Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.179/2006
Zurück zum Index II. Zivilabteilung 2006
Retour à l'indice II. Zivilabteilung 2006


{T 0/2}
5P.179/2006 /blb

Urteil vom 14. August 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Brunner,
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jakob Rhyner,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Reto Fischer,
Kantonsgericht St. Gallen (Einzelrichter im Familienrecht), Klosterhof 1,
9001 St. Gallen.

Art. 8, 9 und 29 Abs. 2 BV (Eheschutz),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts
St. Gallen (Einzelrichter im Familienrecht) vom 29. März 2006.

Sachverhalt:

A.
Der im Jahre 1952 geborene X.________ und die im Jahre 1951 geborene
Y.________ führten eine langjährige Ehe mit traditioneller Arbeitsteilung.
Ihre gemeinsame Tochter A.________ ist volljährig und seit Mai 2006
wirtschaftlich selbständig.

B.
X.________ war im März 2004 aus der Familienwohnung ausgezogen, und die
Ehegatten hatten sich auf Zusehen hin über die Folgen des Getrenntlebens
geeinigt. Nachdem X.________ die vereinbarten Unterhaltsleistungen ab Mai
2005 gekürzt hatte, stellte Y.________ mit Eingabe vom 24. Oktober 2005 beim
Kreisgerichtspräsidium T.________ ein Begehren um Erlass von
Eheschutzmassnahmen.
Am 10. Januar 2006 entschied der Kreisgerichtspräsident unter anderem, dass
X.________ verpflichtet werde, Y.________ rückwirkend ab 1. Mai 2005
Unterhaltsbeiträge von monatlich Fr. 2'300.-- zu zahlen, und dass die
eheliche Wohnung sowie das Fahrzeug "Audi" zur Benutzung der Ehefrau
zugewiesen würden.
In teilweiser Gutheissung eines Rekurses von Y.________ änderte der
Einzelrichter im Familienrecht am Kantonsgericht St. Gallen diesen Entscheid
am 29. März 2006 hinsichtlich der Unterhaltsbeiträge insofern ab, als er
X.________ verpflichtete, der Ehefrau ab Mai 2005 Fr. 3'300.--, ab November
2005 Fr. 3'600.--, ab Mai 2006 Fr. 3'800.-- und ab Juli 2006 Fr. 3'650.-- zu
zahlen.

C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und verlangt, den Entscheid des
Einzelrichters im Familienrecht aufzuheben.
Durch Präsidialverfügung vom 4. Mai 2006 ist das Gesuch des
Beschwerdeführers, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen,
abgewiesen worden.
Vernehmlassungen zur Beschwerde sind nicht eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der im Eheschutzverfahren ergangene Entscheid der oberen kantonalen Instanz
gilt nicht als Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG und ist daher
nicht mit Berufung anfechtbar. Hingegen ist in einem solchen Fall die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
gegeben (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG; BGE 127 III 474 E. 2 S. 476 ff.). Auf die
vorliegende Beschwerde ist aus dieser Sicht deshalb einzutreten.

2.
Im Bereich der Verfassungsbeschwerde gilt der Grundsatz der richterlichen
Rechtsanwendung nicht. Das Bundesgericht prüft nur gestützt auf (im Sinne von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) klar und detailliert erhobene und, soweit möglich,
belegte Rügen, ob ein kantonaler Entscheid verfassungswidrig ist. Auf rein
appellatorische Kritik, wie sie allenfalls im Rahmen eines
Berufungsverfahrens zulässig ist, wird nicht eingetreten (BGE 130 I 258
E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 117 Ia 10 E. 4b
S. 11 f.). Bei der Willkürrüge ist klar und detailliert aufzuzeigen,
inwiefern der kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar sein, eine Norm
oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzen oder sonst wie in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen soll (BGE 132 I 13
E. 5.1 S. 17; 131 I 57, E. 2 S. 61, und 217, E. 2.1 S. 219; 130 I 258 E. 1.3
S. 262, mit Hinweisen).

3.
Eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV) und des Gebots der
Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) erblickt der Beschwerdeführer darin, dass der
kantonale Rekursrichter im Rahmen der Bemessung der Unterhaltsbeiträge der
Beschwerdegegnerin ein monatliches Erwerbseinkommen von lediglich
Fr. 2'000.-- zugemutet habe, obschon er, der Beschwerdeführer, dargetan habe,
dass sie mindestens Fr. 2'800.-- im Monat zu verdienen in der Lage wäre.
Dadurch, dass der kantonale Richter davon abgesehen habe, den Geschäftsführer
der Autobahnraststätten "E.________" und "F.________" einzuvernehmen, den er
als Zeuge zur Bestätigung der geltend gemachten Verdienstmöglichkeit
angerufen habe, sei zudem sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2
BV) missachtet worden.

4.
4.1 Der kantonale Rekursrichter weist darauf hin, dass die Beschwerdegegnerin
zur Zeit als Serviceangestellte bei einem Beschäftigungsgrad von 25 % einen
Nettolohn von monatlich Fr. 1'000.-- erziele, was für das Gastgewerbe schon
eher viel sei. Die Beschwerdegegnerin gebe zwar an, ihre Tätigkeit am
heutigen Arbeitsort nicht ausbauen zu können, sei aber bereit, sich nach
einer Halbtagsstelle umzusehen. Auch der erstinstanzliche Richter habe ein
Arbeitspensum von 50 % für angemessen gehalten, und der Beschwerdeführer
selbst habe ein solches früher ebenfalls als vernünftig erklärt. Der
kantonale Rekursrichter ist der Ansicht, dass eine ausgedehntere
Erwerbstätigkeit jedenfalls nicht angebracht sei, wenn die Beschwerdegegnerin
sich mit einer unabdingbaren Weiterbildung und einer wohlüberlegten Suche
nach einer Lebensstellung eine Chance auf einen bescheidenen beruflichen
Aufstieg solle wahren können. Offen bleibe, mit welchem Lohn die
Beschwerdegegnerin vorerst werde rechnen können. Es lasse sich vertreten, das
gegenwärtige Einkommen als Basis zu nehmen und auf einen Beschäftigungsgrad
von 50 % umzurechnen, zumal auch der Durchschnittslohn für einfache
Tätigkeiten im Gesundheits- und Sozialwesen in dieser Grössenordnung liege.
Möglich und zumutbar scheine damit ein Verdienst von höchstens Fr. 2'000.--
netto im Monat.

4.2 Schon im kantonalen Verfahren hatte der Beschwerdeführer verlangt, dass
der Beschwerdegegnerin ein Monatseinkommen von Fr. 2'800.-- angerechnet
werde. Wie dem angefochtenen Entscheid zu entnehmen ist, beruht dieser Betrag
auf der Auffassung des Beschwerdeführers, der Beschwerdegegnerin sei ein
Beschäftigungsgrad von 80 % zuzumuten.
Die Ausführungen in der vorliegenden Beschwerde zielen insofern an der Sache
vorbei, als der kantonale Rekursrichter von einer Erwerbstätigkeit von 50 %
ausgegangen ist und sich bei einer Umrechnung des von ihm zugrunde gelegten
Salärs auf 80 % sogar ein Betrag von über Fr. 2'800.-- ergäbe. Mit dem vom
kantonalen Richter festgelegten Beschäftigungsgrad setzt sich der
Beschwerdeführer in keiner Weise auseinander, und er legt denn auch nicht
dar, inwiefern der angefochtene Entscheid in dieser Hinsicht willkürlich sein
bzw. gegen Art. 8 BV verstossen soll (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Dass
sich in den von ihm erwähnten Raststätten ein Erwerbseinkommen von
Fr. 2'800.-- bei einem Beschäftigungsgrad von 50 % erzielen liesse, macht der
Beschwerdeführer im Übrigen selbst nicht geltend.

4.3 Nach dem Gesagten ist auch die Rüge der Missachtung des Gehörsanspruchs
unbegründet:
4.3.1 Art. 29 Abs. 2 BV verleiht dem von einem Verfahren Betroffenen ein
persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht. Der Betroffene soll in den
Punkten, die geeignet sind, den zu erlassenden in seine Rechtsstellung
eingreifenden Entscheid zu beeinflussen, unter anderem erhebliche Beweise
beibringen können (BGE 129 II 497 E. 2.2 S. 504 f. mit Hinweisen). Die
genannte Bestimmung hindert den Sachrichter jedoch nicht daran, einem
beantragten Beweismittel auf Grund einer vorweggenommenen Beweiswürdigung,
weil er seine Überzeugung bereits aus anderen Beweisen gewonnen hat und davon
ausgeht, dass weitere Abklärungen am massgeblichen Beweisergebnis nichts mehr
zu ändern vermöchten, die Tauglichkeit abzusprechen (vgl. BGE 130 III 591
E. 5.4 S. 602; 129 III 18 E. 2.6 S. 24 f.). Verfassungswidrig ist das
Übergehen des Beweisantrags in einem solchen Fall einzig dann, wenn die
vorweggenommene Beweiswürdigung willkürlich ist (BGE 128 I 81 E. 2 S. 86; 120
Ia 31 E. 4b S. 40 mit Hinweisen).

4.3.2 Zum Beweis seines Vorbringens, in einer Autobahnraststätte liessen sich
für die Beschwerdegegnerin mindestens Fr. 2'800.-- im Monat verdienen, hatte
der Beschwerdeführer im Eheschutzverfahren G.________, Geschäftsführer der
Raststätten "E.________" und "F.________", als Zeuge angerufen. Das
Beweisbegehren hat er in seiner Rekursantwort vom 27. Februar 2006 erneuert.
In Anbetracht der Tatsache, dass der kantonale Rekursrichter nicht wie der
Beschwerdeführer von einem Beschäftigungsgrad von 80 %, sondern von einem
solchen von nur 50 % ausgegangen ist, ist sein Entschluss, den angerufenen
Zeugen - in vorweggenommener Beweiswürdigung - nicht einzuvernehmen, nicht zu
beanstanden, zumal der von ihm angenommene Basislohn sogar höher liegt als
der vom Beschwerdeführer für eine Tätigkeit in einer Raststätte geltend
gemachte.

5.
Der kantonale Rekursrichter hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesgerichts bemerkt, dass das von ihm festgesetzte hypothetische Einkommen
von monatlich Fr. 2'000.-- der Beschwerdegegnerin nicht rückwirkend
angerechnet werden könne; es sei dieser eine Übergangszeit einzuräumen.
Angesichts der Tatsache, dass seit der Trennung schon zwei Jahre und seit der
"Aufkündigung" der zwischen den Parteien vereinbarten Unterhaltsregelung bald
zwölf Monate vergangen seien, sei die Übergangszeit auf drei Monate zu
bemessen.
Was der Beschwerdeführer gegen die Auffassung des kantonalen Rekursrichters
zu diesem Punkt ausführt, ist rein appellatorischer Natur und demnach weder
hinsichtlich des Grundsatzes der Einräumung einer Übergangszeit noch
bezüglich der Bemessung ihrer Dauer geeignet, die Rüge der Willkür als
begründet erscheinen zu lassen. Soweit er sich zusätzlich auf Art. 8 BV
(Gebot der Rechtsgleichheit) beruft, legt der Beschwerdeführer nicht dar,
inwiefern dieser Bestimmung hier eine über das Willkürverbot (Art. 9 BV)
hinausgehende Bedeutung zukommen soll (dazu BGE 131 I 394 E. 4.2 S. 399).

6.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen.  Bei diesem
Ausgang ist die Gerichtsgebühr dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156
Abs. 1 OG). Da keine Vernehmlassungen eingeholt worden und der
Beschwerdegegnerin somit keine Kosten erwachsen sind, entfällt die
Zusprechung einer Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen
(Einzelrichter im Familienrecht) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. August 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: