Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.124/2006
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{T 0/2}
5P.124/2006 /ast

Urteil vom 2. August 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber von Roten.

Erben der X.________, nämlich:

1. A.Y.________,

2. B.Y.________,

3. C.Y.________,
Beschwerdeführer,
alle vertreten durch Rechtsanwalt A.Y.________,

gegen

Schweizerische Bundesbahnen SBB AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Jon Andri Moder,
Kantonsgericht von Graubünden, Zivilkammer, Poststrasse 14, 7002 Chur.

Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV (Bauhöhenbeschränkung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von
Graubünden, Zivilkammer, vom 3. Oktober 2005.

Sachverhalt:

A.
Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB AG (fortan: Beschwerdegegnerin) ist
Eigentümerin der Parzelle Nr. a.________, Grundbuch der Gemeinde Chur. Die
Parzelle Nr. a.________ liegt an der östlichen Grenze der 1983 geschaffenen
Bahnhofzone im nachmaligen Quartierplanbereich F. An dieses Areal F schliesst
im Osten das Wohnquartier "Brandis" an mit - neben anderen - den Parzellen
Nrn. b.________ und c.________. Die beiden Parzellen standen bis zu ihrem Tod
im Jahre 1994 im Eigentum von X.________. Eigentümer sind heute ihre Erben,
nämlich ihr Sohn A.Y.________ sowie dessen Töchter B.Y.________ und
C.Y.________ (hiernach: Beschwerdeführer).

B.
Gemäss dem 1988 aufgelegten Gesamtüberbauungsplan für die Bahnhofzone
(abgekürzt: GÜP 1988) hätte im Bereich F auf der Parzelle Nr. a.________ der
sog. Nordtrakt mit vier Obergeschossen und einer maximalen Höhe von
ca. 17.8 m (584.70 - 602.50 m.ü.M.) erstellt werden dürfen. Die damalige
Eigentümerin der Parzellen Nrn. b.________ und c.________, vertreten durch
ihren Sohn, erhob dagegen am 25. April 1988 Einsprache beim Stadtrat von Chur
mit unter anderem dem Begehren, den Nordtrakt aus den Plänen zu streichen,
eventuell nur mit zwei statt vier Obergeschossen zu bewilligen.

Am 25. Mai 1988 fanden zwischen den Parteien Vergleichsgespräche statt, an
denen ein Vertreter des Bauamtes der Stadt Chur teilnahm. Mit Schreiben vom
30. Mai 1988 teilte die Einsprecherin dem Stadtrat von Chur mit, dass sie
bereit sei, ihre Einsprache zurückzuziehen, wenn gemäss ihr unterbreitetem
Angebot der Nordtrakt lediglich bis zum 3. Obergeschoss, d.h. bis zu einer
Höhe von maximal 14.8 m (599.50 m.ü.M.) ausgeführt werde. Die Details zu
diesem Rückzug müssten zuvor noch festgelegt werden, insbesondere müsse eine
rechtsverbindliche und dauerhafte gegenseitige Form der Absicherung
(Grundbucheintrag) noch bestimmt werden, und es sei auszuhandeln, ob und
gegebenenfalls wo und in welcher Menge über die festgelegte Maximalhöhe
hinaus Dachaufbauten erstellt werden dürften.

Der Vorsteher des städtischen Bauamtes antwortete der Einsprecherin am
1. Juni 1988 unter anderem, er werde ihre Eingabe an die zuständige Stelle
weiterleiten mit der Anfrage, ob unter den gegebenen Bedingungen eine
Anpassung vorgenommen werden könnte. Falls die Beschwerdegegnerin bereit sei,
auf den skizzierten Vorschlag einzugehen, so würde der Quartierplan
entsprechend geändert. Sobald er im Besitze der Antwort der
Beschwerdegegnerin sei, würde er wieder mit der Einsprecherin in Kontakt
treten.

Die Einsprecherin und die Beschwerdegegnerin schlossen am 6. Juli 1988 eine
Vereinbarung "betreffend Rückzug der Einsprache gegen den
Gesamtüberbauungsplan im Bahnhofgebiet Chur" und legten darin die Bedingungen
- maximale Gebäudehöhe des Nordtrakts (599.50 m.ü.M.) und zulässige
Dachaufbauten - für den Rückzug der Einsprache gegen den GÜP 1988 fest. In
der Folge wurde der GÜP 1988 gemäss der Vereinbarung angepasst und im
Grundbuch angemerkt, der Nordtrakt auf der Parzelle Nr. a.________ indessen
nie ausgeführt und der Planbereich F durch den 2002 aufgelegten
Gesamtüberbauungsplan für die Bahnhofzone (abgekürzt: GÜP 2002) neu
gestaltet. Danach hätten im Bereich F auf der Parzelle Nr. a.________ zwei
Gebäude F 1 und F 2 erstellt werden dürfen, wobei die maximale Höhe des - den
Parzellen der Beschwerdeführer näher gelegenen - Gebäudes F 2 mit ca. 17.5 m
(602.40 m.ü.M.) angegeben war.

Einsprachen der Beschwerdeführer gegen die im GÜP 2002 vorgesehenen Gebäude
F 1 und F 2 blieben erfolglos. Anfangs Oktober 2003 erhoben die
Beschwerdeführer Klage gegen die Beschwerdegegnerin mit den Begehren, es sei
festzustellen, dass die Vereinbarung vom 6. Juli 1988 nach wie vor gültig
sei, es sei das von der Vereinbarung betroffene Baufenster, innerhalb welchem
für die zu erstellenden Neubauten insbesondere eine maximale Höhe von
599.50 m.ü.M. gelte, auf das neu geplante Gebäude F 2 auszudehnen und es sei
die Vereinbarung unter Berücksichtigung der vorstehend umschriebenen
Erweiterung neu als Grunddienstbarkeit zulasten der Parzelle Nr. a.________
der Beschwerdegegnerin und zugunsten der Parzelle Nr. b.________ der
Beschwerdeführer im Grundbuch von Chur einzutragen. Das Bezirksgericht
Plessur wies die Klage ab (Urteil vom 8. Februar 2005). Die Berufung der
Beschwerdeführer wies das Kantonsgericht von Graubünden ab (Urteil vom
3. Oktober 2005).

C.
Die Beschwerdeführer haben gegen das Urteil des Kantonsgerichts
staatsrechtliche Beschwerde erhoben und eidgenössische Berufung eingelegt.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragen sie dem Bundesgericht, das
angefochtene Urteil aufzuheben. Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt
worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Kantonsgericht hat angenommen, mit der Vereinbarung der Parteien vom
6. Juli 1988 sei unstreitig ein Vertrag zustande gekommen. Uneinigkeit
bestehe hinsichtlich des Vertragsinhaltes bzw. der Frage, worauf sich die
übereinstimmenden Willenserklärungen erstreckten. Der Sohn der Einsprecherin
als deren Vertreter habe am 25. April 1988 Einsprache gegen den GÜP 1988
erhoben, am 25. Mai 1988 mit dem Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin in
Anwesenheit eines Vertreters des städtischen Bauamtes Vergleichsgespräche
geführt und am 30. Mai 1988 die Ergebnisse in einem Schreiben an den Stadtrat
zusammengefasst und dabei ausgeführt, vor einem Rückzug der Einsprache müsse
"eine rechtsverbindliche und dauerhafte gegenseitige Form der Absicherung
(Grundbucheintrag) noch bestimmt werden". Angesichts dieser Äusserung sei
nicht auszuschliessen, dass der Einsprecherin die Sicherung der Rechte in
Form eines Dienstbarkeitsvertrags vorgeschwebt habe. Es sei deshalb
namentlich die Frage zu beantworten, ob die Willenserklärungen der Parteien
auf Grund der gesamten Umstände und unter korrekt denkenden und handelnden
Menschen dahin zu verstehen seien, dass die Beschwerdegegnerin damit dem
jeweiligen Grundeigentümer der Parzelle Nr. b.________ auf Dauer versprochen
habe, nicht höher als 599.50 m.ü.M. zu bauen (E. 3c S. 15 f. des
angefochtenen Urteils).

Das Kantonsgericht hat die Vereinbarung vom 6. Juli 1988 nach Massgabe des
"korrekt denkenden und handelnden Menschen" und damit objektiviert ausgelegt.
Diese Auslegung kann das Bundesgericht als Rechtsfrage auf Berufung hin frei
überprüfen (BGE 131 III 467 E. 1.1 S. 469 f.). Vorrangiges Auslegungsmittel
ist dabei der Wortlaut, ergänzend dürfen aber die Begleitumstände des
Vertragsschlusses oder die Interessenlage der Parteien in jenem Zeitpunkt
berücksichtigt werden (BGE 131 III 377 E. 4.2.1 S. 382 und 606 E. 4.2
S. 611 f.).

Im Rahmen der objektivierten Auslegung betreffen Tatfragen und sind - von
Ausnahmen abgesehen (Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG) - der bundesgerichtlichen
Überprüfung im Berufungsverfahren entzogen die Feststellungen darüber, was im
Einzelnen Inhalt der Willenserklärungen ist und welches die Umstände des
Vertragsschlusses sind (BGE 131 III 586 E. 4.2.3.1 S. 592; 132 III 268
E. 2.3.2 S. 275) oder was die Parteien dachten, wussten und wollten (BGE 132
III 24 E. 4 S. 28). Auf die dagegen gerichteten Rügen der Beschwerdeführer
ist deshalb vor Erledigung der Berufung einzugehen (Art. 57 Abs. 5 OG).

2.
Willkür und eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs erblicken die
Beschwerdeführer vorab in den kantonsgerichtlichen Feststellungen, dass
Äusserungen der Beschwerdegegnerin im Vorfeld des Abschlusses der
Vereinbarung vom 6. Juli 1988 fehlten, dass insbesondere nicht bewiesen sei,
ob und inwiefern die Beschwerdegegnerin Kenntnis des Schreibens der
Einsprecherin vom 30. Mai 1988 erhalten habe, und dass die Beschwerdeführer
auch nicht anderweitig dargetan hätten, die Beschwerdegegnerin sei sich
bewusst gewesen, die Einsprecherin habe am 6. Juli 1988 eine
Bauhöhenbeschränkung im Sinne einer dauernden privatrechtlichen
Grundeigentumsbeschränkung vereinbaren wollen (E. 3c/ee S. 20 f. des
angefochtenen Urteils und Ziff. 2-3 S. 6 ff. der Beschwerdeschrift).

Inwiefern das Kantonsgericht ihnen das rechtliche Gehör verweigert haben
könnte, begründen die Beschwerdeführer nicht näher (Art. 90 Abs. 1 lit. b
OG). Offenbar geht es um eine unrichtige Verteilung der Beweislast, die für
den ganzen Bereich des Bundeszivilrechts durch Art. 8 ZGB geregelt ist und
deshalb mit Berufung gerügt werden kann (BGE 114 II 289 E. 2a S. 290). Die
staatsrechtliche Beschwerde ist insoweit unzulässig (Art. 84 Abs. 2 OG; BGE
108 Ia 293 E. 4c S. 294).

Zulässig sind die Willkürrügen gegen das kantonsgerichtliche Beweisergebnis,
die tatsächliche Kenntnis der Beschwerdegegnerin über die Absichten der
Einsprecherin sei nicht erstellt. Es handelt sich dabei um eine für das
Berufungsverfahren verbindlich beantwortete Tatfrage (vgl. BGE 126 III 189
E. 2a Abs. 3 S. 191; 125 III 78 E. 3a S. 79; 123 III 246 E. 4b S. 252). Wie
im Urteil über die gleichzeitig eingereichte Berufung der Beschwerdeführer
darzulegen sein wird (E. 3 dortselbst), ist für die rechtliche Beurteilung
nicht erheblich, ob die Beschwerdegegnerin die Absichten der Einsprecherin
tatsächlich gekannt hat. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob
das angefochtene Beweisergebnis willkürfrei zustande gekommen ist. An der
Beantwortung dieser Frage besteht kein schutzwürdiges Interesse, liefe sie
doch auf einen blossen Streit über Entscheidungsgründe hinaus, die für sich
allein keine Beschwer bedeuten. Auf die darauf bezogenen Willkürrügen ist
nicht einzutreten (vgl. BGE 111 II 398 E. 2b S. 399; 132 I 68 E. 4.3.7
S. 81).

3.
Die Beschwerdeführer rügen ferner als willkürlich, dass das Kantonsgericht
die Einsprache vom 25. April 1988 zwar erwähne und deren Inhalt wiedergebe,
in der Auslegung des Vertrags aber nicht berücksichtige (Ziff. 3 S. 8 f.).
Sie behaupten Willkür in den kantonsgerichtlichen Feststellungen zu den
Fragen, worin die vereinbarungsgemässe Leistung der Beschwerdegegnerin
bestehe, worauf die Vereinbarung abziele und inwiefern die Vereinbarung eine
Gesamtregelung der Rechtsbeziehungen zwischen der Einsprecherin und der
Beschwerdegegnerin beinhalte (Ziff. 4 S. 9 f. der Beschwerdeschrift). Die
Einwände betreffen allesamt die berufungsfähige Rechtsfrage (vgl. E. 1
hiervor). Auf die staatsrechtliche Beschwerde kann auch diesbezüglich nicht
eingetreten werden (Art. 84 Abs. 2 OG).

4.
Bei diesem Verfahrensausgang werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 156 Abs. 1 und 7 OG). Die Gerichtsgebühr richtet sich vorab nach dem
Streitwert (Art. 153a OG). Die kantonalen Gerichte haben den Streitwert auf
Fr. 300'000.-- festgesetzt und sind davon ausgegangen, bei Gutheissung der
Klage würde eine Fläche von 600 m2 zum Preis von Fr. 500.-- pro m2 der
Nutzung verloren gehen. Die Beschwerdeführer wenden ein, auszugehen sei bei
Dienstbarkeiten vorweg vom Interesse der Kläger. Sie beantragen dem
Bundesgericht eine angemessene Korrektur und Herabsetzung des Streitwertes
(Ziff. 5 S. 3 der Beschwerdeschrift). Ihre Aussage lässt sich mit den
zitierten Autoren belegen, die in der dazugehörigen Anmerkung hervorheben,
alternativ sei auch das Interesse des Gegners zu berücksichtigen
(Messmer/Imboden, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich
1992, S. 84 bei und in Anm. 29). Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen
dem streitigen Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit und der hier
vorliegenden Streitigkeit über den Bestand einer Dienstbarkeit. Letzternfalls
gilt der Wert, der die Dienstbarkeit für den Berechtigten oder das
berechtigte Grundstück hat, als Streitwert, es sei denn, der Wertverlust des
belasteten Grundstücks sei grösser (Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire la loi
fédérale d'organisation judiciaire, I, Bern 1990, N. 9.5 zu Art. 36 OG,
S. 284 mit Hinweisen; seither: BGE 132 III 6 E. 1.2, nicht veröffentlicht).
Dass ihre Wertsteigerung grösser sei als der Wertverlust für die
Beschwerdegegnerin, behaupten die Beschwerdeführer nicht. Die ihrerseits
eingewendete Tatsache, dass die Bruttogeschossfläche der zulässigen Gebäude
gemäss dem GÜP 2002 kleiner sei als gemäss dem GÜP 1988, war den kantonalen
Gerichten bei der Berechnung des Wertverlusts bekannt. Das Bundesgericht hat
unter diesen Umständen keinen Anlass, für das Beschwerdeverfahren von einem
tieferen Streitwert auszugehen, bei der Festsetzung der Gebühr aber den
Aufwand zu berücksichtigen, der bei einem formellen Nichteintretensentscheid
geringer ist als im Falle einer Abweisung nach materieller Prüfung der
erhobenen Rügen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. August 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: