galt demnach als bedürftig im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV.

Da der Beschwerdeführer überdies im erstinstanzlichen Verfahren nicht
anwaltlich vertreten war, sodann im Rekursverfahren als Gegenpartei auftrat
und sich daher auf das Verfahren einzulassen hatte, konnte er auch nicht mit
der Einleitung des Verfahrens bis zur Äufnung der hierfür notwendigen Mittel
zuwarten (vgl. dazu BGE 99 Ia 31 E. 4 S. 442 unten; 108 Ia 108 E. 5b S. 109).

3.
Indem das Obergericht davon ausging, der Beschwerdeführer sei nicht
bedürftig, verletzte es Art. 29 Abs. 3 BV. Die staatsrechtliche Beschwerde
ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die angefochtene
Dispositiv-Ziffer 2 des obergerichtlichen Entscheides ist aufzuheben. Dem
Kanton Luzern sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 152 Abs. 2 OG),
doch hat er den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu
entschädigen (Art. 159 Abs. 2 BV).

4.
Aufgrund der Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten
ist, und Ziffer 2 des Entscheides des Obergerichts des Kantons Luzern, II.
Kammer, vom 17. Oktober 2006 wird aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Luzern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons
Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Dezember 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: