Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.35/2006
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{T 0/2}
5P.35/2006 /blb

Urteil vom 31. Mai 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Ersatzrichter Brunner,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Martina Hunziker,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ernst Kistler,
Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, Obere Vorstadt 38,
5000 Aarau.

Art. 9 BV (Eheschutz),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 5. Dezember
2005.

Sachverhalt:

A.
Die Eheleute X.________ und Y.________ heirateten im Mai 2002. Ihrer Ehe
entspross die Tochter A.________, geb. im Juni 2002. Am 11. Januar 2004 hoben
die Parteien den gemeinsamen Haushalt durch Wegzug von Y.________ auf, die am
1. März 2004 formell das Verfahren betreffend Eheschutz einleitete. Am
31. August 2004 erging das Urteil der Gerichtspräsidentin G.________, womit
das Kind für die Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes zur Pflege
und Erziehung unter die Obhut von Y.________ gestellt wurde.
Gegen diesen Entscheid erhob X.________ beim Obergericht des Kantons Aargau
Beschwerde, u.a. mit dem Antrag, es sei das Kind während der Dauer des
Getrenntlebens unter seine Obhut zu stellen. Am 13. Januar 2005 folgte das
Obergericht diesem Antrag. Mit Eingabe vom 3. Februar 2005 stellte Y.________
bei der Gerichtspräsidentin G.________ das Begehren um Abänderung der
Entscheide vom 31. August 2004 bzw. 13. Januar 2005 mit den Anträgen, es sei
das Kind für die Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes ihr
zuzuweisen. Mit vorläufig sofortiger Verfügung vom 4. Februar 2005 wurde das
Kind für die Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes erneut unter die
Obhut von Y.________ gestellt. Zu dieser superprovisorischen Verfügung vom
4. Februar 2005 hielt die Gerichtspräsidentin G.________ am 13. Mai 2005
fest, dass sie bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Frage der
Obhutszuteilung in Kraft bleibe, auch wenn mit ihrem Urteil vom 11. April
2005 das Begehren von Y.________ auf Abänderung des Urteils des Obergerichts
des Kantons Aargau vom 13. Januar 2005 abgewiesen worden sei. Mit
fristgerechter Beschwerde vom 25. April 2005 gegen das Urteil der
Gerichtspräsidentin G.________ vom 11. April 2005 gelangte Y.________ hierauf
an das Obergericht und beantragte erneut, es sei das Kind für die Dauer der
Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes unter ihre Obhut zu stellen.

B.
Mit Urteil vom 5. Dezember 2005 hiess das Obergericht das Begehren von
Y.________ gut. Die von der unteren Instanz angeordnete
Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 ZGB wurde bestätigt und
X.________ berechtigt erklärt, die Tochter A.________ jeweils am ersten und
dritten Sonntag eines jeden Monats mit sich auf Besuch zu nehmen. Sodann
wurde bestimmt, dass die Parteien ein weitergehendes oder abweichendes
Besuchsrecht unter Wahrung des Kindeswohls im gegenseitigen Einvernehmen
regeln können. Mangels Leistungsfähigkeit von X.________ wurde von
Unterhaltszahlungen abgesehen.

C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV
und beantragt im Wesentlichen, das obergerichtliche angefochtene Urteil vom
5. Dezember 2005 sei bezüglich der Zuteilung der elterlichen Obhut und der
Regelung des Besuchsrechts aufzuheben und ihm sei für das bundesgerichtliche
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Es sind keine
Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Haben die Ehegatten unmündige Kinder, so trifft das Eheschutzgericht nach den
Bestimmungen über die Wirkungen des Kindesverhältnisses die nötigen
Massnahmen (Art. 176 Abs. 3 ZGB). Das kantonal letztinstanzliche
Eheschutzurteil unterliegt der eidgenössischen Berufung nicht (BGE 127 III
474 E. 2 S. 476 ff.). Die Willkürbeschwerde, die sich gegen die Zuteilung der
Obhut über das Kind an die Beschwerdegegnerin richtet, ist hingegen zulässig.
Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde kann grundsätzlich
eingetreten werden (Art. 89 Abs. 1 und Art. 90 Abs. 1 OG). Nicht einzutreten
ist darauf immerhin, soweit der Beschwerdeführer neue Tatsachen geltend macht
(BGE 129 I 74 E. 4.6 S. 80).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht willkürliche Rechtsanwendung im
Sinne von Art. 9 BV vor. Er macht geltend, mit Urteil vom 13. Januar 2005
habe das Obergericht ausgeführt, der Beschwerdeführer biete gesamthaft die
bessere Betreuungssituation für die Tochter als die Beschwerdegegnerin. Die
Vollstreckbarkeit dieses obergerichtlichen Urteils habe die
Beschwerdegegnerin jedoch mit der Eingabe vom 3. Februar 2005 an die erste
Instanz verhindert, welche am 4. Februar 2005 im Sinne einer vorläufig
sofortigen Massnahme die Obhut über die Tochter bei der Beschwerdegegnerin
belassen habe. Gleichwohl habe die erste Instanz in der Folge am 11. April
2005 entschieden, die Obhut über die Tochter in Übereinstimmung mit dem
obergerichtlichen Urteil vom 13. Januar 2005 dem Beschwerdeführer zuzuteilen.
Zur Begründung sei ausgeführt worden, dessen Bereitschaft sei grösser als
jene der Beschwerdegegnerin, den Kontakt zum anderen Elternteil zu
ermöglichen als umgekehrt. Die vorläufig sofortige Massnahme sei jedoch
aufrechterhalten geblieben, weshalb entgegen der anderslautenden Entscheide
der Erst- und Zweitinstanz die Tochter bei der Beschwerdegegnerin geblieben
sei. Abweichend vom Urteil vom 13. Januar 2005 habe das Obergericht in der
Folge am 5. Dezember 2005 entschieden, die Obhut über die Tochter der
Beschwerdegegnerin zuzuteilen mit der Begründung, das Kind lebe bereits seit
dem 21. Februar 2004 bei der Beschwerdegegnerin und ein Obhutswechsel sei mit
dem Kindeswohl nicht mehr vereinbar. Damit aber setze sich das Obergericht in
Widerspruch zu seinem vorangegangenen Entscheid, anlässlich welchem
ausgeführt worden sei, die Drittbetreuungssysteme der Parteien seien
gleichwertig und stellten eine Patt-Situation dar.

2.2 Das mit der "Regelung des Getrenntlebens" (Marginalie zu Art. 176 ZGB)
befasste Eheschutzgericht trifft nach den Bestimmungen über die Wirkungen des
Kindesverhältnisses die nötigen Massnahmen, wenn die Ehegatten unmündige
Kinder haben (Art. 176 Abs. 3 ZGB). Für die Zuteilung der Obhut an einen
Elternteil gelten grundsätzlich die gleichen Kriterien wie im Scheidungsfall.
Nach der Rechtsprechung hat das Wohl des Kindes Vorrang vor allen anderen
Überlegungen, insbesondere vor den Wünschen der Eltern. Vorab muss deren
Erziehungsfähigkeit geklärt werden. Ist sie bei beiden Elternteilen gegeben,
sind vor allem Kleinkinder und grundschulpflichtige Kinder demjenigen
Elternteil zuzuteilen, der die Möglichkeit hat und dazu bereit ist, sie
persönlich zu betreuen. Erfüllen beide Elternteile diese Voraussetzung
ungefähr in gleicher Weise, kann die Stabilität der örtlichen und familiären
Verhältnisse ausschlaggebend sein. Schliesslich ist - je nach Alter der
Kinder - ihrem eindeutigen Wunsch Rechnung zu tragen. Diesen Kriterien lassen
sich die weiteren Gesichtspunkte zuordnen, so die Bereitschaft eines
Elternteils, mit dem anderen in Kinderbelangen zusammenzuarbeiten, der
Grundsatz, Geschwister nach Möglichkeit nicht zu trennen, oder die Forderung,
dass eine Zuteilung der Obhut von einer persönlichen Bindung und echter
Zuneigung getragen sein sollte (vgl. die Zusammenfassung der Rechtsprechung
in BGE 115 II 206 E. 4a S. 209 und 317 E. 2 und 3 S. 319 ff. sowie 117 II 353
E. 3 S. 354 f.; Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, 1999, N. 45, und
Bräm, Zürcher Kommentar, 1998, N. 89 zu Art. 176 ZGB).
Bei der Beurteilung der für die Obhutszuteilung massgebenden Kriterien
verfügt das Sachgericht über einen grossen Spielraum des Ermessens (vgl. alle
soeben zitierten Urteile). Auf Willkürbeschwerde hin kann das Bundesgericht
deshalb nur eingreifen, wenn das Sachgericht grundlos von in Lehre und
Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgegangen ist, wenn es Gesichtspunkte
berücksichtigt hat, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn es
umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser Acht gelassen hat. Der
Ermessensentscheid muss sich als im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in
stossender Weise ungerecht erweisen (BGE 109 la 107 E. 2c S. 109; 128 III 4
E. 4b S. 7).

2.3 Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang neu geltend macht, die
Begründung des Obergerichts unter dem Aspekt der Stabilität und Kontinuität
sei neuerdings durch den Auszug der Beschwerdegegnerin aus der väterlichen
Grossfamilie entkräftet worden, kann darauf wie vorstehend ausgeführt (E. 1)
im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde nicht eingetreten werden.

3.
3.1 Im Übrigen erscheint der angefochtene Ermessensentscheid der Vorinstanz im
Ergebnis nicht als offensichtlich unbillig oder in stossender Weise
ungerecht. Der Beschwerdeführer übersieht bei der Rüge widersprüchlicher
Entscheide des Obergerichts hinsichtlich der "Patt-Situation" der
Betreuungssysteme der Parteien die entscheidende Tatsache, dass die
Beschwerdegegnerin sofort ihre Weiterbildungs- und Praktikumsstelle gekündigt
hat, nachdem sie den ersten Entscheid des Obergerichts vom 13. Januar 2005
erhalten hatte. Das Obergericht hatte in diesem ersten Entscheid ausgeführt,
die Tatsache, dass der Beschwerdeführer arbeitslos sei, während die
Beschwerdegegnerin zu 80 % ein Praktikum absolviere, indiziere unter dem
Gesichtswinkel des Kindeswohls eine bessere Betreuungssituation bei Ersterem.
Der sofortige Abbruch der Weiterbildung durch die Beschwerdegegnerin nach der
Zustellung des ersten Entscheids wurde in der Folge nicht als
rechtsmissbräuchliches Verhalten qualifiziert, womit die Beschwerdegegnerin
die bereits erwähnte "Patt-Situation" bei der Möglichkeit der Betreuung des
Kleinkindes herbeiführte. Das Urteil des Obergerichts vom 13. Januar 2005
scheint im Übrigen beide Parteien dazu geführt zu haben, anzunehmen, die
eigene Arbeitslosigkeit sei ein wesentliches Kriterium für die Zuteilung der
Obhut über das Kind, womit allerdings den langfristigen Kindesinteressen,
auch in finanzieller Hinsicht, kaum gedient sein dürfte; so sind keine
Bemühungen des Beschwerdeführers ersichtlich, eine Arbeitsstelle zu suchen
und die Beschwerdeführerin hat ihre Bemühungen, durch Weiterbildung eine
finanzielle Besserstellung zu erreichen, aufgegeben. Fest steht damit aber
immerhin, dass beide jungen Eltern zeitlich in der Lage sind, das Kind selber
zu betreuen.

3.2 Der Beschwerdeführer bestreitet sodann zu Recht nicht, dass beide
Parteien als gleich geeignet für die persönliche Betreuung des Kleinkindes
erscheinen, nachdem dies die kantonalen Instanzen in ausführlichen Erwägungen
und ausdrücklich festgestellt haben. Das von den kantonalen Instanzen
abgeklärte weitere Betreuungsumfeld ist zwar nicht unbedeutend, tritt aber
angesichts der Möglichkeit der persönlichen Betreuung durch die
Beschwerdegegnerin in den Hintergrund.
Im Rahmen der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde sind sodann die
Hinweise des Beschwerdeführers unbehelflich, wonach die Beschwerdegegnerin
die Kontaktförderung zum anderen Elternteil nur auf dem Papier zubillige. Die
Beschwerdegegnerin hat sich an die richterlich festgelegten Besuchszeiten zu
halten und damit den Kontakt des Beschwerdeführers zur Tochter zu gewähren.

3.3 Tragende Erwägung des obergerichtlichen Entscheides ist sodann, dass eine
Umteilung der Obhut über die Tochter nach konstanter, über zweijähriger
Betreuung durch die Beschwerdegegnerin unter dem Aspekt der Stabilität und
Kontinuität dem Kindeswohl zuwiderlaufen würde. Es ist nicht bestritten
worden, dass die Tochter seit dem 21. Februar 2004 durch die
Beschwerdegegnerin persönlich betreut worden ist, insbesondere, nachdem diese
ihre Arbeitsstelle aufgegeben hatte. Die sehr kurze Zeit zwischen dem ersten
Entscheid des Obergerichts vom 13. Januar 2005 und dem Entscheid betreffend
vorläufig sofortiger Massnahme vom 4. Februar 2005, während welcher die Obhut
formell dem Beschwerdeführer oblag, kann unter diesen Umständen nicht ins
Gewicht fallen. Auf die Einwendung des Beschwerdeführers, wonach die
Beschwerdegegnerin die väterliche Familie in S.________ verlassen und nach
T.________ gezogen sei, kann wie bereits erwähnt im vorliegenden
Beschwerdeverfahren nicht eingetreten werden, wobei diese Einwendung
angesichts der persönlichen Betreuung des Kleinkindes durch die
Beschwerdegegnerin ohnehin wenig Bedeutung zukommen kann und es sich bei den
genannten Ortschaften um Nachbardörfer handelt.

3.4 Das Obergericht hat daher mit seinem Entscheid vom 5. Dezember 2005 das
Willkürverbot im Sinne von Art. 9 BV nicht verletzt. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat die Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren nicht zu entschädigen, zumal keine
Vernehmlassung eingeholt worden ist.

5.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege  für das
bundesgerichtliche Verfahren ist abzuweisen, da sich die Beschwerde von
Anfang an als aussichtslos erwiesen hat (Art. 152 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. Mai 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: