Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.285/2006
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{T 0/2}
5P.285/2006 /bnm

Urteil vom 12. Oktober 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Levante.

X. ________ (Ehemann),
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,

gegen

Y.________ (Ehefrau),
Beschwerdegegnerin,
Kreisgericht Werdenberg-Sargans, Gerichtspräsidium, Kirchstrasse 31, 8887
Mels.

Art. 9 BV usw. (Eheschutz),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kreisgerichts
Werdenberg-Sargans, Gerichtspräsidium,  vom 22. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Y. ________ (Ehefrau) stellte mit Eingabe vom 8. April 2006 beim Kreisgericht
Werdenberg-Sargans ein Gesuch um Eheschutz und beantragte, dass sie von ihrem
Ehemann X.________ getrennt leben dürfe, die Tochter Z.________ (geboren
2000) unter ihrer Obhut bleibe und diese angemessene Unterhaltsbeiträge
erhalte. Am 21. April 2006 gab die Gerichtspräsidentin X.________ Gelegenheit
zur Stellungnahme und lud die Parteien zur Verhandlung auf den 22. Mai 2006
vor. Am 11. Mai 2006 ersuchte die von X.________ beauftragte Rechtsanwältin
Dr. Barbara Wyler bzw. ihr Praktikant die Gerichtspräsidentin um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege unter Hinweis darauf, noch nicht über alle
notwendigen Unterlagen zu verfügen, weshalb ein begründetes Gesuch
vorbehalten werde. Ferner wurde um Zustellung der Akten nach stattgefundener
Anhörung der Parteien ersucht. Am 12. Mai 2006 übermittelte die
Gerichtspräsidentin der Rechtsanwältin das Gesuchsformular und wies sie
darauf hin, dass eine Übertragung des Mandates auf den Praktikanten nicht
möglich sei. Am 22. Mai 2006 fand die mündliche Verhandlung statt. Bei dieser
Gelegenheit unterzeichneten die Parteien einen Vergleich, laut welchem
X.________ sich im Wesentlichen verpflichtete, für das unter der Obhut von
Y.________ stehende Kind einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 600.-- pro Monat zu
bezahlen. Weiter verzichteten die Parteien für den Fall, dass antragsgemäss
entschieden werde, auf eine Begründung des Entscheides sowie auf das
Ergreifen eines Rechtsmittels.

B.
Mit Entscheid vom 22. Mai 2006 genehmigte die Gerichtspräsidentin die
Vereinbarung der Parteien vom gleichen Tag betreffend die Regelung des
Getrenntlebens (Eheschutzmassnahmen). Beiden Parteien wurde die
unentgeltliche Rechtspflege gewährt und die Gerichtskosten daher vom Staat
übernommen; die Parteikosten wurden wettgeschlagen. Weiter bescheinigte die
Gerichtspräsidentin, dass die Parteien auf das Ergreifen eines Rechtsmittels
und die Begründung des Urteils verzichtet hätten und das Urteil deshalb
rechtskräftig sei.

C.
X.________ führt mit Eingabe vom 26. Juni 2006 staatsrechtliche Beschwerde
und beantragt dem Bundesgericht, der Entscheid vom 22. Mai 2006 sei
aufzuheben und das Kreisgericht sei anzuweisen, eine neue
Eheschutzverhandlung anzusetzen, nachdem über die unentgeltliche Rechtspflege
entschieden worden sei, und neu zu entscheiden. Weiter ersucht er um
aufschiebende Wirkung und um unentgeltliche Rechtspflege.

Mit Präsidialverfügung vom 30. Juni 2006 wurde das Gesuch um aufschiebende
Wirkung abgewiesen.

Y. ________ hat sich nicht vernehmen lassen. Die Präsidentin des
Kreisgerichts schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
eingetreten werden könne.

D.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur gegen letztinstanzliche kantonale
Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG, unter Vorbehalt von - hier nicht
massgebenden - Ausnahmen gemäss Art. 86 Abs. 2 OG). Es müssen insbesondere
alle ordentlichen und ausserordentlichen Rechtsmittel, mit denen die Rügen
allenfalls kantonal geltend gemacht werden konnten, bereits ergriffen worden
sein (BGE 126 III 485 E. 1a S. 486 f.; Messmer/Imboden, Die eidgenössischen
Rechtsmittel in Zivilsachen, Ziff. 137 S. 192).

1.1 Der Beschwerdeführer führt mit Bezug auf Art. 86 OG aus, dass der
angefochtene Entscheid vom 22. Mai 2006 letztinstanzlich sei, weil die
Parteien auf die Ergreifung eines Rechtsmittel verzichtet hätten. Er bzw.
seine Rechtsvertreterin rügt sodann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
sowie des Grundsatzes der Waffengleichheit im Verfahren (Art. 29 Abs. 1 und 2
BV), aber auch von Art. 8 und Art. 9 sowie Art. 30 BV, weil der
Beschwerdeführer an der Parteiverhandlung vom 22. Mai 2006 seine Interessen
ohne Beistand eines Anwaltes habe wahrnehmen müssen. Bis zum Entscheid über
das Gesuch der unentgeltlichen Rechtspflege hätten keine Parteiverhandlungen
vorgenommen werden dürfen. Die Gerichtspräsidentin habe den gutmütigen,
gutgläubigen und leicht beeinflussbaren Beschwerdeführer zu einem Vergleich
gedrängt, in welchem er sich zu Leistungen verpflichtet habe, die er nicht
erbringen könne. Der Beschwerdeführer bzw. seine Rechtsvertreterin wirft der
Gerichtspräsidentin vor, sich trotz Offizialmaxime nicht mit seinen konkreten
finanziellen Gegebenheiten auseinandergesetzt zu haben und den Entscheid
nicht begründet zu haben. Der Begründungs- und Rechtsmittelverzicht verletze
den Gehörsanspruch des Beschwerdeführers, zumal die Gerichtspräsidentin um
dessen Beeinflussbarkeit und Unbeholfenheit sowie um dessen anwaltliche
Vertretung gewusst habe.

1.2 Gemäss Art. 217 Abs. 1 ZPO/SG ist gegen den Entscheid des Einzelrichters
im summarischen Verfahren, in welchem über Eheschutzmassnahmen entschieden
wird (Art. 1 ZPV/SG, Anhang I Ziff. 24), der Rekurs an den Einzelrichter des
Kantonsgerichts zulässig. Dieser Rekurs bewirkt - wie die kantonale Berufung
- eine Neubeurteilung, und es können alle Mängel des angefochtenen
Entscheides und des Verfahrens, das zu ihm geführt haben, gerügt werden
(Leuenberger/Uffer-Tobler, ZPO/SG, Kommentar zur Zivilprozessordnung des
Kantons St. Gallen, Bern 1999, Ziff. 1 zu Art. 222, Ziff. 1b zu Art. 227, mit
Hinweis auf Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S.
477).

1.3 Soweit der Beschwerdeführer die Letztinstanzlichkeit mit dem Verzicht auf
den kantonalen Rekurs begründet, geht er selber davon aus, dass der
betreffende Verzicht für die Parteien verbindlich sei. Damit steht der
Ergreifung der staatsrechtlichen Beschwerde die zwingende Vorschrift von Art.
86 OG entgegen, dass der Rechtssuchende zuvor von den zur Verfügung stehenden
kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch zu machen hat. Verzichtet er darauf, so
begibt er sich damit auch des Rechts, gegen das unterinstanzliche kantonale
Urteil staatsrechtliche Beschwerde führen zu können (BGE 98 I 647 E. 2 S.
649; Messmer/Imboden, a.a.O., Ziff. 45 S. 66).

1.4 Wenn der Beschwerdeführer - an anderer Stelle - rügt, er sei zum
Begründungs- und Rechtsmittelverzicht gedrängt worden, weil er unbeholfen und
beeinflussbar sei, stellt er die Wirksamkeit seiner Erklärung gegenüber der
Gerichtspräsidentin in Frage. In der Tat ist ein allgemeiner Grundsatz, dass
der Verzicht auf ein Rechtsmittel jedenfalls dann als unwirksam betrachtet
werden muss, wenn nicht vorausgesetzt werden darf, dass die Partei dabei in
voller Sachkenntnis gehandelt hat (BGE 86 I 150 E. 2 S. 153). Dieser
Grundsatz gilt auch im st. gallischen Zivilprozess (Leuenberger/Uffer-Tobler,
a.a.O, Ziff. 1c zu Art. 87, mit Hinweis auf Frank/Sträuli/Messmer, ZPO/ZH,
Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 19a zu §
188). Ist ein solcher Rechtsmittelverzicht aber nicht rechtswirksam, so
erweist sich der angefochtene Entscheid nicht als letztinstanzlich, weil der
kantonale Rekurs zu ergreifen und die Unwirksamkeit des Verzichts geltend zu
machen ist (BGE 98 I 647 E. 2 S. 649; 105 Ia 115 E. 1 S. 117). Würde sich im
Rekursverfahren herausstellen, dass (als Vorfrage) der Rechtsmittelverzicht
nicht wirksam wäre, könnten in der Folge die weiteren Rügen - wie die
Unverbindlichkeit eines gerichtliches Vergleichs, welche ebenfalls
grundsätzlich im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen ist (BGE 105 II 273
E. 3a S. 277) - geprüft werden. Ebenso könnte im Rekursverfahren geprüft
werden, ob das Eheschutzverfahren, das zum Entscheid vom 22. Mai 2006 geführt
hat, mangelhaft sei, d.h. insbesondere, ob die Gerichtspräsidentin über das
Eheschutzbegehren habe entscheiden dürfen (oder hätte zuwarten müssen) oder
sie für das Eheschutzverfahren massgebende Prozessmaximen verletzt habe.

1.5 Nach dem Dargelegten handelt es sich beim angefochtenen Entscheid nicht
um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid gemäss Art. 86 OG. Auf die
staatsrechtliche Beschwerde kann nicht eingetreten werden.

2.
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art.
156 Abs. 1 OG). Da die Beschwerdegegnerin keine Stellungnahme eingereicht
hat, sind ihr keine Kosten entstanden und entfällt eine Entschädigungspflicht
(vgl. Art. 159 Abs. 2 OG).

Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege kann nicht
entsprochen werden, da die Beschwerde aussichtslos ist (Art. 152 Abs. 1 OG).

3.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kreisgericht Werdenberg-Sargans,
Gerichtspräsidium, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Oktober 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: