Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.251/2006
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{T 0/2}
5P.251/2006
5P.252/2006 /wim

Urteil vom 16. August 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Schett.

5P.251/2006
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin
Dr. Carla Wassmer,

und

5P.252/2006
Y.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin
Dr. Carla Wassmer,

gegen

Obergericht des Kantons Uri, Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und
Konkurs, 6460 Altdorf UR,

Konkursamt Uri, 6460 Altdorf UR.

Art. 5 und 9 BV (Rechtzeitigkeit der Beschwerdeführung nach erfolgter
Publikation des Kollokationsplanes),

Staatsrechtliche Beschwerden gegen die Entscheide des Obergerichts des
Kantons Uri, Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, vom 11. Mai
2006.

Sachverhalt:

A.
Am 29. September 2004 eröffnete das Landgerichtspräsidium Uri den Konkurs
über die A.AG________. X.________ und Y.________ waren Verwaltungsräte der
Gemeinschuldnerin. Über ihr Privatvermögen wurde mittlerweile ebenfalls der
Konkurs ausgesprochen. Im Konkurs über die A.AG________ veröffentlichte das
Konkursamt Uri am 24. Februar 2006 im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB)
und am 3. März 2006 im Amtsblatt des Kantons Uri den Kollokationsplan.

B.
X.________ und Y.________ gelangten am 16. März 2006 mit Beschwerde an das
Obergericht des Kantons Uri. Sie machten geltend, das Konkursamt habe ihnen
nicht im gewünschten Umfang Einsicht in die Akten erteilt, gewisse
Forderungen der Gemeinschuldnerin seien nicht durchgesetzt worden, die
Verwertung des Hauptaktivums der Gemeinschuldnerin verlaufe nicht optimal und
verschiedene Forderungen seien im Kollokationsplan zu Unrecht aufgenommen
bzw. nicht aufgenommen worden. Mit Urteil vom 11. Mai 2006 trat das
Obergericht des Kantons Uri auf die Beschwerde wegen Verspätung nicht ein.

C.
Mit je getrennten staatsrechtlichen Beschwerden beantragen X.________ und
Y.________ dem Bundesgericht, das obergerichtliche Urteil aufzuheben. Sie
stellen zudem das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

Das Obergericht des Kantons Uri verzichtet unter Hinweis auf das angefochtene
Urteil auf eine Vernehmlassung.

X. ________ und Y.________ sind in gleicher Sache mit je einer Beschwerde an
die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gelangt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Wird ein kantonales Urteil gleichzeitig mit staatsrechtlicher Beschwerde
und mit Beschwerde gemäss Art. 19 SchKG angefochten, wird in der Regel der
Entscheid über Letztere bis zur Erledigung der staatsrechtlichen Beschwerde
ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG in Verbindung mit Art. 81 OG). Vorliegend
bestehen keine Gründe, von dieser Praxis abzuweichen.

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen einen
letztinstanzlichen kantonalen Nichteintretensentscheid über eine
Kollokationsbeschwerde, mithin einen nicht zivilrechtlichen Endentscheid im
Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG. Unter diesem Gesichtpunkt ist die
staatsrechtliche Beschwerde gegeben.

1.3 Beide Parteien richten sich gegen das gleiche Urteil, stellen die
gleichen Anträge und tragen die gleiche Begründung vor, weshalb ihre
Beschwerden zu verbinden und in einem Urteil zu behandeln sind.

1.4 Die Vorbringen der Beschwerdeführer sind nur zu prüfen, soweit sie den
Begründungsanforderungen des Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügen. Demnach ist
klar darzulegen, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern diese durch
den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Im Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar und einlässlich
erhobene Rügen. Auf bloss appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid
tritt es nicht ein (BGE 130 I 258 E. 1.3). Ebenso wenig setzt sich das
Bundesgericht mit Sachverhaltsvorbringen auseinander, die nicht an eine
konkrete Willkürrüge geknüpft sind.

2.
Die Beschwerdeführer werfen dem Konkursamt vor, gegen den Grundsatz von Treu
und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) sowie das Willkürverbot (Art. 9 BV) zu
verstossen, indem es den Kollokationsplan zu einem Zeitpunkt im kantonalen
Amtsblatt habe publizieren lassen, als die durch die Publikation im SHAB
bereits laufende Anfechtungsfrist schon fast verstrichen sei.

2.1 Das Obergericht hält dafür, der Kollokationsplan der A.________ AG sei am
3. März 2006 im kantonalen Amtsblatt veröffentlicht worden. Die
Beschwerdefrist von zehn Tagen (Art. 17 SchKG) sei am 13. März 2006
abgelaufen, womit sich die am 16. März 2006 erhobene Beschwerde als verspätet
erweise.

2.2 Der amtliche Verkehr der Schuldbetreibungsorgane wird im SchKG geregelt.
Das Gesetz kennt neben der Mitteilung (Art. 34 SchKG), die öffentliche
Bekanntmachung (Art. 35 SchKG) und die formelle Zustellung (Art. 64 ff.
SchKG). Für die Berechnung der durch die öffentliche Bekanntmachung
ausgelösten Fristen ist das SHAB massgebend, wiewohl die Publikation auch im
kantonalen Amtsblatt zu erfolgen hat (Art. 35 Abs. 1 SchKG). Ob diese
Vorschriften eingehalten werden, kann einzig die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts auf Beschwerde gemäss Art. 19 SchKG hin
prüfen. Soweit dieser Rechtsweg gegeben ist, steht die staatsrechtliche
Beschwerde nicht zur Verfügung (Art. 84 Abs. 2 OG).

2.3 Die Beschwerdeführer richten sich im Wesentlichen gegen die Abfolge der
beiden Publikationen, womit sie in Tat und Wahrheit nicht die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte, sondern die Anwendung materiellen Rechts rügen.
Da in einem solchen Fall die Beschwerde nach Art. 19 SchKG gegeben ist, kann
auf diese Vorbringen nicht eingetreten werden.

3.
Im Weiteren bringen die Beschwerdeführer vor, sie seien in ihrem Vertrauen
auf die Richtigkeit einer behördlichen Auskunft zu schützen. Der
Konkursbeamte habe ihnen auf ihre Frage nach dem Rechtsweg zur Anfechtung des
Kollokationsplanes gesagt, dass die Klage innert 20 Tagen an das Obergericht
zu erfolgen hätte. Diese Frist hätten sie gewahrt.

3.1 Die Beschwerdeführer beziehen sich erstmals vor Bundesgericht
hinsichtlich der Fristwahrung im kantonalen Verfahren auf die angebliche
Auskunft des Konkursbeamten. Dieses Vorbringen ist somit neu, im vorliegenden
Fall aber zulässig, da erst die Begründung des obergerichtlichen Urteils zu
diesem Einwand Anlass geboten hat.

3.2 Der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV)
verschafft unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Schutz
berechtigen Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges, bestimmte
Erwartungen begründendes Verhalten, sofern sich dieses auf eine konkrete, den
betreffenden Bürger berührende Angelegenheit bezieht (BGE 130 I 26 E. 8.1 S.
60). Zu diesen Voraussetzungen gehören insbesondere, dass die Behörde für die
Erteilung der Zusicherung zuständig war oder der Bürger sie aus zureichenden
Gründen als zuständig betrachten durfte und dass der Bürger die Unrichtigkeit
der Zusicherung bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit nicht ohne weiteres
erkennen konnte (129 II 361 E. 7.2 S. 381 f.).
3.3 Aus den kantonalen Akten ergeben sich indes keine Hinweise auf eine
Auskunft des Konkursbeamten. Das Obergericht nimmt in seiner Vernehmlassung
an das Bundesgericht zu dieser Frage nicht Stellung. Damit steht nicht fest,
ob und gegebenenfalls welche Erläuterungen der Konkursbeamte den
Beschwerdeführern überhaupt erteilt hat. Immerhin gehen die vor Bundesgericht
nunmehr anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer davon aus, dass sie gestützt
darauf 20 Tage Zeit gehabt hätten, um gegen den Kollokationsplan eine Klage
(und nicht etwa eine Beschwerde) einzureichen. Dies trifft denn auch zu,
soweit die Beschwerdeführer die Gläubigereigenschaft aufweisen und dartun,
die Forderungen gewisser Gläubiger seien zu Unrecht nicht kolloziert bzw.
kolloziert worden (Art. 250 Abs. 1 SchKG; Kurt Amonn/ Fridolin Walther,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl., Rz. 25 S. 252).
Soweit die Beschwerdeführer hingegen in Bezug auf den Kollokationsplan
Verfahrensfehler geltend machen wollen, haben sie innert 10 Tagen eine
Beschwerde nach Art. 17 SchKG einzureichen (Kurt Amonn/Fridolin Walther,
a.a.O., S. 250/251). Im vorliegenden Fall sind die Beschwerdeführer mit einer
als Beschwerde bezeichneten und als solche behandelten Eingabe an das
Obergericht gelangt, auf welche dieses wegen Verspätung nicht eingetreten
ist. Bereits aus dem Umstand, dass keine Klage sondern eine Beschwerde
eingereicht worden ist, ergibt sich, dass die Vorkehr nicht auf einer
vertrauensschaffenden unrichtigen Auskunft beruhen kann. Damit sind die
weiteren Voraussetzungen für die Bindungswirkungen einer unrichtigen
behördlichen Auskunft nicht zu prüfen. Nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens bildet schliesslich die Frage, ob das Obergericht die Beschwerde
der anwaltlich nicht vertretenen Parteien allenfalls als Kollokationsklage
hätte behandeln müssen.

4.
Schliesslich vertreten die Beschwerdeführer die Ansicht, der Konkursbeamte
hätte sie auf die bereits laufende Beschwerdefrist hinweisen müssen, als sie
mit ihm einen Termin für die Einsichtnahme in die Akten vereinbarten.

4.1 Gemäss den Ausführungen der Beschwerdeführer, für welche sich in den
kantonalen Akten allerdings keine Hinweise finden, habe der Konkursbeamte
ihnen für den 10. März 2006 einen Termin für die Einsichtnahme in die Akten
anerboten. Zu diesem (nicht näher bezeichneten) Zeitpunkt sei die Frist für
die Anfechtung des Kollokationsplanes bereits abgelaufen gewesen.

4.2 Die Frist zur Einreichung einer Kollokationsklage wie einer
Kollokationsbeschwerde beginnt mit der Veröffentlichung im SHAB zu laufen
(Art. 35 Abs. 1 SchKG). Vorliegend war diese bereits am 24. Februar 2006
erfolgt, womit es am 10. März 2006 zumindest für die Einreichung einer
Beschwerde zu spät war. Das Obergericht hat jedoch die Frist zur Einreichung
der Beschwerde erst ab der Publikation im kantonalen Amtsblatt berechnet, was
den Beschwerdeführern nicht zum Nachteil gereichte. Weshalb der Konkursbeamte
die Beschwerdeführer bei der angeführten Festlegung eines Datums für die
Akteneinsicht auf die aufgrund der Publikation im SHAB bereits laufende Frist
für die Anfechtung des Kollokationsplanes hätte hinweisen sollen, ist
zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht nachvollziehbar.

5.
Nach dem Gesagten ist den Beschwerden kein Erfolg beschieden. Ausgangsgemäss
tragen die Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Da sich ihre
Begehren als von vornherein aussichtslos erwiesen haben, sind ihre Gesuche um
unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 5P.251/2006 und 5P.252/2006 werden vereinigt.

2.
Die staatsrechtlichen Beschwerden werden abgewiesen, soweit auf sie
einzutreten ist.

3.
Das Gesuch der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

4.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern hälftig
auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Obergericht des Kantons Uri,
Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, sowie dem Konkursamt Uri
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. August 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: