Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.334/2006
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{T 1/2}
2A.334/2006 /bie

Urteil vom 10. Oktober 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
Gerichtsschreiber Küng.

Motor-Columbus AG, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Hansjürg Appenzeller und Fabienne Crisovan,

gegen

Übernahmekommission, Postfach, 8021 Zürich,
Übernahmekammer der Eidgenössischen
Bankenkommission, Postfach, 3001 Bern,

AEM S.p.A., Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Bernard Lachenal
und Emmanuel Genequand,

Öffentliches Umtauschangebot, Ablehnung einer Empfehlung der
Übernahmekommission,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung der Übernahmekammer der
Eidgenössischen Bankenkommission vom 3. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Die Aare-Tessin AG für Elektrizität (im Folgenden: Atel), deren Aktien
(3'036'000 Namenaktien, Nennwert von Fr. 100.--) an der SWX Swiss Exchange
kotiert sind, ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Olten.

Die Motor-Columbus AG (im Folgenden: Motor-Columbus) ist eine
Aktiengesellschaft mit Sitz in Baden. Ihre Aktien (506'000 Inhaberaktien,
Nennwert Fr. 500.--) sind ebenfalls an der SWX Swiss Exchange kotiert. Die
Gesellschaft ist eine reine Finanzholding mit Beteiligungen vor allem im
Energiebereich. Als grösste Beteiligung hält sie 58,51 % aller Namenaktien
der operativ tätigen Atel.

Wesentliche Beteiligungen an der Motor-Columbus wurden gehalten von der UBS
AG, mit Sitz in Zürich und Basel (55,64 %), der Electricité de France
International, Paris (20 %), und der EOS Holding, Lausanne (15,44 %).

Am 29. September 2005 schloss die UBS AG mit der EOS Holding, der Aziende
Industriali di Lugano SA, der Elektra Birseck, der Elektra Baselland, IBAarau
AG, dem Kanton Solothurn, den Wasserwerken Zug und der Atel einerseits und
der Electricité de France International andererseits je einen Kaufvertrag ab,
worin sich die UBS AG verpflichtete, diesen ihren Anteil von 55,64 % an
Motor-Columbus zu verkaufen. Zeitgleich schloss Atel mit den übrigen
Aktienkäufern, die ihrerseits ein Konsortium bildeten, eine
Konsortialvereinbarung ab. Das Konsortium und Atel beabsichtigten damit, die
führende Energiegesellschaft der westlichen Schweiz mit europäischer
Ausrichtung und Dimension zu schaffen. Wirtschaftliches Ziel der
Transaktionen war die Errichtung einer Holdingstruktur.

Mit Empfehlung vom 11. August 2005 stellte die Übernahmekommission fest, die
Konsortialmitglieder und Atel hielten aufgrund der Konsortialvereinbarung
direkt und indirekt mehr als 33 1/3 % der Stimmrechte an Atel und müssten
demnach den Aktionären von Atel ein öffentliches Übernahmeangebot im Sinne
von Art. 32 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Börsen und
den Effektenhandel (Börsengesetz, BEHG; SR 954.1) unterbreiten. Gleichzeitig
verlängerte sie die Frist zur Unterbreitung des Pflichtangebots bis zum
Vollzug der Aktienkaufverträge (Empfehlung I). Die Motor-Columbus könne das
Pflichtangebot im Auftrag der Konsortialmitglieder durchführen und den
Aktionären der Atel Aktien der Motor-Columbus zum Umtausch anbieten
(Empfehlung II).

Die Aktienkaufverträge wurden am 23. März 2006 erfüllt. Bei dieser
Gelegenheit übertrug die Electricité de France International ihre
Beteiligungen an Motor-Columbus und Atel an die Electricité de France Alpes
Investissements Sàrl., Martigny; diese wurde zudem Partei der
Konsortialvereinbarung. Unmittelbar nach dem Vollzug der Aktienkaufverträge
unterzeichneten die Motor-Columbus und die Atel einen Fusionsvertrag, nach
welchem Motor-Columbus in Atel als übernehmende Gesellschaft ("NewCo")
fusionierte; die NewCo sollte nach Vollzug der Fusion in eine Holding
umstrukturiert werden.

Am 24. März 2006 veröffentlichte Motor-Columbus die Voranmeldung des
öffentlichen Umtauschangebotes für alle sich im Publikum befindenden
Namenaktien der Atel. Den Aktionären von Atel wurden pro Namenaktie 0.32
Inhaberaktien von Motor-Columbus angeboten. Der Angebotsprospekt wurde am 28.
März 2006 publiziert. Es wurde darauf hingewiesen, dass nach Durchführung des
Umtauschangebotes, gestützt auf den Fusionsvertrag, das Umtauschverhältnis
3,12 Atel-Aktien für eine Motor-Columbus-Aktie betragen werde.

Am 17./21. März 2006 wandte sich die AEM S.p.A., Mailand, eine Aktionärin mit
einer Beteiligung von 5,76 % an Atel, an die Übernahmekommission und ersuchte
diese, das öffentliche Übernahmeangebot als unzulässig zu erklären und zu
empfehlen, den Angebotsprospekt nicht zu veröffentlichen. Mit Empfehlung vom
24. März 2006 liess die Übernahmekommission die AEM S.p.A. als Intervenientin
im Sinne von Art. 54 der Verordnung der Übernahmekommission vom 21. Juli 1997
über öffentliche Kaufangebote (Übernahmeverordnung-UEK, UEV-UEK; SR
954.195.1) im Verfahren zu.

Nach Eingang der Stellungnahme der AEM S.p.A. entschied die
Übernahmekommission mit Empfehlung vom 7. April 2006, dass der
Angebotsprospekt in verschiedener Hinsicht zu ändern bzw. zu ergänzen sei.
Die von der AEM S.p.A. insbesondere beanstandete Kombination des
Umtauschangebotes mit anschliessender Fusion ("reverse merger") wurde
indessen als zulässig erklärt (Empfehlung VI).
Am 12. April 2006 wurde die entsprechende Ergänzung des öffentlichen
Umtauschangebotes vom 28. März 2006 veröffentlicht. Neu wurden 0.321
Motor-Columbus-Aktien je Atel-Aktie angeboten. Das Fusionsumtauschangebot
lautete nunmehr 3,115 Atel-Aktien für eine Motor-Columbus-Aktie.
Mit Schreiben vom 18. April 2006 erklärte die AEM S.p.A. die Ablehnung der
Empfehlung VI; sie bestritt dabei die Gesetzmässigkeit des Umtauschangebotes
sowie die Unabhängigkeit der Prüfstelle.

Die Übernahmekomission übermittelte die Eingabe der Übernahmekammer der
Eidgenössischen Bankenkommission. Diese bejahte am 3. Mai 2006 die Befugnis
der AEM S.P.A., die Empfehlung der Übernahmekommission abzulehnen, auch wenn
sie am Verfahren vor der Kommission nicht als Partei, sondern bloss als
Intervenientin teilnehmen konnte. Weiter verfügte sie, das Umtauschangebot
vom 28. März 2006 entspreche nicht dem Börsengesetz, denn den
Minderheitsaktionären werde im Ergebnis die Möglichkeit genommen, ihr
Ausstiegsrecht gemäss Art. 32 BEHG wahrzunehmen, ohne Gefahr zu laufen,
allenfalls einen erheblichen Preisabschlag hinnehmen zu müssen. Schliesslich
stellte sie fest, die Unabhängigkeit der Prüfstelle sei gegeben. Das
Umtauschangebot wurde jedoch nicht suspendiert.

B.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 2. Juni 2006 beantragt die
Motor-Columbus AG - handelnd im eigenen Namen und im Auftrag der
Konsortialpartner - dem Bundesgericht, die Verfügung der Übernahmekammer der
Eidgenössischen Bankenkommission vom 3. Mai 2006 aufzuheben.

Die Übernahmekammer der Eidgenössischen Bankenkommission und die AEM S.p.A.
stellen den Antrag, auf die Beschwerde nicht einzutreten.

Die Übernahmekommission beantragt sinngemäss, die Beschwerde gutzuheissen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Verfügungen der Eidgenössischen Bankenkommission als
Börsenaufsichtsbehörde unterliegen unmittelbar der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 39 BEHG; BGE 129 II
183 E. 3.2.1).
1.2 Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Im Allgemeinen
ist ein Interesse im Sinne dieser Bestimmung nur schutzwürdig, wenn der
Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Urteilsfällung ein aktuelles, praktisches
Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung hat (BGE
128 II 34 E. 1b S. 36, mit Hinweis). Das Bundesgericht verzichtet
ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen Interesses, wenn sich die
aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen jeweils unter gleichen oder ähnlichen
Umständen wieder stellen können, ohne dass im Einzelfall rechtzeitig eine
höchstrichterliche Prüfung stattfinden kann (BGE 131 II 670 E. 1.2, mit
Hinweis).

1.3 Gestützt auf die in der angefochtenen Verfügung der Übernahmekammer der
Eidgenössischen Bankenkommission vom 3. Mai 2006 festgestellten rechtlichen
Mängel des Umtauschangebotes vom 28. März 2006 haben die Motor-Columbus und
die Atel zunächst den Fusionsvertrag vom 23. März 2006 aufgehoben. Am 1. Juni
2006 hat die Beschwerdeführerin sodann den Angebotsprospekt für das
öffentliche Umtauschangebot entsprechend geändert. Nachdem sich die AEM
S.p.A. zur Änderung des öffentlichen Umtauschangebotes geäussert hatte,
stellte die Übernahmekommission mit Empfehlung (VII) vom 12. Juni 2006 fest,
dass das geänderte Angebot gesetzeskonform sei; hingegen sei die
Angebotsfrist bis zum 27. Juni 2006 zu verlängern. Nachdem die AEM S.p.A.
auch diese Empfehlung abgelehnt hatte, stellte die Übernahmekammer der
Eidgenössischen Bankenkommission in Bestätigung der Empfehlung VII mit
Verfügung vom 4. Juli 2006 fest, das geänderte Umtauschangebot entspreche nun
- nach der Aufhebung des Fusionsvertrages und damit dem Wegfall des
ursprünglich geplanten "reverse merger" - dem Börsengesetz. Gegen diese
Verfügung hat die AEM S.p.A. am 4. September 2006 beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben (Verfahren 2A.508/2006).

Die Beschwerdeführerin hat damit, ohne dass ihr in der angefochtenen
Verfügung entsprechende Auflagen gemacht worden wären, ihr öffentliches
Umtauschangebot - welches inzwischen abgeschlossen ist und in dessen Rahmen
der Motor-Columbus insgesamt 16'640 Atel-Aktien (entsprechend 0,55 % des
Aktienkapitals der Atel) angedient wurden - im Sinne der angefochtenen
Verfügung abgeändert. Unter diesen Umständen hatte sie bereits bei
Einreichung der vorliegenden Beschwerde kein aktuelles Interesse mehr an der
Aufhebung der Verfügung. Auf die Beschwerde könnte daher nur eingetreten
werden, wenn sich die gerügte Rechtsverletzung jederzeit wiederholen könnte
und eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich
wäre.

Diese Voraussetzung ist in Bezug auf die im angefochtenen Entscheid
behandelte materielle Frage, ob das von der Beschwerdeführerin unterbreitete
öffentliche Umtauschangebot - auch unter Berücksichtigung der vergleichsweise
geringen Liquidität der zum Tausch angebotenen Titel - den gesetzlichen
Anforderungen genügte, nicht erfüllt, denn es ist nicht damit zu rechnen,
dass sich diese Frage unter gleichen oder ähnlichen Umständen je wieder
stellen könnte; dazu sind im vorliegenden Fall die speziellen konkreten
Umstände des Einzelfalles zu massgebend.

Anders verhält es sich hingegen hinsichtlich der Frage der
verfahrensrechtlichen Stellung des Minderheitsaktionärs (Beschwerde
Ziff. IV/1, S. 14 ff.) bzw. der damit zusammenhängenden Frage der
Zulässigkeit des Verfahrens vor der Vorinstanz (Beschwerde Ziff. IV/2,
S. 26 ff.). Bejaht die Übernahmekammer der Eidgenössischen Bankenkommission
die Legitimation des Minderheitsaktionärs, als Intervenient eine Empfehlung
der Übernahmekommission bei ihr abzulehnen, und heisst sie dessen Einwände
materiell mindestens teilweise gut, so lässt sich nicht bestreiten, dass der
Übernehmer in eine Zwangslage gerät und sein Angebot - zu dessen Erlass er
verpflichtet ist - entsprechend anpassen muss, wenn er den Umtausch dennoch
innert den gesetzlich vorgesehenen Fristen zum Abschluss bringen will; die
streitige Frage könnte in diesem Fall dem Bundesgericht nie rechtzeitig zur
Beurteilung unterbreitet werden. Denkbar - wenn unter Umständen auch nur
schwer zumutbar - wäre indessen auch ein Rückzug des Umtauschangebotes, bis
entschieden ist, wie das Angebot lauten muss; nach dem Entscheid des
Bundesgerichts könnte sodann das Angebot, allenfalls geändert, neu
unterbreitet werden. Ist streitig, ob überhaupt eine Angebotspflicht besteht,
dauert diese Ungewissheit ebenfalls bis zu einem allfälligen Entscheid des
Bundesgerichts (vgl. BGE 130 II 530). Bejaht hingegen die Übernahmekammer der
Eidgenössischen Bankenkommission - wie im vorliegenden Fall - die
Legitimation des Minderheitsaktionärs und lehnt sie dessen Begehren materiell
ab, so kann das Bundesgericht die Frage nach seiner verfahrensrechtlichen
Stellung überprüfen, wenn der Minderheitsaktionär
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhebt, ohne dass dadurch der Anbieter in eine
Zwangslage geriete. So verhält es sich denn auch hier, war doch die
Minderheitsaktionärin AEM S.p.A. auch mit dem geänderten bzw. angepassten
Umtauschangebot nicht einverstanden. Sie hat sich gegen die diesbezügliche
positive Empfehlung VII der Übernahmekommission erfolglos an die
Übernahmekammer der Eidgenössischen Bankenkommission gewandt, gegen deren
Verfügung vom 4. Juli 2006 sie am 4. September 2006
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben hat. Es trifft somit nicht zu, dass
eine rechtzeitige Prüfung der streitigen Frage der Legitimation der
Minderheitsaktionärin im Einzelfall nie möglich wäre. Auch die
Beschwerdeführerin selber ging offensichtlich davon aus, dass nach der
Änderung des Umtauschangebotes vom 1. Juni 2006 kein aktuelles
Rechtsschutzbedürfnis mehr bestehe, wiesen doch Motor-Columbus und Atel in
ihrer am selben Tag veröffentlichten gemeinsamen Internet-Mitteilung darauf
hin, dass nach Durchführung des angepassten Umtauschangebotes ein Rückzug der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde absehbar sei.

2.
Aus diesen Gründen ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht
einzutreten. Bei diesem Ausgang hat die Beschwerdeführerin die Kosten des
Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Zudem hat sie
der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 10'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 8'000.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Übernahmekommission und der
Übernahmekammer der Eidgenössischen Bankenkommission schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Oktober 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: