Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.638/2006
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{T 0/2}
2A.638/2006 /leb

Beschluss vom 30. November 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Hugi Yar.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch
Advokat Guido Ehrler,

gegen

Amt für Migration Basel-Landschaft,
Postfach 251, 4402 Frenkendorf,
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Einzelrichter
für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht,
Postfach, 4410 Liestal.

Ausschaffungshaft (Art. 13b ANAG),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Einzelrichter
für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht,
vom 26. September 2006.

Das Bundesgericht stellt fest und zieht in Erwägung:

1.
1.1 X.________ (geb. 1984) durchlief in der Schweiz erfolglos ein
Asylverfahren, wobei er sich als sudanesischer Staatsbürger ausgab. Er befand
sich wiederholt in Ausschaffungshaft, aus der er jeweils entlassen werden
musste, da die Beschaffung von Reisepapieren nicht möglich war.

1.2 Am 12. September 2006 anerkannten die nigerianischen Behörden X.________
definitiv als Staatsangehörigen und sicherten zu, einen Laissez-passer für
ihn auszustellen. Das Amt für Migration Basel-Landschaft nahm X.________
hierauf am 25. September 2006 erneut in Ausschaffungshaft. Der Einzelrichter
für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht am Kantonsgericht Basel-Landschaft
prüfte diese tags darauf und bestätigte sie für längstens zwei Monate, d.h.
bis zum 22. November 2006, obwohl die nach Art. 13b Abs. 2 ANAG (SR 142.20)
grundsätzlich gesamthaft mögliche Haftdauer von neun Monaten am 15. Oktober
2006 ablief.

1.3 X.________ gelangte hiergegen am 24. Oktober 2006 mit dem Antrag an das
Bundesgericht, den haftrichterlichen Entscheid aufzuheben; er sei sofort aus
der Haft zu entlassen. Mit Verfügung vom 26. Oktober 2006 lehnte es der
Abteilungspräsident ab, bereits als vorsorgliche Massnahme in diesem Sinn zu
entscheiden. X.________ macht geltend, die gesetzliche Höchstdauer der
Ausschaffungshaft sei bundesrechtswidrig überschritten und die
Zwangsmassnahme durch ein unvollständig besetztes Gericht geprüft worden, da
der als Richter amtende Gerichtsschreiber nicht seinerseits einen
Gerichtsschreiber beigezogen habe. Das Kantonsgericht und das Amt für
Migration Basel-Landschaft beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das
Bundesamt für Migration hat sich nicht vernehmen lassen.

1.4 Am 16. November 2006 ist X.________ per Sonderflug nach Nigeria
ausgeschafft worden.

2.
2.1 Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist legitimiert, wer durch die
angefochtene Verfügung berührt ist und ein aktuelles schutzwürdiges Interesse
an deren Aufhebung oder Änderung hat (Art. 103 lit. a OG; BGE 131 II 670 E.
1.2, 361 E. 1.2). Fällt das aktuelle Interesse im Verlauf des Verfahrens
dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei
Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE 118 Ia 488
E. 1a; 118 Ib 1 E. 2 S. 7; 111 Ib 56 E. 2).

2.2 Der Ausländer hat nach seiner Ausschaffung oder Freilassung praxisgemäss
kein praktisches Interesse mehr daran, dass der vorgängige Haftentscheid noch
auf seine Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht hin überprüft wird (Urteile
2A.133/2006 vom 16. März 2006, E. 2.1, und 2A.368/2006 vom 19. Juli 2006, E.
2.1). Für das Bundesgericht besteht in solchen Fällen grundsätzlich keine
Veranlassung, ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen Interesses zu
verzichten, da es regelmässig in der Lage ist, die mit einer Haft verbundenen
grundsätzlichen Probleme rechtzeitig zu beurteilen (vgl. Urteil 2A.368/2006
vom 19. Juli 2006, E. 2.1 mit Hinweisen). Dies gilt auch hier: Das
Bundesgericht hat in seiner unpublizierten, indessen über das Internet
zugänglichen Praxis inzwischen bereits wiederholt dargelegt, unter welchen
Voraussetzungen eine Inhaftierung über die in Art. 13b Abs. 2 ANAG
vorgesehene maximale Haftdauer möglich ist (vgl. die Urteile 2A.428/2006 vom
14. August 2006, E. 2 u. 3 mit Hinweisen, 2A.466/2005 vom 11. August 2005, E.
3, und 2A.211/2003 vom 5. Juni 2003, E. 3). Die Frage der richtigen Besetzung
der richterlichen Behörde im Kanton Basel-Landschaft kann es ohne Weiteres in
einem späteren Verfahren prüfen.

2.3 Allfällige Schadenersatzansprüche lassen nach der Rechtsprechung das
aktuelle Interesse nicht fortbestehen, da das Staatshaftungsverfahren
hinreichenden Schutz bietet, um angebliche Rechtsverletzungen - auch solche
von Art. 5 Ziff. 1 - 4 EMRK - wirksam geltend machen zu können (vgl. BGE 125
I 394 ff.; 110 Ia 140 E. 2a; Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht,
in: Uebersax/ Münch/Geiser/Arnold, Ausländerrecht, Basel/Genf/München 2002,
Rz. 7.132 und 7.116). Da das aktuelle praktische Interesse vorliegend bei
Einreichung der Beschwerde gegeben war, jedoch mit der Ausschaffung des
Beschwerdeführers nachträglich dahingefallen ist, ohne dass von diesem
Erfordernis abzusehen wäre, kann das bundesgerichtliche Verfahren als
gegenstandslos geworden abgeschrieben werden (Art. 72 BZP i.V.m. Art 40 OG).

3.
3.1 Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen
Interesses dahin, entscheidet das Bundesgericht über die Prozesskosten mit
summarischer Begründung (Art. 72 BZP in Verbindung mit Art. 40 OG). Dabei
geht es nicht darum, die Prozessaussichten im Einzelnen zu prüfen und dadurch
weitere Umtriebe zu verursachen, weshalb darauf verzichtet werden kann, die
Parteien vorliegend zur Gegenstandslosigkeit noch anzuhören (vgl. Art. 72
Abs. 1 BZP); es muss bei einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein
Bewenden haben. Auf dem Weg über den Kostenentscheid soll nicht ein
materielles Urteil gefällt und unter Umständen der Entscheid in einer heiklen
Rechtsfrage präjudiziert werden (Beschluss 2A.123/2000 vom 10. April 2000, E.
3a).

3.2
3.2.1 Die bundesgerichtliche Rechtsprechung erachtet es grundsätzlich als
zulässig, einen aus der Haft entlassenen Ausländer im Rahmen ein- und
desselben Wegweisungsverfahrens erneut in Ausschaffungshaft zu nehmen, falls
eine "entscheidwesentliche" Änderung der Umstände dies rechtfertigt. Für die
Inhaftierung über die maximal zulässige Dauer von neun Monaten hinaus genügt
dabei für sich allein nicht, dass ein neuer Haftgrund vorliegt; erforderlich
sind Umstände, welche die weitere Inhaftierung als verhältnismässig und im
öffentlichen Interesse liegend erscheinen lassen. Im Vergleich zur Situation
bei Ablauf der ersten Haft muss die Ausschaffung innert absehbarer Frist
konkret möglich erscheinen; es müssen triftige Gründe dafür sprechen, dass
die Ausschaffung nunmehr - im Unterschied zur Situation bei Ablauf der
erstmaligen neunmonatigen Ausschaffungshaft - innert vernünftiger Frist
durchgeführt werden kann. Die Haft darf nicht wiederum neun Monate dauern;
eine deutlich kürzere, verhältnismässige Frist muss genügen (Urteile
2A.428/2006 vom 14. August 2006, E. 2, und 2A.211/2003 vom 5. Juni 2003, E.
3.2).
3.2.2 Der Beschwerdeführer hat sich als Sudanese ausgegeben, ist über Jahre
hinweg seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und hat sich immer
wieder renitent gezeigt. Er ist erst wieder in Ausschaffungshaft genommen
worden, als definitiv feststand, dass die nigerianischen Behörden ihm einen
Laissez-passer ausstellen würden; hierin lag eine entscheidwesentliche
Änderung der Umstände im Sinne der zitierten Rechtsprechung. Gestützt auf
diese Erklärung ist für den Beschwerdeführer ein Flug nach Lagos für den 11.
Oktober 2006 gebucht worden, womit seine Rückkehr noch innerhalb der
gesetzlichen Frist möglich gewesen wäre. Der Beschwerdeführer weigerte sich
indessen, den Rückflug freiwillig anzutreten. Für diesen Fall hatten die
Behörden einen Platz für ihn im nächsten Sonderflug nach Nigeria vom 16.
November 2006 reserviert, womit der Vollzug seiner Wegweisung absehbar und
die Genehmigung der Haft für rund einen Monat über die neun Monate hinaus,
nicht unverhältnismässig gewesen ist und im öffentlichen Interesse (vgl. BGE
130 II 377 E. 3.2.3 S. 383) gelegen haben dürfte.

3.3
Die Frage braucht letztlich indessen ebenso wenig abschliessend beantwortet
zu werden wie jene nach der richtigen Zusammensetzung der richterlichen
Behörde, da der Beschwerdeführer ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung gestellt hat. Diesem ist zu entsprechen, nachdem die
vorliegende Beschwerde nicht als zum Vornherein aussichtslos gelten kann
(Art. 152 OG; zum Begriff der Aussichtslosigkeit: BGE 122 I 267 E. 2b S.
271):
3.3.1 Die Möglichkeit der Fortsetzung der Ausschaffungshaft über die
gesetzlich vorgesehenen neun Monate hinaus bildet eine "heikle Rechtsfrage"
(so das Urteil 2A.211/2003 vom 5. Juni 3003, E. 1.4), bei deren Beantwortung
die konkreten Umstände des Einzelfalls eine zentrale Rolle spielen. Der
Entscheid 2A.428/2006 vom 14. August 2006 war bei Einreichung der Beschwerde
noch nicht allgemein bekannt. In diesem Urteil ging das Bundesgericht davon
aus, dass die Praxis zur entsprechenden Problematik "noch wenig gefestigt"
erscheine (E. 4).

3.3.2 Nach § 3 des Gesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 20. Mai 1996
über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht ist das Präsidium der Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Kantonsgerichts die zuständige
kantonale richterliche Behörde im Sinne der Bundesgesetzgebung (Abs. 1); das
Präsidium kann diese Funktion auf andere Abteilungsmitglieder sowie auf jene
Gerichtsschreiber des Kantonsgerichts übertragen, die vom Landrat als
Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht gewählt wurden (Abs. 2;
in der Fassung vom 3. November 2005, in Kraft seit 1. Januar 2006). Gemäss §
6 des basellandschaftlichen Gesetzes vom 22. Februar 2001 über die
Organisation der Gerichte und der Strafverfolgungsbehörden ist jedem Gericht
die erforderliche Zahl Gerichtsschreiber beizugeben (Abs. 1); diese haben
beratende Stimme und können Anträge stellen (Abs. 2). Gestützt hierauf ist
nicht zum Vornherein auszuschliessen, dass der Einzelrichter für die
ordnungsgemässe Zusammensetzung des Gerichts einen Gerichtsschreiber hätte
beiziehen müssen, wie dies bis zum 1. Januar 2006 offenbar der Fall war (zur
Rolle des Gerichtsschreibers bei der richtigen Besetzung des Gerichts: BGE
125 V 499 ff.; 124 I 255 E. 4c S. 262 und E. 5c/aa S.265; Urteile 1P.8/1999
vom 22. Januar 1999, E. 2 und 3; 6P.126/2000 vom 20. Februar 2001, E. 1c;
1P.157/2001 vom 5. Oktober 2001, E. 2, publ. in: ZBl 103/2002 S. 334 ff.;
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte i.S. Wassink gegen
Niederlande vom 27. Dezember 1990, Ziff. 27). Auch in diesem Punkt war die
vorliegende Beschwerde damit nicht zum Vornherein aussichtslos; im Rahmen des
vorliegenden Kostenentscheids erübrigen sich weitere Abklärungen.

Demnach beschliesst das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird als erledigt erklärt und vom
Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Advokat Guido Ehrler wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand des
Beschwerdeführers bestellt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieser Beschluss wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration
Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Einzelrichter für
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, sowie dem Bundesamt für Migration und dem
Haftgericht III Bern-Mittelland schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. November 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: