Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.288/2006
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{T 0/2}
2A.288/2006 /leb

Urteil vom 28. August 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Hungerbühler,
Gerichtsschreiber Feller.

X. ________ AS,
Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. iur. Thomas Spahni,

gegen

Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL),
Maulbeerstrasse 9, 3003 Bern,
Eidgenössische Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt (INUM), Postfach
336, 3000 Bern 14.

Entzug der Betriebsbewilligung und Überflugverbot,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Eidgenössischen
Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt vom 6. April 2006.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AS (nachfolgend: X.________) ist eine Luftverkehrsgesellschaft
mit Sitz in der Türkei. Sie führt Charterflüge zwischen der Türkei und
mehreren westeuropäischen Staaten durch. Sie verfügte über eine
Betriebsbewilligung (operating permit) des Bundesamtes für Zivilluftfahrt vom
23. Februar 2004 für Flüge von und nach der Schweiz. Am 12. Mai 2005 entzog
die zuständige holländische Luftfahrtbehörde der X.________ per sofort die
Bewilligung für kommerzielle Flüge von und nach den Niederlanden.
Gleichentags erliess die zuständige deutsche Behörde gegenüber der X.________
ein entsprechendes Verbot mit Wirkung für Deutschland. Mit Fax-Schreiben vom
13. Mai 2005 teilte das Bundesamt für Zivilluftfahrt der X.________ unter
Bezugnahme auf die von den niederländischen und deutschen Behörden
getroffenen Massnahmen mit, dass ihre Betriebsbewilligung mit sofortiger
Wirkung widerrufen werde und es ihr infolgedessen nicht mehr erlaubt sei, auf
schweizerischen Flughäfen zu landen bzw. von solchen zu starten und den
schweizerischen Luftraum zu überfliegen. Am 14. Mai 2005 entzog auch die
französische Luftfahrtbehörde der Onur Air die Betriebsbewilligung.

Nachdem an einer am 23. Mai 2005 in den Niederlanden durchgeführten Konferenz
ein Aktionsplan verabschiedet worden war, der die X.________ zu mehreren
Massnahmen in bestimmten Zeitspannen verpflichtete, hob das Bundesamt für
Zivilluftfahrt am 24. Mai 2005 seine Verfügung vom 13. Mai 2005 ex nunc
wieder auf. Auch die niederländischen, deutschen und französischen Behörden
erteilten der X.________ die jeweiligen Betriebsbewilligungen wieder.

B.
Die X.________ verlangte in der Folge vom Bundesamt für Zivilluftfahrt die
Begründung seiner Verfügung vom 13. Mai 2005 sowie Akteneinsicht. Am 13. Juni
2005 erhob sie bei der Eidgenössischen Rekurskommission für Infrastruktur und
Umwelt Beschwerde gegen diese Verfügung. Obwohl diese Verfügung aufgehoben
worden war, bejahte die Rekurskommission grundsätzlich ein
Rechtsschutzinteresse der X.________ an der Behandlung der Beschwerde (Art.
48 lit. a VwVG) und wies sie mit Entscheid vom 6. April 2006 ab, soweit sie
darauf eintrat.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 22. Mai 2006 stellt die X.________ dem
Bundesgericht die Anträge, der Beschwerdeentscheid der Rekurskommission sei
aufzuheben (Ziff. 1), die Verfügung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt vom
13. Mai 2005 sei rückwirkend und vollständig aufzuheben (Ziff. 2a), es sei
festzustellen, dass das Bundesamt für Zivilluftfahrt mit der Verfügung vom
13. Mai 2005 ihr rechtwidrig die Betriebsbewilligung und das Recht zum
Durchflug durch den schweizerischen Luftraum entzogen habe (Ziff. 2b),
eventuell sei die Sache zum Entscheid im Sinne von Antrag 2a und 2b an die
Vorinstanz, subeventuell an das Bundesamt für Zivilluftfahrt zurückzuweisen.

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt und die Vorinstanz beantragen Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

D.
Am 13. Mai 2006 hat die X.________ beim Eidgenössischen Finanzdepartement
gestützt auf das Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit
des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten
(Verantwortlichkeitsgesetz, VG; SR 170.32) ein Begehren um Schadenersatz im
Betrag von Fr. 500'000.-- gestellt. Sie machte geltend, ihr sei im
Zusammenhang mit der Verfügung des Bundesamtes für Zivilluftfahrt vom 13. Mai
2005 Schaden entstanden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Beschwerdeführerin gelangte mit Beschwerde an die Rekurskommission
für Infrastruktur und Umwelt, nachdem die anzufechtende Verfügung bereits
aufgehoben worden war. Die Rekurskommission hat erkannt, dass die
Beschwerdeführerin dennoch ein schützenswertes Interesse an der Behandlung
der Beschwerde habe. Zu Recht prüfte sie diese Frage in Anwendung des
Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren, welches im Verfahren vor
eidgenössischen Rekurskommissionen grundsätzlich zur Anwendung kommt (Art.
71a Abs. 2 VwVG).

1.2 Gemäss Art. 48 lit. a VwVG ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die
angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren
Aufhebung oder Änderung hat. Ob die Rekurskommission diese Norm über die
Beschwerdelegitimation richtig angewendet hat, ist eine Rechtsfrage, die das
Bundesgericht von Amtes wegen und frei prüft (Art. 104 lit. a OG; vgl. BGE
127 II 32 E. 2a S. 36). Dass die Beschwerdeführerin, wie offenbar auch das
Bundesamt für Zivilluftfahrt (s. angefochtener Entscheid S. 4 lit. A. Ziff.
8), die Rechtsauffassung der Vorinstanz teilt, ändert daran nichts; das
Bundesgericht ist an die Begründung der Parteibegehren nicht gebunden, und
eine von der Auffassung der Parteien abweichende Beantwortung der
Legitimationsfrage für das vorinstanzliche Verfahren führt nicht zu einem
Entscheid, der im Ergebnis über deren Begehren hinausgeht (vgl. Art. 114 Abs.
1 OG).

1.3 Die Umschreibung der Beschwerdelegitimation nach Art. 48 lit. a VwVG
deckt sich mit derjenigen in Art. 103 lit. a OG; beide Bestimmungen sind
analog auszulegen und anzuwenden (BGE 131 II 587 E. 2; vgl. BGE 128 II 168 E.
2; 127 II 32 E. 2d S. 38; s. auch BGE 130 V 560 E. 3.2 S. 563).

Im Allgemeinen ist ein Interesse im Sinne von Art. 103 lit. a bzw. Art. 48
lit. a VwVG nur schutzwürdig, wenn der Beschwerdeführer ein aktuelles
praktisches Interesse an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen
Verfügung hat (BGE 131 II 361 E. 1.2 S. 365; 128 II 34 E. 1b S. 36; 111 Ib 56
E. 2a S. 58 f. mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin hatte zum Zeitpunkt,
als sie an die Rekurskommission gelangte, kein solches Interesse mehr, da die
Verfügung des Bundesamtes bereits aufgehoben worden war. Gemäss der
Rechtsprechung zu Art. 103 lit. a OG verzichtet das Bundesgericht
ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen Interesses, wenn sich die
aufgeworfenen Fragen jeweils unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder
stellen könnten und an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung
ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und sofern zu erwarten ist,
dass darüber kaum je rechtzeitig in einem Einzelfall durch das Gericht
entschieden werden kann (BGE 128 II 34 E. 1b S. 36; 111 Ib 56 E. 2b S. 59;
für die staatsrechtliche Beschwerde BGE 126 I 250 E. 1b S. 252; 125 I 394 E.
4b S. 397). Nur unter diesen Voraussetzungen tritt es auf eine
Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder staatsrechtliche Beschwerde ausnahmsweise
selbst dann ein, wenn deren allfällige Gutheissung keine unmittelbaren
Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Parteien mehr hätte.

2.

3.
3.1
3.1.1 Die Vorinstanz hat angenommen, sie habe auf die Beschwerde einzutreten,
weil die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem ihr durch die Verfügung
des Bundesamtes erwachsenen Nachteil ein Schadenersatzverfahren einleiten
wolle; Voraussetzung hiezu bilde eine rechtskräftige Verfügung, die sich zur
Rechtmässigkeit der Verfügung des Bundesamtes äussere bzw. deren
Rechtswidrigkeit bestätige bzw. feststelle. Insofern habe die
Beschwerdeführerin ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung
der Rechtmässigkeit der aufgehobenen Verfügung. Dies trifft nicht zu:

Die Tatsache, dass eine Partei wegen behaupteter Rechtswidrigkeit einer
Verfügung vom Gemeinwesen Schadenersatz fordern will, genügt nicht, um auf
das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses an der Aufhebung der
angefochtenen Verfügung zu verzichten und einen blossen
Feststellungsentscheid zu fällen. Das Bundesgericht hat dies verschiedentlich
im Zusammenhang mit Haftverfügungen (BGE 129 I 139 E. 3 S. 142 ff. betreffend
Ausschaffungshaft; BGE 125 I 394 E. 4 und 5 S. 396 ff. mit Hinweisen
betreffend Untersuchungshaft), grundsätzlich aber auch für andere Bereiche
erkannt (BGE 126 I 144 E. 2 S. 147 ff., mit Hinweisen). Bringt die
Überprüfung einer Verfügung für die Parteien keinen Nutzen, weil auch eine
Gutheissung der Beschwerde deren Auswirkungen nicht mehr rückgängig machen
würde, so besteht allein im Hinblick auf den Schadenersatzprozess regelmässig
kein schutzwürdiges Interesse an der Behandlung eines Rechtsmittels, wenn die
behauptete Rechtswidrigkeit noch im Haftungsverfahren geltend gemacht werden
kann. Vorbehalten bleiben anderslautende spezialgesetzliche Regelungen (vgl.
z. Bsp. Art. 32 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1994 über das
öffentliche Beschaffungswesen; SR 172.056.1). Was Schadenersatzforderungen
gegen den Bund betrifft, steht dem Art. 12 VG, welcher die Überprüfung der
Rechtmässigkeit formell rechtskräftiger Verfügungen, Entscheide und Urteile
ausschliesst, nicht entgegen. Voraussetzung für die Anwendung von Art. 12 VG
ist, dass überhaupt wirksam Beschwerde gegen die als rechtswidrig empfundene
Verfügung erhoben werden konnte, was hier nicht (mehr) möglich war. Die
Rechtskraft von Verfügungen, die bei Ergreifung des Rechtsmittels schon
vollzogen waren bzw. deren Wirkungen im Rechtsmittelverfahren nicht
rückgängig gemacht werden konnten, darf dem Betroffenen im
Schadenersatzprozess nicht entgegengehalten werden. Vielmehr ist dort die
Widerrechtlichkeit der Verfügung vorfrageweise zu prüfen (BGE 126 I 144 E. 2
S. 148; 129 I 139 E. 3.1 S. 143; Urteil 1A.253/2005 vom 17. Februar 2006 E.
2.1.2).
Die Beschwerdeführerin hatte unter dem Aspekt des bevorstehenden
Staatshaftungsprozesses kein schutzwürdiges Interesse an der Behandlung ihrer
Beschwerde gegen die Verfügung des Bundesamtes.

3.1.2 Die Vorinstanz nimmt weiter an, es sei durchaus möglich, dass sich die
im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder zumindest
ähnlichen Umständen inskünftig wieder stellen würden; da diese nicht nur für
die Beschwerdeführerin, sondern generell für den Bereich der Sicherheit in
der Luftfahrt von einer gewissen Tragweite seien, müsse ein hinreichendes
öffentliches Interesse an ihrer Beantwortung bejaht werden und sei trotz
Fehlens des aktuellen Interesses der Beschwerdeführerin auf die Beschwerde
einzutreten.

Der angefochtene Entscheid behandelt die Zuständigkeit des Bundesamtes für
Zivilluftfahrt zum Erlass von Start- und Lande- sowie Überflugverboten auf
der Grundlage des Landesrechts sowie des internationalen Luftrechts; in
materieller Hinsicht ist streitig die Zulässigkeit des Entzugs der
Betriebsbewilligung unter dem Gesichtswinkel der gesetzlichen Grundlage und
des Verhältnismässigkeitsgebots. Dabei stellen sich einerseits Fragen, die
durch die konkreten tatsächlichen Verhältnisse bestimmt und damit
einzelfallspezifisch sind, an deren Beantwortung nach Wegfall des aktuellen
Interesses kein öffentliches Interesse besteht. Nur soweit der Entscheid sich
zur Bedeutung von landesrechtlichen Normen und zu Regeln des internationalen
Luftrechts äussert, geht es andererseits um Fragen, die sich ähnlich wieder
stellen können und an deren Beantwortung ein öffentliches Interesse besteht.
Indessen ist nicht ersichtlich, warum zu diesen Fragen voraussichtlich nie
rechtzeitig ein gerichtlicher Entscheid der Rekurskommission sollte erwirkt
werden können. Es fehlt damit an einer unabdingbaren Voraussetzung, um auf
eine Beschwerde trotz fehlenden aktuellen praktischen Interesses einzutreten.

3.2 Der Beschwerdeführerin fehlte unter diesen Umständen die
Beschwerdelegitimation gemäss Art. 48 lit. a VwVG, und die Rekurskommission
hätte auf ihre Beschwerde nicht eintreten dürfen. Dies müsste grundsätzlich
zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen (vgl. BGE 127 II 32 E. 3a
S. 41).

4.
Nun wäre die Beschwerdeführerin aus den vorstehend erwähnten Gründen an sich
auch zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht legitimiert. Zu beachten ist
indessen, dass der zu Unrecht ergangene und angefochtene materielle
Rechtsmittelentscheid einer richterlichen Behörde der Beschwerdeführerin im
anhängig gemachten Verantwortlichkeitsverfahren im Sinne von Art. 12 VG
entgegengehalten werden könnte. Sie hat insoweit ein schutzwürdiges Interesse
an dessen Aufhebung. Allein im Hinblick darauf ist auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten. Sie ist im Sinne der Erwägungen
gutzuheissen, und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben.

5.
Unter den gegebenen Umständen wird von der Erhebung einer Gerichtsgebühr
abgesehen und ist der Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung
zuzusprechen.

Was die Kosten des vorinstanzlichen Verfahrens betrifft, entfällt durch die
vollständige Aufhebung des angefochtenen Entscheids die Kostenauflage an die
Beschwerdeführerin. Da auf ihre Beschwerde an die Vorinstanz mangels
Legitimation nicht hätte eingetreten werden dürfen, bleibt es bei der
Abweisung des Begehrens um Ausrichtung einer Parteientschädigung für das
Verfahren vor der Rekurskommission.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen,
und der Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für Infrastruktur und
Umwelt vom 6. April 2006 wird aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt hat die Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Bundesamt für Zivilluftfahrt
und der Eidgenössischen Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. August 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: