Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.335/2006
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{T 0/2}
2A.335/2006 /wim

Urteil vom 18. Oktober 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

1. A.X.________,

2. B.X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Pablo Blöchlinger,

gegen

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Bundeshaus West, 3003 Bern.

Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Eidgenössischen Justiz-
und Polizeidepartements vom 3. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Das Bundesamt für Migration ist für die Ausstellung von Reisedokumenten und
Rückreisevisa für ausländische Personen zuständig (Art. 1 der Verordnung vom
27. Oktober 2004 über die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische
Personen, RDV; SR 143.5). Es stellt u. a. "Pässe für eine ausländische
Person" aus (Art. 2 lit. b RDV). Anspruch auf ein solches Dokument haben
durch das Bundesamt anerkannte Staatenlose sowie schriftenlose ausländische
Personen mit Niederlassungsbewilligung (Art. 4 lit. a und b RDV). Einer
schriftenlosen ausländischen Person mit Jahresaufenthaltsbewilligung "kann"
ebenfalls ein "Pass für eine ausländische Person" abgegeben werden (Art. 4
Abs. 2 RDV). Als schriftenlos gilt eine ausländische Person, die keine
gültigen Reisedokumente ihres Heimat- oder Herkunftsstaates besitzt und von
der nicht verlangt werden kann, dass sie sich bei den zuständigen Behörden
ihres Heimat- oder Herkunftsstaates um die Ausstellung oder Verlängerung
eines Reisedokuments bemüht (Art. 7 Abs. 1 lit. a RDV), oder für welche die
Beschaffung von Reisedokumenten unmöglich ist (Art. 7 Abs. 1 lit. b RDV).

B.
Der aus dem Kosovo stammende A.X.________ (geb. 1960), seine Ehefrau
B.________ (geb. 1971) sowie der gemeinsame Sohn C.________ (geb. 1990)
reisten 1991 bzw. 1993 in die Schweiz ein. Ihre Asylgesuche wurden
rechtskräftig abgewiesen. Am 31. Mai 2000 wurde die Familie gestützt auf den
Bundesratsbeschluss vom 1. März 2000 betreffend die "humanitäre Aktion 2000"
vorläufig aufgenommen.
Am 17. September 2001 teilte das Ausländeramt des Kantons St. Gallen der
Familie X.________ mit, das Bundesamt für Ausländerfragen habe dem kantonalen
Antrag um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestützt auf Art. 13 lit. f
der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer
(BVO, SR 823.21) zugestimmt. Die entsprechenden Ausländerausweise würden
ausgestellt, sobald die Eheleute X.________ gültige heimatliche Reisepässe
besässen. Diese hätten sich deshalb um die Ausstellung von heimatlichen
Reisepässen zu bemühen.

C.
Am 14. März 2003 wies das Bundesamt für Flüchtlinge (heute: Bundesamt für
Migration) ein Gesuch der Eheleute X.________ um Ausstellung eines "Passes
für eine ausländische Person" ab. Das Amt erwog im Wesentlichen, den
Gesuchstellern sei es möglich und zumutbar, sich bei den heimatlichen
diplomatischen Vertretungen in der Schweiz um die Ausstellung bzw.
Verlängerung heimatlicher Ausweispapiere zu bemühen.

Eine hiegegen gerichtete Beschwerde wies das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement am 28. Juli 2004 ab.

D.
Am 6. Januar 2005 beantragten die Eheleute X.________ für sich und ihre
mittlerweile drei Kinder (C.________, geb. 1990, D.________, geb.1994, und
E.________, geb. 2000) erneut die Ausstellung eines "Passes für eine
ausländische Person". Den Gesuchsformularen legten sie zwei an das
Generalkonsulat der Bundesrepublik Jugoslawien gerichtete "Bestätigungen"
bei, welche durch die beiden im Heimatland tätigen Rechtsanwälte F.________
und G.________ ausgestellt worden waren (am 1. November bzw. 10. Dezember
2004). Danach sei A.X.________ im Bürgerregister der Gemeinde Djakovica und
Jagodina nicht eingetragen, weshalb er keinen Staatsangehörigkeitsnachweis
erhalten könne. Daraus folgerten die Eheleute X.________, es sei ihnen nicht
möglich, einen Staatsbürgerschaftsnachweis zu erbringen. Ohne einen solchen
Nachweis stellten die serbischen Behörden keinen Reisepass aus.

Am 13. Januar 2005 wies das Bundesamt für Migration das Gesuch ab. Es erwog
im Wesentlichen, die Gesuchsteller hätten nach wie vor nicht nachweisen
können, dass es ihnen objektiv unmöglich sei, heimatliche Reisepässe zu
erlangen. Sie seien deshalb nicht schriftenlos im Sinne der anwendbaren
eidgenössischen Verordnung.

Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement am 3. Mai 2006 ab.

E.
Mit Eingabe vom 1. Juni 2006 führen A.________ und B.X.________
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, den
Entscheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 3. Mai 2006
aufzuheben und das Departement anzuweisen, den Beschwerdeführern und ihren
drei Kindern Pässe für ausländische Personen auszustellen.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragt, die Beschwerde
abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiete der Fremdenpolizei unzulässig
gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das
Bundesrecht keinen Anspruch einräumt.

Die Verweigerung eines Reisedokumentes für schriftenlose Ausländer fällt
nicht unter diesen Ausschlussgrund, da ein solches Reisedokument dem
Gesuchsteller keinen bestimmten Anwesenheitsstatus in der Schweiz verschafft
und damit keine fremdenpolizeiliche Bewilligung darstellt (Urteile
2A.497/2005 vom 23. Februar 2006, E. 1.1, und 2A.483/2005 vom 18. August 2005
E. 2.1). Ein anderer Ausschlussgrund fällt nicht in Betracht, weshalb sich
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als zulässig erweist.

1.2 Den Beschwerdeführern, denen die Erteilung eines Reisedokumentes
verweigert wurde, haben ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des
angefochtenen Entscheids und sind somit zur Erhebung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (vgl. Art. 103 lit. a OG). Auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist folglich einzutreten.

1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann vorliegend die Verletzung von
Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens,
sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des Sachverhalts (Art.
104 lit. a und b OG) gerügt werden.

2.
2.1 Streitig ist vorliegend einzig, ob die Vorinstanz zu Recht annehmen
durfte, die Beschwerdeführer seien im Sinne der einschlägigen Bestimmungen
(vgl. vorne "A.") nicht schriftenlos bzw. ihnen sei die Beschaffung von
Reisepapieren weiterhin möglich. Dies ist nach objektiven Massstäben zu
beurteilen; besteht keine (potentielle) Gefährdungslage im Sinne von Art. 7
Abs. 2 RDV (betreffend die "schutzbedürftigen und asylsuchende Personen"),
können blosse subjektive Empfindlichkeiten eines Gesuchstellers nicht als
Hindernis anerkannt werden (Urteil 2A.12/2005 vom 25. April 2005, E. 3.2 mit
Hinweisen).

2.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, sie versuchten nun schon seit
mehreren Jahren, in ihrer Heimat und über deren konsularischen Vertretung in
der Schweiz heimatliche Reisepapiere zu erhalten und hätten zu diesem Zweck
gar - erfolglos - heimatliche Anwälte mandatiert. Es sei übertrieben
formalistisch zu argumentieren, die Behörden des Heimatlandes hätten das
Gesuch nicht schriftlich abgelehnt. Vielmehr habe sich gezeigt, dass das
Heimatland das Gesuch der Beschwerdeführer überhaupt nicht behandeln wolle.
Nach einer derart langen Dauer müsse Rechtsverweigerung angenommen werden. Es
sei nicht einzusehen, was die Beschwerdeführer noch unternehmen könnten, um
einen Entscheid in ihrem Heimatland zu erlangen. Sie hätten deshalb als
schriftenlos zu gelten.

2.3 Zuständig für die Feststellung der Staatsbürgerschaft einer aus Serbien
stammenden Person ist das Generalkonsulat in Zürich (vgl. Art. 6 des
Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Serbien vom
16. Februar 1888, SR 0.142.118.181). Dieses hat mit Schreiben vom 26. Juni
2003 bestätigt, dass für die Familie X.________ ein Gesuch um Ausstellung von
Reisepässen hängig sei, wobei auch entsprechende Staatsangehörigkeitsurkunden
beantragt worden seien. Die Generalkonsulin führte damals aus, leider sei zur
Zeit der Zugriff zu den Personenstandbüchern für die aus Kosovo und Metohija
stammenden Staatsangehörigen nicht möglich.

2.4 Die Beschwerdeführer sind nicht ausreisepflichtig. Ihr
fremdenpolizeilicher Status in der Schweiz ist geregelt (vgl. das Schreiben
des Bundesamtes für Migration vom 13. Januar 2005, wo festgestellt wird, dass
die vorläufige Aufnahme aufgrund der am 23. August 2004 vom Kanton St. Gallen
erteilten Aufenthaltsbewilligung erloschen sei). Sie machen zu Recht nicht
geltend, von ihnen könne die Kontaktnahme mit den heimatlichen Behörden im
Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. a bzw. Art. 7 Abs. 2 RDV nicht verlangt werden.
Somit liegt es an ihnen, die nach dem Jahre 2003 erwirkten Beweismittel
("Bestätigungen" der im Heimatland tätigen Anwälte aus dem Jahre 2004,
"Zeugnis" des Zivilstandsbeamten von Djakovica vom 4. Februar 2005) dem
Generalkonsulat von Serbien zur Stellungnahme bzw. zur Beantwortung zu
unterbreiten. Weder wird in den Beschwerdeeingaben - vom 11. Februar 2005 an
das Departement bzw. vom 1. Juni 2006 an das Bundesgericht - geltend gemacht
noch ist aus den Akten ersichtlich, dass sich die Beschwerdeführer mit einem
solchen Begehren je schriftlich oder mündlich an das Generalkonsulat Serbiens
gewandt hätten.

Von einer offensichtlichen Weigerung der serbischen Behörden, den
Beschwerdeführern die verlangten Dokumente auszustellen, kann unter diesen
Umständen nicht die Rede sein (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Antwort
des Bundesrates auf die Interpellation Leuenberger/Genf vom 15. März 2004; NR
04.3070, wonach gemäss Auskunft der Botschaft von Serbien grundsätzlich alle
Staatsangehörigen, einschliesslich Personen mit Herkunft aus Kosovo, einen
Reisepass erhalten können).

Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Standpunkt der Vorinstanz,
dass (bis jetzt) kein schriftlicher Entscheid der zuständigen serbischen
Behörden über die Ausstellung bzw. Nichtausstellung von Reisepässen vorliege
und die Beschwerdeführer deshalb nicht als schriftenlos betrachtet werden
könnten, als überspitzt formalistisch zu gelten hätte. Jedenfalls verletzten
die vorinstanzlichen Behörden mit ihrer Annahme, den Beschwerdeführern sei im
Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. b RDV die Beschaffung von Reisedokumenten (noch)
nicht "unmöglich", kein Bundesrecht.

3.
Dies führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten den
Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a
OG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt,
unter solidarischer Haftung.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartement schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Oktober 2006

Im Namen der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: