Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4P.51/2006
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4P.51/2006 /zga

Urteil vom 15. Mai 2006

I. Zivilabteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichter Nyffeler,
Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.

X. ________ Bauunternehmung GmbH,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans M. Weltert,

gegen

Y.________,
Z.________,
Beschwerdegegner, beide vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Christoph Wildisen,
Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer als Rekursinstanz.

Art. 9 BV (Zivilprozess; Willkür; Ausweisung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Luzern, I. Kammer als Rekursinstanz, vom 6. Februar 2006.

Sachverhalt:

A.
Y. ________ und Z.________ (Beschwerdegegner) sind Gesamteigentümer der
Liegenschaft L.________ in H.________ (Grundstück Nr. 000 Grundbuch
H.________). Die X.________ Bauunternehmung GmbH (Beschwerdeführerin) schloss
mit der vormaligen Eigentümerin des Grundstücks, der X.________
Liegenschaften AG, einen schriftlichen Mietvertrag betreffend Büroräume und
Werkhof in der Liegenschaft. Der Vertrag datiert vom 19. Juli 1999 und hält
als Vertragsbeginn rückwirkend den 1. Juli 1998 fest. Er wurde im Grundbuch
vorgemerkt und ging mit dem Erwerb der Liegenschaft Ende Oktober 2003 auf die
Beschwerdegegner über.

B.
Am 17. November 2005 beantragten die Beschwerdegegner, die Beschwerdeführerin
sei zu verpflichten, das von ihr ohne gültigen Rechtsgrund in Beschlag
genommene Magazin im Erdgeschoss der Liegenschaft L.________ , H.________,
sofort zu verlassen und zu räumen. Sie sei zu ermächtigen, polizeiliche Hilfe
in Anspruch zu nehmen, falls die Beschwerdeführerin der richterlichen
Anordnung nicht Folge leiste.

Mit Entscheid vom 22. Dezember 2005 verpflichtete der Amtsgerichtspräsident
II von Hochdorf die Beschwerdeführerin, spätestens bei Rechtskraft des
Entscheids das Magazin ordnungsgemäss zu räumen, zu verlassen und die
Schlüssel den Beschwerdegegnern abzugeben. Bei unbenütztem Ablauf der Frist
seien die Beschwerdegegner berechtigt, unter Vorlage des Entscheids, versehen
mit der Rechtskraftbescheinigung, bei der Kantonspolizei Luzern die
polizeiliche Vollstreckung auf Kosten der Beschwerdeführerin zu verlangen.
Zur Begründung führte der Amtsgerichtspräsident im Wesentlichen aus, der
schriftliche Mietvertrag vom 19. Juli 1999 umschreibe das Magazin im
Erdgeschoss nicht als Mietbestandteil. Gemäss diesem im Grundbuch
vorgemerkten Mietvertrag bilde die in den Planbeilagen farbig eingetragene
Fläche Mietobjekt. Auf den Planbeilagen sei das Magazin nicht farbig
eingezeichnet. Ziff. 18 des Mietvertrages sehe zudem für
Mietvertragsänderungen und mündliche Absprachen, welche diesen Vertrag
betreffen, zu ihrer Gültigkeit die schriftliche Form vor. Die Behauptung der
Beschwerdeführerin, das Magazin sei mitvermietet, sei nicht glaubhaft, weil
der - mehr als ein Jahr zurückwirkende - Mietvertrag das Mietobjekt klar
umschreibe, ohne dass das fragliche Magazin - gemäss Beschwerdeführerin ja
seit Beginn des Mietverhältnisses am 1. Juli 1998 genutzt - in irgendeiner
Form erwähnt worden sei. Aus dem gleichen Grund sei nicht glaubhaft, dass
sich die ursprünglichen Parteien betreffend das Magazin über die eigene
Formabrede hinweggesetzt hätten. Das Vorliegen eines Mietvertrages betreffend
das Magazin sei mithin nicht glaubhaft gemacht. Eine allfällige
prekaristische Gestattung zur Benützung des Magazins hätten die
Beschwerdegegner jederzeit widerrufen können. Mit der Aufforderung, die
Schlüssel für das Magazin bis spätestens 4. November 2005 abzugeben, sei die
Benützung des Magazins durch die Beschwerdeführerin spätestens ab 4. November
2005 ohne Rechtsgrund erfolgt.

Dagegen rekurrierte die Beschwerdeführerin erfolglos an das Obergericht des
Kantons Luzern. Dieses bestätigte am 6. Februar 2006 den erstinstanzlichen
Entscheid und setzte der Beschwerdeführerin eine Frist von 10 Tagen seit
Zustellung des Entscheids für die Räumung des Magazins. Es schloss sich der
Begründung des Amtsgerichtspräsidenten an.

C.
Mit Eingabe vom 20. Februar 2006 erhob die Beschwerdeführerin
staatsrechtliche Beschwerde und beantragte die Aufhebung des angefochtenen
Entscheids und die Zurückweisung des Ausweisungsgesuchs. Ferner stellte sie
den Antrag um Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, den sie in
der genannten Eingabe begründete. Innerhalb der Beschwerdefrist, am 13. März
2006, erneuerte und begründete sie den Antrag um Aufhebung des Entscheids des
Obergerichts. Sodann beantragte sie, das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren
sei bis zum rechtskräftigen Abschluss des im ordentlichen Verfahren vor den
luzernischen Mietgerichten durchgeführten Mietrechtsprozesses zu sistieren.

Das Obergericht und die Beschwerdegegner beantragen Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei. Letztere lehnen zudem die Sistierung des
Verfahrens ab.

Am 14. März 2006 reichte die Beschwerdeführerin zwei Bestätigungen von
A.________ vom 9. März 2006 im Original nach. Mit Schreiben vom 15. März 2006
nahm die Beschwerdeführerin unaufgefordert zu einer angeblich neuen
Behauptung der Beschwerdegegner Stellung. Am 21. April 2006 reichte sie "zur
Ergänzung des Verfahrens" ihre gleichentags beim Amtsgericht Hochdorf
eingereichte Klageschrift ein, mit der sie eine ausserordentliche Kündigung
des Mietvertrags vom 19. Juli 1999 durch die Beschwerdegegner angefochten
hatte. Mit einem weiteren unaufgefordertem Schreiben vom 9. Mai 2006
bekräftigte sie ihren Sistierungsantrag.

D.
Mit Präsidialverfügung vom 22. März 2006 wurde der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung erteilt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Zunächst ist zum Antrag der Beschwerdeführerin auf Sistierung des Verfahrens
der staatsrechtlichen Beschwerde Stellung zu nehmen. Dieser wird im
Wesentlichen damit begründet, dass das ordentliche Mietgerichtsverfahren
Klarheit über die mietvertragliche Situation bringen werde und dass es sich
herausstellen werde, ob die Beschwerdeführerin "zurecht gestützt auf eine
mietvertragliche Vereinbarung zu nutzen berechtigt" sei.

Für die Beschwerdegegner kommt eine Sistierung nicht in Frage, zumal zwischen
dem Mietvertrag über den gesamten Werkhof und der widerrechtlichen Nutzung
des Magazins kein Zusammenhang bestehe. Sie machen geltend, sie benötigten
das Magazin dringend, um den längst geplanten und bewilligten Wohnungseinbau
zu realisieren. Sie hätten den Mietern dieser neuen Wohnung eine
Ersatzwohnung anbieten müssen, bis diese fertig gestellt sei.

Aus dem von den Beschwerdegegnern ins Recht gelegten Entscheid der kantonalen
Schlichtungsbehörde vom 24. März 2006 geht hervor, dass es in jenem Verfahren
um die Gültigkeit der von den Beschwerdegegnern am 7. November 2005
ausgesprochenen ausserordentlichen Kündigung des Mietvertrages vom 19. Juli
1999 geht, nicht aber um die Nutzung des hier streitigen Magazins. Zwar
besteht insofern ein Konnex, als das widerrechtlich genutzte Magazin neben
anderen Gründen zur Rechtfertigung der ausserordentlichen Kündigung
herangezogen wird und in diesem Zusammenhang als Vorfrage zu entscheiden ist,
ob das Magazin Bestandteil des Mietvertrages bildet oder nicht. Der
Streitgegenstand der beiden Verfahren ist aber nicht derselbe. Insbesondere
berührt der Streitgegenstand des Verfahrens über die Gültigkeit der
ausserordentlichen Kündigung auch die Frage nicht, ob die seitens der
Beschwerdegegner vorgesehene Nutzung des vom Ausweisungsbegehren betroffenen
Magazins den strittigen Mietvertrag verletzen würde, wie die
Beschwerdeführerin weiter geltend macht. Über die hier zu entscheidende Frage
kann ohne Abwarten der rechtskräftigen Erledigung jenes Verfahrens befunden
werden. Ohnehin dürfte es noch einige Zeit dauern, bis in jenem Verfahren ein
rechtskräftiger Entscheid vorliegt. Für eine Sistierung des vorliegenden
Verfahrens besteht mithin kein Grund. Vielmehr haben die Beschwerdegegner
Anspruch auf einen Entscheid innert angemessener Frist (Art. 29 Abs. 1 BV und
Art. 6 Abs. 1 EMRK). Der Sistierungsantrag ist demnach abzuweisen.

2.
Der angefochtene (bzw. der erstinstanzliche) Entscheid erging im
Befehlsverfahren nach § 226 ZPO-LU und ist nicht berufungsfähig (BGE 122 III
92 E. 2e S. 96). Die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde (Art. 84 Abs. 2
OG) ist grundsätzlich zulässig.

3.
Das Bundesgericht prüft im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nur
klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. In der
Beschwerdeschrift sind die als verletzt behaupteten Bestimmungen im Einzelnen
zu nennen. Überdies ist darzutun, inwiefern diese verletzt sein sollen (Art.
90 Abs. 1 lit. b OG). Auf ungenügend begründete Rügen und rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht
nicht ein (BGE 130 I 26 E. 2.1, 258 E. 1.3). Macht der Beschwerdeführer - wie
hier - eine Verletzung des Willkürverbots geltend, muss er in der
Beschwerdeschrift im Einzelnen aufzeigen, inwiefern der Entscheid an einem
qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 130 I 258 E. 1.3 S.
262; 129 I 113 E. 2).

Dabei ist zu beachten, dass Willkür im Sinne von Art. 9 BV nach ständiger
Rechtsprechung nicht schon dann vorliegt, wenn eine andere Lösung ebenfalls
vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen
kantonalen Entscheid nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, zur
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkür liegt zudem nur vor, wenn nicht
bloss die Begründung eines Entscheides, sondern auch das Ergebnis unhaltbar
ist (BGE 131 I 57 E. 2; 129 I 8 E. 2.1 mit Hinweisen).

Diesen Begründungsanforderungen wird die Beschwerdeführerin nicht gerecht.
Sie tut zunächst nicht rechtsgenüglich dar, inwiefern das Obergericht in
krasser Weise gegen Bundesrecht, insbesondere gegen Art. 274d Abs. 3 OR oder
gegen den von ihr weiter angerufenen § 262 ZPO-LU verstossen haben soll, weil
es die im zweitinstanzlichen Verfahren aufgelegten Beweisurkunden als
unzulässige Noven aus dem Recht wies. Ohnehin steht die Untersuchungsmaxime
nach Art. 274d Abs. 3 OR einer Beschränkung der Kognition der zweiten Instanz
durch ein Novenverbot nicht entgegen (BGE 125 III 231 E. 4a S. 239 mit
Hinweisen). Im Weiteren breitet die Beschwerdeführerin in ihrer
Beschwerdeschrift die eigene Darstellung des Sachverhalts aus und übt
appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil. Sie erläutert, wie die
Beweise - einschliesslich der vom Obergericht aufgrund des Novenverbots nicht
zugelassenen - ihrer Auffassung nach zu würdigen wären, als ob dem
Bundesgericht die freie Prüfung aller Tat- und Rechtsfragen zukäme. Damit
verfehlt sie die Begründungsanforderungen an eine Willkürrüge. Zudem verletzt
sie das im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren grundsätzlich geltende
Novenverbot, indem sie als Novum das nach dem angefochtenen Urteil datierende
Schreiben von A.________ vom 9. März 2006 einreicht (BGE 128 I 354 E. 6c S.
357; 107 Ia 187 E. 2b, je mit Hinweise; Walter Kälin, Das Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 370).

4.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde kann mangels rechtsgenüglicher Begründung
nicht eingetreten werden. Diesem Verfahrensausgang entsprechend ist die
Gerichtsgebühr der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Sie
hat die anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner überdies für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Der Sistierungsantrag der Beschwerdeführerin wird abgewiesen.

2.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, I.
Kammer als Rekursinstanz, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Mai 2006

Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: