Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.291/2006
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{T 0/2}
5P.291/2006 /blb

Urteil vom 13. September 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Kantonsgericht St. Gallen, II. Zivilkammer, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Art. 9 BV etc. (Entschädigung an den unentgeltlichen Rechtsvertreter im
Scheidungsprozess),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer,
vom 29. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Am 2. Dezember 2004 schied das Kreisgericht Gaster-See die Ehe von A.________
(Klägerin) und B.________ (Beklagter), stellte die gemeinsame Tochter der
Parteien unter die elterliche Sorge des Beklagten und genehmigte die
Teilvereinbarung über die weiteren Nebenfolgen vom 9./18. März 2004 sowie die
ergänzende Vereinbarung vom 2. Dezember 2004. Das Gericht wies die
BVG-Einrichtung des Beklagten an, von dessen Freizügigkeitskonto
Fr. 16'500.-- auf das Freizügigkeitskonto der Klägerin zu übertragen, und
auferlegte die Gerichtskosten den Parteien je zur Hälfte.

B.
B.aDer Klägerin wurde in der Folge ein anderer (unentgeltlicher)
Rechtsbeistand in der Person von Rechtsanwalt X.________ bestellt. Dieser
focht in ihrem Namen das erstinstanzliche Urteil bezüglich der Zuteilung der
elterlichen Sorge über das Kind an und beantragte überdies eine Anpassung der
Nebenfolgen. Der vom Kantonsgericht St. Gallen, II. Zivilkammer, eingeholte
Bericht der Kinder- und Jugendhilfe empfahl eine Zuteilung des Kindes an die
Klägerin, worauf sich die Parteien auf eine gemeinsame elterliche Sorge
einigten und einvernehmlich den Aufenthalt des Kindes, dessen Unterhalt sowie
jenen der Klägerin regelten. Das Berufungsverfahren gestaltete sich wegen
ausgedehnter Vergleichsverhandlungen als aufwändig.

B.b Mit Entscheid vom 29. Mai 2006 beliess das Kantonsgericht die Tochter
unter der gemeinsamen Sorge der Eltern und genehmigte die Vereinbarung der
Parteien über die Nebenfolgen der Scheidung. Da der unentgeltliche Vertreter
im Berufungsverfahren keine Kostenliste eingereicht hatte, entschädigte es
ihn für seine Bemühungen im Berufungsverfahren pauschal mit Fr. 2'711.50
inklusive Auslagen und Mehrwertsteuer (Disp. Ziff. 5).

C.
Der unentgeltliche Rechtsvertreter der Klägerin hat staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, Ziffer 5 des Entscheides des
Kantonsgerichts vom 29. Mai 2006 aufzuheben. Das Kantonsgericht hat auf
Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen letztinstanzlichen
kantonalen Entscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist
(Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer erachtet die Festsetzung seines
Honorars als willkürlich; er ist damit in seinen rechtlichen Interessen
betroffen und insoweit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (Art. 88
OG; BGE 131 V 153 E. 1 S. 155).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe im Verlaufe des
Berufungsverfahrens mit Eingabe vom 15. Mai 2006 beantragt, es seien ihm die
Eingabe der Rechtsvertreterin des Beklagten und alle aktuellen Belege zum
Notbedarf und den Einkünften zur Stellungnahme zuzustellen. Am 17. Mai 2006
habe ihm das Kantonsgericht mitgeteilt, der das Scheidungsverfahren beendende
Abschreibungsbeschluss werde ihm in den nächsten Tagen schriftlich eröffnet.
Dieses Schreiben sei ihm am 22. Mai 2006 zugestellt worden, worauf er
gleichentags unter Hinweis auf das rechtliche Gehör um eine kurze Frist für
eine Stellungnahme zur Eingabe der Vertreterin des Beklagten ersucht und
überdies darauf hingewiesen habe, dass die Belege zum Notbedarf nicht
vorlägen. Als Antwort auf diese Eingabe sei ihm am 1. Juni 2006 der
angefochtene Entscheid zugestellt worden. Er habe angesichts seiner Eingabe
das Verfahren noch nicht als beendet erachtet und deshalb am 22. Mai 2006
noch keine Kostennote eingereicht. Dem Kantonsgericht sei klar gewesen, dass
er bis zur Beantwortung des Schreibens vom 22. Mai 2006 keine Kostenliste
einreichen werde, weshalb der Grundsatz von Treu und Glauben dem
Kantonsgericht geboten habe, auf das Schreiben vom 22. Mai 2006 zu reagieren
oder den Beschwerdeführer zumindest zur Einreichung einer Kostenliste
aufzufordern. Mit der Unterlassung dieser Aufforderung habe das
Kantonsgericht das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt.

2.1 Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV), den der Beschwerdeführer
nebst seinem Anspruch auf rechtliches Gehör als verletzt rügt, verschafft
unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Schutz berechtigten
Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges, bestimmte Erwartungen
begründendes Verhalten, sofern sich dieses auf eine konkrete, den
betreffenden Bürger berührende Angelegenheit bezieht (BGE 130 I 26 E. 8.1
S. 60). Ob ein Verstoss gegen das verfassungsrechtliche Gebot des Handelns
nach Treu und Glauben vorliegt, prüft das Bundesgericht ohne Einschränkung
seiner Kognition (BGE 103 Ia 505 E. 1 S. 508; 122 I 328 E. 3a S. 333 f.).
Von einer Verletzung des vorgenannten Grundsatzes kann keine Rede sein: Mit
Schreiben vom 17. Mai 2006 sandte das Kantonsgericht dem Beschwerdeführer die
Unterlagen zu den Eingaben vom 8. bzw. 15. Mai 2006 und wies überdies darauf
hin, dass die Eingaben selbst dem Beschwerdeführer zu einem früheren
Zeitpunkt von der Gegenseite direkt zugestellt worden seien und ihm der
Abschreibungsbeschluss in den nächsten Tagen zugestellt werde (act. 3/5).
Aufgrund dieses Bescheids, insbesondere aufgrund des Hinweises, wonach die
Eingaben bereits früher von der Gegenpartei direkt zugestellt worden waren,
durfte der Beschwerdeführer nicht darauf vertrauen, dass das
Scheidungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, er mit einer weiteren
Fristansetzung zur Stellungnahme rechnen und deshalb mit der Einreichung der
Kostenliste noch zuwarten könne. Aufgrund des Schreibens des Kantonsgerichts
war vielmehr klar, dass das Verfahren abgeschlossen ist und der Entscheid in
der Sache nur noch kurze Zeit auf sich warten lässt. Unter den gegebenen
Umständen war der Beschwerdeführer gehalten, die Kostenliste unverzüglich
einzureichen oder aber um eine Frist für ihre Einreichung zu ersuchen. An
dieser Schlussfolgerung vermag auch das Gesuch um Fristansetzung zur
Stellungnahme vom 22. Mai 2006 nichts zu ändern. Weder konnte der
Beschwerdeführer mit einer Bewilligung des Gesuchs und einem Hinausschieben
des Abschreibungsbeschlusses rechnen, noch war das Kantonsgericht nach Treu
und Glauben verpflichtet, nach Erhalt dieses Gesuchs den Beschwerdeführer
dazu aufzufordern, seine Kostenliste einzureichen; eine solche Pflicht lässt
sich vorliegend umso weniger befürworten, als das Honorar des unentgeltlichen
Vertreters in Ehesachen grundsätzlich als Pauschale bemessen wird (Art. 10
Abs. 1 der Honorarordnung für Rechtsanwälte und Rechtsagenten; sGS 963.75;
HonO).

2.2 Bestand aber keine verfassungsmässige Pflicht zu einer die Einreichung
der Kostenliste betreffenden Aufforderung, so liegt - entgegen den
Erörterungen des Beschwerdeführers - auch keine Verletzung des rechtlichen
Gehörs im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV vor. Eine entsprechende im kantonalen
Recht begründete Pflicht wird nicht substanziiert behauptet. Im Übrigen kann
sich grundsätzlich nur auf eine Gehörsverletzung berufen, wer von seinen
prozessualen Möglichkeiten in geeigneter Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGE
125 V 373 E. 2b/bb S. 375; Urteil des Bundesgerichts 5P.431/2003 vom
13. Januar 2004, E. 1, in: Praxis 2004 Nr. 109 S. 611).

3.
Der Beschwerdeführer erörtert weiter, aus dem angefochtenen Entscheid ergebe
sich, dass das Kantonsgericht bei seinem Ermessensentscheid lediglich die
ausgedehnten Vergleichsverhandlungen berücksichtigt habe. Unrichtig, weil
unvollständig, sei zudem, dass das Berufungsverfahren auf die
Kinderzuteilung, die Besuchsregelung und den Unterhalt beschränkt gewesen
sei, hätten doch auch die Teuerung (Art. 143 ZGB), Belege und Eingaben zum
Notbedarf der Parteien und den Einkünften zur Diskussion gestanden, woraus
sich ein grosser Zeitaufwand ergeben habe. Nicht berücksichtigt worden sei
zudem der Umstand, dass er erst in zweiter Instanz beigezogen worden sei und
sich somit zuerst habe einlesen müssen. Dem werde durch die anwendbare
Honorarordnung nicht Rechnung getragen, die auf Fälle beschränkt sei, in
denen der Anwalt Vorwissen aus der erstinstanzlichen Vertretung mitbringe.
Das Kantonsgericht habe aber auch die sich bietende Gelegenheit nicht
beachtet, das Honorar für Streitfälle der vorliegenden Art gemäss Art. 10
HonO um höchstens die Hälfte zu erhöhen oder ausnahmsweise nach Zeitaufwand
zu berechnen. Schliesslich sei die vorgenommene Kürzung gemäss Art. 31 Abs. 3
des Anwaltsgesetzes um einen Fünftel nur zulässig, wenn die Voraussetzungen
für eine gerechte und angemessene Entschädigung erfüllt seien, was vorliegend
nicht zutreffe. Bei einem Arbeitsaufwand von 61 ? Stunden und einem Honorar
von Fr. 2'711.50 ergebe sich eine Stundenentschädigung von rund Fr. 44.--
ohne Barauslagen und Mehrwertsteuer. Gemäss der Studie "Praxiskosten 1999"
des Zürcher Anwaltsverbandes werde als reine Kostendeckung ein Honoraransatz
von Fr. 112.-- pro Stunde angenommen. Die aktuellen Kosten von Fr. 125.--
würden durch die zugesprochene Entschädigung bei weitem nicht gedeckt.

3.1 Die Kostenliste sowie die Studie "Praxiskosten 1999" und die damit
begründeten Tatsachen hat der Beschwerdeführer erstmals vor Bundesgericht
vorgetragen bzw. beigebracht. Sie gelten als neu und damit unzulässig (BGE
107 Ia 187 E. 2b S. 191; 129 I 49 E. 3 S. 57), umso mehr als bereits im
kantonalen Verfahren Anlass bestand, diese Tatsachen und Beweismittel im
Hinblick auf die Festsetzung des Honorars vorzutragen (BGE 118 Ia 369 E. 4d
S. 372). Darauf ist nicht einzutreten.

3.2 Der amtliche Anwalt steht zum Staat in einer eigenen Rechtsbeziehung, aus
der ihm nach Massgabe der anwendbaren kantonalen Vorschriften ein
öffentlichrechtlicher Entschädigungsanspruch erwächst. Bei der
Honorarfestsetzung haben die kantonalen Behörden allerdings einen weiten
Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift demnach nur ein, wenn die
Behörden die kantonalen Bestimmungen über den Umfang der Entschädigung
willkürlich angewendet oder ihr Ermessen überschritten bzw. missbraucht haben
(BGE 117 Ia 22 E. 4a S. 23; 118 Ia 133 E. 2b S. 134; 122 I 1 E. 3a S. 2, mit
Hinweisen). Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht an sich frei; es
übt dabei allerdings Zurückhaltung und greift nur ein, sofern die kantonale
Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen einen falschen Gebrauch gemacht hat,
d.h. wenn sie grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten
Grundsätzen abgegangen ist, Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die keine
Rolle hätten spielen dürfen, oder umgekehrt rechtserhebliche Umstände ausser
Acht gelassen hat. Aufzuheben und zu korrigieren sind ausserdem
Ermessensentscheide, die sich als im Ergebnis offensichtlich unbillig, als in
stossender Weise ungerecht erweisen (vgl. BGE 123 III 274 E. 1a/cc S. 279 f.;
126 III 223 E. 4a S. 227 f.; 127 III 310 E. 3 S. 313 f.).
3.3 Das Honorar des unentgeltlichen Vertreters in Ehesachen wird
grundsätzlich als Pauschale bemessen (E. 2.1 hiervor; Art. 10 Abs. 1 HonO).
In aussergewöhnlich aufwändigen Fällen kann das Honorar höchstens um die
Hälfte erhöht oder ausnahmsweise nach Zeitaufwand bemessen werden (Art. 10
Abs. 2 HonO). Da der Beschwerdeführer vorliegend keine Kostenliste
eingereicht hat, bemisst sich das Honorar gemäss Art. 6 HonO nach Ermessen.

3.4 In Ehe-, Verwandtschafts- und Vormundschaftssachen beträgt das normale
Honorar pauschal Fr. 1'200.-- bis Fr. 6'500.-- (Art. 20 Abs. 1 HonO), wobei
für das Rechtsmittelverfahren, um das es hier ausschliesslich geht, im
schriftlichen Verfahren 20 bis 50 Prozent verrechnet werden (Art. 26 lit. a
HonO). Damit beträgt der volle Pauschalbetrag Fr. 3'250.-- (? von
Fr. 6'500.--). Im konkreten Fall ist das Kantonsgericht von einem normalen
pauschalen Honorar von Fr. 3'000.-- (statt Fr. 3'250.--) ausgegangen und hat
dieses in Anwendung von Art. 31 Anwaltsgesetz (sGS 963.70) für den
unentgeltlichen Rechtsbeistand um einen Fünftel gekürzt und so die
Entschädigung auf insgesamt auf Fr. 2'711.50 (inkl. Barauslagen und
Mehrwertsteuer) festgesetzt. Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich,
dass das Kantonsgericht bei seinen Berechnungen praktisch vom vollen normalen
Honorar ausgegangen ist und dieses der massgebenden Bestimmung entsprechend
gekürzt hat (Art. 31 Anwaltsgesetz). Damit hat es, wie sich aus dem Entscheid
ausdrücklich ergibt, dem zufolge ausgedehnter Vergleichsverhandlungen
(zeit)aufwändigen Berufungsverfahren, aber auch dem nicht speziell
angeführten Aktenstudium des erst für die zweite Instanz beigezogenen Anwalts
Rechnung getragen. Im vorliegenden Fall waren einzig die Kinderzuteilung, die
Besuchsregelung und der Unterhalt noch offen; daran ändert nichts, dass
angeblich auch die "Teuerung nach Art. 143 ZGB" streitig war, betraf doch
auch dies die Unterhaltsfrage. Die Leistung des Beschwerdeführers war damit
verfassungskonform abgegolten worden. Es bestand unter dem Gesichtspunkt der
Willkür kein Anlass, das Honorar nach Art. 10 Abs. 2 HonO um maximal die
Hälfte zu erhöhen. Soweit der Beschwerdeführer mit dem Zeitaufwand auf den in
der Kostenliste erwähnten Zeitaufwand Bezug nimmt, ist darauf nicht
einzutreten, da diese Erörterungen auf einem unzulässigen Novum beruhen.
Zusammenfassend hat das Kantonsgericht weder seinen Ermessensspielraum
willkürlich ausgeschöpft noch unbillig entschieden.

4.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 750.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Kantonsgericht St. Gallen,
II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. September 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: