Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.416/2006
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006


{T 0/2}
2A.416/2006 /vje

Urteil vom 7. August 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Feller.

X. ________, z.Zt. Ausschaffungsgefängnis Bässlergut, 4058 Basel,
Beschwerdeführer, vertreten durch Anlaufstelle Baselland, Johan Göttl,
Oberfeldstrasse 11A,
4133 Pratteln,

gegen

Amt für Migration Basel-Landschaft,
Postfach 251, 4402 Frenkendorf,
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht, Postfach, 4410 Liestal.

Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, vom
1. Juni 2006.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
X. ________, iranischer Staatsangehöriger, geb. 1976, reiste anfangs 2001 in
die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch. Das Bundesamt für Flüchtlinge
(heute: Bundesamt für Migration) wies das Gesuch am 16. Februar 2002 ab und
ordnete die Wegweisung an, unter Androhung von Zwangsmassnahmen. Die
Verfügung des Bundesamtes ist rechtskräftig.

Das Strafgericht Basel-Stadt verurteilte X.________ mit Urteil vom 10.
September 2004 insbesondere wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 3 ? Jahren Zuchthaus, einer Busse von Fr.
1'500.-- und einer unbedingten Landesverweisung von 15 Jahren. Auf den 6.
Januar 2006 wurde X.________ aus der Strafhaft entlassen. Der Wegweisung
leistete er keine Folge, und er hielt sich in Missachtung einer Verfügung
über die Eingrenzung auf das Gebiet des Bezirks Liestal bei seiner Schwester
im Kanton Zürich auf.

Im Hinblick auf eine auf den 6. Juni 2006 vorgesehene Befragung durch den
iranischen Konsul in Bern ordnete das Amt für Migration Basel-Landschaft am
24. Mai 2006 gegen X.________ Ausschaffungshaft an. Am 30. Mai 2006 wurde er
festgenommen. Mit Urteil vom 1. Juni 2006 stellte der Einzelrichter für
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht des Kantonsgerichts Basel-Landschaft nach
mündlicher Verhandlung fest, dass die Anordnung der Haft zur Sicherstellung
des Wegweisungsvollzugs für die Dauer von längstens drei Monaten, d.h. bis
zum 29. August 2006, rechtmässig und angemessen sei.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 3. Juli 2006 beantragt X.________ dem
Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts vom 1. Juni 2006 sei aufzuheben
und das Amt für Migration Basel-Landschaft anzuweisen, ihn umgehend aus der
Haft zu entlassen. Das Amt für Migration beantragt Abweisung der Beschwerde,
unter Verzicht auf eine eingehende Stellungnahme. Das Kantonsgericht hat auf
Vernehmlassung verzichtet. Am 21. Juli 2006 hat das Bundesamt für Migration
einen Amtsbericht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat sich am 26. Juli 2006
dazu geäussert.

2.
Wurde ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so kann
die zuständige kantonale Behörde den Ausländer zur Sicherstellung des
Vollzugs in Ausschaffungshaft nehmen, wenn ein Haftgrund im Sinne von Art.
13b Abs. 1 ANAG vorliegt und die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen
erfüllt sind.

2.1 Der Beschwerdeführer anerkennt, dass Haftgründe vorliegen. Er erachtet
die Haft einzig darum als unzulässig, weil der Vollzug der Wegweisung gegen
seinen Willen, d.h. eine zwangsweise Ausschaffung nach dem Iran, nicht
möglich sei. Er beruft sich dazu auf Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG.

2.2
2.2.1 Nach Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG wird die Haft beendet bzw. ist sie
unzulässig, wenn sich erweist, dass der Vollzug der Wegweisung aus
rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar ist. Die
Ausschaffungshaft soll den Vollzug der geplanten Entfernungsmassnahme
sicherstellen und muss ernsthaft geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen,
was nicht (mehr) der Fall ist, wenn die Weg- oder Ausweisung trotz
behördlicher Bemühungen nicht in absehbarer Zeit vollzogen werden kann. Der
Umstand allein, dass die Ausreise nur schwer organisiert werden kann und im
Rahmen der entsprechenden Bemühungen mit ausländischen Behörden erst noch
verhandelt werden muss, was erfahrungsgemäss eine gewisse Zeit in Anspruch
nimmt, macht die Ausschaffung nicht bereits undurchführbar. Gerade wegen
solcher Schwierigkeiten hat der Gesetzgeber die Haftdauer erheblich erhöht
und die Möglichkeit der Haftverlängerung geschaffen. Immerhin aber hat der
Vollzug der Wegweisung in absehbarer Zeit möglich zu erscheinen bzw.
hinreichend wahrscheinlich zu sein; andernfalls ist die Haft nicht mehr
zweckgerichtet und mithin unverhältnismässig. Wie es sich mit der
Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Einzelnen verhält, bildet
Gegenstand einer nach pflichtgemässem Ermessen vorzunehmenden Prognose. Die
Haft hat, weil unverhältnismässig, dann als unzulässig zu gelten, wenn
triftige Gründe für die Undurchführbarkeit des Vollzugs sprechen oder
praktisch feststeht, dass er sich innert vernünftiger Frist kaum wird
realisieren lassen. Dies ist in der Regel bloss der Fall, wenn die
Möglichkeit der Ausschaffung selbst bei gesicherter Kenntnis der Identität
oder der Nationalität des Betroffenen äusserst unwahrscheinlich und rein
theoretisch bleibt, so etwa bei ausdrücklicher oder zumindest klar
erkennbarer und konsequent gehandhabter Weigerung eines Staates, gewisse
Staatsangehörige zurückzunehmen (vgl. umfassend zu Art. 13c Abs. 5 lit. a
ANAG BGE 130 II 56 E. 4.1 S. 59 ff., mit Hinweisen auf Rechtsprechung und
Lehre).

2.2.2 Die im Hinblick auf die Frage der Vollziehbarkeit der Wegweisung zu
erstellende Prognose erfordert Feststellungen tatsächlicher Natur. Da es sich
bei der Vorinstanz um eine richterliche Behörde handelt, binden deren
Sachverhaltsfeststellungen das Bundesgericht, soweit sie nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen getroffen worden sind (Art. 105 Abs. 2 OG).

Die Vorinstanz hat festgestellt, es lägen keine Umstände vor, die gegen die
(tatsächliche) Vollziehbarkeit der Wegweisung sprechen würden. Sie hat nicht
erläutert, gestützt auf welche Abklärungen sie zu diesem Schluss kam. An der
gerichtlichen Verhandlung vom 1. Juni 2006 nahm der damalige Vertreter des
Beschwerdeführers nicht teil; er hatte sich aber am Vortag per Fax beim
Kantonsgericht gemeldet und unter Berufung auf die Akten darauf hingewiesen,
dass der Vollzug der Wegweisung in den Iran nur auf freiwilliger Basis
möglich sei und dass feststehe, dass der Beschwerdeführer nicht freiwillig
zurückkehren wolle. Aus einem allen kantonalen Fremdenpolizeibehörden
zugestellten Kreisschreiben des Bundesamtes für Flüchtlinge vom 15. Juni 2004
ergibt sich, dass damals der "zwangsweise Vollzug in den Iran weiterhin
blockiert" war. Bei dieser Ausgangslage erscheinen die vom Kantonsgericht
vorgenommenen Abklärungen als offensichtlich ungenügend, und es fehlt an für
das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen; dieses kann den
rechtserheblichen Sachverhalt selber ermitteln.

2.3 Die vom Beschwerdeführer beigebrachten Unterlagen (nebst dem erwähnten
Kreisschreiben vom 15. Juni 2004 die zwei Statistikblätter per Januar und
Dezember 2005 über Abgänge und Vollzugsmeldungen sowie Auszug
Fallchronologie) lassen darauf schliessen, dass zwangsweise Rückführungen in
den Iran kaum möglich sind. Dies wird weitgehend bestätigt durch den dem
Bundesgericht vorgelegten Amtsbericht des Bundesamtes für Migration vom 21.
Juli 2006 (Äusserungen zur Vollziehbarkeit von Wegweisungen in den Iran im
Allgemeinen). In Berücksichtigung der Ausführungen in der vorstehenden
E. 2.2.1 darf Ausschaffungshaft gegen einen nicht zur Heimkehr bereiten
Iraner zurzeit nur angeordnet werden, wenn besondere Gründe des Einzelfalles
darauf schliessen lassen, dass eine Heimschaffung gegen seinen Willen
ausnahmsweise allenfalls doch möglich sein könnte. Dies traf vorliegend
insofern zu, als die Haft gerade im Hinblick auf eine auf den 6. Juni 2006
angesetzte Befragung beim iranischen Konsulat verfügt wurde; es war nicht
auszuschliessen, dass das Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und dem
Konsul die Vollzugsbemühungen voranbringen könnte. Dabei war allerdings klar,
dass anschliessend an die Aussprache, in Berücksichtigung der Stellungnahme
des Konsulats, eine neue Lagebeurteilung vorzunehmen war. Zulässig war die
Haft unter den gegebenen Umständen nur, um die Vorführung beim Konsulat am 6.
Juni 2006 sicherzustellen und der zuständigen Behörde zu ermöglichen, die
Lage anschliessend unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse neu zu
beurteilen und nötigenfalls beim Kantonsgericht eine Haftfortsetzung zu
beantragen. Die Genehmigung von Haft für bloss kurze Zeit (zwei bis drei
Wochen) wäre nicht zu beanstanden gewesen. Im Falle des Beschwerdeführers
hätten die Behörden nach dem 6. Juni 2006 feststellen können, dass mit einer
Ausschaffung in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann (s. die auf den
Einzelfall bezogene Auskunft im Amtsbericht des Bundesamtes), und sie hätten
den Beschwerdeführer aus der Haft entlassen müssen. Die Anordnung und
vorbehaltlose Genehmigung der Ausschaffungshaft für eine Dauer von drei
Monaten erscheint als unverhältnismässig. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erweist sich insoweit, als das Kantonsgericht die Haftanordnung für die Dauer
von drei Monaten als rechtmässig und angemessen erklärt hat und der
Beschwerdeführer sich gestützt darauf noch in Haft befindet, als teilweise
begründet.

2.4 In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist das
angefochtene Urteil aufzuheben; der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der
Haft zu entlassen. Entsprechend sind keine Kosten zu erheben. Dem
rechtskundig vertretenen Beschwerdeführer ist eine Parteientschädigung
zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, und das Urteil
des Einzelrichters für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 1. Juni 2006 wird insoweit aufgehoben, als festgestellt
wird, die Anordnung der Ausschaffungshaft sei für eine Dauer von drei Monaten
rechtmässig und angemessen.

2.
Der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton Basel-Landschaft hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration
Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Einzelrichter für
Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. August 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: