Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.667/2006
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2A.667/2006 /zga

Urteil vom 16. Februar 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Müller, Bundesrichterin Yersin,
Bundesrichter Karlen, Ersatzrichter Locher,
Gerichtsschreiber Matter.

Steuerverwaltung des Kantons Thurgau,
8510 Frauenfeld
Beschwerdeführer,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch
Tax Partner AG, Steuerberatung,
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570
Weinfelden.

Staats- und Gemeindesteuern 2002,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau
vom 16. August 2006.

Sachverhalt:

A.
Der in Zürich wohnhafte X.________ ist selbständiger Unternehmensberater und
gleichzeitig Verwaltungsratspräsident der Y.________ AG mit Sitz in Zürich,
deren Aktien ihm zur Hälfte gehören. Er ist neben seinem selbst bewohnten
Einfamilienhaus Eigentümer von vier Mehrfamilienhäusern im Kanton Zürich
(zwei Objekte), im Kanton St. Gallen und in Z.________/Kanton Thurgau. Diese
Liegenschaften hielt er bis 2001 im Privatvermögen.

Für die Steuerperiode 2002 machte X.________ geltend, er sei als
selbständiger Liegenschaftenhändler zu behandeln. Auf seiner - zum
Verkehrswert von 2 Mio Franken bilanzierten - Liegenschaft in Z.________
seien Abschreibungen von 1,5% vom Buchwert zuzulassen, womit sich im Kanton
Thurgau kein steuerbares Einkommen ergebe. Die kantonale Steuerverwaltung
Thurgau folgte dieser Argumentation nicht und setzte sein steuerbares
Einkommen auf Fr. 56'100.-- (satzbestimmend Fr. 408'900.--) und das
steuerbare Vermögen auf Fr. 487'700.-- (satzbestimmend Fr. 3'660'500.--)
fest. Nach erfolgloser Einsprache gelangte der Betroffene an die kantonale
Steuerrekurskommission, die seinen Rekurs mit Entscheid vom 22. Februar 2006
teilweise guthiess. Sie qualifizierte X.________ als nebenberuflichen
Liegenschaftenhändler und gewährte ihm Abschreibungen von 1,5% des Buchwertes
der Liegenschaft in Z.________. Da aber der angeblich dem Verkehrswert
entsprechende Buchwert der Liegenschaft fraglich war, wurde der Fall zur
Sachverhaltsergänzung an die Steuerverwaltung zurückgewiesen. Gegen diesen
Entscheid erhob die Steuerverwaltung Beschwerde an das kantonale
Verwaltungsgericht, welche am 16. August 2006 abgewiesen wurde. Das Gericht
erwog, bei der fraglichen Liegenschaft handle es sich nicht um
Umlaufvermögen; Abschreibungen von 1,5% des Buchwertes müssten zugestanden
werden.

B.
Am 6. November 2006 hat die kantonale Steuerverwaltung
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, den
Entscheid vom 16. August 2006 aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Liegenschaft bilde Umlaufvermögen;
darauf seien pauschale Abschreibungen nicht zulässig.

X. ________ beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell
sei sie abzuweisen. Das Verwaltungsgericht schliesst auf Abweisung der
Beschwerde, die Eidgenössische Steuerverwaltung dagegen auf Gutheissung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm eingereichten
Beschwerde von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 132 III 291 E. 1 S.
292; 131 II 571 E. 1 S. 573 mit Hinweis).

1.2  Beim angefochtenen Entscheid geht es um die Einschätzung des
Beschwerdegegners für die Kantons- und Gemeindesteuern 2002. Sie betrifft
eine im zweiten Titel des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR
642.14) geregelte Materie. Gegen einen solchen Entscheid kann gemäss Art. 73
StHG Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht geführt werden, zumal
es sich um eine Steuerperiode nach Ablauf der den Kantonen gemäss Art. 72
Abs. 1 StHG zur Anpassung ihrer Gesetze eingeräumten Frist handelt. Auf die
vorliegende, form- und fristgerecht eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde der gemäss Art. 73 Abs. 2 StGH bzw. Art. 103
lit. c OG legitimierten Beschwerdeführerin ist einzutreten. Bei einer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist die Verweisung auf Eingaben an die
Vorinstanz grundsätzlich zulässig, sofern - wie vorliegend - aus der
Beschwerdebegründung selber zumindest ersichtlich ist, in welchen Punkten und
weshalb der angefochtene Entscheid beanstandet wird (BGE 113 Ib 287 E. 1 S.
288).

1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde können die Verletzung von
Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens
(Art. 104 lit. a OG) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts (Art. 104 lit. b OG) gerügt werden. Hat -
wie hier - als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden, so ist das
Bundesgericht an deren Sachverhaltsfeststellung gebunden, wenn der
Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig oder unter
Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ermittelt worden ist (Art. 105
Abs. 2 OG).

Nach dem Beschwerdegegner ist die Feststellung der Vorinstanz, die
streitbetroffene Liegenschaft gehöre zum Anlagevermögen, eine Tatfrage, an
welche das Bundesgericht gebunden sei. Deshalb könne auf die Beschwerde gar
nicht eingetreten werden. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden.
Die Frage, ob Geschäfts- oder Privatvermögen vorliegt, ist eine Rechts- und
keine Tatfrage (vgl. ASA 74, 737 E. 4.3, Urteil 2A.439/2005 vom 8. Mai 2006
E. 3.2). Dasselbe gilt für die Detailqualifikation einer Liegenschaft
innerhalb des Geschäftsvermögens.

2.
Der Beschwerdegegner gilt jedenfalls für die Steuerperiode 2002 als
selbständigerwerbender Liegenschaftenhändler mit Grundeigentum in mehreren
Kantonen. Diese Frage ist nicht mehr strittig. Bei selbständiger
Erwerbstätigkeit wird der geschäftsmässig begründete Aufwand abgezogen. Dazu
gehören die ausgewiesenen Abschreibungen (§ 30 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 2 des
Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Thurgau vom 14.
September 1992, vgl. auch Art. 10 Abs. 1 lit. a StHG). Für die Bemessung der
Abschreibungen auf Anlagevermögen stellt der Kanton Thurgau auch für die
kantonalen Steuern auf das von der Eidgenössischen Steuerverwaltung
herausgegebene Merkblatt A 1995 betreffend Abschreibungen auf dem
Anlagevermögen geschäftlicher Betriebe ab (ASA 63, 632 ff.).

Im Unternehmungssteuerrecht erfolgt die Zuteilung eines Wirtschaftsgutes zum
Anlage- oder Umlaufvermögen nicht nach der äusseren Beschaffenheit, sondern
nach der Zweckbestimmung im Unternehmen sowie nach der Dauerhaftigkeit der
getätigten Investition (Markus Reich, Kommentar zum Schweizerischen
Steuerrecht [I/1], Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern
der Kantone und Gemeinden [StHG], 2. Aufl. Basel/Genf/München 2002, Rz. 72 zu
Art. 8 StHG unter Bezugnahme auf Karl Käfer, Berner Kommentar, N 327 zu Art.
958 OR; Markus Neuhaus/Peter Ilg, Basler Kommentar, 2. Aufl.
Basel/Genf/München 2002, N 9 zu Art. 663a OR; Schweizer Handbuch der
Wirtschaftsprüfung 1998, Zürich 1998, S. 169): Anlagegüter werden nicht zum
Zweck der Veräusserung, sondern zur wiederholten Nutzung und zum Verbrauch
beschafft. Wirtschaftsgüter, die demgegenüber laufend angeschafft und wieder
veräussert werden, stellen Umlaufvermögen dar (Reich, a.a.O., Rz. 72 zu Art.
8 StHG; vgl. auch Urteil 2A.122/2005 vom 16. September 2005 E. 2.2.2 in
fine).

Beim interkantonalen Liegenschaftenhändler unterscheiden Lehre und Praxis
drei Arten von Immobilien, nämlich solche, die für den Verkauf bestimmt sind
und damit Handelsware (Umlaufvermögen) bilden, Betriebsliegenschaften
(unmittelbar dem Betriebe dienendes Anlagevermögen) sowie
Kapitalanlageliegenschaften (BGE 131 I 249 E. 2.1 S. 252; Urteil 2P.154/2004
vom 16. August 2005 E. 3.4 = Kurt Locher/Peter Locher, Die Praxis der
Bundessteuern, III. Teil, Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, § 7, I
D Nr. 48 und 49; Ernst Höhn/Peter Mäusli, Interkantonales Steuerrecht, 4.
Aufl. Bern/Stuttgart/Wien 2000 S. 522 ff.; Peter Locher, Einführung in das
interkantonale Steuerrecht, 2. Aufl. Bern 2003 S., 134; Peter Mäusli,
Interkantonale Steuerausscheidung bei Grundstücken des Geschäfts- und
Privatvermögens - Eine Standortbestimmung, zsis vom 27. Oktober 2006, S. 4).
Normalerweise stellen Immobilien bei Liegenschaftenhändlern Umlaufvermögen
dar, d.h. weder Betriebs- noch Kapitalanlageliegenschaften (Höhn/Mäusli,
a.a.O., S. 522; Mäusli, a.a.O., S. 12).

3.
3.1 Vorliegend steht fest, dass das fragliche Mehrfamilienhaus in Z.________
nicht dem Liegenschaftenhandelsbetrieb des Beschwerdegegners diente. Es
bildete entweder eine Anlageliegenschaft (dazu unten E. 3.2) oder aber
Umlaufvermögen (E. 3.3).
3.2 Als Kapitalanlageliegenschaft würde das streitbezogene Mehrfamilienhaus -
trotz Aufnahme der Liegenschaft zum Verkehrswert in die Bilanz der
Einzelfirma - grundsätzlich weiterhin zum Privatvermögen des
Beschwerdegegners gehören, falls es dem Liegenschaftenhandelsbetrieb nicht
als Vorratsimmobilie diente. Das war aber nicht der Fall, so dass
Abschreibungen von Vornherein ausgeschlossen waren (vgl. zum Ganzen auch BGE
132 I 175 E. 2.2 S. 178).

3.3 Bildete die Liegenschaft Umlaufvermögen, so konnten - wie die
Beschwerdeführerin zutreffend hervorhebt - pauschale Abschreibungen nicht
gewährt werden. Das steht zunächst mit dem Wortlaut des Merkblattes A 1995 in
Einklang, wonach die dort vorgesehenen Pauschalansätze nur für Abschreibungen
auf dem Anlagevermögen geschäftlicher Betriebe vorgesehen sind. Es entspricht
aber auch der einhelligen Lehre, soweit sie sich zu dieser Frage überhaupt
äussert (Jürg B. Altorfer, Abschreibungen auf Aktiven des Anlagevermögens aus
steuerlicher Sicht, Diss. ZH 1992, S. 84 f.; Francis Cagianut/Ernst Höhn,
Unternehmungssteuerrecht, 3. Aufl. Bern/Stuttgart/Wien 1993, N 37 zu § 13 S.
597; Ernst Känzig, Kommentar direkte Bundessteuer, 2. Aufl. I. Teil, Basel
1982, Rz. 95 zu Art. 22 Abs. 1 lit. b BdBSt; Ders., Grundfragen des
Unternehmungssteuerrechts, Basel/Bern 1983, S. 116; Peter Locher, Kommentar
zum DBG, I. Teil, Therwil/Basel 2001, Rz. 30 zu Art. 28 DBG; Markus
Reich/Marina Züger, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht [I/2b],
Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], Basel/Genf/München 2000,
Rz. 15 zu Art. 28 DBG). Denn nur auf dem Anlagevermögen sind planmässige
Wertverminderungen denkbar, die auf die voraussichtliche Nutzungsdauer des
Gutes verteilt werden (sog. ordentliche Abschreibungen). Beim Umlaufvermögen
kann es naturgemäss keine entsprechende Nutzungsdauer geben, auf welche bei
der Festsetzung der Pauschalsätze Rücksicht genommen wird (vgl. BGE 132 I 175
E. 2.2 S. 178).

Wenn überhaupt, dann wären ordentliche Abschreibungen hier nur auf dem
Gebäude in Frage gekommen (auch wenn das Merkblatt A 1995 für ältere Fälle,
wo Gebäude und Land noch in einer einzigen Bilanzposition erscheinen, den
speziellen Satz von 1,5% vorsieht). Aber weil auf diesem Gebäude angesichts
seiner Bewertung im Hinblick auf die spätere Weiterveräusserung - anders als
in dem in BGE 132 I 175 ff. beurteilten Fall, wo es um eine echte
Anlageliegenschaft ging - kaum ein Wertverlust zu berücksichtigen ist,
drängen sich jedenfalls keine ordentlichen Abschreibungen auf. Möglich wäre
allenfalls eine ausserordentliche Abschreibung, deren geschäftsmässige
Notwendigkeit aber vom Beschwerdegegner dargetan werden müsste, was hier
nicht der Fall ist.

3.4 Was vom Beschwerdegegner und vom Verwaltungsgericht zugunsten der
Zulässigkeit von Abschreibungen vorgebracht wird, vermag nicht zu überzeugen:

Zu Unrecht misst die Vorinstanz der Haltedauer entscheidende Bedeutung bei.
Sie meint, eine Liegenschaft gehöre insbesondere dann, wenn es sich um ein
Mehrfamilienhaus handle, das sich beinahe fünf Jahre im Eigentum des
Steuerpflichtigen befinde, zweifellos zum Anlagevermögen und nicht mehr zum
Umlaufvermögen. Dieser Schluss ist aber keineswegs zwingend (vgl. dagegen
insbesondere das Urteil 2P.154/2004 vom 16. August 2005 E. 3.4). Entscheidend
ist - wie hervorgehoben (vgl. oben E. 2) - vielmehr der Verwendungszweck der
Immobilie.

Weiter liegt in der Zulassung ordentlicher Abschreibungen nur auf
Anlagevermögen und höchstens ausserordentlicher Abschreibungen auf
Umlaufvermögen entgegen dem Beschwerdegegner kein Verstoss gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn es liegen unterschiedliche wirtschaftliche
Gegebenheiten vor, die eine differenzierte Behandlung von Werteinbussen
verlangen.
Schliesslich ist der Hinweis auf den sogenannten Warenlagerdrittel
unbehelflich, handelt es sich doch dabei gar nicht um eine
(ausserordentliche) Abschreibung, sondern - richtig besehen - um eine
vorübergehend gedachte Wertberichtigung (Känzig, Komm. N 128 zu Art. 22 Abs.
1 lit. b BdBSt; Locher, a.a.O., Rz. 34 zu Art. 29 DBG; Reich/ Züger, a.a.O.,
Rz. 25 ff. zu Art. 29 DBG).

4.
Zusammenfassend ist die auf der Liegenschaft in Z.________ vorgenommene
Abschreibung steuerrechtlich unzulässig, weshalb sie aufzurechnen ist. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich damit als begründet. Der
angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Bei diesem Ausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 153 und
153a OG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene
Entscheid aufgehoben. Die Angelegenheit wird zu neuem Entscheid an das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
sowie der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Februar 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: