Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.676/2006
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{T 0/2}
2A.676/2006 /leb

Urteil vom 13. Februar 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen,
Gerichtsschreiber Küng.

A. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. René Bussien,

gegen

Regierungsrat des Kantons Zürich,
Kaspar Escher-Haus, 8090 Zürich,
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, Postfach, 8090 Zürich.

Aufenthaltsbewilligung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich
vom 4. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
Am 6. November 2003 reiste die aus dem ehemaligen Serbien-Montenegro
stammende A.________ (geb. 1967) in die Schweiz ein. Sie erhielt am 20.
November 2003 die Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem in Zürich
niedergelassenen Ehemann B.________ (geb. 1950). Letzterer verstarb am 23.
Februar 2004 an einem Herzversagen. Am 16. August 2004 gebar A.________ in
Zürich den gemeinsamen Sohn C.________.

Das Migrationsamt der damaligen Direktion für Soziales und Sicherheit des
Kantons Zürich (heute: Sicherheitsdirektion) wies am 25. August 2005 das von
A.________ gestellte Gesuch um Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung ab;
es wurde ihr eine Frist bis 30. November 2005 gesetzt, um das zürcherische
Kantonsgebiet zu verlassen. Der Rekurs, den A.________ dagegen beim
Regierungsrat des Kantons Zürich erhob, blieb ohne Erfolg. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich trat am 4. Oktober 2006 auf die gegen
den Entscheid des Regierungsrats gerichtete Beschwerde nicht ein.

B.
Mit einer als Verwaltungsgerichtsbeschwerde, evtl. staatsrechtliche
Beschwerde bezeichneten Eingabe vom 9./10. November 2006 beantragt A.________
dem Bundesgericht, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die
Ausländerbehörde einzuladen, ihr den weiteren Aufenthalt in der Schweiz zu
ermöglichen.

Die Staatskanzlei des Kantons Zürich beantragt im Auftrag des
Regierungsrates, auf die Beschwerde nicht einzutreten.

Das Verwaltungsgericht ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei.

Das Bundesamt für Migration stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid erging noch vor dem Inkrafttreten des
Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht
(Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) am 1. Januar 2007. Gemäss Art. 132
Abs. 1 BGG richtet sich das Verfahren daher nach den Bestimmungen des
Bundesrechtspflegegesetzes (OG).

1.2 Aus der Bezeichnung des Rechtsmittels ist zu schliessen, dass die
Beschwerdeführerin in erster Linie Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben
will. Nur für den Fall, dass diese nicht zulässig ist, soll ihre Eingabe als
staatsrechtliche Beschwerde entgegengenommen werden. Dies entspricht der
subsidiären Natur des zuletzt genannten Rechtsmittels, das nur offen steht,
wenn die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zum Zug kommt (Art. 84 Abs. 2
OG). Es ist daher zunächst zu prüfen, ob gegen den angefochtenen Entscheid
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergriffen werden kann.

1.3 Die Beschwerdeführerin ficht einen Nichteintretensentscheid an. Gegen
einen solchen ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur zulässig, wenn dieses
Rechtsmittel auch gegen einen Entscheid in der Sache selbst zur Verfügung
steht (BGE 126 II 377 E. 1 S. 381). Nach Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG
ist dies auf dem Gebiet der Fremdenpolizei nur der Fall, soweit auf die
Erteilung einer Bewilligung ein Anspruch besteht.

Es ist daher als Eintretensvoraussetzung zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht
zu Recht einen Anspruch auf die streitige Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung verneint hat und aufgrund einer kantonalen
Zugangsregelung, die jener des Bundesrechts entspricht, auf die bei ihm
erhobene Beschwerde nicht eingetreten ist (BGE 132 II 65 E. 1 S. 67).

2.
2.1 Im angefochtenen Entscheid wird dargelegt, dass die Beschwerdeführerin
gestützt auf Art. 17 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) keinen Anspruch
auf die beantragte Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung habe, da ihr
Ehemann verstorben sei. Das Verwaltungsgericht gelangt weiter zum Schluss,
dass Art. 8 EMRK als Anspruchsgrundlage ausscheide. So könne die
Beschwerdeführerin nach dem Tod ihres Ehemannes ihre Anwesenheit in der
Schweiz nicht unter Berufung auf den Schutz des Familienlebens verlangen.
Ausser Betracht falle ebenfalls, dass dem Sohn C.________ in Unkenntnis des
Vorversterbens seines Vaters gestützt auf Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG die
Niederlassungsbewilligung erteilt worden sei, da dieser keine eigenständige
Rechtswirkung zukomme. Schliesslich bestehe ein Anspruch auf eine
Aufenthaltsbewilligung auch nicht zum Schutz des Privatlebens, denn die
Beschwerdeführerin verfüge über keine intensiven privaten Beziehungen zur
Schweiz, wie sie die Rechtsprechung für die Anrufung von Art. 8 EMRK
voraussetze (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S. 286).

2.2 Die Beschwerdeführerin rügt einzig, dass das Verwaltungsgericht der ihrem
Sohn C.________ erteilten Niederlassungsbewilligung keine Rechtswirkung
zuerkenne; die übrigen Erwägungen stellt sie zu Recht nicht in Frage. Nach
ihrer Auffassung verleiht die Niederlassungsbewilligung dem Sohn ein
gefestigtes Anwesenheitsrecht, das ihr gestützt auf Art. 13 BV und Art. 8
EMRK grundsätzlich einen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung verschaffe.

2.3 Nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid erteilte die
Sicherheitsdirektion C.________ irrtümlich gestützt auf Art. 17 Abs. 2 Satz 3
ANAG die Niederlassungsbewilligung, weil sie vom Tod seines Vaters keine
Kenntnis genommen hatte. Das Verwaltungsgericht geht deshalb - gleich wie
zuvor schon der Regierungsrat - davon aus, die Niederlassungsbewilligung sei
mit einem Mangel behaftet und vermöge deshalb C.________ kein gefestigtes
Anwesenheitsrecht zu vermitteln.

Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die Niederlassungsbewilligung zu
Unrecht erteilt worden sei. Denn C.________ habe als Nasciturus bis zum
unerwarteten Tod seines Erzeugers mit seinen Eltern zusammengelebt und daher
Anspruch auf die ihm erteilte Niederlassungsbewilligung gehabt. Mit dieser
Argumentation übergeht die Beschwerdeführerin, dass C.________ die
Niederlassungsbewilligung nicht schon als Nasciturus erteilt wurde, sondern
erst nach seiner Geburt. In diesem Zeitpunkt war sein Vater aber bereits
gestorben, so dass nach Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG ein Einbezug von
C.________ in die väterliche Niederlassungsbewilligung nicht mehr in Frage
kam. Die Erteilung einer solchen Bewilligung liefe auch dem Zweck der
genannten Gesetzesbestimmung zuwider; denn nach dem Tod des Vaters kann der
Gesetzeszweck, das Zusammenleben mit ihm zu ermöglichen (vgl. BGE 127 II 60
E. 1c S. 64), nicht mehr erreicht werden.
Unter diesen Umständen hätten die Behörden mindestens prüfen müssen, ob ein
Bewilligungswiderruf wegen falscher Angaben oder wissentlichem Verschweigen
wesentlicher Tatsachen geboten war (Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG). Entgegen der
Ansicht der Beschwerdeführerin kommt ein Widerruf aus diesem Grund jedenfalls
durchaus in Betracht, war sie doch verpflichtet, gegenüber den Behörden alle
Tatsachen zu erwähnen, von denen sie wissen musste, dass sie für den
Bewilligungsentscheid wesentlich sind (Urteil des Bundesgerichts 2A.57/2002
vom 20. Juni 2002, publ. in: Pra 2002 Nr. 165 E. 2.2 S. 891); dazu zählt
zweifellos auch der Umstand, dass der Vater von C.________ verstorben war.

Da die C.________ offensichtlich zu Unrecht erteilte
Niederlassungsbewilligung bisher aber nicht widerrufen wurde, ist sie nach
wie vor formell gültig. Die Sicherheitsdirektion hat dem Sohn der
Beschwerdeführerin dementsprechend auch keine Frist zum Verlassen des
zürcherischen Kantonsgebiets gesetzt. Es ist somit davon auszugehen, dass der
unter der Obhut der Beschwerdeführerin stehende Sohn nach wie vor über ein
festes Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügt. Mit Blick auf diese
Mutter-Kind-Beziehung kann die Beschwerdeführerin ihrerseits gestützt auf
Art. 8 EMRK grundsätzlich einen Anspruch auf Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung geltend machen. Auf die Beschwerde ist deshalb
einzutreten (Urteil 2A.534/2006 vom 19. Oktober 2006 E. 1.2).

3.
3.1 Nach der Rechtsprechung garantiert die Europäische
Menschenrechtskonvention kein Recht auf Aufenthalt in einem Konventionsstaat.
Das in Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens kann
nur angerufen werden, wenn eine staatliche Entfernungs- oder
Fernhaltemassnahme zur Trennung von Familienmitgliedern führt. Ein
staatlicher Eingriff in das Recht auf Familienleben liegt indessen nicht vor,
wenn es den Familienangehörigen zumutbar ist, ihr Familienleben im Ausland zu
führen. Ist es dem in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Familienmitglied
in diesem Sinne zumutbar, mit dem Ausländer, dem eine fremdenpolizeiliche
Bewilligung verweigert worden ist, auszureisen, ist Art. 8 EMRK somit von
vornherein nicht verletzt (BGE 122 II 289 E. 3b S. 297). Unter diesen
Voraussetzungen kann die Interessenabwägung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK
unterbleiben. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass einem Kind zugemutet
werden kann, dem für ihn sorgenden Elternteil ins Ausland zu folgen, wenn es
sich noch in einem anpassungsfähigen Alter befindet. Bei einem Kleinkind ist
dies regelmässig der Fall. Sogar die schweizerische Staatsangehörigkeit
schliesst die Zumutbarkeit einer Ausreise ins Ausland nicht aus (BGE 122 II
289 E. 3c S. 298 mit Hinweis). Dies gilt erst recht, wenn das Kind erst
zweieinhalb Jahre alt ist und abgesehen vom Niederlassungsrecht keine
weiteren Beziehungen zur Schweiz aufweist, wie das im vorliegenden Fall
zutrifft (vgl. Urteil 2A.534/2006 vom 19. Oktober 2006 E. 2).

3.2 Die Beschwerdeführerin stammt aus dem ehemaligen Serbien-Montenegro und
hält sich erst seit etwas mehr als drei Jahren in der Schweiz auf. Unter
diesen Umständen darf ihr ohne weiteres zugemutet werden, in ihr Heimatland
zurückzukehren. Auch für ihren kleinen Sohn erscheint nicht ausgeschlossen,
dort in angemessenen Verhältnissen aufwachsen zu können; es ist ihm somit
zuzumuten, seiner Mutter in deren Heimatland zu folgen. Demnach ist nicht
erstellt, dass die familiäre Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und
ihrem Kleinkind nur in der Schweiz gelebt werden kann. Die Verweigerung einer
Anwesenheitsbewilligung für die Mutter führt daher nicht zwingend zur
Trennung der beiden. Somit ist Art. 8 EMRK von vornherein nicht verletzt
(vgl. Urteil 2A.534/2006 vom 19. Oktober 2006 E. 2.2, betreffend ein
Kleinkind ähnlichen Alters mit schweizerischer Nationalität).

4.
Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Regierungsrat und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Februar 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: