Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.24/2006
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{T 0/2}
5P.24/2006 /blb

Urteil vom 2. Juni 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Ersatzrichter Riemer,
Gerichtsschreiber Schett.

Versicherung V.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Alexander Rabian,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Sidler,
Obergericht Nidwalden (Zivilabteilung, Kleine Kammer), Dorfplatz 7a, 6370
Stans.

Art. 29 Abs. 2 BV (Versicherungsvertrag),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts Nidwalden
(Zivilabteilung, Kleine Kammer) vom 12. Mai 2005.

Sachverhalt:

A.
Nach zweimaliger Rückweisung durch das Bundesgericht wurde die Versicherung
V.________ durch Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden
(Zivilabteilung, Kleine Kammer) vom 12. Mai 2005 verpflichtet, Y.________
Fr. 10'528.-- zuzüglich diverser Zinsbetreffnisse aus Versicherungsvertrag
(VVG) zu bezahlen, wohingegen die Widerklage abgewiesen wurde.

B.
Gegen dieses Urteil hat die Versicherung V.________ beim Bundesgericht
staatsrechtliche Beschwerde sowie Berufung eingereicht (5C.21/2006). Sie
beantragt mit jener die Aufhebung des angefochtenen Urteils, unter Kosten-
und Entschädigungsfolgen zulasten der Beschwerdegegnerin.

C.
Das Obergericht des Kantons Nidwalden hat am 27. April 2006 ausdrücklich auf
eine Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer
Vernehmlassung vom 4. Mai 2006 Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde,
eventualiter - bei Gutheissung - Regelung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen zulasten des Obergerichts des Kantons Nidwalden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Wird ein kantonales Urteil gleichzeitig mit staatsrechtlicher Beschwerde und
mit Berufung angefochten, wird in der Regel der Entscheid über Letztere bis
zur Erledigung der staatsrechtlichen Beschwerde ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5
OG). Vorliegend bestehen keine Gründe, von dieser Praxis abzuweichen.

2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihr sei dadurch im Sinne von Art. 29
Abs. 2 BV das rechtliche Gehör verweigert worden, dass das Obergericht mit
keinem Wort auf ihre in ihrer Novenduplik vom 25. Oktober 2004 vorgebrachte
Behauptung eingetreten sei, der fragliche Versicherungsvertrag sei deswegen
nichtig bzw. teilnichtig, weil bei der Beschwerdegegnerin im Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses das versicherte Ereignis schon eingetreten gewesen sei
(Rückfall im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis gemäss BGE 127 III 21 ff.).

3.
Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör.
Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs leitet das Bundesgericht in
ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Behörden ab, ihre Verfügungen und
Entscheide zu begründen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs als
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtstellung Betroffenen auch
tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung
berücksichtigt. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren
Entscheid zu begründen. Der Bürger soll wissen, warum die Behörde entgegen
seinem Antrag entschieden hat. Die Begründung eines Entscheids muss deshalb
so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht
anfechten kann. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er als auch die
Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen
können. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt
werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche sich ihr
Entscheid stützt (BGE 129 I 232 E. 3.2 mit Hinweisen). Das bedeutet indessen
nicht, dass sich diese ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und
jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf
die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 126 I 197
E. 2b S. 102/103 mit Hinweisen).
Gegen die genannten Pflichten hat vorliegend das Obergericht verstossen, da
es mit keinem Wort auf die fragliche Behauptung bzw. die Teilnichtigkeit
eingegangen ist, obwohl es sich dabei um einen für ihren Entscheid
wesentlichen Gesichtspunkt gehandelt hätte. Aus diesem Grunde war es auch
nicht etwa genügend, in ganz allgemeiner Form in der Prozessgeschichte darauf
hinzuweisen, es werde auf die Eingabe vom 25. Oktober 2004 "soweit sinnvoll
und erforderlich" eingegangen, zumal das Obergericht, das auf eine
Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde verzichtet hat, auch nicht
etwa geltend gemacht hat, es sei in dieser Formulierung eine stillschweigende
Verneinung der Relevanz der fraglichen Behauptung zu erblicken. Auch der
Hinweis der Beschwerdegegnerin auf Art. 242 ZPO/NW betreffend das
richterliche Ermessen bei Noven ist nicht stichhaltig, da sich das
Obergericht in der vorliegenden Frage gar nicht auf diese Bestimmung berufen
hat, und es hier nicht um die Zulässigkeit der Noven geht, sondern um den
Anspruch, gehört zu werden (eventuell auch ablehnend).

4.
Unter diesen Umständen ist das Urteil des Obergerichts vom 12. Mai 2005
aufzuheben und die Sache erneut an dieses zurückzuweisen. Dabei wird das
Obergericht zunächst zu prüfen haben, ob aufgrund von Art. 242 ZPO/NW (Noven)
auf die fragliche Behauptung (Rückfall) einzutreten ist, wobei
bejahendenfalls der Beschwerdegegnerin in der Folge Gelegenheit zur
Stellungnahme zu geben ist und anschliessend auch über diesen Punkt, mit
ausdrücklicher Begründung, zu entscheiden sein wird. Ein allfälliges
Nichteintreten wäre ebenfalls hinreichend zu begründen.

5.
Ausgangsgemäss wird die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1, Art. 159
Abs. 2 OG), denn entgegen der Beschwerdeanwort liegt kein Fall von Art. 156
Abs. 6 OG vor.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und das Urteil des
Obergerichts des Kantons Nidwalden (Zivilabteilung, Kleine Kammer) vom 12.
Mai 2005 wird aufgehoben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, die Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden
(Zivilabteilung, Kleine Kammer) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Juni 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: