Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.224/2006
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{T 0/2}
5P.224/2006 /blb

Urteil vom 27. November 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Hasenböhler,
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Guolf Töndury,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Markus Läuffer,
Obergericht (Zivilgericht, 2. Kammer) des Kantons Aargau, Obere Vorstadt 38,
5000 Aarau.

Art. 9 BV (Unterhaltsklage),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts (Zivilgericht,
2. Kammer) des Kantons Aargau vom 6. April 2006.

Sachverhalt:

A.
Der im Jahre 1982 geborene X.________ reichte mit Eingabe vom 31. Mai 2002
beim Bezirksgericht M.________ gegen Y.________, seinen Vater, Klage ein und
beantragte, diesen zu verpflichten, ihm rückwirkend ab Juni 2001
Unterhaltsbeiträge von monatlich Fr. 1'700.-- bis Juli 2001 und von monatlich
Fr. 2'500.-- ab August 2001 bis Juli 2005 (Zeitpunkt des Abschlusses seiner
Ausbildung), je zuzüglich Kinderzulagen, zu zahlen.
Am 10. Mai 2005 hiess das Bezirksgericht (3. Abteilung) die Klage teilweise
gut und verpflichtete Y.________, Unterhaltsbeiträge von monatlich Fr. 450.--
von Juni 2001 bis Juli 2001 und von monatlich Fr. 875.-- von August 2001 bis
Juni 2005 zu zahlen.

Y. ________ appellierte, worauf das Obergericht (Zivilgericht, 2. Kammer) des
Kantons Aargau am 6. April 2006 ihn in teilweiser Abänderung des
erstinstanzlichen Entscheids zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von
Fr. 450.-- von Juni 2001 bis Juli 2001, Fr. 590.-- von August 2001 bis
Dezember 2001, Fr. 875.-- von Juli 2004 bis August 2004 und Fr. 200.-- von
September 2004 bis Juni 2005 verpflichtete, unter Anrechnung bereits
geleisteter Zahlungen. Ferner ordnete die kantonale Appellationsinstanz an,
dass Y.________ die für X.________ in der Zeit von Januar 2002 bis Juni 2004
bezogenen Ausbildungszulagen an diesen weiterleite, unter Anrechnung bereits
weitergeleiteter Beträge.

B.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV
und verlangt, das obergerichtliche Urteil aufzuheben. Ausserdem stellt er das
Begehren, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, und ersucht er
darum, ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.

Y. ________ (Beschwerdegegner) beantragt, die Beschwerdebeilagen 3 und 4 aus
dem Recht zu weisen und die Beschwerde abzuweisen. Das Obergericht hat auf
eine Vernehmlassung ausdrücklich verzichtet.

C.
Durch Präsidialverfügung vom 30. Mai 2006 ist das Gesuch um aufschiebende
Wirkung abgewiesen worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht in verschiedener Hinsicht vor,
gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) verstossen zu haben. Wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte ist auch in Fällen, da - wie hier - an sich die
Berufung offen steht, die staatsrechtliche Beschwerde vorbehalten (Art. 43
Abs. 1 zweiter Satz OG). Aus dieser Sicht ist auf die vorliegende Beschwerde
ohne weiteres einzutreten.

2.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde können grundsätzlich keine Tatsachen und
Beweismittel vorgebracht werden, die nicht bereits im kantonalen Verfahren
geltend gemacht wurden (BGE 129 I 49 E. 3 S. 57). Soweit die Beilagen zur
vorliegenden Beschwerde nicht schon im kantonalen Verfahren eingereicht
worden waren, sind sie demnach unbeachtlich, zumal der Beschwerdeführer nicht
dartut, dass ein Grund für eine ausnahmsweise Zulassung gegeben sei und ein
solcher auch nicht ersichtlich ist.

3.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Herabsetzung der ihm für die
Monate August 2001 bis Dezember 2001 zugesprochenen Unterhaltsbeiträge und
gegen die Aufhebung des Unterhaltsanspruchs für die Zeit von Januar 2002 bis
Dezember 2003. Die Reduktion bzw. Aufhebung der Unterhaltsbeiträge beruhe auf
einer offensichtlich unrichtigen, willkürlichen Ermittlung des Einkommens des
Beschwerdegegners, was dazu geführt habe, dass ihm in willkürlicher Weise für
die erwähnten Zeitspannen zu tiefe bzw. gar keine Unterhaltsbeiträge
zugesprochen worden seien. Indem das Obergericht die Leistungsfähigkeit des
Beschwerdegegners willkürlich beurteilt habe, habe es auch Art. 277 ZGB
willkürlich angewandt.

3.1 Die Rüge der willkürlichen Anwendung von Art. 277 ZGB ist hier nicht zu
hören: Der massgebliche Streitwert überschreitet 8'000 Franken (Art. 46 OG),
so dass die Verletzung von Bundesrecht mit Berufung hätte geltend gemacht
werden können und müssen (vgl. Art. 43 Abs. 1 erster Satz und Art. 84 Abs. 2
OG).

3.2 Wegen willkürlicher Feststellung von Tatsachen greift das Bundesgericht
ein, wenn jene offensichtlich unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, auf einem offenkundigen Versehen
beruht oder sich sachlich in keiner Weise rechtfertigen lässt (BGE 128 I 81
E. 2 S. 86; 120 Ia 31 E. 4b S. 40 mit Hinweisen). Die Aufhebung eines
kantonalen Entscheids rechtfertigt sich in jedem Fall nur dort, wo nicht nur
die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 132 I 13 E. 5.1
S. 17; 129 I 49 E. 4 S. 58; 128 I 81 E. 2 S. 86, mit Hinweisen). Wird Willkür
gerügt, ist klar und detailliert aufzuzeigen, inwiefern der kantonale
Entscheid qualifiziert unrichtig sein soll; appellatorische Kritik, wie sie
allenfalls im Rahmen eines Berufungsverfahrens zulässig ist, ist
ausgeschlossen (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen).

4.
4.1 Bei der Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Beschwerdegegners hat die
kantonale Appellationsinstanz unter Berufung auf das im Eheschutzverfahren
zwischen den Eltern des Beschwerdeführers am 2. Dezember 2002 vom Obergericht
(5. Zivilkammer) des Kantons Aargau gefällte Urteil festgehalten, das
Einkommen habe sich in den Monaten Juni 2001 bis Dezember 2001 auf
Fr. 12'698.90 und in den Monaten Januar 2002 bis Dezember 2003 auf
Fr. 10'136.55 belaufen. Ausserdem stellte sie fest, die vom Beschwerdegegner
bezogenen Ausbildungszulagen seien als in den Unterhaltszahlungen, zu denen
er verpflichtet worden sei, inbegriffen zu betrachten, da solche Zulagen in
dem zu deckenden Bedarf des Kindes vorweg zu berücksichtigen seien und
vorliegend auch im Einkommen des Beschwerdegegners enthalten gewesen seien.

4.2 Der Beschwerdeführer macht zu Recht geltend, dass diese letzte
Feststellung unzutreffend ist: Nach den Angaben in dem vom Obergericht
beigezogenen Eheschutzentscheid verstanden sich die genannten
Einkommensbeträge ausdrücklich ohne Kinder- bzw. Ausbildungszulagen. Dass die
Höhe der für die fragliche Zeitspanne zugesprochenen Unterhaltsbeiträge
schlechterdings unhaltbar wäre, ist damit indessen nicht dargetan. Dem
Sachrichter steht bei der Bemessung des Mündigenunterhalts ein gewisses
Ermessen zu. Die in Frage stehenden Zulagen machen etwas mehr als ein Prozent
des jeweiligen Monatseinkommens aus. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt
werden, die zugesprochenen Unterhaltsbeiträge seien im Ergebnis vollkommen
unhaltbar.

5.
Für die Jahre 2002 und 2003 will der Beschwerdeführer zum Einkommen des
Beschwerdegegners ausserdem Versicherungsbeiträge des Arbeitgebers (Fr. 72.10
im Monat für 2002 bzw. Fr. 67.60 im Monat für 2003) hinzugerechnet wissen. Ob
er schon im kantonalen Verfahren Entsprechendes geltend gemacht hatte oder ob
das Vorbringen neu und deshalb unzulässig ist (dazu BGE 128 I 354 E. 6c
S. 357 mit Hinweisen), mag dahingestellt bleiben. Der Beschwerdeführer sagt
nichts zur Natur der Versicherungsbeiträge und legt auch in keiner Weise dar,
weshalb deren Nichtberücksichtigung gegen das Willkürverbot verstossen soll.

6.
Willkür erblickt der Beschwerdeführer ferner darin, dass das Obergericht beim
Einkommen des Beschwerdegegners für das Jahr 2002 die Nachzahlung der
früheren Arbeitgeberin, der G.________ SA (G.________ AG), von Fr. 3'934.--
nicht berücksichtigt habe. Er erklärt, schon im kantonalen Verfahren auf
dieses Zusatzeinkommen hingewiesen zu haben.
An der von ihm erwähnten Stelle der Appellationsantwort vom 29. September
2005 hatte der Beschwerdeführer bemerkt, ein Vergleich der Einkünfte zeige,
dass der Beschwerdegegner jeweils mehr als doppelt so viel verdient habe wie
seine, des Beschwerdeführers, Mutter, nämlich "im Jahre 2001: Fr. 159'579.--,
im Jahre 2002: Fr. 135'838.-- bei der H.________ AG und der G.________ AG, im
Jahre 2003: Fr. 139'309.-- und im Jahre 2004: Fr. 185'043.--". Anders als in
der vorliegenden Eingabe hatte der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren
somit den dem Beschwerdegegner im Jahre 2002 von der G.________ SA
zugeflossenen Betrag nicht beziffert und auch nicht vorgebracht, dass es sich
dabei um eine Lohnnachzahlung gehandelt habe. Vielmehr hatte er sich mit der
Angabe eines die Zahlungen der H.________ AG und der G.________ SA
erfassenden Pauschalbetrags begnügt. Was er in der staatsrechtlichen
Beschwerde ergänzend vorträgt, hat als neu zu gelten und ist deshalb
unbeachtlich.

7.
Schliesslich erklärt der Beschwerdeführer, der Beschwerdegegner habe von der
H.________ AG laut Salärabrechnung für Februar 2003 einen Bonus von netto
Fr. 9'685.50 erhalten, wovon gemäss obergerichtlichem Eheschutzurteil vom
2. Dezember 2002 zwei Drittel der Ehefrau zugestanden hätten. Den auf den
Beschwerdeführer persönlich entfallenden Drittel habe die Appellationsinstanz
bei der Ermittlung des Einkommens in willkürlicher Weise übergangen.
Dass er die Berücksichtigung der angeführten Zahlung schon im kantonalen
Verfahren verlangt hätte, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Er führt
lediglich aus, im vorliegenden Unterhaltsprozess seien alle Einkünfte des
Beschwerdegegners bekannt gewesen und dieser habe an der
Präliminarverhandlung vom 11. Juni 2003 die fragliche Salärabrechnung mit dem
Bonus von brutto Fr. 11'000.-- zu den Akten gegeben. In Anbetracht des
Gesagten erscheint auch das in der Beschwerde zu diesem Punkt Vorgebrachte
als neu. Es ist deshalb ebenfalls darauf nicht einzutreten.

8.
Soweit auf die Beschwerde einzutreten ist, ist sie nach dem Gesagten
abzuweisen. Sie erschien unter den dargelegten Umständen von vornherein als
aussichtslos. Das Gesuch des Beschwerdeführers, ihm für das
bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, ist
deshalb abzuweisen (vgl. Art. 152 Abs. 1 OG), und die Gerichtsgebühr ist
ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Bei
der Festsetzung der Höhe ist seiner prekären finanziellen Lage Rechnung zu
tragen (Art. 153a Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer ist ausserdem zu
verpflichten, den Beschwerdegegner für seine Umtriebe im bundesgerichtlichen
Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers, ihm für das bundesgerichtliche Verfahren
die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Der Beschwerdeführer wird verpflichtet, den Beschwerdegegner für seine
Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (Zivilgericht, 2. Kammer)
des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. November 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: