Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.107/2006
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{T 0/2}
5P.107/2006 /bnm

Beschluss vom 16. Juni 2006
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Edelmann,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Ursula Hail-Weber,
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12 A, 8500 Frauenfeld.

Art. 9 und 29 BV (Abänderung von vorsorglichen Massnahmen nach Art. 137 ZGB),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss vom 19. Dezember 2005.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im Scheidungsverfahren der Eheleute X.________ und Y.________ verpflichtete
das Gerichtspräsidium Weinfelden am 5./6. Januar 2005 den Ehemann in
Abänderung der Eheschutzverfügung vom 17. Juni 2003, an den Unterhalt der
Ehefrau mit Wirkung ab dem 1. Februar 2004 monatliche Unterhaltsbeiträge von
Fr. 2'123.-- zu bezahlen; überdies erklärte er ihn für berechtigt, die in der
Zeit vom 1. Februar 2004 bis heute für die Liegenschaft in A.________
bezahlten Hypothekarzinsen, den Aufwand für den Liegenschaftsunterhalt, die
Gebäudeversicherungsprämien und die Liegenschaftssteuern in Abzug zu bringen.
Mit Bezug auf die Kinderbelange blieb es bei der Eheschutzverfügung vom 17.
Juni 2003.

In teilweiser Gutheissung von Rekurs und Anschlussrekurs verpflichtete das
Obergericht des Kantons Thurgau den Ehemann mit Beschluss vom 18. April 2005,
an den Unterhalt der Ehefrau mit Wirkung ab dem 1. November 2004 monatliche
vorauszahlbare Unterhaltsbeiträge von Fr. 3'180.-- zu bezahlen; ferner wurde
der Ehemann berechtigt, den am 29. Oktober 2003 bezahlten
Hypothekarzinsbetrag von Fr. 2'000.-- in Abzug zu bringen. Dieses Urteil hob
das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde des Ehemannes wegen
Verletzung des rechtlichen Gehörs auf (5P.232/2005).

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2005 entschied das Obergericht nochmals
gleich, nachdem es dem Ehemann das rechtliche Gehör gewährt hatte.

Der Ehemann führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Begehren, den
obergerichtlichen Beschluss aufzuheben. Nach Anhörung der Beschwerdegegnerin
wurde der Beschwerde mit Verfügung vom 4. April 2006 für die bis und mit
Februar 2006 geschuldeten Unterhaltsbeiträge aufschiebende Wirkung zuerkannt,
für die ab März 2006 geschuldeten Beiträge wurde das Gesuch abgewiesen.
Mit Urteil vom 11. April 2006 schied die Kommission des Bezirksgerichts
Weinfelden die Ehe der Parteien in Anwendung von Art. 111 ZGB, nachdem die
Parteien am 25. Januar 2006 eine Vereinbarung über die Nebenfolgen der
Scheidung abgeschlossen hatten. Gemäss Ziff. 8 des Urteils wurde die
vorgenannte Konvention mit der Feststellung genehmigt, dass die Parteien nach
deren Vollzug ehe- und güterrechtlich auseinandergesetzt seien.
Auf entsprechende Anfrage des Präsidenten der II. Zivilabteilung des
Bundesgerichts erklärte der Beschwerdeführer, er halte an seiner
staatsrechtlichen Beschwerde fest.

2.
Nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG muss der Beschwerdeführer ein aktuelles
praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides
beziehungsweise an der Überprüfung der von ihm erhobenen Rügen haben, damit
auf die Beschwerde eingetreten werden kann (BGE 114 Ia 88 E. 5b S. 90; 116 Ia
149 E. 2a S. 150; 116 Ia 359 E. 2a S. 363; 118 Ia 46 E. 3c S. 53 f.). Liegt
das praktische Interesse im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung vor, fällt es
aber nachträglich weg, ist die Beschwerde als erledigt abzuschreiben (Art. 72
BZP i.V.m. Art. 40 OG).

2.1 Nach Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde hat der
Beschwerdeführer am 20. April 2006 das Urteil der Kommission des
Bezirksgerichts Weinfelden vom 11. April 2006 ins Recht gelegt, welches die
Scheidung der Parteien ausgesprochen und auf der Basis deren gemeinsamen
Vereinbarung die Nebenfolgen der Scheidung geregelt hat. In Ziff. 8 des
Urteils wird insbesondere "die Konvention der Parteien vom 25. Januar 2006
mit der Feststellung genehmigt, dass die Parteien nach deren Vollzug ehe- und
güterrechtlich in jeder Hinsicht und per Saldo aller Ansprüche auseinander
gesetzt sind". Es fragt sich deshalb, ob die staatsrechtliche Beschwerde
gegen den obergerichtlichen Beschluss vom 19. Dezember 2005 betreffend den
persönlichen Unterhaltsbeitrag zu Gunsten der Beschwerdegegnerin im Rahmen
vorsorglicher Massnahmen für die Zeit ab 1. November 2004 nicht
gegenstandslos geworden ist.

2.2 Der Beschwerdeführer vertritt gestützt auf Ziff. 8 der Konvention die
Auffassung, beim angefochtenen Urteil gehe es nicht um güterrechtliche
Fragen, sondern um Frauenalimente während des Verfahrens. Mit der Information
über die Ehescheidung und die Genehmigung der Konvention sei das rechtliche
Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen der bereits in
der staatsrechtlichen Beschwerde gerügten Verletzung der Dispositionsmaxime
ausgewiesen. Das Obergericht habe dem gemeinsamen Antrag der Parteien auf
Sistierung des pendenten Massnahmeverfahrens nicht entsprochen und einen
materiellen Entscheid gefällt; deshalb stelle die Beschwerdegegnerin
zusätzliche Forderungen und verfüge der Beschwerdeführer über ein
berechtigtes Interesse, diese nachträglichen Begehrlichkeiten abzuwehren.

Es trifft zwar zu, dass Ziff. 8 der Vereinbarung nur die güterrechtliche
Auseinandersetzung im Auge hat und diesbezüglich die erwähnte Saldoklausel
enthält. Für den vorliegenden Fall wird jedoch in Ziff. 8 des Dispositivs des
rechtskräftigen Scheidungsurteils massgebend festgehalten, die Parteien seien
nach Vollzug der Konvention ehe- und güterrechtlich in jeder Hinsicht und per
Saldo aller Ansprüche als auseinandergesetzt zu betrachten. Damit liegt eine
Saldoklausel vor, die nicht ausschliesslich auf güterrechtliche Forderungen
Bezug nimmt, sondern solche aus Eherecht mit einbezieht und damit eine
weitere Auseinandersetzung über eherechtliche Ansprüche ausschliesst. Soweit
der Beschwerdeführer auf mögliche Divergenzen zwischen der Vereinbarung und
dem Dispositiv des Scheidungsurteils hinweist, ist er nicht zu hören, bzw.
hat er sich der einschlägigen kantonalen Rechtsbehelfe zu bedienen. Mit der
rechtskräftigen Feststellung in Ziff. 8 des Scheidungsurteils ist das
rechtlich geschützte Interesse des Beschwerdeführers an der Überprüfung des
obergerichtlichen Beschlusses vom 19. Dezember 2005 nach Eingang der
staatsrechtlichen Beschwerde dahingefallen; dementsprechend ist die
Beschwerde als gegenstandslos abzuschreiben.

3.
3.1 Nach Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72 BZP ist bei diesem
Verfahrensausgang über die Prozesskosten mit summarischer Begründung auf
Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes zu entscheiden. Bei
der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster
Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen. Lässt sich
dieser im konkreten Fall nicht feststellen, so sind allgemeine
prozessrechtliche Kriterien heranzuziehen: Danach wird jene Partei kosten-
und entschädigungspflichtig, welche das gegenstandslos gewordene Verfahren
veranlasst hat oder in welcher die Gründe eingetreten sind, die dazu geführt
haben, dass der Prozess gegenstandslos geworden ist (BGE 118 Ia 488 E. 4a S.
494. f.).

3.2 Soweit die Beschwerde hätte behandelt werden müssen, wäre ihr kein Erfolg
beschieden gewesen:

3.2.1 Der Beschwerdeführer erblickt Willkür in der Verletzung der
Dispositionsmaxime durch das Obergericht. Mit ihrem Sistierungs- und
Abschreibungsbegehren hätten die Parteien im Rahmen ihrer Dispositionsmaxime
auf einen Entscheid des Obergerichts verzichtet. Für den Fall, dass das
Obergericht die Dispositionsmaxime nicht als anwendbar erachtet hätte, hätte
es die Parteien zur Stellungnahme und Begründung ihres Antrages einladen
müssen. Indem das Obergericht davon abgesehen habe, sei das rechtliche Gehör
nicht gewährt worden.

Die ausschliesslich im kantonalen Prozessrecht geregelte Dispositionsmaxime
bedeutet, dass die Parteien befugt sind, zu bestimmen, ob, wann, in welchem
Umfang und wie lange sie als Kläger materielle Rechte gerichtlich geltend
machen bzw. ob sie als Beklagte die eingeklagten Ansprüche durchfechten oder
anerkennen wollen (Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung,
Bern 2000, S. 213). Daraus lässt sich nichts zum Anspruch auf Suspendierung
des Verfahrens ableiten. Sodann gebietet das kantonale Prozessrecht (§ 57
Abs. 3 ZPO/TG) den Gerichtspräsidenten, für eine beförderliche
Prozessbehandlung zu sorgen. Die Weigerung des Obergerichts, das Verfahren zu
suspendieren, erweist sich als nicht willkürlich.

Von der erwähnten Maxime erfasst wird dagegen der gemeinsame Antrag der
Parteien, das Massnahmenverfahren gegenstandslos zu erklären. In diesem
Zusammenhang verschweigt der Beschwerdeführer jedoch, dass der Beschluss des
Obergerichts am 19. Dezember 2005 und somit vor dem Abschluss der
Scheidungskonvention und damit auch vor dem gemeinsamen Antrag der Parteien
ergangen ist. Die Beschwerdegegnerin hat den Antrag denn auch erst am
25. Januar 2006 dem Gericht vorgetragen. Zudem wurde der Beschluss am 7.
Februar 2006 versandt, als die Konvention noch nicht richterlich genehmigt
war. Inwiefern unter diesen Umständen mit Bezug auf die Verfügung über den
Prozessgegenstand die Dispositionsmaxime krass verletzt worden sein könnte,
ist nicht ersichtlich und wird auch nicht rechtsgenüglich erörtert (Art. 90
Abs. 1 OG; BGE 119 Ia 197 E. d S. 201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127
III 279 E. 1c S. 282, mit Hinweisen; 128 I 295 E. 7a S. 312; 130 I 258
E. 1.3). Das gilt auch mit Bezug auf den Vorwurf des rechtlichen Gehörs.

3.2.2 Der Beschwerdeführer erachtet sodann das rechtliche Gehör als verletzt,
weil keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Art. 29 Abs. 2 BV,
auf welche Bestimmung sich der Beschwerdeführer stützt, gibt keinen Anspruch
auf eine mündliche Verhandlung (BGE 103 Ib 192 E. 3b S. 196; 122 II 464 E. 4c
S. 469). Welche kantonale Bestimmung eine mündliche Verhandlung gefordert
hätte, wird nicht dargelegt (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a S.
3).

3.2.3 Soweit der Beschwerdeführer in der Sache auf die Festsetzung des
Unterhaltsbeitrages zu Gunsten der Ehefrau eingeht, erweist sich die
Beschwerde im Wesentlichen als unzulässig. Namentlich geht der
Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich auf die Erwägungen des Beschlusses vom
18. Oktober 2005 ein, auf welche das Obergericht im angefochtenen Beschluss
vom 19. Dezember 2005 verweist. Sodann erschöpfen sich seine Ausführungen
über weite Strecken in blossen Behauptungen und in appellatorischer Kritik am
angefochtenen Beschluss, zumal er einfach seine eigenen Berechnungen zum
Existenzminimum denjenigen des Obergerichts gegenüberstellt. Damit aber ist
Willkür im Ergebnis nicht darzutun (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; 109 Ia 217 E.
2b S. 226; 125 I 492 E. 1b S. 495; 127 III 279 E. 1c S. 282). Ferner
beabsichtigte das Obergericht gerade nicht, den Überschuss hälftig
aufzuteilen. Vielmehr ging es von einer Aufteilung im Verhältnis 1/3 zu 2/3
zu Gunsten der Ehefrau und der Kinder aus. Inwiefern diese der
bundesgerichtlichen Praxis entsprechende Lösung (BGE 126 III 8 E. 3c)
willkürlich sein soll, wird nicht rechtsgenüglich substanziiert. Schliesslich
ist das Obergericht wie vom Beschwerdeführer gefordert verfahren und hat den
Bedarf nach Haushalten festgesetzt (vgl. Beschluss vom 18. April 2005 S. 17).

3.3
Damit sind die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.
Angesichts des mutmasslichen Ausgangs des Verfahrens der staatsrechtlichen
Beschwerde rechtfertigt es sich, der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung
für ihre Stellungnahme zum Gesuch um aufschiebende Wirkung zuzusprechen. In
der Sache ist keine Vernehmlassung eingeholt worden und somit auch keine
Entschädigung geschuldet. Mit der Kosten- und Entschädigungsregelung wird das
Gesuch der Beschwerdegegnerin um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach beschliesst das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird als gegenstandslos abgeschrieben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 700.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für ihre Stellungnahme zum
Gesuch um aufschiebende Wirkung mit Fr. 300.-- zu entschädigen.

4.
Dieser Beschluss wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Juni 2006

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: