Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.349/2006
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{T 0/2}
5P.349/2006 /blb

Urteil vom 7. September 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,

gegen

Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, Postfach, 8023 Zürich.

Art. 9 BV etc. (fürsorgerische Freiheitsentziehung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer,
vom 21. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (Betroffene) wurde am 9. Juni 2006 von der Polizei in
alkoholisiertem Zustand zur ambulanten Notfallbehandlung ins Spital Limmattal
eingeliefert, von wo sie schliesslich am 12. Juni 2006 von den Ärzten der
Notfallstation wegen akuter und chronischer Selbstgefährdung im Sinne einer
fürsorgerischen Freiheitsentziehung zur stationären Behandlung in die Klinik
K.________ eingewiesen wurde.

B.
B.aAls die Universitätsklinik am 28. Juni 2006 ihrem Entlassungsgesuch vom
27. Juni 2006 nicht stattgab, gelangte die anwaltlich verbeiständete
Betroffene mit einem Entlassungsgesuch an den Einzelrichter des Bezirks
Zürich. Ferner beantragte sie, es sei festzustellen, dass mit der
Nichtaushändigung der Prozessakten an ihren Anwalt das
"Superbeschleunigungsgebot" gemäss Art. 5 Ziff. 4 EMRK sowie weitere
Rechtsgrundsätze verletzt worden seien. Nachdem der Einzelrichter ein
Gutachten eingeholt und die Betroffene angehört hatte, trat er am 4. Juli
2006 auf das Feststellungsbegehren nicht ein, bewilligte der Betroffenen die
unentgeltliche Rechtspflege, wies aber deren Antrag auf Bestellung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes ab und gab dem Entlassungsgesuch nicht
statt.

B.b Mit Beschluss vom 21. Juli 2006 gab das Obergericht des Kantons Zürich,
II. Kammer, dem Entlassungsgesuch der Betroffenen nicht statt, trat auf das
Feststellungsbegehren nicht ein und wies überdies das Gesuch der Betroffenen
um unentgeltliche Verbeiständung für beide Instanzen ab.

C.
Die Betroffene führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichts vom 21. Juli 2006 aufzuheben und ihr für das
bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung zu gewähren. Es ist keine Vernehmlassung eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Obergericht verweist auf den schlechten körperlichen Gesundheitszustand
der Beschwerdeführerin bei der Einweisung. Nach den Feststellungen des
Obergerichts ist überdies davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin als
chronische Alkoholikerin bei einer sofortigen Entlassung infolge
Alkoholexzesses wiederum stürzen und sich verletzen könnte. Die wegen
Trombosengefahr indizierte Blutverdünnung bedeute bei Stürzen Lebensgefahr.
Dass die Blutverdünnung, mithin einer der Gefährdungsfaktoren, zur Zeit
abgesetzt sei, ändere an der festgestellten erheblichen Gesundheitsgefährdung
nichts. Zum Einwand der Beschwerdeführerin, es könnten nicht alle mit
Blutverdünnungsmitteln behandelte Patienten hospitalisiert werden, gab das
Obergericht die infolge schwerer Alkoholabhängigkeit erhöhte Sturzgefahr zu
bedenken (Beschluss II S. 5).
Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen, es habe keinen Sinn sie immer
wieder zwangsweise zu hospitalisieren, sei sie doch als Alkoholikerin
unheilbar; alle Versuche, sie zu therapieren und sozial einzugliedern, seien
zum Scheitern verurteilt. In diesem Zusammenhang wirft sie dem Obergericht
eine Verletzung ihres Rechts auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV und
Art. 5 EMRK) infolge Unverhältnismässigkeit des Eingriffes vor (Beschwerde
S. 10-12 bb. I.).
1.1 Die Missachtung der von der Beschwerdeführerin angerufenen Garantien
bedeutet in erster Linie eine Verletzung der Bestimmungen über die
fürsorgerische Freiheitsentziehung (Art. 397a ff. ZGB), die als Verletzung
von Bundesrecht vor Bundesgericht mit Berufung geltend zu machen ist (BGE 115
II 129 E. 5a S. 131 in fine). Dass bei der Einweisung allenfalls kantonale
Verfahrensbestimmungen willkürlich verletzt worden wären, legt die
Beschwerdeführerin nicht substanziiert dar (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 119
Ia 197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c
S. 282, mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312). Ebenso wenig behauptet sie,
dass ihr die Verfassungs- und Konventionsgarantien einen weitergehenden
Schutz gewähren als die Bestimmungen über die fürsorgerische
Freiheitsentziehung. Insoweit ist daher auf die staatsrechtliche Beschwerde
nicht einzutreten.

1.2 Abgesehen davon übersieht die Beschwerdeführerin, dass sie nicht zwecks
Therapie ihrer Alkoholsucht eingewiesen worden ist, sondern wegen des hohen
Eigengefährdungspotentials, wobei das Risiko der Eigengefährdung bei
sofortiger Entlassung als sehr hoch eingestuft wird. Massgebend war entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht der Umstand, dass sie sich
mit ihrem exzessiven Alkoholkonsum langsam umzubringen droht, sondern die
infolge der Alkoholexzesse erhöhte Sturzgefahr, die wegen der medikamentösen
Behandlung unmittelbar zu lebensgefährlichen Blutungen führen könnte. Soweit
die Beschwerdeführerin auf das Sturzrisiko in der Anstalt selbst hinweist,
handelt es sich einerseits um appellatorische, im Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde unzulässige Kritik am angefochtenen Entscheid
(BGE 125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262); anderseits lässt sich
mit diesem Argument der erhöhten Gefährdung bei exzessivem Alkoholkonsum
nicht begegnen.

2.
Das Obergericht hat der Beschwerdeführerin die unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung für beide Instanzen verweigert. Die Beschwerdeführerin
macht geltend, sie habe in den Rechtsschriften Argumente vorgetragen, weshalb
sie auf einen Rechtsbeistand angewiesen sei. Das Obergericht habe die Frage
der Notwendigkeit des Rechtsbeistands offen gelassen, da sich die Sache als
aussichtslos erweise und der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung
somit für beide Instanzen zu verweigern sei. Weshalb die Sache aussichtslos
sei, werde nicht begründet. Damit habe das Obergericht den Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) bzw. auf ein faires Verfahren (Art. 6
Ziff. 1 EMRK) verletzt (Beschwerde S. 12-14 bb II.).
Aus dem obergerichtlichen Entscheid ergibt sich, dass der Standpunkt der
Beschwerdeführerin im Verfahren sowohl hinsichtlich der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung als auch mit Bezug auf das Feststellungsbegehren als
aussichtslos gegolten hat. Fehlte aber eine der kumulativen Voraussetzung für
die unentgeltliche Rechtspflege (erwiesene Bedürftigkeit der Gesuchstellerin
und ein nicht aussichtsloses Verfahren), erübrigten sich Ausführungen zu
Frage der Notwendigkeit der unentgeltlichen Verbeiständung. Das Obergericht
war somit nicht gehalten, sich zu den in der Sache nicht wesentlichen
Argumenten der Beschwerdeführerin zu äussern (BGE 130 II 530 E. 4.3 S. 540).
Der Vorwurf der Verletzung des rechtlichen Gehörs bzw. des Fairnessgebots
erweist sich als unbegründet.

3.
Die Ausführungen zur Notwendigkeit der Verbeiständung unter Hinweis auf den
immensen Aktenberg und die Schwere des Eingriffs gehen an der Sache vorbei,
wenn die Sache aussichtslos ist, wie das Obergericht angenommen hat. Mit dem
Hinweis, dass die erste Instanz die unentgeltliche Prozessführung bewilligt
habe und nirgends darauf hingewiesen worden sei, dass sich das Verfahren als
aussichtslos gestalte, ist nicht substantiiert darzulegen, inwiefern die
Verfassungs- bzw. die Konventionsbestimmung betreffend die unentgeltliche
Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verletzt worden ist.
Dem Erfordernis einer hinreichenden formellen Begründung wird überdies auch
nicht mit dem Hinweis auf ein angeordnetes Gutachten Genüge getan (BGE 119 Ia
197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282,
mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 130 I 258 E. 1.3). Auf die ungenügend
begründete Rüge ist nicht einzutreten.

4.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die
Beschwerdeführerin die Kosten (Art. 156 Abs. 1 OG).

5.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen
offensichtlicher Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. September 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: