Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.134/2006
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{T 0/2}
5P.134/2006 /blb

Urteil vom 26. Juni 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Gysel.

1. X.________,
2.Y.________,
Beschwerdeführerinnen,
beide vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Christian Schroff,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16,
8570 Weinfelden.

Art. 8, 9, 12 und 29 Abs. 3 BV (Alimentenbevorschussung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 8. Februar 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________, geboren im Jahre 1991, ist die Tochter von M.________ (...) und
V.________. Das Bezirksgericht T.________ stellte die Vaterschaft mit Urteil
vom 21. Dezember 1992 fest und verpflichtete V.________ zu monatlichen
Unterhaltsbeiträgen. Die Mutter lebt mit ihrer neu gegründeten Familie seit
längerer Zeit im Ausland. Bis heute unterliegt sie keiner gerichtlich oder
vertraglich festgesetzten Unterhaltsverpflichtung.
Praktisch seit ihrer Geburt wird X.________ durch die Grossmutter
mütterlicherseits, Y.________, betreut. Mit Beschluss der
Vormundschaftsbehörde G.________ vom 22. April 2003 wurde der Mutter die
elterliche Sorge für X.________ entzogen. Für das Kind wurde eine
Vormundschaft angeordnet und Y.________ als Vormund ernannt.
Mit Entscheid vom 18. Juni 2004 wies das Departement für Justiz und
Sicherheit des Kantons Thurgau die Vormundschaftsbehörde G.________ an, zur
Entlastung der überforderten Y.________ einen Mitvormund oder allenfalls
einen Beistand zu bestellen, der die zur Sicherstellung des Unterhalts von
X.________ erforderlichen Handlungen selbständig vornehme. Hierauf errichtete
die Vormundschaftsbehörde G.________ am 10. August 2004 für X.________ eine
Vertretungsbeistandschaft im Sinne von Art. 392 Ziff. 2 ZGB. Zur Beiständin
wurde B.________ ernannt, und dieser wurde der Auftrag erteilt, die
unterhaltsrechtlichen Ansprüche von X.________ geltend zu machen.

B.
Mit Eingabe vom 23. August 2004 stellte B.________ bei der
Sozialhilfekommission G.________ das Gesuch um Alimentenbevorschussung für
X.________.
Die Sozialhilfekommission G.________ fasste am 1. November 2004 folgenden
Beschluss:
"1.Dem Gesuch um Alimentenbevorschussung von B.________ zugunsten von
X.________ wird entsprochen. Der monatliche Alimentenvorschuss wird auf
CHF 667.00 festgesetzt.

2. Die Auszahlung erfolgt monatlich im Voraus auf das durch die gesetzliche
Betreuerin, B.________, neu zu eröffnende, auf X.________ lautende, Konto,
rückwirkend per 1. September 2004.

3. Die ausstehenden Krankenkassenprämien gem. KVG für X.________ (offener
Saldo per Ende September 04: Fr. 1'258.20) sind mit den Kinderalimenten zu
verrechnen und die laufenden Prämien sind direkt aus den Kinderalimenten
durch die gesetzliche Betreuerin zu begleichen. Der verbleibende Betrag wird
B.________ zugunsten von X.________ zur Deckung der Kindsbedürfnisse
überlassen inkl. eines allfälligen Pflegegeldes und/oder wird zum
Kindsvermögen geschlagen.

4. Der Unterhaltsbeitrag der Mutter ist durch die gesetzliche Betreuerin,
B.________ zu prüfen und allenfalls geltend zu machen."
Gegen diesen Entscheid erhoben X.________ und Y.________ am 16. November 2004
Rekurs beim Departement für Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau und
stellten die folgenden Anträge:
"1.Die Ziffern 1 bis 3 des Dispositives der angefochtenen Verfügung seien
aufzuheben.

2. Der Rekurrentin 2 (Y.________) sei rückwirkend auf den 27. Mai 2003 ein
monatlicher Alimentenvorschuss von Fr. 667.00 zuzusprechen.

3. Die monatlichen Alimentenvorschüsse seien den Indexveränderungen
entsprechend dem Urteil des Bezirksgerichts T.________ vom 21.12.1992
(Ziff. 2 des Dispositives) anzupassen.

4. Es sei die Vorinstanz superprovisorisch anzuweisen, die
Alimentenbevorschussung in der Höhe von Fr. 667.00 ab dem 1. September 2004
der Rekurrentin 2 (Y.________) auszubezahlen.

5. Für dieses Rekursverfahren sei den Rekurrentinnen die unentgeltliche
Prozessführung sowie der Beizug eines Offizialanwalts zu bewilligen.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen."
Mit Schreiben vom 21. Juni 2005 gelangte das Departement für Finanzen und
Soziales an den Rechtsvertreter von X.________ und Y.________ und führte
unter anderem Folgendes aus:
"Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die Rekursinstanz im eingangs
erwähnten Rekursverfahren von ihrem Recht, zu Ungunsten des Rekurrenten
entscheiden zu können, Gebrauch machen und die Verfügung der Vorinstanz vom
1. November 2004 aufheben wird. Die Mutter von X.________ wurde bis anhin
nicht zur Zahlung von Unterhaltsleistungen angehalten. Damit ist von der
Vermutung auszugehen, dass X.________ unentgeltlich bei ihrer Grossmutter
Y.________ untergebracht ist (Art. 294 Abs. 2 ZGB). Unter diesen Umständen
entfällt gemäss § 15 Abs. 3 des Sozialhilfegesetzes der Anspruch auf
Bevorschussung der Alimente grundsätzlich. Der Gesetzgeber erachtet es als
stossend, müsste das Gemeinwesen Leistungen erbringen, derweil die Eltern von
denjenigen, die diese Leistungen vom Staat einfordern, von ihren gesetzlichen
Unterhaltspflichten entbunden werden. Das Rechtsinstitut der Bevorschussung
darf nicht dazu missbraucht werden, die Unterhaltspflichten der Eltern auf
das Gemeinwesen abzuwälzen."
Innert der den beiden bis zum 12. Juli 2005 angesetzten Frist ging keine
Reaktion ein.
Das Departement für Finanzen und Soziales entschied hierauf am 6. September
2005 was folgt:
"1.Auf den Rekurs der Rekurrentin 1 (X.________) wird nicht eingetreten.

2. Die Bevorschussung der Alimente der Rekurrentin 1 (X.________) durch die
Vorinstanz wird aufgehoben.

3. Auf die Anträge der Rekurrentin 2 (Y.________) wird zufolge
Gegenstandslosigkeit nicht eingetreten.

4. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

5. Der Antrag auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung wird abgewiesen."

C.
Am 28. September 2005 erhoben X.________ und Y.________ Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit den Anträgen, der Entscheid des
Departements für Finanzen und Soziales vom 6. September 2005 sei aufzuheben
und die Sozialhilfekommission der Stadt G.________ anzuweisen, Y.________
rückwirkend per 27. Mai 2003 indexierte Alimentenvorschüsse von monatlich
Fr. 667.-- zu bezahlen. Ferner sei den beiden sowohl für das Rekursverfahren
vor dem Departement für Finanzen und Soziales als auch für das
verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Prozessführung
sowie der Beizug eines Offizialanwalts zu bewilligen.
Das Verwaltungsgericht wies mit Entscheid vom 8. Februar 2006 die Beschwerde
ab (Dispositiv-Ziffer 1), schützte aber das Gesuch um Offizialverbeiständung
für das Rekursverfahren (Dispositiv-Ziffer 2). Für das Beschwerdeverfahren
wurden keine Kosten erhoben (Dispositiv-Ziffer 3), und das Gesuch um
Offizialverbeiständung für das Beschwerdeverfahren wurde abgewiesen
(Dispositiv-Ziffer 4).

D.
X.________ und Y.________ haben staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit den
Rechtsbegehren, die Dispositiv-Ziffern 1 und 4 des verwaltungsgerichtlichen
Entscheids vom 8. Februar 2006 aufzuheben und ihnen für das
bundesgerichtliche Verfahren sowohl die unentgeltliche Rechtspflege als auch
die Offizialverbeiständung zu gewähren.
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Departement für Finanzen und Soziales war auf den Rekurs von
X.________ nicht eingetreten, und das Verwaltungsgericht hat die gegen den
Nichteintretensentscheid erhobene Beschwerde abgewiesen. In der auch im Namen
von X.________ eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde wird mit keinem
Wort ausgeführt, inwiefern der angefochtene Entscheid in dieser Hinsicht
gegen verfassungsmässige Rechte verstossen soll. Soweit im Namen dieser
Beschwerdeführerin erhoben, ist auf die Beschwerde deshalb mangels
hinreichender Begründung nicht einzutreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).

2.
Die Beschwerdeführerin Nr. 2 (Y.________; im Folgenden: die
Beschwerdeführerin), in deren Namen die Beschwerde ebenfalls geführt wird,
bringt vor, sie sei ohne jegliche finanzielle Unterstützung, falls ihr der
Unterhaltsbeitrag, den der leibliche Vater von X.________ schulde, nicht
bevorschusst werde. Sie versinke in den Schulden, weil ihr keine einzige
Behörde helfe. Der angefochtene Entscheid verstosse deshalb gegen den
Anspruch auf Hilfe in Notlagen gemäss Art. 12 BV.
Die Rüge ist unbegründet: Soweit gestützt auf das kantonale öffentliche Recht
eine Bevorschussung eines Unterhaltsbeitrags nicht möglich ist, dieser aber
auch seitens des Unterhaltschuldners nicht erbracht wird, hat die betroffene
Person, falls ihr Existenzminimum nicht gedeckt ist, Anspruch auf
Fürsorgeleistungen. Nur dann, wenn solche trotz eines entsprechenden Gesuchs
ungerechtfertigt verweigert würden, wäre Art. 12 BV verletzt. Derartiges wird
hier nicht geltend gemacht.

3.
Eine Missachtung des Rechtsgleichheitsgebots (Art. 8 BV) und einen Verstoss
gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) erblickt die Beschwerdeführerin darin,
dass ihr, die sie X.________ als Vormund betreue, kein Anspruch auf
Alimentenbevorschussung zustehen solle, während ein solcher Anspruch dem
leiblichen Elternteil, bei dem das Kind aufwachse, eingeräumt werde. Es gebe
keinen ersichtlichen Grund, ein Pflegekind in der hier vorliegenden
Konstellation sozialhilferechtlich schlechter zu stellen als ein Kind, das
bei einem Elternteil aufwachse.

3.1 Unter Hinweis auf seinen Entscheid vom 2. März 2005 betreffend ein
Begehren der Beschwerdeführerinnen um superprovisorische
Alimentenbevorschussung hat das Verwaltungsgericht eine Ausrichtung solcher
Leistungen unter anderem mit der Begründung abgelehnt, gegen die
Beschwerdeführerin Nr. 2 laufe eine Lohnpfändung. Es stehe ihr zu wenig Geld
zur Verfügung, um sämtlichen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.
Dieses Problem werde durch die Auszahlung einer Alimentenbevorschussung an
sie selber nicht gelöst, denn auf Grund von Art. 93 SchKG wäre die einzige
Folge die, dass ihre pfändbare Quote um die ausbezahlten
Alimentenbevorschussungen angehoben würde. Damit erscheine die Entrichtung
einer Bevorschussung an die Beschwerdeführerin nicht sinnvoll.

3.2 Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, dass und inwiefern diese  der
Abweisung der Beschwerde zugrunde liegende Begründung verfassungsmässige
Rechte verletzen sollte. Stützt sich der angefochtene Entscheid aber auf
mehrere Begründungen, genügt es nicht, bloss eine davon als verfassungswidrig
zu rügen. Es ist vielmehr bezüglich jeder von ihnen in einer den
Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Form darzutun, dass der
angefochtene Entscheid vor der Verfassung nicht stand halte (dazu BGE 129 I
185 E. 1.6 S. 189; 121 IV 94 E. 1b S. 95). Auf die Beschwerde ist somit auch
in diesem Punkt nicht einzutreten.

4.
Schliesslich macht die Beschwerdeführerin geltend, ihr Antrag auf
Offizialverbeiständung für das kantonale Beschwerdeverfahren sei einzig wegen
Aussichtslosigkeit abgelehnt worden. Das Verwaltungsgericht habe dabei jedoch
übersehen, dass sie mit ihrer Beschwerde zumindest insoweit Erfolg gehabt
habe, als es ihren Beschwerdeantrag bezüglich der Offizialverbeiständung für
das Rekursverfahren vor dem Departement für Finanzen und Soziales geschützt
habe. Die Verweigerung der Offizialverbeiständung verstosse gegen die
Bestimmungen von Art. 8, 9 und 29 Abs. 3 BV.
Die Beschwerdeführerin verkennt, dass das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos wurde, soweit sie obsiegt
hatte. Sie hätte möglicherweise gestützt auf das kantonale Prozessrecht wegen
der Gutheissung eines ihrer Anträge Anspruch auf eine (reduzierte)
Parteientschädigung gehabt, nicht aber auf die - mit der staatsrechtlichen
Beschwerde als einziges angestrebte - Offizialverbeiständung. Die Rüge ist
daher unbegründet.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Sie erschien unter den dargelegten Umständen von vornherein als
aussichtslos. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und
Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren ist daher abzuweisen
(vgl. Art. 152 Abs. 1 OG), und die Gerichtsgebühr ist ausgangsgemäss den
Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerinnen, ihnen für das bundesgerichtliche
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren,
wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird den Beschwerdeführerinnen auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Juni 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: