Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.372/2006
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{T 0/2}
5P.372/2006 /bnm

Urteil vom 16. November 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiber Schett.

X. ________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Daniel Levy,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Advokat Dr. Roland Fankhauser,
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, Postfach
635, 4410 Liestal.

Art. 9 BV (vorsorgliche Massnahmen nach Art. 137 ZGB),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 30. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 21. Februar 2006 verpflichtete die
Bezirksgerichtspräsidentin zu A.________ X.________ (Ehemann), seiner Ehefrau
für die Dauer des Scheidungsverfahrens rückwirkend per August 2004 bis
Dezember 2005 (recte 2004) an den Unterhalt der Familie einen Beitrag von
total CHF 3'200.--, per Januar bis Juli 2005 einen solchen von CHF 3'500.--
sowie ab August 2005 einen solchen von CHF 3'600.-- zu bezahlen (in den
Beiträgen sind die Kinderzulagen enthalten).

Gegen diese Verfügung erhob der Ehemann mit Eingabe vom 23. Februar 2006
Beschwerde beim Kantonsgericht Basel-Landschaft. Er beantragte, diesen
Entscheid insofern aufzuheben, als der Ehefrau kein persönlicher
Unterhaltsbeitrag zuzusprechen sei. Er lasse sich bei seiner Bereitschaft
behaften, an den Unterhalt der Kinder mit Wirkung ab 1. August 2004 einen
monatlichen Unterhaltsbeitrag von je CHF 1'000.-- zuzüglich Kinderzulagen zu
bezahlen. Mit Beschluss vom 30. Mai 2006 wurde die Beschwerde abgewiesen.

B.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV
und verlangt, das kantonsgerichtliche Urteil vom 30. Mai 2006 aufzuheben, und
es sei festzustellen, dass die Ehefrau keinen Anspruch auf einen persönlichen
Unterhaltsbeitrag habe. Sodann stellt er das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege.

Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der im Eheschutzverfahren ergangene Entscheid der oberen kantonalen Instanz
gilt nicht als Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG und ist daher
nicht mit Berufung anfechtbar. Hingegen ist in einem solchen Fall die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
gegeben (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG; BGE 127 III 474 E. 2 S. 476 ff.). Auf die
vorliegende Beschwerde ist somit einzutreten.

2.
2.1 Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein ausserordentliches Rechtsmittel,
das nicht einfach den vorangegangenen kantonalen Prozess fortführt, sondern
ein selbstständiges staatsgerichtliches Verfahren zur Kontrolle kantonaler
Hoheitsakte unter dem spezifischen Aspekt ihrer Verfassungsmässigkeit
eröffnet (BGE 126 I 43 E. 1c S. 46). Aus ihrer Rechtsnatur folgt, dass für
den Entscheid des Bundesgerichts - hier nicht zutreffende Ausnahmen
vorbehalten - die Sach- und Rechtslage massgebend ist, wie sie im Zeitpunkt
des angefochtenen Entscheids bestanden hat (BGE 131 I 291 E. 2.7.1 S. 302).

Von vornherein nicht eingetreten werden kann somit auf die Vorbringen des
Beschwerdeführers, er sei durch seine Ehefrau in der Öffentlichkeit
verunglimpft worden und habe nach der Änderung der Aufgabenteilung die Kinder
anfangs nur noch selten und dann gar nicht mehr sehen können. Das Gleiche
gilt auch für die Ausführungen zum Sachverhalt. Zudem berücksichtigt das
Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen keine Noven und nimmt keine
Beweise ab (BGE 129 I 49 E. 3 S. 57).

2.2 Die Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz
gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw.
welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid
verletzt worden sind (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht prüft im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nur klar und detailliert erhobene
und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein. Macht der Beschwerdeführer - wie
hier zur Hauptsache - eine Verletzung des Willkürverbots geltend, muss er
anhand der angefochtenen Subsumtion im Einzelnen darlegen, inwiefern der
Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 130
I 258 E. 1.3 S. 261 f.).

3.
3.1 Das Kantonsgericht führt aus, gemäss Art. 163 Abs. 1 und 2 ZGB hätten die
Ehegatten gemeinsam für den gebührenden Unterhalt der Familie zu sorgen und
sich über den Beitrag, den jeder Ehegatte leiste, namentlich durch
Geldzahlungen, Besorgung des Haushaltes, Betreuung der Kinder etc. zu
verständigen. Gelinge es den Ehegatten nicht sich zu einigen, könnten sie das
Gericht anrufen, das über die an den Unterhalt der Familie zu zahlenden
Geldbeiträge entscheiden, hinsichtlich der Rollenverteilung indessen die
Parteien nur zu einer Einigung ermuntern könne (Art. 172 Abs. 2 und 173 Abs.
1 ZGB). Die Aufgabenteilung könne sich mit der Zeit auch ändern. Die
Ehegatten könnten jederzeit auf die früher getroffene Aufteilung der Beiträge
zurückkommen und sich auf eine andere Regelung einigen. Soweit Änderungen
keine Auswirkungen auf die Unterhaltsleistungen und Bedürfnisse des andern
Ehegatten hätten, könne ein Ehegatte jederzeit auch einseitig seine
Lebensführung ändern. Habe die Änderung der Aufgabenteilung nun aber
Auswirkungen für einen Ehegatten zur Folge, stelle sich die Frage, unter
welchen Voraussetzungen er dies auch gegen seinen Willen zu akzeptieren habe.
Klar sei, dass es einer übermässigen Bindung im Sinne von Art. 27 ZGB
gleichkäme, wenn ein Ehegatte für den Rest seines Lebens bei der einmal
gewählten Aufgabenteilung behaftet würde. Der betroffene Ehegatte müsse daher
den Änderungswunsch seines Partners sicher dann hinnehmen, wenn dieser nur
geringfügige Auswirkungen auf seine Situation habe, also für ihn keine
unzumutbaren Nachteile entstünden. Eine Änderung der Vereinbarung über die
Unterhaltsleistungen gegen den Willen des Partners sei aber auch dann
zulässig, wenn sich die Verhältnisse wesentlich verändert hätten bzw. wenn
ein wichtiger Grund vorliege, der das persönliche Interesse des betroffenen
Ehegatten an der Beibehaltung der Rollenverteilung überwiege (vgl. BGE 114 II
13 E. 4 S. 16; Hausheer/Reusser/Geiser,  Berner Kommentar, Art. 163
N. 43 ff.; Hasenböhler, Basler Kommentar, ZGB I, 2. Aufl. Basel 2002, Art. N.
22 zu Art 163 ZGB).

3.2 In tatsächlicher Hinsicht hat das Kantonsgericht befunden, im
vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass sich die Parteien zu Beginn
ihrer Ehe über die Aufgaben- resp. Rollenverteilung geeinigt hätten und zwar
- wie vom Beschwerdeführer dargelegt - im Sinne einer gleichmässigen
Aufteilung der Erwerbstätigkeit und Betreuungsarbeit. Auch die
Bezirksgerichtspräsidentin halte in ihrer Verfügung fest, es sei unter den
Parteien unbestritten, dass die Ehefrau nach der Geburt der gemeinsamen
Tochter im Juni 1996 weiterhin einer teilzeitlichen Erwerbstätigkeit
nachgegangen sei. Nach der Geburt des zweiten gemeinsamen Kindes im Mai 1998
habe die Beschwerdegegnerin ihre Erwerbstätigkeit vorübergehend aufgegeben
und sei zu Hause geblieben.
Es habe also vorliegend - fährt das Kantonsgericht fort - in der Tat eine
Änderung der ursprünglich vereinbarten Aufgabenteilung stattgefunden, die für
den Beschwerdeführer gewisse Nachteile gebracht habe, zumal er nicht nur
seine Erwerbstätigkeit habe aufstocken müssen, um das finanzielle Auskommen
der Familie zu sichern; er habe auch seine Kinder nicht mehr in dem Masse
betreuen können, wie er es offensichtlich gerne getan hätte. Es könne hier
offen bleiben, ob es sich dabei um Nachteile gehandelt habe, die dem
Beschwerdeführer zugemutet werden könnten. Die anderweitige Aufteilung der
Erwerbstätigkeit und der Betreuungsarbeit sei nämlich auf eine wesentliche
Veränderung der Verhältnisse resp. auf wichtige Gründe zurückzuführen und
daher vom Beschwerdeführer auch gegen seinen Willen und unabhängig von
allfälligen Nachteilen hinzunehmen. Wie sich aus dem Arztzeugnis von
Dr. Z.________ vom 14. Juli 2005 ergebe, sei die Ehefrau nach der Geburt des
zweiten Kindes wegen einer Hausstauballergie teilweise arbeitsunfähig
geworden und habe sich krankheitsbedingt beurlauben lassen müssen.

3.3
3.3.1 Der Beschwerdeführer rügt vorab, dem Arztzeugnis, auf das sich das
Kantonsgericht abstütze, könne keine Beweiskraft zukommen, da es von der
Hausärztin erstellt worden sei. Hätte es sich um eine objektive Diagnose
gehandelt, hätte die Ärztin bei einer echten krankheitsbedingten Abwesenheit
kaum das Wort "Urlaub" verwendet. Es liege deshalb der Verdacht nahe, dass
die Ärztin einerseits dem Wunsch ihrer Patientin nach einem für sie
"günstigen" Zeugnis habe entsprechen wollen, anderseits aber auch nicht
soweit habe gehen wollen, etwas Unwahres zu bestätigen. Ursächlich für den
Abbruch des vereinbarten Familienmodells sei nicht die behauptete Krankheit
der Ehefrau gewesen, sondern es seien egoistische Motive gewesen, den Ehemann
nicht mehr zur Hälfte an der Betreuung der Kinder teilhaben zu lassen.

Auf diese bloss appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid kann nicht
eingetreten werden (E. 2.2 hiervor). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass
die Krankheit der Beschwerdegegnerin nur einen Grund für deren Einschränkung
in der Erwerbsfähigkeit darstellt und der Hauptgrund wohl eher in der Geburt
des zweiten Kindes liegt: Die Ehefrau hat zwei gemeinsame Kinder im Alter von
8 und 10 Jahren zu betreuen. Aus einer solchen Betreuungssituation erwächst
aber nach der Praxis dem betreuenden Elternteil ein Unterhaltsanspruch,
schliesst sie doch in aller Regel eine Erwerbstätigkeit aus, solange das
jüngste Kind noch nicht zehn Jahre alt ist (BGE 115 II 6 E. 3c S. 10;
bestätigt in 132 III 593, nicht veröffentlichte E. 6.3).

Gestützt auf diesen Sachverhalt ist der angefochtene Entscheid nicht
willkürlich. Wie darin dargelegt wird, kann auch eine einmal vereinbarte
Rollenteilung nicht ungeachtet späterer Entwicklungen bindend bleiben,
sondern sie unterliegt - stillschweigend - dem Vorbehalt späterer erheblicher
Änderungen der Verhältnisse. Solche ergaben sich laut dem angefochtenen
Urteil mit bzw. nach der Geburt des zweiten Kindes. Erblickte das
Kantonsgericht darin eine erhebliche Änderung der Verhältnisse, verfiel es
nicht in Willkür.

3.3.2 Sodann trägt der Beschwerdeführer vor, er sei sich bewusst, dass er
keinen - zumindest keinen effektiv durchsetzbaren - Anspruch auf
Perpetuierung der einmal gewählten Rollenteilung erheben könne, wenn sich die
Ehefrau nicht mehr daran zu halten gedenke. Er wolle deshalb auch nicht eine
gerichtliche Anordnung der gemeinsamen Kinderbetreuung, sondern erwarte
lediglich dass diejenige Partei, die sich von der ursprünglichen Vereinbarung
abwende, die Konsequenzen ihres (destruktiven) Handelns zu tragen habe.
Gemäss BGE 114 II 12 sei eine Änderung der Rollenteilung von ihm nur dann
hinzunehmen, wenn er dadurch keinen allzu gewichtigen, d.h. keinen
unzumutbaren Nachteil in Kauf zu nehmen habe.

Die Haltung des Beschwerdeführers leidet an einem eklatanten Widerspruch. Er
beansprucht keine gerichtliche Anordnung der der ursprünglichen Abmachung
entsprechenden Rollenverteilung bzw. gemeinsamen Kinderbetreuung und findet
sich demzufolge damit ab, dass seine Ehefrau die beiden Kinder betreut.
Obwohl aus dieser Situation - wie erwähnt - die Mutter nicht an den Unterhalt
der Kinder beizutragen hat, will der Beschwerdeführer seiner Ehefrau den
Unterhalt verweigern und zwar als Konsequenz ihres Handelns, also
gewissermassen als Strafe. Findet sich aber der Beschwerdeführer damit ab,
dass seine Ehefrau die alleinige Betreuung der beiden unmündigen Kinder
übernimmt, ist seine Unterhaltspflicht die rechtslogische Folge, und es ist
nicht zu sehen, aus welchem (anerkennungswürdigen) Grund er sich dagegen
stellen könnte.
Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, seine Ehefrau könne auch
deshalb keinen persönlichen Unterhaltsbeitrag verlangen, weil sie in einem
gefestigten Konkubinat lebe, was von dieser jedoch bestritten werde.
Darauf wie auf die weiteren Ausführungen kann nicht eingetreten werden, denn
das Kantonsgericht hat sich dazu nicht geäussert, und der Beschwerdeführer
legt nicht dar, diesen Umstand bereits im kantonalen Verfahren geltend
gemacht zu haben (E. 2.1 hiervor). Im Übrigen liegt die Beweislast für das
Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft beim Unterhaltsschuldner, der das
Erlöschen der Unterhaltspflicht behauptet (Art. 8 ZGB; BGE 118 II E. 3c S.
238 ff.).

4.
Nach dem Ausgeführten ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit
darauf einzutreten ist. Der Beschwerdeführer wird daher kostenpflichtig (Art.
156 Abs. 1 OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gestellt, doch muss dieses abgewiesen werden, da die Beschwerde von
vornherein keinen Erfolg haben konnte (Art. 152 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. November 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: