Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.633/2006
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{T 0/2}
2A.633/2006 /zga

Urteil vom 26. Januar 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

X. ________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Fäh,

gegen

Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001
St. Gallen,
Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.

Niederlassungsbewilligung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 14. September 2006.

Sachverhalt:

A.
Der aus dem Kosovo stammende X.________ (geb. 1981) gelangte 1994 im Rahmen
des Familiennachzugs zu seinen Eltern in die Schweiz. Seit August 1996
besitzt er die Niederlassungsbewilligung.

Am 18. Oktober 2004 wurde X.________ in Wien bei der Übergabe von rund 1,7 kg
Kokaingemisch verhaftet. Das Landgericht für Strafsachen Wien verurteilte ihn
in der Folge am 11. Januar 2005 wegen Widerhandlungen gegen das
österreichische Suchtmittelgesetz zu 24 Monaten Freiheitsstrafe.

B.
Mit Schreiben vom 31. März 2005 teilte der Rechtsvertreter von X.________ dem
Ausländeramt des Kantons St. Gallen mit, sein Mandant befinde sich in
Österreich im Strafvollzug und werde mehr als sechs Monate im Ausland
verweilen. Es werde daher um "Reservation" der Niederlassungsbewilligung bis
Ende 2005 ersucht.

Mit Verfügung vom 21. Juli 2005 wies das Ausländeramt dieses Gesuch ab und
stellte fest, dass mit Eintritt der Rechtskraft dieser Verfügung die
Niederlassungsbewilligung erlösche. Ein hiegegen beim Justiz- und
Polizeidepartement des Kantons St. Gallen erhobener Rekurs blieb erfolglos,
und mit Urteil vom 14. September 2006 wies das Verwaltungsgericht des Kantons
St. Gallen eine gegen den Departementsentscheid vom 9. Juni 2006 gerichtete
Beschwerde ebenfalls ab.

C.
Im Laufe des kantonalen Verfahrens war X.________ bei einer Probezeit von
drei Jahren bedingt aus dem Strafvollzug entlassen worden (am 18. Oktober
2005) und hatte in Buchs die Schweizer Bürgerin Z.________ geheiratet (am 28.
Juli 2006).

D.
Mit Eingabe vom 20. Oktober 2006 führt X.________
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, den
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14. September
2006, den Entscheid des Justiz- und Polizeidepartements vom 9. Juni 2006 und
die Verfügung des Ausländeramtes vom 21. Juli 2005 aufzuheben. Sodann sei
festzustellen, dass seine Niederlassungsbewilligung nicht erloschen sei.

Das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen beantragt, die
Beschwerde abzuweisen. Denselben Antrag stellen das Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen und das Bundesamt für Migration.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Da
der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren
noch nach dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG), vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG.

2.
2.1 Auf dem Gebiete der Fremdenpolizei ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
unzulässig gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die
das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt (Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG).
Gegen Entscheide über den Widerruf oder die Feststellung des Erlöschens einer
Anwesenheitsbewilligung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hingegen
zulässig, unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Bewilligung besteht oder
nicht (BGE 99 Ib 1 E. 2 S. 4 f.; unveröffentlichte E. 1a zu BGE 120 Ib 369
sowie unver-öffentlichte E. 1a zu BGE 112 Ib 1). Der Beschwerdeführer ist
durch den angefochtenen Entscheid berührt und hat ein schutzwürdiges
Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 103 lit. a OG). Auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach einzutreten. Anfechtungsgegenstand
bildet dabei aber einzig das verwaltungsgerichtliche Urteil (vgl. Art. 98
lit. g i.V. mit Art. 98a OG). Soweit der Beschwerdeführer auch die Aufhebung
des Departementsentscheides bzw. der Verfügung des Ausländeramtes verlangt,
ist auf sein Begehren nicht einzutreten (vgl. BGE 125 II 29 E. 1c S. 33).

2.2 Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sowie die
unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Hat - wie hier - eine
richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden und den Sachverhalt nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften festgestellt, ist das Bundesgericht an die
Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid gebunden (Art. 105 Abs. 2
OG).

2.3 Das Bundesgericht wendet im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
das Bundesrecht von Amtes wegen an; es ist gemäss Art. 114 Abs. 1 OG an die
von den Parteien vorgebrachten Begründungen nicht gebunden und kann die
Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder
abweisen (BGE 128 II 145 E. 1.2.2 S. 150 f.; 127 II 264 E. 1b S. 268 mit
Hinweisen).

3.
3.1 Gemäss Art. 9 Abs. 3 lit. c des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG, SR 142.20) erlischt die
Niederlassungsbewilligung mit der Abmeldung oder wenn sich der Ausländer
während sechs Monaten tatsächlich im Ausland aufhält; stellt der Ausländer
vor deren Ablauf ein entsprechendes Begehren, so kann diese Frist bis auf
zwei Jahre verlängert werden.

Nach der gesetzlichen Regelung von Art. 9 Abs. 3 lit. c ANAG ist unerheblich,
auf welchen Gründen der Auslandaufenthalt beruht (BGE 120 Ib 369 E. 2c S.
372). Dauert er länger als sechs Monate und stellt der Ausländer vor Ablauf
dieser Frist kein Verlängerungsbegehren, liegt ein zwingender Untergangsgrund
vor. Die Niederlassungsbewilligung erlischt in solchen Fällen auch dann, wenn
sich der Ausländer im Ausland in Haft befindet (Urteil 2A.308/2001 vom 15.
November 2001 E. 3a mit Hinweisen).

Hat der Ausländer - wie hier - rechtzeitig ein entsprechendes Gesuch
gestellt, ist für den Entscheid über die Verlängerung der Frist nach Art. 9
Abs. 3 lit. c ANAG - von dem der Weiterbestand der Niederlassungsbewilligung
abhängt -  darauf abzustellen, ob aufgrund des deliktischen Verhaltens des
Beschwerdeführers eine Ausweisung geboten wäre (erwähntes Urteil, E. 4e).

3.2 Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG kann ein Ausländer aus der Schweiz
ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens
gerichtlich bestraft wurde. Die Ausweisung soll jedoch nur ausgesprochen
werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen erscheint (Art. 11
Abs. 3 ANAG). Dabei sind namentlich die Schwere seines Verschuldens, die
Dauer der Anwesenheit sowie die dem Betroffenen und seiner Familie drohenden
Nachteile zu berücksichtigen (vgl. Art. 16 Abs. 3 ANAV [SR 142.201]; BGE 129
II 215 E. 3; 125 II 105 ff.). Je länger ein Ausländer in der Schweiz lebt,
desto strengere Anforderungen sind grundsätzlich an die Voraussetzungen einer
Ausweisung zu stellen. Selbst bei einem Ausländer, der bereits hier geboren
ist und sein ganzes bisheriges Leben in der Schweiz verbracht hat ("Ausländer
der zweiten Generation"), ist bei Gewaltdelikten bzw. wiederholter schwerer
Straffälligkeit eine solche indessen nicht ausgeschlossen (BGE 130 II 176 E.
4.4.2 S. 190; 125 II 521 E. 2b S. 523; 122 II 433 E. 2 und 3 S. 435 ff.). Bei
sehr langer Anwesenheit in der Schweiz ist die Ausweisung in der Regel erst
anzuordnen, wenn der Ausländer, statt sich zu bessern, mit der deliktischen
Tätigkeit fortfährt und sich namentlich immer schwerere Straftaten zuschulden
kommen lässt (Urteile 2A.370/2000 vom 16. November 2000, E. 5.c, und
2A.468/2000 vom 16. März 2001, E. 3b). Entscheidend sind  immer die gesamten
Umstände des Einzelfalles (BGE 125 II 521 E. 2b S. 523 f. mit Hinweisen).

3.3
3.3.1 Der Beschwerdeführer wurde im Jahre 2004 in Österreich wegen eines
Drogendeliktes zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt (vgl. vorne "A.".
Damit liegt ein Ausweisungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG vor.
Zu prüfen bleibt die Verhältnismässigkeit einer Ausweisung.

3.3.2 Das aus reiner Profitgier begangene Drogendelikt ist als gravierend
einzustufen. Es besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse an der
Fernhaltung von ausländischen Drogenhändlern (vgl. zur strengen Praxis des
Bundesgerichts bei Drogendelikten BGE 125 II 521 E. 4a/aa mit Hinweisen).
Zugunsten des Beschwerdeführers lässt sich anführen, dass er seit 1994 und
damit schon relativ lange in der Schweiz weilt. Er war bei der Einreise aber
bereits 13 Jahre alt und ist damit kein "Ausländer der zweiten Generation",
bei denen von der Möglichkeit der Ausweisung nur zurückhaltend Gebrauch zu
machen ist (vgl. E. 3.2).
3.3.3 Nach den vorliegenden Akten ist der Beschwerdeführer in der Schweiz
fremdenpolizeilich bisher nie negativ aufgefallen. Auch das in Österreich
gegen ihn ergangene Strafurteil bezeichnet ihn als "bislang unbescholten"
(Strafurteil S. 6). Weder das angefochtene Urteil noch die vorhandenen Akten
geben aber einen näheren Aufschluss über das bisherige Verhalten des
Beschwerdeführers in der Schweiz und über seine berufliche und soziale
Integration. Ebenso wenig ist ersichtlich, unter welchen Umständen er dazu
kam, sich in Österreich als Drogenhändler zu betätigen und was es mit der
geltend gemachten "aktuellen Geldnot" (Strafurteil S. 9) für eine Bewandtnis
hatte.
Die in Österreich ausgesprochene Freiheitsstrafe von zwei Jahren könnte,
falls weitere Umstände den Beschwerdeführer in einem ungünstigen Licht
erscheinen lassen, eine Ausweisung grundsätzlich rechtfertigen; erweist sich
dagegen, dass der Beschwerdeführer beruflich und sozial gut integriert ist,
wäre der Verlust der Niederlassungsbewilligung wegen des fraglichen
einmaligen Fehltrittes unverhältnismässig. Die Sachverhaltsfeststellungen im
angefochtenen Urteil sowie die eingereichten Akten erlauben keine Beurteilung
dieser Frage. Ungeklärt sind im Übrigen auch die Art der bisherigen Beziehung
des Beschwerdeführers zu seiner im Laufe des Rechtsmittelverfahrens
geheirateten schweizerischen Ehefrau sowie die Umstände dieser
Eheschliessung. Wiewohl diese in Kenntnis der drohenden bzw. erstinstanzlich
bereits ausgesprochenen ausländerrechtlichen Massnahme eingegangene Ehe für
die Interessenabwägung nur ein beschränktes Gewicht haben kann, bedarf auch
dieser Aspekt einer näheren Prüfung.

4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als
begründet. Sie ist wegen unvollständiger Feststellung des Sachverhalts (vgl.
E. 2.2) gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, und die
Angelegenheit ist zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art.
114 Abs. 2 OG).

Entsprechend diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 156
Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton St. Gallen den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen,
soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
St. Gallen vom 14. September 2006 aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton St. Gallen hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Justiz- und Polizeidepartement
und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen sowie dem Bundesamt für
Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Januar 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: