Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.443/2006
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{T 0/2}
2A.443/2006/fco

Urteil vom 26. Oktober 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

A. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwältin Heidi Koch-Amberg,

gegen

Regierungsrat des Kantons Schaffhausen, Beckenstube 7, Postfach, 8201
Schaffhausen,
Obergericht des Kantons Schaffhausen,
Postfach 568, 8201 Schaffhausen.

Familiennachzug,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen
vom 16. Juni 2006.

Sachverhalt:

A.
Der aus der serbischen Provinz Kosovo stammende A.________ (geb. 1966) lebt
seit 1993 in der Schweiz. Er war zunächst im Besitz einer
Aufenthaltsbewilligung. Im Jahre 2003 wurde ihm die Niederlassungsbewilligung
erteilt. A.________ war eigenen Angaben zufolge ursprünglich als Fussballer
in die Schweiz gekommen; heute bezieht er eine Invalidenrente und
Ergänzungsleistungen.

B.
Mit Verfügung vom 26. August 2004 wies das Ausländeramt des Kantons
Schaffhausen das von A.________ am 25. August 2003 gestellte Gesuch um
Familiennachzug seiner Ehefrau B.________ (geb. 1968) sowie der vier Kinder
C.________ (geb. 13. August 1987), D.________ (geb. 18. September 1989),
E.________ (geb. 12. September 1991) und F.________ (geb. 18. April 1996) ab.
Ein hiegegen erhobener Rekurs beim Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
blieb erfolglos: Mit Beschluss vom 23. November 2004 erwog die
Kantonsregierung im Wesentlichen, für den Familiennachzug seien vorliegend
nicht in erster Linie familiäre Gründe massgebend. Es gehe dem Rekurrenten
einzig um eine Verbesserung der Ausbildungs- und Berufschancen seiner Kinder,
was rechtsmissbräuchlich erscheine.

C.
Auf Beschwerde hin verneinte das Obergericht des Kantons Schaffhausen das
Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs. Mit Entscheid vom 16. Juni 2006 wies es
die Beschwerde gleichwohl ab. Es erwog, im Ergebnis sei die Abweisung des
Gesuchs um Familiennachzug nicht aufgrund missbräuchlicher Inanspruchnahme
des Nachzugsrechts wegen des langen Zuwartens und des Alters der Kinder,
sondern allein aufgrund des bestehenden hohen Fürsorgerisikos gerechtfertigt.

D.
A.________ führt mit Eingabe vom 24. Juli 2006 Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht mit den Anträgen, den Entscheid des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen vom "16.10.06" (recte: 16. Juni 2006) aufzuheben und den
Nachzug der Ehefrau und der vier Kinder zu bewilligen; eventuell mit Ausnahme
des Sohnes C.________ (geb. 1987). Sodann wird um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung ersucht.
Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen beantragt, die Beschwerde
abzuweisen. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen schliesst auf Abweisung
der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Migration
stellt denselben Antrag.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiet der Fremdenpolizei
ausgeschlossen gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf
die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt (BGE 130 II 281 E. 2.1 S. 284).

1.2 Gemäss Art. 17 Abs. 2 ANAG (in der Fassung vom 23. März 1990) hat der
Ehegatte eines in der Schweiz niedergelassenen Ausländers Anspruch auf
Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, solange die Ehegatten
zusammen wohnen. Ledige Kinder unter 18 Jahren haben Anspruch auf Einbezug in
die Niederlassungsbewilligung, wenn sie mit ihren Eltern zusammen wohnen (zur
Natur dieses Rechts auf Miteinbezug vgl. BGE 126 II 269 E. 2d/bb S. 272 f.).

Der Beschwerdeführer, welcher über die Niederlassungsbewilligung verfügt,
besitzt einen grundsätzlichen Anspruch auf Nachzug seiner Ehefrau, mit der er
künftig zusammen zu wohnen beabsichtigt. Da seine Kinder im Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung, auf welchen es im Rahmen von Art. 17 Abs. 2 ANAG für die
Eintretensfrage ankommt (BGE 129 II 249 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen), noch
nicht volljährig waren, steht auch ihnen im Grundsatz ein Nachzugsanspruch
bzw. ein solcher auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung ihres Vaters
zu. Der Beschwerdeführer kann sich zudem im Verhältnis zu seiner Ehefrau und
zu jenen drei Kindern, welche im Zeitpunkt des bundesgerichtlichen Entscheids
die Altersgrenze von 18 Jahren noch nicht überschritten haben (vgl. BGE 129
II 11 E. 2 S. 13 f., 249 E. 1.2 S. 252), auf das in Art. 8 Ziff. 1 EMRK bzw.
in Art. 13 Abs. 1 BV garantierte Recht auf Achtung des Familienlebens
berufen.

Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demzufolge einzutreten.

1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von
Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens,
sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Hat - wie hier - eine
richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden und den Sachverhalt nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften festgestellt, ist das Bundesgericht an die
Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid gebunden (Art. 105 Abs. 2
OG).

1.4 Das Bundesgericht wendet im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
das Bundesrecht von Amtes wegen an; es ist gemäss Art. 114 Abs. 1 OG an die
von den Parteien vorgebrachten Begründungen nicht gebunden und kann die
Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder
abweisen (BGE 128 II 145 E. 1.2.2 S. 150 f.; 127 II 264 E. 1b S. 268 mit
Hinweisen).

2.
2.1 Zweck des Familiennachzugs ist es, das Leben in der Familiengemeinschaft
zu ermöglichen. Nach der Rechtsprechung ist der nachträgliche Familiennachzug
von minderjährigen Kindern durch Eltern, die sich beide in der Schweiz
niedergelassen haben und einen gemeinsamen ehelichen Haushalt führen,
möglich, ohne dass besondere stichhaltige Gründe die verzögerte
Geltendmachung des Nachzugsrechts rechtfertigen müssen. Innerhalb der
allgemeinen Schranken von Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG ist der Nachzug von
gemeinsamen Kindern grundsätzlich jederzeit zulässig, vorbehalten bleibt
einzig das Rechtsmissbrauchsverbot (BGE 129 II 11 E. 3.1.2 S. 14; 126 II 329
E. 3b S. 332).

2.2 Der Beschwerdeführer lebt zwar noch nicht mit seiner Ehefrau zusammen,
doch bezweckt sein Nachzugsgesuch gerade die Vereinigung beider Elternteile
mitsamt den Kindern, also die Zusammenführung der Gesamtfamilie. Damit lässt
sich der vorliegende Fall unter die Kategorie des (nachträglichen)
Familiennachzugs von zusammenlebenden Eltern subsumieren (vgl. Urteil
2A.31/2005 vom 26. Mai 2005 E. 2.3).

2.3 Die Vorinstanz hat im hier zu beurteilenden Fall das Vorliegen eines
Rechtsmissbrauches zutreffend verneint: Dem Beschwerdeführer kann nicht
vorgeworfen werden, er habe ohne plausible Gründe mit der Einreichung des
Nachzugsgesuches zugewartet und es gehe ihm mit dem vorliegenden Gesuch nicht
oder nur noch ganz nebensächlich um die Ermöglichung des Familienlebens. Es
ist (zusammenlebenden) Eltern gemäss der heutigen Regelung in Art. 17 ANAG
nicht verwehrt, bei der Stellung eines Nachzugsgesuches für ihre Kinder neben
dem Ziel der Herstellung der familiären Gemeinschaft auch Aspekte der
Ausbildung und der beruflichen Weiterentwicklung zu berücksichtigen.

2.4 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 119 Ib 81 E. 2d S. 87;
122 II 1 E. 3c S. 8 f.) darf der Familiennachzug verweigert werden, wenn der
Gesuchsteller umgehend wieder ausgewiesen werden dürfte, d.h. wenn ein
Ausweisungsgrund im Sinne von Art. 10 Abs. 1 ANAG besteht wie beispielsweise
Fürsorgebedürftigkeit nach Art. 10 Abs. 1 lit. d ANAG. Voraussetzung für eine
Verweigerung des Nachzugs ist in diesem Fall, dass konkret die Gefahr einer
fortgesetzten und erheblichen Fürsorgeabhängigkeit besteht; blosse
finanzielle Bedenken genügen nicht (BGE 125 II 333 E. 3c mit Hinweisen).
Sozialversicherungsleistungen wie Invalidenrenten und Ergänzungsleistungen,
auf welche der invalide Beschwerdeführer einen gesetzlichen Anspruch hat
(vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. a des Gesetzes vom 19. März 1965 über
Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
[ELG; SR 831.30]), zählen nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht zu
den Fürsorgeleistungen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. d ANAG (vgl. Urteil
2P. 101/2006 vom 6. Mai 2006, E. 2.2.6 mit Hinweisen).

2.5
2.5.1 Als Hindernis für den Familiennachzug wird seitens der kantonalen
Behörden vorliegend eine derartige, konkret drohende Fürsorgeabhängigkeit
geltend gemacht. In der Beschwerdeschrift wird dies unter Hinweis auf die für
die nachzuziehenden Familienmitglieder in Aussicht stehenden zusätzlichen
Ergänzungsleistungen bestritten.

2.5.2 Eine Berechnung des für die Familie A.________ zu erwartenden
Finanzbedarfs sowie die künftig zur Verfügung stehenden
Sozialversicherungsleistungen (datiert vom 29. September 2004) findet sich in
den kantonalen Akten. Das Obergericht bezieht sich im angefochtenen Entscheid
(E. 4c S.11) auf diese Berechnung und stellt fest, für den Beschwerdeführer
ergebe sich ein monatlicher Fehlbetrag von Fr. 736.--. Dass und inwiefern
diese Berechnung offensichtlich falsch oder unvollständig sein soll (vgl. E.
1.3), wird in der Beschwerdeschrift nicht dargetan und ist auch nicht
ersichtlich. Die Anwältin des Beschwerdeführers hat sich mit dieser Frage
nicht konkret auseinandergesetzt, sondern geht aufgrund einer Verlautbarung
des Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (IMES, heute
Bundesamt für Migration BFM ["ANAG-Weisungen"]) davon aus, dass bei Vorliegen
eines Anspruchs auf Ergänzungsleistungen der Einwand der drohenden
Fürsorgeabhängigkeit nicht erhoben werden könne. Dieser Standpunkt lässt
zunächst ausser Acht, dass ein Kind des Beschwerdeführers heute bereits
volljährig ist und ein zweites die Volljährigkeit im kommenden Jahr erreichen
wird. Diese beiden Kinder fallen für die Berechtigung zum Bezug von
Ergänzungsleistungen (und grundsätzlich auch für die Berechnung der
Invalidenrente) insoweit ausser Betracht, während andererseits auch nicht
ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass sie innert nützlicher Frist
selber für ihren Lebensunterhalt aufkommen werden.

Auch für die Ehefrau steht ein dauernder Anspruch auf Ergänzungsleistungen
nicht ohne weiteres fest; ihr würde gemäss den Ausführungen des
Regierungsrates nach Ablauf eines Jahres ein fiktives Einkommen angerechnet
(vgl. auch Urteil 2P.101/2006, E. 2.2.5). Ob die Ehefrau, soweit ihr dies
neben der Betreuung der Kinder überhaupt möglich ist, durch eigene
Arbeitstätigkeit wesentlich zum Lebensunterhalt der Familie beitragen kann,
ist ebenfalls fraglich.

Schon die vorstehend dargelegten Umstände zeigen, dass die zur Verfügung
stehenden Mittel für den Unterhalt der nachzuziehenden Familie nicht
ausreichen.

2.6 Im Übrigen setzt der in Art. 17 ANAG verankerte Anspruch auf Nachzug der
Kinder voraus, dass die Kinder mit ihren Eltern zusammen wohnen werden. Es
entspricht daher der gesetzlichen Regelung und auch dem Zweck des
Nachzugsrechts, wenn vom niedergelassenen Ausländer verlangt wird, dass er
über eine Wohnung verfügt, welche für die Beherbergung der nachzuziehenden
Familienmitglieder bzw. der Gesamtfamilie taugt (BGE 119 Ib 81 E. 2c S. 86,
mit weiteren Hinweisen). Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid
- an die das Bundesgericht nach Massgabe von Art. 105 Abs. 2 OG gebunden ist
- verfügt der Beschwerdeführer heute über keine angemessene Wohnung für eine
sechsköpfige Familie, und er tut auch nicht dar, dass und zu welchem für
seine Verhältnisse erschwinglichen Preis er diese Voraussetzung innert
nützlicher Frist erfüllen könnte.

2.7 Der Schluss des Obergerichts, wonach die Bewilligung des anbegehrten
Familiennachzuges bei Bezug der erforderlichen grösseren Wohnung mit dem
konkreten Risiko einer fortgesetzten und erheblichen Fürsorgeabhängigkeit
verbunden wäre, verstösst damit nicht gegen Bundesrecht. Der Beschwerdeführer
bringt nichts vor, was die diesbezüglichen, aufgrund der geschilderten
Sachlage objektiv begründeten Befürchtungen schlüssig zu entkräften
vermöchte.

2.8 Das Risiko der Fürsorgeabhängigkeit wäre etwas geringer, wenn der älteste
Sohn gemäss dem vor Bundesgericht gestellten Eventualantrag aus dem
anbegehrten Familiennachzug ausgeklammert würde. Die Beschwerdeschrift
enthält indessen keine näheren Ausführungen darüber, dass und in welchem
Masse die vorhandenen Mittel des Beschwerdeführers auf dieser Grundlage für
den Unterhalt ausreichen würden.

3.
Die Verweigerung des Familiennachzugs hält unter den vorstehend genannten
Umständen auch vor Art. 8 EMRK stand (vgl. BGE 122 II 1 E. 2 S. 6 mit
Hinweisen).

4.
Dies führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a
OG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann
mangels ernsthafter Erfolgsaussichten der Beschwerde nicht entsprochen werden
(Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Regierungsrat und dem
Obergericht des Kantons Schaffhausen sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Oktober 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: