Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.381/2006
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{T 0/2}
5P.381/2006 /blb

Urteil vom 16. Januar 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Hohl,
Gerichtsschreiber Möckli.

Y. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Rüegg,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwältin Heidi Koch-Amberg,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer als Appellationsinstanz nach ZPO,
Postfach, 6002 Luzern.

Art. 9 BV (Ehescheidung, Besuchsrecht),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern, II. Kammer als Appellationsinstanz nach ZPO, vom 11. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Die Parteien heirateten 1998 in S.________. Sie leben seit 1. April 2002
getrennt. Im Jahre 2002 kam das gemeinsame Kind A.________ zur Welt.

B.
Am 8. November 2004 reichte der Vater die Scheidungsklage ein. In ihrer
Klageantwort vom 11. Februar 2005 erklärte sich die Mutter mit der Scheidung
einverstanden, stellte aber abweichende Anträge zu den Nebenfolgen.
Mit Urteil vom 29. Dezember 2005 schied das Amtsgericht Luzern-Land die Ehe,
stellte A.________ unter die elterliche Sorge der Mutter, unter Fortsetzung
der Erziehungsbeistandschaft und Berechtigung des Vaters zu zwei begleiteten
Besuchstagen bis April 2006, danach zu zwei unbegleiteten Tagen und ab dem
Jahr 2007 zu zwei Wochenenden sowie einer auf die Schweiz begrenzten
Ferienwoche; sodann verpflichtete es den Vater zu Kinderunterhalt von
Fr. 750.-- sowie zu nachehelichem Unterhalt von Fr. 750.-- bis Ende 2012 und
danach von Fr. 400.-- bis August 2018; ferner regelte es die güterrechtlichen
Ansprüche sowie die Teilung der Austrittsleistung.
Mit Urteil vom 11. Juli 2006 änderte das Obergericht des Kantons Luzern das
Recht auf persönlichen Verkehr dahingehend, dass es das Besuchsrecht ab
sofort in unbegleiteter Form und darüber hinaus einen halbstündigen
Telefonkontakt pro Woche gewährte; sodann erhöhte es den nachehelichen
Unterhalt auf Fr. 900.-- bis Ende 2012 und danach auf Fr. 500.-- bis Ende
Oktober 2018.

C.
Gegen dieses Urteil hat die Mutter am 13. September 2006 staatsrechtliche
Beschwerde erhoben. Sie beantragt die Aufhebung der Besuchsrechtsregelung und
die Gewährung eines begleiteten Besuchstages pro Monat bis zum vollendeten
12. Altersjahr von A.________ und danach eines unbegleiteten Besuchstages pro
Monat sowie einer auf die Schweiz begrenzten Ferienwoche pro Jahr; sodann
verlangt sie die unentgeltliche Rechtspflege.
Ferner haben beide Parteien Berufung erhoben (5C.203/2006 und 5C.221/2006).
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG;
SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene
Entscheid ist vorher ergangen, so dass noch die Bestimmungen des
Bundesrechtspflegegesetzes (OG) anzuwenden sind (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).

2.
Wird in der gleichen Sache sowohl Berufung als auch staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht, ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche
Beschwerde zu befinden und die Entscheidung über die Berufung auszusetzen
(Art. 57 Abs. 5 OG). Es besteht kein Anlass, anders zu verfahren.

3.
Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur
klar und detailliert erhobene Rügen (Rügeprinzip), die soweit möglich zu
belegen sind. Demgegenüber tritt es auf ungenügend begründete Rügen und rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht ein (BGE 125 I 492
E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262). Wird die Verletzung des
Willkürverbots gerügt, reicht es nicht aus, die Rechtslage aus Sicht des
Beschwerdeführers darzulegen und den davon abweichenden angefochtenen
Entscheid als willkürlich zu bezeichnen; vielmehr ist im Einzelnen
darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben
soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und
offensichtlichen Mangel leidet (BGE 117 Ia 10 E. 4b S. 11 f.).

4.
Die Beschwerdeführerin behauptet eine konkrete Entführungsgefahr und macht
diesbezüglich willkürliche Beweiswürdigung durch das Obergericht geltend. Die
Zeugen B.________ (älterer Sohn der Beschwerdeführerin) sowie F.________
(eine Freundin der Beschwerdeführerin) hätten übereinstimmend bestätigt, dass
der Beschwerdegegner in den Jahren 1997 und 2002 ausgesagt habe, A.________
würde nie in der Schweiz in die Schule gehen können, sondern müsse in Syrien
muslimisch erzogen werden. Da eine muslimische Erziehung unter der Obhut der
Beschwerdeführerin nicht möglich sei, sondern eine Entführung nach Syrien
voraussetze, bilde dies einen inhärenten Bestandteil der Zeugenaussagen. Die
aktuellen Aussagen des Beschwerdegegners, er habe überhaupt keine Absicht,
nach Syrien zu gehen, habe vor diesem Hintergrund zurückzutreten.

5.
Das Obergericht hat erwogen, zwischen dem Beschwerdegegner und der Tochter
bestehe eine gute Beziehung und trotz der erschwerten Bedingungen bemühe er
sich um die Aufrechterhaltung des Kontaktes. Im Weiteren hat das Obergericht
die Zeugenaussage von B.________ erwähnt, wonach der Beschwerdegegner nach
der Geburt von A.________ mehrmals im Streit mit der Beschwerdeführerin
geäussert habe, A.________ müsse muslimisch erzogen werden; er habe nie
konkret gedroht, A.________ der Beschwerdeführerin wegzunehmen, aber
entsprechende Andeutungen gemacht. Ebenfalls hat es die Aussage der Zeugin
F.________ festgehalten, wonach sich der Beschwerdegegner im Jahr 1997
kritisch zur freizügigen Erziehung und Bekleidung der Frauen in der Schweiz
geäussert und gesagt habe, er würde allfällige Kinder in Syrien erziehen
lassen, wobei sie nicht wisse, ob er heute noch der gleichen Ansicht sei. Das
Obergericht hat diese Aussagen dahingehend gewürdigt, dass zwischen den
Parteien Streit über die Erziehung von A.________ bestand, aber keine
konkrete und aktuelle Entführungsgefahr nachgewiesen ist, sondern der
Beschwerdegegner einfach gegenüber der westlichen Erziehung der Mädchen eine
kritische Einstellung hat.
Das Obergericht hat sodann die Parteiaussage des Beschwerdegegners erwähnt,
er werde die Schweiz nicht verlassen und schon gar nicht A.________ alleine
nach Syrien bringen, und auch darauf verwiesen, dass er in der Schweiz einer
geregelten Arbeit nachgeht und relativ gut integriert ist, dass er sich nie
gegen die Auflage gewehrt hat, während des persönlichen Verkehrs seine Pässe
zu hinterlegen, sondern im Gegenteil sogar ein "electronic monitoring"
vorgeschlagen hatte, und dass er sich gegenüber der Beiständin stets
kooperativ verhalten und sich an deren Weisungen gehalten hat. Demgegenüber
habe die Beschwerdeführerin anlässlich der obergerichtlichen
Instruktionsverhandlung den Eindruck gemacht, seit der Geburt von A.________
trotz diverser Psychotherapien auf das Thema der Kindesentführung fixiert zu
sein, was auch in den zahlreichen Berichten der Beiständin zum Ausdruck
komme.

6.
Mit all diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerdeführerin nicht im Ansatz
auseinander, und sie übergeht auch, dass der Beschwerdegegner während der
Ausübung des persönlichen Verkehrs seine Pässe bei der Beiständin hinterlegen
muss; vielmehr beschränkt sie sich darauf, in appellatorischer Weise eine
Entführungsgefahr zu behaupten. Damit sind die Substanziierungserfordernisse
an Willkürrügen (dazu E. 3) nicht erfüllt, weshalb auf die staatsrechtliche
Beschwerde nicht eingetreten werden kann.

7.
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, muss die Beschwerde als von Anfang an
aussichtslos gelten, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der
unentgeltlichen Rechtspflege mangelt (Art. 152 Abs. 1 OG) und das
entsprechende Gesuch abzuweisen ist. Die Gerichtsgebühr ist der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Der Gegenpartei ist
kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II.
Kammer als Appellationsinstanz nach ZPO, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Januar 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: