Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilabteilung 4P.259/2006
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{T 0/2}
4P.259/2006 /len

Urteil vom 22. Januar 2007

I. Zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Luczak.

X. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,

gegen

Versicherung Y.________,
Z.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Walter Fellmann,
Obergericht des Kantons Luzern, I. Kammer als Appellationsinstanz.

Art. 9 BV (Zivilprozess),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern, I. Kammer als Appellationsinstanz, vom 31. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Z. ________ (Beschwerdegegner 2) verursachte am 2. Juni 1991 einen
Auffahrunfall, durch welchen X.________ (Beschwerdeführerin) ein
HWS-Schleudertrauma erlitt. In einem ersten Gerichtsverfahren verlangte sie
von der Versicherung Y.________ (Beschwerdegegnerin 1) im Sinne einer
Teilleistung Fr. 60'655.50 nebst Zins aus Haushaltschaden. Im Verlaufe des
Verfahrens reduzierte die Beschwerdeführerin die Forderung auf Fr. 17'189.45,
welche von der Beschwerdegegnerin 1 in der Folge vorbehaltslos anerkannt
wurde. Bezüglich des bis 31. Dezember 1996 aufgelaufenen und des zukünftigen
Haushaltschadens und des Ausfalls der Hauswartentlöhnung schlossen die
Parteien einen Vergleich über Fr. 273'220.-- ab unter Anrechnung der
ausbezahlten IV-Renten.

B.
Mit Klage vom 13. Februar 2001 verlangte die Beschwerdeführerin von den
Beschwerdegegnern unter solidarischer Haftbarkeit Fr. 1'128'827.-- nebst Zins
für Erwerbsausfallschaden, Genugtuung, Franchise- und Selbstbehaltkosten
sowie vorprozessuale Anwaltskosten. Diese Klage hiess das Amtsgericht
Willisau mit Urteil vom 10. April 2003 im Umfang von Fr. 1'071'877.-- nebst
Zins gut. Auf Appellation der Beschwerdegegner und Anschlussappellation der
Beschwerdeführerin reduzierte das Obergericht des Kantons Luzern am 31. Juli
2006 die zugesprochene Forderung auf Fr. 200'000.-- nebst Zins, obwohl es die
Forderung der Beschwerdeführerin lediglich im Umfang von Fr. 151'157.50 für
ausgewiesen erachtete. Die Beschwerdegegner hatten aber den zugesprochenen
Betrag von Fr. 200'000.-- in den Anträgen der Appellationserklärung
anerkannt. Während das Amtsgericht annahm, die Beschwerdeführerin hätte ihre
Arbeitstätigkeit ohne Unfall zu einer Vollzeitbeschäftigung ausgebaut, ging
das Obergericht von einem langsameren Ausbau der Arbeitstätigkeit auf
lediglich 80 % aus. Zudem hielt es die vorprozessualen Anwaltskosten nicht
für ausgewiesen.

C.
Gegen das Urteil des Obergerichts führt die Beschwerdeführerin sowohl
staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Berufung. Mit der
Beschwerde beantragt sie, den angefochtenen Entscheid aufzuheben. Das
Obergericht und die Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (SR 173.110;
BGG) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Nach Art. 132 BGG ist dieses
Gesetz auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des
Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn
auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
ergangen ist. Da der angefochtene Entscheid vor dem 1. Januar 2007 erging,
richtet sich das Verfahren noch nach dem Bundesgesetz über die Organisation
des Bundesgerichts (Bundesrechtspflegegesetz [OG]).

2.
Umstritten ist zunächst, in welchem Ausmass die Beschwerdeführerin ihre
Arbeitstätigkeit ohne Unfall ausgeweitet hätte. Die Beschwerdeführerin geht
von einer Aufstockung des Pensums vor dem Unfall von etwas über 40 % auf 75 %
per 1. Januar 1994 und auf 100 % per 1. Januar 1999 aus. Das Obergericht
legte seinen Berechnungen dagegen einen Beschäftigungsgrad von 60 % per 1.
Januar 1994, 70 % ab 1. Januar 1996 und 80 % ab 1. Januar 1999 zugrunde. Die
Beschwerdeführerin behauptete im kantonalen Verfahren, eine entsprechende
Aufstockung sei bereits vor dem Unfall geplant gewesen und berief sich dazu
auf die Zeugenaussagen ihrer beiden Töchter und ihres Ehemannes sowie auf
eine Aussage des Leiters des Wohnheims, in dem sie arbeitete.

2.1 Das Obergericht erachtete einen bereits vor dem Unfall festgelegten
Terminplan für die Arbeitsaufstockung nicht für nachgewiesen. Die Töchter der
Beschwerdeführerin hätten über den genauen Zeitpunkt und den prozentualen
Umfang des Ausbaus keine Angaben machen können, auch wenn die eine aussagte,
es sei ihr klar gewesen, dass die Beschwerdeführerin wieder zu 100 % habe
arbeiten wollen. Das Obergericht berücksichtigte, dass der Zeitpunkt, über
den die Töchter aussagen sollten, über 10 Jahre zurücklag und die Zeuginnen
damals 13 respektive 11 Jahre alt gewesen seien. Dies lasse an der
Zuverlässigkeit ihrer Aussagen gewisse Zweifel aufkommen, zumal die über
zehnjährige Prozessgeschichte kaum ohne Einfluss auf die Aussagen gewesen
sein dürfte. Der Ehemann der Beschwerdeführerin habe zwar angegeben, es sei
per 1. Januar 1994 ein Arbeitspensum von 75 % vereinbart gewesen, der Leiter
des Heimes habe dies aber nicht bestätigt, sondern lediglich ausgeführt, dass
im Jahr 1992 eine Erhöhung des Pensums eingeplant worden sei. Die von der
Beschwerdeführerin behauptete Pensenerhöhung sei dagegen gemäss den Aussagen
des Zeugen weder fix verabredet noch in Planung gewesen. Auch in den frühen
Arztberichten werde der Lebensplan der Beschwerdeführerin nicht erwähnt. Die
von der Beschwerdeführerin ursprünglich für den Haushaltschaden verlangte
Entschädigung und die notwendige Betreuung der Familie sprächen gegen den
behaupteten Lebensplan.

2.2 Das Obergericht kam zum Schluss, der behauptete Lebensplan sei
nachträglich konstruiert worden und nicht glaubhaft. Vor dem Hintergrund
statistischer Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der konkreten
Umstände des Einzelfalls, wie das durch Zeugenaussagen in früheren Verfahren
erhärtete grosse Engagement der Beschwerdeführerin im Haushalt, gelangte das
Obergericht zur Auffassung, die Beschwerdeführerin hätte ihre Tätigkeit ohne
Unfall nicht im behaupteten Mass ausgebaut, sondern lediglich auf 80 %. Dabei
berücksichtigte das Obergericht, dass die Beschwerdegegner eine gewisse
Ausweitung anerkannt hatten.

2.3 Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht zunächst vor, in
willkürlicher Weise nur den Nachweis eines Vorunfall-Lebensplans für die
Annahme einer Vollzeittätigkeit genügen zu lassen und dadurch die freie
Beweiswürdigung eingeschränkt zu haben. Der Vorwurf ist indessen
offensichtlich unbegründet. Das Obergericht hatte vielmehr die bestrittene
Behauptung zu prüfen, wonach die Beschwerdeführerin im Unfallzeitpunkt
bereits konkret bestimmte Ausweitungen ihrer Erwerbstätigkeit ins Auge
gefasst hatte. Da der entsprechende Nachweis nicht gelungen ist, prüfte das
Obergericht in Würdigung der gesamten Umstände, von welcher Aufstockung
auszugehen ist. Die freie Beweiswürdigung wurde dadurch nicht eingeschränkt.

2.4 Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Annahme, sie hätte ihre
Arbeitstätigkeit nicht auf 100 % ausgebaut, sei willkürlich. Sie weist zur
Begründung auf verschiedene Indizien hin, die für ihre Version sprechen
sollen. Dabei verkennt sie, dass ein Entscheid nach konstanter Rechtsprechung
nicht schon dann willkürlich ist, wenn eine andere Lösung ebenfalls
vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen
kantonalen Entscheid wegen Willkür vielmehr nur auf, wenn er offensichtlich
unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 132 III 209 E.
2.1 S. 211; 131 I 57 E. 2 S. 61, 467 E. 3.1 S. 473 f.). Dabei genügt es
nicht, wenn sich nur die Begründung des angefochtenen Entscheides als
unhaltbar erweist. Eine Aufhebung rechtfertigt sich nur dann, wenn der
Entscheid auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 132 III 209 E. 2.1 S.
211; 131 I 217 E. 2.1 S. 219). Vor diesem Hintergrund erscheinen die Rügen
der Beschwerdeführerin nicht geeignet, eine Verfassungswidrigkeit
aufzuzeigen.

2.4.1 Auch das Obergericht geht von einem Ausbau der Arbeitstätigkeit aus und
hat in diesem Zusammenhang die Aussagen der Familie der Beschwerdeführerin
sehr wohl gewürdigt. Das Obergericht legt im Einzelnen nachvollziehbar dar,
weshalb es nicht vorbehaltlos auf die Zeugenaussagen der Familienmitglieder
der Beschwerdeführerin abstellt und gestützt auf statistische Werte und die
konkrete Situation der Beschwerdeführerin, wie namentlich deren Engagement im
Haushalt, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Umfang von 100 % für
unwahrscheinlich erachtet. Wohl kann die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen
verschieden gewichtet werden ebenso wie der Einfluss, den ein allfälliges
Eigeninteresse der Zeugen beziehungsweise die zehnjährige Prozessgeschichte
auf die Aussagen haben. Auch lässt sich darüber diskutieren, ob dem
Engagement der Beschwerdeführerin im Haushalt und dem Betreuungsbedarf der
Kinder massgebliche Bedeutung zukommt oder vielmehr der Tatsache, dass die
Beschwerdeführerin trotz dieser Belastung bereits vor dem Unfall eine
Teilzeitstelle angenommen hatte und Hauswartstätigkeit leistete. Dies zeigt
indessen höchstens auf, dass allenfalls auch eine andere Lösung vertretbar
gewesen wäre. Von Willkür kann keine Rede sein. Die Beschwerdeführerin übt
vielmehr appellatorische Kritik an der Beweiswürdigung des kantonalen
Gerichts, als ob dem Bundesgericht die freie Prüfung aller Tat- und
Rechtsfragen zukäme. Damit ist sie im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren
nicht zu hören (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen).

2.4.2 Dasselbe gilt für das Vorbringen, die Vorinstanz habe im Rahmen der
Beweiswürdigung nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin im
Abklärungsbericht Haushalt am 4. November 1993 angegeben hatte, ein ? Pensum
sei in Planung gewesen. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht hinreichend auf,
dass sie sich schon im kantonalen Verfahren auf ihre Aussage in diesem
Bericht berufen hat oder dass erst der angefochtene Entscheid zu ihrem
Vorbringen Anlass gab, so dass ihre Rüge bereits unter diesem Gesichtspunkt
nicht rechtsgenüglich begründet erscheint (Marc Forster, Staatsrechtliche
Beschwerde, in Geiser/Münch [Hrsg.], Prozessieren vor Bundesgericht, 2.
Aufl., Rz. 2.1 S. 84 f.). Überdies geht aus dem Bericht weder hervor, dass
der Zeitpunkt der geplanten Aufstockung bereits fixiert worden war, noch dass
letztlich ein Ausbau auf eine Vollzeitbeschäftigung geplant war. Auch unter
diesem Gesichtspunkt erscheint das angefochtene Urteil mithin nicht als
offensichtlich unhaltbar.

3.
Sodann wirft die Beschwerdeführerin dem Obergericht Willkür in Bezug auf die
von ihr geltend gemachte Entschädigung für vorprozessualen Aufwand vor. Das
Obergericht gehe davon aus, für die geltend gemachte Abrechnung nach dem
Interessenwert sei eine individuelle Honorarvereinbarung notwendig. Nach dem
Konventionaltarif des Luzerner Anwaltsverbandes vom 30. November 1989, in
Kraft seit dem 1. Januar 1990, sei dies aber noch nicht notwendig gewesen.
Erst die am 11. Juni 1997 neu eingeführten Tarifrichtlinien des Luzerner
Anwaltsverbandes sähen für ein Honorar nach Interessenwert eine individuelle
Vereinbarung vor. Als willkürlich rügt die Beschwerdeführerin zudem, dass das
Obergericht über die feste Auffassung des Amtsgerichts hinweggegangen sei.
Aufgrund der erstinstanzlichen Überzeugung sei die Beschwerdeführerin nicht
gehalten gewesen, vor Obergericht Stundenlisten aufzulegen.

3.1 Gemäss den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid haben
die Beschwerdegegner in ihrer Appellation behauptet, eine Abrechnung nach
Interessenwert bedürfe einer individuellen Vereinbarung. Der Stundenaufwand,
nach dem üblicherweise das Honorar abgerechnet werde, sei weder behauptet,
noch im mindesten nachgewiesen. Aufgrund dieser Vorbringen musste die
Beschwerdeführerin damit rechnen, dass das Obergericht der Auffassung der
Beschwerdegegner folgen könnte. Gestützt darauf hätte sie sich veranlasst
sehen müssen, ihren Stundenaufwand zu belegen. Daraus, dass die erste Instanz
dies nicht von ihr verlangte, kann sie nichts zu ihren Gunsten ableiten.

3.2 Damit stellte sich aber schon im kantonalen Verfahren die Frage, ob eine
Abrechnung nach dem Interessenwert einer speziellen Vereinbarung bedarf. Die
Beschwerdeführerin hat zwar im kantonalen Verfahren behauptet, eine
Abrechnung nach Interessenwert sei nach beiden Reglementen zulässig, sie
zeigt aber nicht auf, dass sie sich bereits im kantonalen Verfahren auf die
angeblich unterschiedliche Tragweite der beiden Reglemente berufen hat,
obwohl nicht erst der angefochtene Entscheid, sondern bereits die
Ausführungen der Beschwerdegegner vor dem Obergericht zu Vorbringen bezüglich
der Zulässigkeit der Abrechnung nach Interessenwert ohne individuelle
Vereinbarung Anlass gegeben hätten. Die Beschwerdeführerin ist daher mit
ihrer Rüge, die Abrechnung nach dem Interessenwert sei vor Geltung der auf
den 11. Juni 1997 eingeführten Tarifrichtlinien auch ohne individuelle
Vereinbarung zulässig gewesen, mangels materieller Ausschöpfung des
Instanzenzuges nicht zu hören (vgl. hierzu Marc Forster, a.a.O., Rz. 2.1 S.
84 f.). Da die Beschwerdeführerin ihren Stundenaufwand nicht substanziiert
hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass ihr diesbezüglich
kein Ersatz zugesprochen wurde, unabhängig davon, ob die Beschwerdegegner
ihre Zahlungspflicht im Grundsatz anerkennen.

4.
Damit erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde insgesamt als unbegründet
und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Dem Verfahrensausgang
entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit insgesamt Fr. 9'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, I.
Kammer als Appellationsinstanz, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2007

Im Namen der I. Zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: