Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.40/2006
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5P.40/2006 /blb

Urteil vom 31. März 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Duri Poltera,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Otmar Kurath,
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12 A, 8500 Frauenfeld.

Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Ehescheidung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 22. September 2005.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil des Bezirksgerichts Kreuzlingen vom 18. Oktober 2004 wurde die Ehe
von Y.________ (Klägerin) und X.________ (Beklagter) geschieden. Die
gemeinsame Tochter der Parteien, A.________, (geb. 1988), wurde unter die
elterliche Sorge der Mutter gestellt, auf die Regelung eines Besuchsrechts
hingegen wegen des Alters der Tochter verzichtet. Ferner verpflichtete das
Gericht den Beklagten dazu, der Klägerin an den Unterhalt der Tochter
monatlich Fr. 800.-- zuzüglich allfälliger Kinderzulagen (Ziff. 3) und an
ihren persönlichen nachehelichen Unterhalt monatlich und zum Voraus zahlbar
ab Rechtskraft des Scheidungsurteils bis 31. Juli 2008 Fr. 800.--, ab 1.
August 2008 bis 30. November 2017 Fr. 400.-- zu bezahlen (Ziff. 4); die
Renten wurden indexiert (Ziff. 5).

B.
B.aMit kantonaler Berufung begehrte der Beklagte, in Abänderung von Ziff. 4
des erstinstanzlichen Urteils sei der Antrag der Klägerin um Ausrichtung
eines persönlichen Unterhaltsbeitrages abzuweisen. Die Klägerin schloss auf
Abweisung der Berufung und verlangte ihrerseits mit Anschlussberufung, der
Beklagte sei in Abänderung von Ziff. 4 des erstinstanzlichen Urteils zu
verpflichten, ihr monatlich vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge von Fr. 800.--
bis 31. Juli 2009, anschliessend bis zum 30. November 2017 Fr. 1'200.-- zu
bezahlen.

B.b In Gutheissung der Anschlussberufung verpflichtete das Obergericht des
Kantons Thurgau den Beklagten mit Urteil vom 22. September 2005, der Klägerin
ab Rechtskraft des Scheidungsurteils (Rechtskraft im Scheidungspunkt: 29.
April 2005) monatliche, vorauszahlbare, nacheheliche Unterhaltsbeiträge von
Fr. 800.-- bis zum 31. Juli 2008 bzw. von Fr. 1'200.-- vom 1. August 2008 bis
zum 30. November 2017 zu bezahlen (Ziff. 3). Diese Rente wurde zudem
indexiert (Ziff. 4).

C.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte beim Bundesgericht staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht mit den Begehren, die Ziffern 3 und 4 des
obergerichtlichen Urteils aufzuheben und ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren.
Das Obergericht beantragt Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde unter
Hinweis auf den angefochtenen Entscheid. Die Klägerin beantragt, die
Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Auch sie ersucht um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche
Verfahren.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
In ihrer Vernehmlassung bezeichnet die Beschwerdegegnerin die
staatsrechtliche Beschwerde in verschiedener Hinsicht als unzulässig. Das
Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und in
welchem Umfang auf ein Rechtsmittel eingetreten werden kann (BGE 126 III 274
E. 1 mit Hinweisen; 127 III 41 E. 2a).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe an der Berufungsverhandlung vom
22. September 2005 zur Belegung seiner Position den Beizug der Akten der
Arbeitslosenversicherung, der Strafakten sowie die Einvernahme seiner
Lebenspartnerin beantragt. Das Obergericht habe diesen Beweisanträgen ohne
Angabe von Gründen nicht entsprochen und damit seinen Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt.
Mit seinen Ausführungen rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines
Beweisführungsanspruchs, der sich einerseits aus Art. 29 Abs. 2 BV ableiten
lässt, anderseits aber auch durch Art. 8 ZGB garantiert wird (BGE 108 Ia 293
E. 4c S. 294, der sich allerdings auf Art. 4 aBV bezog). Streitig ist im
vorliegenden Fall die Höhe des vom Beschwerdeführer für eine bestimmte Dauer
zu leistenden Unterhaltsbeitrages an die Beschwerdegegnerin. Dabei handelt es
sich um eine vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46
OG (BGE 116 II 493 E. 2b S. 495), wobei der erforderliche Streitwert für die
Berufung von Fr. 8'000.-- um ein Vielfaches überschritten ist (Art. 36 Abs. 4
OG). Der Beschwerdeführer hätte demnach die Verletzung seines Anspruchs auf
Beweisführung als Verletzung von Bundesrecht mit eidgenössischer Berufung
vortragen können und müssen (Art. 43 Abs. 1 OG; Art. 63 Abs. 2 OG). Auf die
in dieser Hinsicht subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde ist - wie die
Beschwerdegegnerin zu Recht bemerkt - nicht einzutreten (Art. 84 Abs. 2 OG;
BGE 108 Ia 293 E. 4c S. 294).
Soweit der Beschwerdeführer dem Obergericht in diesem Zusammenhang eine
Verletzung seines Anspruchs auf eine Begründung vorwirft, erweist sich die
Beschwerde als unbegründet, behauptet er doch nicht einmal, wegen der
fehlenden Begründung nicht in der Lage gewesen zu sein, das obergerichtliche
Urteil sachgerecht anzufechten (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102).

3.
3.1 Das Obergericht hat ausgeführt, die Parteien seien sich darin einig, dass
die Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers für seine Tochter nach August
2005 wegfalle. Weil es die Beschwerdegegnerin unterlassen habe, in Kenntnis
dieses Umstandes für sich persönlich höhere Unterhaltsbeiträge zu verlangen,
was aufgrund der veränderten Situation auch noch im Berufungsverfahren
möglich gewesen wäre, sei mit Bezug auf den Unterhaltsbeitrag für die Ehefrau
zwischen einem Zeitraum bis 31. Juli 2008 (Ende der Ausbildung der Tochter)
und einem weiteren ab dem 1. August 2008 bis 30. November 2017 zu
unterscheiden, wie dies bereits die Vorinstanz getan habe. Nachdem sich die
Parteien über den Wegfall der Unterhaltspflicht gegenüber der Tochter einig
seien, bleibe es entgegen dem Antrag der Beschwerdegegnerin dabei, das Ende
der ersten Phase auf Ende Juli 2008 (Ende der Ausbildung der Tochter) und
nicht auf Ende Juli 2009 festzusetzen. Des Weiteren veranschlagte das
Obergericht das Einkommen der Beschwerdegegnerin mit Fr. 2'820.-- pro Monat;
beim Beschwerdeführer berücksichtigte es nicht ein tatsächliches Einkommen in
der behaupteten Höhe von Fr. 4'900.--, sondern ein hypothetisches von Fr.
6'000.--.
Für die Zeit bis zum 31. Juli 2008 errechnete das Obergericht ein
Existenzminimum für den Haushalt der Beschwerdegegnerin und der Tochter von
Fr. 4'204.-- (Grundbetrag der Beschwerdegegnerin: Fr. 1'250.--, Grundbetrag
der Tochter: Fr. 500.--, Miete: Fr. 1'050.--, Krankenkasse: Fr. 331.--,
geschätzte Steuern: Fr. 600.--, Berufsauslagen: Fr. 123.--, sowie einen
Zuschlag zum Grundbetrag von Fr. 350.--). Beim Beschwerdeführer ermittelte es
einen Notbedarf von Fr. 3'180.-- (Grundbetrag: Fr. 1'100.-- Miete: Fr.
1'000.-- Krankenkasse: Fr. 170.-- geschätzte Steuern: Fr. 690.-- sowie einen
Zuschlag zum Grundbetrag von Fr. 220.--). Den nach Abzug der beiden
Existenzminima von insgesamt Fr. 7'384.-- (Fr. 4'204.-- + Fr. 3'180.--) vom
Gesamteinkommen der Ehegatten (Fr. 8'820.--) verbleibenden Überschuss von Fr.
1'436.-- schlug es zu 2/3, d.h. im Umfang von Fr. 957.-- der
Beschwerdegegnerin zu, womit sich der finanzielle Bedarf (der
Beschwerdegegnerin und der Tochter) von Fr. 5'161.-- ergab. Gemäss dem
obergerichtlichen Urteil hat die Beschwerdegegnerin nach Abzug des eigenen
Verdienstes von Fr. 2'820.-- und des für die Tochter bestimmten
Unterhaltsbeitrages von Fr. 800.-- einen persönlichen ungedeckten Anspruch
von Fr. 1'541.-- auszuweisen. Wenn sie, so das Obergericht, für den besagten
Zeitraum einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 800.-- verlange, sei dieser Betrag
gerechtfertigt. Daran ändere sich auch nichts, wenn beim Beschwerdeführer das
von ihm behauptete Einkommen von Fr. 4'900.-- berücksichtigt werde, zumal
auch diesfalls das Existenzminimum des Beschwerdeführers mit einem Zuschlag
von 20 % zum Grundbetrag weiterhin gewahrt wäre. Bei einem Gesamteinkommen
von Fr. 7'720.-- abzüglich des Gesamtexistenzminimums von Fr. 7'384.--
betrage der Überschuss Fr. 336.--. Werde dieser (im Verhältnis 2/3 1/3)
aufgeteilt, ergebe sich für die Beschwerdegegnerin ein Unterhaltsbeitrag von
(rund) Fr. 1'610.-- abzüglich des Unterhaltsbeitrages für die Tochter (Fr.
800.--), mithin ein persönlicher Betrag von Fr. 810.--.
Für den Zeitraum ab 1. August 2008 bis 30. November 2017 ging das Obergericht
von einem Gesamtexistenzminimum der Parteien von Fr. 6'343.--
(Beschwerdeführer: Fr. 3'180.--, Beschwerdegegnerin: Fr. 3'163.--) aus und
ermittelte bei einem weiterhin gleich bleibenden Gesamteinkommen der Parteien
von Fr. 8'820.-- einen Überschuss von Fr. 2'477.--, den es infolge Wegfalls
der Kinderunterhaltspflicht den Parteien je zur Hälfte, d.h. der
Beschwerdegegnerin im Umfang von rund Fr. 1'239.-- gutschrieb. In
Berücksichtigung dieser Zahlen gelangte das Obergericht zum Schluss, ein
Unterhaltsbeitrag zu Gunsten der Beschwerdegegnerin von Fr. 1'582.-- wäre
angemessen (Fr. 1'239.-- + Fr. 3'163.-- - Fr. 2'820.--), womit das im
Berufungsverfahren (von der Beschwerdegegnerin mit Anschlussberufung) geltend
gemachte Betreffnis von Fr. 1'200.-- um Fr. 300.-- überschritten sei.
Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass sich der
von der Beschwerdegegnerin beantragte Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'200.-- auch
dann rechtfertigte, wenn das Einkommen des Beschwerdeführers auf Fr. 4'900.--
veranschlagt werde; diesfalls seien allerdings die Zuschläge von 20 % zum
Grundbetrag der Parteien zu streichen und auf Seiten des Beschwerdeführers
lediglich eine Steuerlast von Fr. 650.-- zu berücksichtigen.

3.2 Dem angefochtenen Urteil lässt sich entnehmen, dass das Obergericht zwei
Begründungen für den der Beschwerdegegnerin zugesprochenen Unterhaltsbeitrag
angeführt hat. Im Kern besagen die massgebenden Erwägungen, dass die
gesprochenen Unterhaltsbeiträge in beiden Zeitabschnitten sowohl bei Annahme
eines hypothetischen Einkommens des Beschwerdeführers von Fr. 6'000.-- als
auch bei einem behaupteten Einkommen von Fr. 4'900.-- gerechtfertigt sind.
Beruht ein Urteil auf mehreren selbstständigen Begründungen, so sind alle
anzufechten, ansonsten auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden kann
(BGE 113 Ia 94 E. 1a/bb S. 95/96 mit Hinweisen; 121 IV 94 E. 1b; 129 I 185 E.
1.6 S. 189). Indem der Beschwerdeführer als Verletzung von Art. 9 BV
ausschliesslich beanstandet, das Obergericht habe in willkürlicher Weise
gestützt auf die Rechtsprechung zum hypothetischen Einkommen auf das zuletzt
bei seiner früheren Arbeitgeberin erzielte Einkommen von Fr. 5'950.--
abgestellt, setzt er sich nicht mit sämtlichen Begründungen des Obergerichts
auseinander. Insbesondere schweigt er sich darüber aus, inwiefern die
obergerichtliche Begründung, die gesprochenen Unterhaltsbeiträge seien auch
bei einem Einkommen von Fr. 4'900.-- gerechtfertigt, gegen die Verfassung
verstossen soll. Was die Willkürrüge anbelangt, ist auf die staatsrechtliche
Beschwerde nicht einzutreten.

4.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und
Art. 159 Abs. 2 OG).

5.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung ist abzuweisen, da der Beschwerdeführer einerseits sein Gesuch
nicht begründet hat und anderseits das eingereichte Rechtsmittel von Anfang
als aussichtslos galt (Art. 152 Abs. 1 OG).

6.
Gutzuheissen ist demgegenüber das entsprechende Gesuch der
Beschwerdegegnerin. Bei Einkünften von Fr. 3'620.-- (Eigenverdienst Fr.
2'820.-- + Unterhaltsbeitrag: Fr. 800.--) und einem persönlichen um die
Steuern erweiterten Existenzminimum von Fr. 3'704.-- (Fr. 4'204.-- -
Grundbetrag für die Tochter Fr. 500.--) gilt sie als bedürftig. Überdies war
ihr Standpunkt nicht aussichtslos. Für das bundesgerichtliche Verfahren ist
ihr ein Beistand zu bestellen. Da sich dessen Entschädigung aufgrund der
prekären finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers als nicht
einbringlich erweisen dürfte, ist ihm ein reduziertes Honorar aus der
Bundesgerichtskasse zu entrichten (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird abgewiesen, jenes der Beschwerdegegnerin wird
gutgeheissen. Ihr wird Rechtsanwalt Otmar Kurath als Rechtsbeistand
beigegeben.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Rechtsanwalt Otmar Kurath wird ein Honorar von Fr. 1'500.-- aus der
Bundesgerichtskasse entrichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. März 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: