Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.544/2006
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{T 0/2}
2A.544/2006 /leb

Urteil vom 16. Februar 2007
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

1. A.________,
2.B.________,
Beschwerdeführerinnen,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roland Ilg,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern,
Hallwilerweg 7, 6002 Luzern,
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
Obergrundstrasse 46, 6002 Luzern.

Aufenthaltsbewilligung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 26. Juli 2006.

Sachverhalt:

A.
Die aus dem Kosovo stammende A.________ (geb. 1975) heiratete am 8. August
2000 in ihrer Heimat den in der Schweiz niederlassungsberechtigten Landsmann
C.________ (geb. 1971), zog zu ihm in den Kanton Luzern und erhielt im Rahmen
des Familiennachzugs eine Aufenthaltsbewilligung. Am 16. September 2002 kam
die gemeinsame Tochter B.________ zur Welt. Sie wurde in die
Niederlassungsbewilligung ihres Vaters einbezogen.

Mit Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten Luzern-Land vom 27. Mai 2003 wurde
die Ehe auf Begehren der Ehefrau auf unbestimmte Zeit getrennt. Die Tochter
B.________ wurde unter die alleinige Obhut der Mutter gestellt; der Vater
erhielt ein gerichtsübliches Besuchsrecht zugesprochen und wurde zu
Alimentenzahlungen verpflichtet.

B.
Mit Verfügung vom 20. Januar 2006 lehnte das Amt für Migration des Kantons
Luzern das Gesuch von A.________ um eine weitere Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung ab, verweigerte ihr die Erteilung einer
Niederlassungsbewilligung, wies sie weg und ordnete an, sie und ihre Tochter
B.________ hätten die Schweiz bzw. den Kanton Luzern bis zum 10. März 2006 zu
verlassen.

Eine hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern mit Urteil vom 26. Juli 2006 insoweit gut, als "Tochter B.________
nicht verhalten werden" könne, "die Schweiz zu verlassen" (Ziff. 1 des
Urteilsdispositivs). Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde
ab. Sein begründetes Urteil versandte das Gericht am 3. August 2006.

C.
Mit gemeinsamer Eingabe vom 14. September 2006 führen A.________
(Beschwerdeführerin 1) und B.________ (Beschwerdeführerin 2)
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 26. Juli 2006 "im
Abweisungspunkt" aufzuheben und der Beschwerdeführerin 1 die
Aufenthaltsbewilligung zu verlängern. Eventuell sei die Angelegenheit an das
kantonale Migrationsamt bzw. an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Amt für Migration des Kantons Luzern schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Denselben Antrag stellen das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern und das Bundesamt für Migration.

D.
Mit Präsidialverfügung vom 19. Oktober 2006 wurde der Beschwerde
- antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Da
der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren
noch nach dem Bundesgesetz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG), vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG.

2.
2.1 Nach Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiet der Fremdenpolizei
ausgeschlossen gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf
die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Gemäss Art. 4 des
Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer (ANAG; SR 142.20) entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der
gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem
Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Damit besteht
kein Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung, es sei denn, der Ausländer
oder seine in der Schweiz lebenden Angehörigen können sich hierfür auf eine
Sondernorm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen (BGE 130 II 281
E. 2.1 S. 284; 128 II 145 E. 1.1.1 S. 148 mit Hinweisen).

2.2 Für die Beschwerdeführerin 1 lassen sich vorliegend aus dem
innerstaatlichen Gesetzesrecht keine Ansprüche ableiten. A.________ ist
unbestrittenermassen lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung, auf
deren Verlängerung grundsätzlich kein Anspruch besteht (vgl. BGE 119 Ib 91 E.
1d S. 95). Aus Art. 17 Abs. 2 ANAG, wonach der ausländische Ehegatte eines
Ausländers mit Niederlassungsbewilligung Anspruch auf Erteilung und
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung hat, "so lange die Ehegatten zusammen
wohnen", kann die Beschwerdeführerin 1, die nach dreijährigem Zusammenleben
mit ihrem niederlassungsberechtigten Ehemann von diesem getrennt lebt, kein
Recht auf eine Aufenthaltsbewilligung mehr ableiten. Ebenso wenig ist ein
Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung entstanden (vgl. Art. 17 Abs. 2
Satz 2 ANAG). Was die Beschwerdeführerin 1 in diesem Zusammenhang vortragen
lässt (sie rügt namentlich eine unzulässige Schlechterstellung von
Ausländerinnen, die statt von Schweizer Bürgern von
Niederlassungsberechtigten nachgezogen werden, vgl. S. 5 und 15 der
Beschwerdeschrift), kann nicht gehört werden (Art. 191 BV).

2.3 Soweit sich die Beschwerdeführerin 1 auf den Schutz des Privatlebens
(Art. 8 EMRK, Art. 13 Abs. 1 BV) beruft und ganz besonders enge Beziehungen
zu in der Schweiz lebenden Verwandten geltend macht (S. 5/6 der
Beschwerdeschrift), sind ihre Vorbringen ebenfalls unbehelflich. Selbst
langjährige Anwesenheit in der Schweiz liesse für sich allein unter diesem
Titel keinen Bewilligungsanspruch entstehen. Erforderlich wären besonders
intensive, über eine normale Integration hinausgehende private Beziehungen
zum ausserfamiliären bzw. ausserhäuslichen Bereich; es müsste von einer
eigentlichen Verwurzelung in der Schweiz gesprochen werden können (s.
Zusammenfassung der Kriterien zu diesem Aspekt in BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S.
286). Diese Erfordernisse erfüllt die Beschwerdeführerin 1, welche mit der
deutschen Sprache wenig vertraut ist und als nicht integriert gilt (vgl. S. 7
und 8 des angefochtenen Entscheides), offensichtlich nicht.

2.4 Art. 8 EMRK gewährleistet den Schutz des Familienlebens. Die Europäische
Menschenrechtskonvention verschafft an sich kein Recht auf Aufenthalt in
einem bestimmten Konventionsstaat. Hat ein Ausländer nahe Verwandte in der
Schweiz und ist diese familiäre Beziehung intakt und wird sie tatsächlich
gelebt, kann es hingegen das in Art. 8 Ziff. 1 EMRK bzw. in Art. 13 Abs. 1 BV
garantierte Recht auf Achtung des Familienlebens verletzen, wenn ihm die
Anwesenheit in der Schweiz untersagt wird. Der sich hier aufhaltende
Angehörige muss dabei über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügen. Dies
ist der Fall, wenn er das Schweizer Bürgerrecht oder eine
Niederlassungsbewilligung besitzt oder über eine Aufenthaltsbewilligung
verfügt, die ihrerseits auf einem gefestigten Rechtsanspruch beruht (BGE 130
II 281 E. 3.1 S. 285 f. mit Hinweisen).

Die am 16. September 2002 geborene Beschwerdeführerin 2 ist in die
Niederlassungsbewilligung ihres Vaters einbezogen worden (Art. 17 Abs. 2 Satz
3 ANAG) und hat ihr Niederlassungsrecht gemäss dem angefochtenen Urteil nicht
verloren. Sie steht sodann gemäss Trennungsurteil vom 27. Mai 2003 unter der
alleinigen Obhut ihrer Mutter. Für die Beschwerdeführerin 1 ergibt sich nach
dem Gesagten dadurch aufgrund von Art. 8 Ziff. 1 EMRK aus der gelebten
Beziehung zu ihrer Tochter ein potentieller Anwesenheitsanspruch in der
Schweiz, weshalb insoweit auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten
ist (vgl. BGE 127 II 60 E. 1d/bb S. 66).

2.5 Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sowie die
unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Hat - wie hier - eine
richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden und den Sachverhalt nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften festgestellt, ist das Bundesgericht an die
Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid gebunden (Art. 105 Abs. 2
OG).

3.
3.1 Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK
gilt nicht absolut. Vielmehr ist nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK ein Eingriff in das
durch Ziff. 1 geschützte Rechtsgut statthaft, soweit er eine Massnahme
darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale
Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung und zur Verhinderung von
strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesellschaft und Moral sowie der
Rechte und Pflichten anderer notwendig ist. Die Konvention verlangt insofern
eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an der Erteilung der
Bewilligung und den öffentlichen Interessen an deren Verweigerung, wobei
letztere in dem Sinn überwiegen müssen, dass sich der Eingriff als notwendig
erweist (BGE 122 II 1 E. 2 S. 6 mit Hinweis). Als zulässiges öffentliches
Interesse fällt insbesondere das Durchsetzen einer restriktiven
Einwanderungspolitik in Betracht. Eine solche ist im Hinblick auf ein
ausgewogenes Verhältnis zwischen schweizerischer und ausländischer
Wohnbevölkerung, die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die
Eingliederung der in der Schweiz fest ansässigen Ausländer und die
Verbesserung der Arbeitsmarktstruktur sowie eine möglichst ausgeglichenen
Beschäftigung im Lichte von Art. 8 Ziff. 2 EMRK zulässig (BGE 120 Ib 1 E. 4b
S. 5, 22 E. 4a S. 25).

3.2 Eine Verletzung von Art. 8 EMRK liegt von vornherein nicht vor, wenn es
(auch) den fest anwesenheitsberechtigten Familienmitgliedern zumutbar ist,
ihr Familienleben im Ausland zu führen. Einem Kind im anpassungsfähigen Alter
kann grundsätzlich zugemutet werden, dem für ihn sorgenden Elternteil ins
Ausland zu folgen (BGE 122 II 289 E. 2c S. 298, vgl. auch Niccolò
Raselli/Christina Hausammann, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold,
Ausländerrecht, Rz. 13.61). Dies gilt insbesondere für Kleinkinder. Dass ein
Kleinkind das schweizerische Bürgerrecht oder eine Niederlassungsbewilligung
besitzt, schliesst nicht aus, dass es den Eltern oder dem obhutsberechtigten
Elternteil, wenn diesen bzw. diesem der weitere Aufenthalt in der Schweiz
verweigert wird, ins Ausland zu folgen hat (BGE 127 II 60 E. 2b S. 67; 122 II
289 E. 2c S. 298).

Die Beschwerdeführerin 2 ist heute etwas mehr als vier Jahre alt. Die
Ausreise ins Heimatland ihrer Mutter ist ihr nach dem Gesagten zumutbar, dies
umso mehr, als nach den für das Bundesgericht nach Massgabe von Art. 105 Abs.
2 OG verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz zum Vater kein Kontakt
besteht (vgl. S. 7 oben des angefochtenen Entscheides) und dieser an einem
Kontakt auch nach Darstellung der Beschwerdeführerinnen nicht interessiert
ist. Damit fehlt es an einem Eingriff in das nach Art. 8 Ziff. 1 EMRK
geschützte Familienleben und die Interessenabwägung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK
kann unterbleiben (vgl. Urteil 2A.508/2005 vom 16. September 2005, E. 2.2.1,
am Ende).

3.3 Selbst wenn das Vorliegen eines Eingriffs in das Recht auf Familienleben
gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK zu bejahen und eine Verhältnismässigkeitsprüfung
nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vorzunehmen wäre, erschiene die Nichtverlängerung der
Aufenthaltsbewilligung für die Beschwerdeführerin 1 zulässig. Diese hat den
grössten Teil ihres Lebens in ihrem Heimatland verbracht. Sie kam erst im
Jahre 2001 im Alter von 26 Jahren in die Schweiz und hat sich hier nicht
integriert. Sie, die kaum deutsch spricht, ist erst seit dem 25. April 2006
im Besitz einer provisorischen Bewilligung für einen Stellenantritt als
Reinigungsangestellte und war vorher offenbar nie berufstätig. Was die
Beschwerdeführerin 2 anbelangt, so besteht nach dem Gesagten kein gelebter
Kontakt zum Vater, und dieser ist an einer Ausübung des Besuchsrechts
offenbar auch nicht interessiert (vgl. seine Stellungnahme vom 17. Mai 2005).
Damit hat das Verhältnis zum Vater unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK
entsprechend wenig Gewicht (BGE 122 II 289 E. 3c S. 298).

Was die geltend gemachte Unmöglichkeit eines Alimenteninkassos betrifft,
können die den beiden Beschwerdeführerinnen zugesprochenen Alimente -
entgegen den Darlegungen in der Beschwerdeschrift - gegenüber dem
zahlungspflichtigen Vater auch vom Kosovo aus geltend gemacht werden
(beispielsweise durch Mandatierung einer Inkassostelle in der Schweiz). Die
Berufung auf Art. 8 EMRK vermag daher nicht durchzudringen.

4.
Dies führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf
eingetreten werden kann.

Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den
Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und
153a OG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird den Beschwerdeführerinnen auferlegt,
unter solidarischer Haftung.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen, dem Amt für Migration und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Februar 2007

Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: