Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.33/2006
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2A.33/2006 /vje

Urteil vom 18. Mai 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Zollinger,

gegen

Amt für Migration des Kantons Luzern, Hallwilerweg 7, 6002 Luzern,
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Verwaltungsrechtliche Abteilung,
Obergrundstrasse 46, 6002 Luzern.

Widerruf der Niederlassungsbewilligung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom

29. November 2005.

Sachverhalt:

A.
Z. ________ (geb. 1951), aus dem ehemaligen Jugoslawien stammend, stellte am
18. Mai 1999 mit der Begründung "Krieg in Kosovo" bei der Fremdenpolizei des
Kantons Luzern das Gesuch um Nachzug seiner Ehefrau (geb. 1961) und seiner
sechs Kinder. Im Rahmen dieser bewilligten Familienzusammenführung reiste
(auch) sein ältester Sohn, X.________ (geb. 16. Oktober 1981), in die Schweiz
ein. Er erhielt am 3. August 1999 die Niederlassungsbewilligung.

Am 11. Dezember 1999 reiste die Freundin von X.________, Y.________ (geb.
1982), von Frankreich herkommend illegal in die Schweiz ein. Wenige Tage
später, am 18. Dezember 1999, kam die gemeinsame Tochter des Paares,
A.________, zur Welt. Am 20. Dezember 1999 meldete X.________ Y.________ auf
der Einwohnergemeinde Udligenswil als seine Ehefrau an und ersuchte für sie
und die Tochter am 27. April 2000 um Familiennachzug. Dabei legte er ein
Dokument "Extrait de l'acte de mariage" vor, woraus hervorging, dass er und
Y.________ am 18. April 1999 in Jugoslawien geheiratet hatten.

B.
Mit Verfügung vom 19. September 2000 widerrief die Fremdenpolizei des Kantons
Luzern die Niederlassungsbewilligung von X.________ und trat auf das
Familiennachzugsgesuch nicht ein, im Wesentlichen mit der Begründung,
X.________ habe beim Nachzug durch seinen Vater verschwiegen, dass er bereits
verheiratet sei.
Auf Beschwerde hin erwog das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Urteil
vom 11. Februar 2002, das Dokument "Extrait de l'acte de mariage" habe sich
als Fälschung herausgestellt. Es hob die Verfügung vom 19. September 2000 auf
und wies die Akten an das Amt für Migration zurück, damit dieses nach
erfolgter Aktenergänzung neu verfüge.

C.
Am 12. Juli 2004 widerrief das Amt für Migration des Kantons Luzern die
Niederlassungsbewilligung von X.________ ein zweites Mal und wies ihn, seine
Partnerin, den Sohn B.________ und die Tochter A.________ (Ersterer geb. 1.
Juni 2002) weg. Das Amt erwog im Wesentlichen, wie X.________ selber
bestätige, hätten seine Absichten von Anfang an nicht darin gelegen, in der
Schweiz mit seinen Eltern zusammen zu leben, sondern er habe eine eigene
Familiengemeinschaft gründen wollen. Spätestens mit der Anmeldung bei der
Einwohnerkontrolle hätte er die Behörden über seine familiäre Situation
informieren müssen. Deshalb habe er (bzw. sein Vater) die
Niederlassungsbewilligung erschlichen, womit diese nach Art. 9 Abs. 4 lit. a
ANAG zu widerrufen sei.

Eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Luzern am 29. November 2005 ab, soweit es darauf eintrat. Die
Akten überwies es zum Entscheid über eine allfällige humanitäre
Aufenthaltsbewilligung an das kantonale Justiz- und Sicherheitsdepartement.

D.
Mit Eingabe vom 18. Januar 2006 führen X.________ "und Familie"
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, "den
Beschwerdeführern (...) die Niederlassungsbewilligung künftig zuzuerkennen",
eventuell "sei je eine Aufenthaltsbewilligung zuzusprechen".

Das Amt für Migration des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Denselben Antrag stellt das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern. Das Bundesamt für Migration schliesst
auf Abweisung der Beschwerde.

E.
Mit Verfügung vom 16. Februar 2006 hat der Abteilungspräsident der Beschwerde
- antragsgemäss - aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Nach Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiet der Fremdenpolizei
ausgeschlossen gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf
die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Der Widerruf einer
Niederlassungsbewilligung fällt hingegen nicht unter diesen Ausschlussgrund
(vgl. Art. 101 lit. d OG). Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher
zulässig.

1.2 Die Beschwerde wird vorliegend im Namen von X.________ "und Familie"
erhoben. Da X.________ heute volljährig und - sowohl nach eigener Darstellung
vor Bundesgericht als auch gemäss unbestrittener Feststellung im
angefochtenen Entscheid (S. 6) - zivilrechtlich nicht verheiratet ist, kann
dem erwähnten Zusatz insoweit keine Bedeutung zukommen. Als
Rechtsmittelkläger ist, wie schon im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht,
einzig X.________ zu betrachten.

1.3 Das Verwaltungsgericht hat die Rechtmässigkeit des Widerrufes der
Niederlassungsbewilligung von X.________ bestätigt und im Übrigen die Akten
zum Entscheid über eine allfällige humanitäre Aufenthaltsbewilligung für den
Beschwerdeführer sowie seine Gefährtin und die beiden Kinder an das für
Bewilligungen im Ermessensbereich (vgl. Art. 4 ANAG) zuständige kantonale
Justiz- und Sicherheitsdepartement überwiesen. Über die Verfügung des Amtes
für Migration, mit welchem nebst dem Widerruf der Niederlassungsbewilligung
auch die Wegweisung von X.________ und seiner Partnerin mit den beiden
Kindern verfügt worden war, ist insoweit erst teilweise entschieden. Der
Teilentscheid des Verwaltungsgerichts kann aber gesondert mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden (vgl.
BGE 130 II 321 E. 1 S. 324 mit Hinweisen).

1.4 Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, sowie die
unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gerügt werden (Art. 104 lit. a und b OG). Hat - wie hier - eine
richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden und den Sachverhalt nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften festgestellt, ist das Bundesgericht an die
Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid gebunden (Art. 105 Abs. 2
OG).

2.
Gemäss Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG haben ledige Kinder von Ausländern, die in
der Schweiz niedergelassen sind, Anspruch auf Einbezug in die
Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern, wenn sie mit diesen zusammenwohnen
und noch nicht 18 Jahre alt sind. Ob diese Erfordernisse erfüllt sind, hat
die Behörde im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens zu prüfen und
gegebenenfalls die Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Die Kinder erwerben
damit ein eigenes, selbständiges Niederlassungsrecht. Dieses fällt folglich
auch nicht automatisch mit dem Wegfall des gemeinsamen Haushalts dahin.
Die Niederlassungsbewilligung kann jedoch widerrufen werden, wenn der
Ausländer sie durch falsche Angaben oder wissentliches Verschweigen
wesentlicher Tatsachen erschlichen hat (Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG). Der
Widerruf setzt voraus, dass der Betroffene wissentlich falsche Angaben
gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat, in der Absicht, gestützt
darauf den Aufenthalt oder die Niederlassung bewilligt zu erhalten (Urteile
des Bundesgerichts 2A.436/2003 vom 6. Januar 2004, E. 3.1; 2A.551/2003 vom
21. November 2003, E. 2.1; 2A.432/2002 vom 5. Februar 2003, E. 2.1; BGE 112
Ib 473 E. 3b S. 475 f.). Nach Art. 3 Abs. 2 ANAG ist der Ausländer
verpflichtet, der Behörde wahrheitsgetreu über alles Auskunft zu geben, was
für den Bewilligungsentscheid massgebend sein kann. Hievon ist er selbst dann
nicht befreit, wenn die Fremdenpolizeibehörde die fragliche Tatsache bei
gebotener Sorgfalt selbst hätte ermitteln können. Wesentlich sind dabei nicht
nur Umstände, nach denen die Fremdenpolizei ausdrücklich fragt, sondern auch
solche, von denen der Gesuchsteller wissen muss, dass sie für den
Bewilligungsentscheid massgeblich sind (Urteile 2A.511/2001 vom 10. Juni
2002, publ. in: Pra 2002 Nr. 163, E. 3.2; 2A.57/2002 vom 20. Juni 2002, publ.
in: Pra 2002 Nr. 165, E. 2.2, je mit Hinweisen).

3.
3.1 Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Annahme, die
Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers sei durch Verschweigen
wesentlicher Tatsachen erschlichen worden und daher mit dem Widerrufsgrund
von Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG behaftet, wird in der Beschwerdeschrift zu
Recht nicht Frage gestellt: Der Beschwerdeführer kam im Sommer 1999 kurz vor
der Vollendung seines 18. Lebensjahres auf Ersuchen seines Vaters im Rahmen
des Familiennachzuges in die Schweiz. Gemäss den - nach Massgabe von Art. 105
Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlichen - Feststellungen der Vorinstanz
waren der Beschwerdeführer und seine Freundin aber zumindest seit November
1998 zusammen, führten eine feste Beziehung und zeugten im April 1999 ein
Kind. Nachdem der Beschwerdeführer und seine Partnerin nach dem Gesagten
schon vor der Erteilung der Niederlassungsbewilligung ein festes Paar
bildeten (und sogar gefälschte Urkunden über eine stattgefundene
Eheschliessung vorlagen), hätten die schweizerischen Fremdenpolizeibehörden
auf diese relevante Tatsache hingewiesen werden müssen. Bei einem kurz vor
der Volljährigkeit stehenden "Kind", das bereits in einer eheähnlichen
Beziehung lebt und damit faktisch nicht mehr zur elterlichen Familie gehört,
dient die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht mehr der
Ermöglichung des Zusammenlebens in der elterlichen Familie, weshalb die
Anrufung von Art. 17 Abs. 2 ANAG einen Rechtsmissbrauch darstellen kann (vgl.
BGE 129 II 11 E. 3.1.2 S. 14; 126 II 329 E. 3b S. 333). Die Bejahung des
Widerrufsgrundes von Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG rechtfertigt sich vorliegend
umso eher, als die Beteiligten die Fremdenpolizeibehörden mit gefälschten
Ausweisen (Urkunden betreffend Eheschliessung) zu täuschen versuchten. Der
Beschwerdeführer muss sich dabei das Wissen und Verhalten seines Vaters
anrechnen lassen (Urteile 2A.35/1999 vom 12. Mai 1999, E. 2c, 2A.311/1999 vom
26. November 1999, E. 3b, BGE 112 Ib 473 E. 3d S. 477).

3.2 Das Vorliegen eines Widerrufsgrundes führt nicht zwingend dazu, dass die
Niederlassungsbewilligung auch zu widerrufen ist. Vielmehr ist den besonderen
Gegebenheiten eines Falles Rechnung zu tragen, wobei den
Fremdenpolizeibehörden ein gewisser Ermessensspielraum zusteht (BGE 112 Ib
473 E. 4 und 5 S. 477 ff.)

Es kann vorliegend einzig noch darum gehen, ob der verfügte Widerruf gemäss
der erwähnten Rechtsprechung verhältnismässig ist. In der Beschwerdeschrift
wird dies unter Hinweis auf die Garantien des Familien- und Privatlebens
gemäss Art. 8 EMRK bestritten.

Soweit der angefochtene Entscheid zur Folge hat, dass der Beschwerdeführer
die Schweiz zusammen mit seiner Partnerin und seinen beiden Kindern zu
verlassen hat - was im jetzigen Zeitpunkt noch nicht definitiv feststeht
(vgl. E. 1.3) - , liegt keine die "Familie" trennende behördliche Massnahme
vor, welche insoweit gegen Art. 8 EMRK verstossen könnte (vgl. BGE 126 II 377
E. 2b/cc S. 383). Zum vornherein unbehelflich ist aber auch die Anrufung der
- in Art. 8 EMRK mitenthaltenen - Garantie der Achtung des Privatlebens.
Weder der Beschwerdeführer noch seine Partnerin und die beiden Kinder
erfüllen die strengen Voraussetzungen, unter denen nach der
bundesgerichtlichen Praxis unter diesem Titel ein selbständiges
Anwesenheitsrecht in der Schweiz entstehen könnte (vgl. dazu BGE 126 II 377
E. 2c S. 384 ff. mit Hinweisen).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts lebt der
Beschwerdeführer seit über sechs Jahren in der Schweiz, hat die deutsche
Sprache gelernt und ist erwerbstätig. Im Heimatland leben  aber noch die
Eltern und auch Geschwister seiner Partnerin. Mit Blick auf diese Umstände
und unter Berücksichtigung des strafrechtlich relevanten Verhaltens des
Beschwerdeführers (Delikte im Strassenverkehr, Vergehen gegen das ANAG, vgl.
E. 5 des angefochtenen Entscheides) durfte das Verwaltungsgericht die
Verhältnismässigkeit des verfügten Widerrufs der Niederlassungsbewilligung -
einschliesslich der für den Beschwerdeführer und seine "Familie" damit
allenfalls verbundenen Pflicht zur Rückreise in den Kosovo - ohne Verletzung
von Bundesrecht bejahen.

4.
Dies führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).
Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Migration und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sowie dem Bundesamt für Migration
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Mai 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: