Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.263/2006
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{T 1/2}
2A.263/2006 /bru

Urteil vom 9. Oktober 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Hungerbühler, Müller
Gerichtsschreiber Küng.

J. Villiger AG,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Ruth Fechtig-Villiger und Robert Fechtig,

gegen

Stadtrat von Zürich, Postfach, 8022 Zürich,
Statthalteramt des Bezirkes Zürich,
Postfach, 8023 Zürich,
Regierungsrat des Kantons Zürich,
Kaspar Escher-Haus, 8090 Zürich,
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, 3. Kammer, Postfach,
8090 Zürich.

Verkehrsanordnung (Art. 3 Abs. 4 SVG),

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich vom

7. April 2006.

Sachverhalt:

A.
Auf der Sempacherstrasse in Zürich (Mühlehalde-Quartier) gilt seit dem Jahr
1969 Einbahnverkehr von der Forchstrasse bis Klusplatz; ab Mai 1998 wurden
Fahr- und Motorfahrräder in beiden Richtungen zugelassen. Am 8. Februar 1999
verfügte die Vorsteherin des Polizeidepartements der Stadt Zürich zusätzlich,
im Bereich der Kreuzung mit dem Kapfsteig (steil abfallende Strasse, talwärts
Fahrverbot für Lastwagen) werde der Verkehr mit Fahrzeugen - ausgenommen
Fahr- und Motorfahrräder - vom Kapfsteig nach der Forchstrasse und vom
Kapfsteig nach der Zufahrt zur Liegenschaft Nr. 53 verboten. Die neue
Regelung hätte zur Folge, dass für die Liegenschaft Nr. 52 der J. Villiger &
Co. (Herstellung von Zigerprodukten/Spezialfabrikation von "Ankeziger") an
der Sempacherstrasse die Zufahrt mit Motorfahrzeugen nur noch von der
Hofackerstrasse her, die Wegfahrt hingegen ebenfalls zur Hofackerstrasse oder
aber zum Kapfsteig und über diesen zur Forchstrasse möglich wäre.

Gegen die vorgesehene neue Verkehrsführung wandte sich die J. Villiger & Co.
an den Stadtrat von Zürich, der ihre Einsprache am 8. September 1999 abwies,
soweit er darauf eintrat. Nachdem der Statthalter des Bezirkes Zürich den
gegen diesen Entscheid gerichteten Rekurs der J. Villiger & Co., soweit er
darauf eintrat, gutgeheissen hatte, wies der Stadtrat von Zürich die
Einsprache am 8. März 2000 erneut ab. Diesen Einspracheentscheid focht die
J. Villiger & Co. - diesmal ohne Erfolg - wiederum beim Statthalter des
Bezirkes Zürich an. Gegen dessen Rekursentscheid gelangte die J. Villiger &
Co. an den Regierungsrat des Kantons Zürich, der ihren Rekurs am 23. Juli
2003 abwies, soweit er darauf eintrat.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hiess die von der J. Villiger & Co.
gegen diesen Regierungsratsbeschluss gerichtete Beschwerde am 13. November
2003 teilweise gut und wies die Sache zur ergänzenden Untersuchung an den
Regierungsrat zurück. Dieser hob in Gutheissung des Rekurses der J. Villiger
& Co. den Entscheid des Statthalters vom 10. August 2000 auf und wies die
Sache zur ergänzenden Untersuchung an diesen zurück.

In der Folge nahm das Statthalteramt des Bezirkes Zürich einen Augenschein
vor und liess eine Probefahrt mit einem Lastwagen durchführen. Am 12. Januar
2005 wies es den Rekurs der J. Villiger & Co. (nunmehr J. Villiger AG) erneut
ab.

Nachdem das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich diesen Entscheid wegen
Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgehoben und die Sache zur ergänzenden
Untersuchung (Beweisaufnahme mit Lastwagenfahrt) an das Statthalteramt des
Kantons Zürich  zurückgewiesen hatte, wies dieses am 12. Januar 2006 den
Rekurs der J. Villiger AG auch zum dritten Mal ab.

Dagegen gelangte die J. Villiger AG wiederum an das Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich, welches ihre Beschwerde am 7. April 2006 abwies, soweit es
darauf eintrat.

B.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 11./12. Mai 2006 beantragt die J.
Villiger AG dem Bundesgericht, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich vom 7. April 2006 aufzuheben.

Die Vorsteherin des Polizeidepartements der Stadt Zürich beantragt im Namen
des Stadtrates von Zürich - unter Hinweis auf die Erwägungen des
angefochtenen Entscheides und des Entscheides des Statthalteramtes des
Bezirkes Zürich -, die Beschwerde abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat unter Verweisung auf den
angefochtenen Entscheid auf eine Vernehmlassung verzichtet und stellt den
Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Das Bundesamt für Strassen schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die angefochtene Einbahnregelung ist eine funktionelle
Verkehrsbeschränkung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 des Strassenverkehrsgesetzes
vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01; Fassung vom 14. Dezember 2001), die
nach heutiger Regelung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht
angefochten werden kann.

1.2 Die Beschwerdeführerin, die mit der angefochtenen Einbahnregelung
verbundene verschiedene Nachteile bei der Belieferung ihres Betriebes mit
Lastwagen bzw. Erschwerungen im Betriebsablauf geltend macht, ist in
schützenswerten eigenen Interessen betroffen und damit zur Beschwerde
legitimiert. Auf die frist- und formgerechte Beschwerde ist daher
einzutreten.

1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von
Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens,
sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts (Art. 104 lit. a und b OG), nicht jedoch die Unangemessenheit
des angefochtenen Entscheids (vgl. Art. 104 lit. c OG) gerügt werden. Hat -
wie hier - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden, ist das
Bundesgericht an deren Sachverhaltsfeststellung gebunden, sofern diese nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen erfolgt ist (Art. 105 Abs. 2 OG).

1.4 Ein zweiter Schriftenwechsel, der nur ausnahmsweise stattfindet (Art. 110
Abs. 4 OG), wurde nicht angeordnet. Die zusätzlichen Eingaben der
Beschwerdeführerin vom 3. und 22. August 2006 sind daher unbeachtlich.

2.
2.1 Funktionelle Verkehrsanordnungen nach Art. 3 Abs. 4 SVG können erlassen
werden, soweit der Schutz der Bewohner oder gleichermassen Betroffener vor
Lärm und Luftverschmutzung, die Beseitigung von Benachteiligungen von
Menschen mit Behinderungen, die Sicherheit, die Erleichterung oder die
Regelung des Verkehrs, der Schutz der Strasse oder andere in den örtlichen
Verhältnissen liegende Gründe dies erfordern; aus solchen Gründen können
insbesondere in Wohnquartieren der Verkehr beschränkt und das Parkieren
besonders geregelt werden. Die Kantone und Gemeinden können dabei all jene
Massnahmen treffen, die ihnen im Rahmen der strassenverkehrsrechtlichen
Bundesvorschriften zur Verfügung stehen und die nach dem Grundsatz von
Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit zulässig sind.

Ob eine gestützt auf Art. 3 Abs. 4 SVG angeordnete Verkehrsmassnahme im
öffentlichen Interesse liegt und dem Gebot der Verhältnismässigkeit
entspricht, prüft das Bundesgericht an sich mit freier Kognition. Es übt
jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der
örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen
und überblicken als das Bundesgericht. Verkehrsbeschränkungen der hier in
Frage stehenden Art sind regelmässig mit komplexen Interessenabwägungen
verbunden. Entsprechend der Natur der Sache liegt die Verantwortung für die
Zweckmässigkeit und Wirksamkeit solcher Massnahmen in erster Linie bei den
verfügenden Behörden, denen insoweit ein erheblicher Gestaltungsspielraum
zusteht. Ein Eingreifen des Richters ist erst gerechtfertigt, wenn die
zuständigen Behörden von unhaltbaren tatsächlichen Annahmen ausgehen,
bundesrechtswidrige Zielsetzungen verfolgen, bei der Ausgestaltung der
Massnahme ungerechtfertigte Differenzierungen vornehmen oder notwendige
Differenzierungen unterlassen oder sich von erkennbar grundrechtswidrigen
Interessenabwägungen leiten lassen (Urteil 2A.23/2006 vom 23. Mai 2006 E.
3.2, mit Hinweisen).

3.
Die Beschwerdeführerin rügt im Zusammenhang mit den Ausführungen der
Vorinstanz betreffend die vom Statthalter anlässlich der Beweisaufnahme zur
Diskussion gestellte Alternativlösung ("Zubringerdienst"-Lösung;
angefochtenes Urteil E. 3.4) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Sie legt
indessen nicht dar, inwiefern das Verwaltungsgericht dem Statthalteramt nicht
zubilligen durfte, im Rahmen der gebotenen Gesamtbeurteilung auf eine nähere
Auseinandersetzung mit der Alternative - auf welche zudem mit dem
rechtskräftigen Urteil der Vorinstanz vom 12. Mai 2005 wegen unzulässiger
Erweiterung des Streitgegenstandes nicht eingetreten wurde (angefochtenes
Urteil E1.1) - zu verzichten.

4.
4.1 Die angefochtene Verkehrsanordnung soll in erster Linie die als
Quartierstrasse klassierte Sempacherstrasse vom Durchgangsverkehr entlasten
und zur Verkehrsberuhigung im Bereich Hirslanden beitragen; insbesondere soll
verhindert werden, dass sie als Schleichweg - zur Umfahrung der
Verkehrsregelungsanlage Freie-/Hofackerstrasse - benützt wird. Sie hat zur
Folge, dass die Zufahrt für Lastwagen zum Fabrikationsbetrieb der
Beschwerdeführerin dadurch erschwert wird, dass diese nun nur noch von der
Hofackerstrasse her möglich wäre. Die Beschwerdeführerin bekämpft diese
Lösung, indem sie die ihres Erachtens bestehenden Nachteile der neuen
Verkehrsregelung hervorhebt.

4.2 Die Vorinstanzen haben ein umfangreiches Beweisverfahren durchgeführt und
dabei insbesondere mehrere Fahrten mit verschiedenen Lastwagen auf den von
den Auswirkungen der Massnahme betroffenen Strassenabschnitten vornehmen
lassen. Diese Fahrten haben gezeigt, dass das Einbiegen mit Lastwagen von der
Hofackerstrasse in die Sempacherstrasse vor allem deswegen erschwert ist,
weil dort Prellsteine und Signaltafeln stehen; diese würden indessen bei der
Einführung der neuen Massnahme entfernt. Weiter würden die gegenüber der
Liegenschaft der Beschwerdeführerin heute noch bestehenden blau markierten
Parkplätze definitiv so verlegt, dass ein Wenden auch für Lastwagen auf dem
Vorplatz der Liegenschaft der Beschwerdeführerin möglich sei. Somit könnten
die Lastwagen auch wieder die Sempacherstrasse zurückfahren, falls die
Ausfahrt über den Kapfsteig - die zwar nicht optimal, aber bei der
vorauszusetzenden Vorsicht gefahrlos zu meistern sei - ausnahmsweise nicht
möglich sein sollte. Die Beschwerdeführerin kritisiert zahlreiche
Einzelpunkte des angefochtenen Entscheides, bringt aber letztlich nichts vor,
was die Zulässigkeit der in Frage stehenden Verkehrsmassnahme unter dem
Gesichtswinkel der oben dargelegten Prüfungskriterien ernstlich in Frage zu
stellen vermöchte. Dass die Beschwerdeführerin aus ihrer Sicht eine andere
(bzw. die offenbar auch vom Statthalter diskutierte, von den zuständigen
Organen aber nicht weiterverfolgte) Lösung bevorzugt hätte, ist verständlich,
lässt aber die von den Behörden gewählte Regelung nicht als
bundesrechtswidrig erscheinen. Die Vorinstanzen durften - abgesehen vom hier
nicht mehr zu prüfenden formellen Nichteintreten - im Rahmen der von ihnen
vorzunehmenden Gesamtbeurteilung der örtlichen Verhältnisse die von der
Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dieser Alternativlösung vorgetragenen
Argumente in vertretbarer Weise verwerfen und nicht weiter verfolgen. Dabei
fällt schliesslich ebenfalls ins Gewicht, dass sich der Betrieb der
Beschwerdeführerin inmitten einer Wohnzone befindet und diese - im Rahmen der
Abwägung der Interessen aller Quartierbewohner - schon insoweit keinen
Anspruch auf optimale Verhältnisse für die Belieferung ihres Betriebes mit
schweren Lastwagen hat (vgl. angefochtenes Urteil E. 3.2.3).

5.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang hat die
Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht zu tragen
(Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Stadtrat von Zürich, dem
Statthalteramt des Bezirkes Zürich, dem Regierungsrat und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich sowie dem Bundesamt für Strassen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 09. Oktober 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: