Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.250/2006
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{T 0/2}
2A.250/2006 /zga

Urteil vom 11. Oktober 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart,
Ersatzrichter Locher,
Gerichtsschreiber Schaub.

Kantonales Steueramt Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdeführer,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Ulrich Würgler,
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, 2. Kammer, Postfach,
Militärstrasse 36, 8090 Zürich.

Direkte Bundessteuer 2002,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, 2.
Kammer, vom 1. März 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________ verkaufte mit Vertrag vom 19. November 2002 das in der Gemeinde
A.________ gelegene Mehrfamilienhaus (Kat. ____) zum Preis von Fr.
1'710'000.-- an Y. ________ und Z.________. Der Besitzesantritt mit Übergang
von Nutzen und Gefahr wurde auf den 1. Januar 2003 festgesetzt. Eine
Anzahlung von Fr. 30'000.-- war bei Vertragsschluss zu leisten, und die
Restanz von Fr. 1'680'000.-- (davon Fr. 1'400'000.-- Schuldüberbund und
Fr. 45'000.-- mutmassliche Grundstückgewinnsteuer) war bei der
Eigentumsübertragung zu bezahlen, die bis am 10. Januar 2003 erfolgen sollte.
Effektiv fand die Eigentumsübertragung indessen erst am 14. Januar 2003
statt, nachdem gleichentags der Kaufvertrag in einem Nachtrag insoweit
geändert wurde, als die der Gemeindeverwaltung A.________ direkt zu
überweisende Grundstückgewinnsteuer auf Fr. 55'000.-- (statt Fr. 45'000.--)
angehoben wurde. Die massgebende Vertragsklausel lautet (IV. Ziffer 6.):
"Die Grundstückgewinnsteuer geht zulasten des Verkäufers.
[...]
Der Verkäufer verpflichtet sich, bis zur grundbuchlichen Eigentumsübertragung
die zu bezahlende Grundstückgewinnsteuer vom Steueramt A.________
provisorisch errechnen zu lassen. Sollte diese Berechnung höher ausfallen,
als der von den Parteien in der Kaufpreisabrechnung vorn vorgesehene Betrag
von Fr. 45'000.--, so wäre dieser Betrag anlässlich der Eigentumsübertragung
auf die vom Steueramt A.________ errechnete Höhe anzupassen. Ein allfälliger
sich nach der Bezahlung der Steuern ergebender Überschuss aus dem
hinterlegten Betrag kommt vollumfänglich dem Verkäufer zugut, währenddem sich
dieser im andern Falle zur sofortigen Nachzahlung verpflichtet ...".

B.
Statt der deklarierten Fr. 319'700.-- veranlagte das kantonale Steueramt
Zürich (nachfolgend: Steueramt) X.________ am 18. November 2004 für die
direkte Bundessteuer der Steuerperiode 2002 mit einem steuerbaren Einkommen
von Fr. 475'100.--. Dabei würdigte es den aus der Veräusserung der erwähnten
Liegenschaft erzielten Kapitalgewinn von Fr. 137'400.-- als Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit. Daran hielt es auch im Einspracheentscheid
vom 20. Mai 2005 fest, berücksichtigte jedoch zusätzlich eine
AHV-Rückstellung von 10%, d.h. von Fr. 13'740.--, und setzte demgemäss das
steuerbare Einkommen auf Fr. 443'400.-- herab. Die Steuerrekurskommission I
des Kantons Zürich (nachfolgend: Steuerrekurskommission) wies die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde von X.________ am 9. September 2005
ab.

C.
Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich am 1. März 2006 gut und setzte das steuerbare Einkommen von X.________
für die direkte Bundessteuer 2002 auf Fr. 319'700.-- fest.

D.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 5. Mai 2006 beantragt das Steueramt dem
Bundesgericht, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und der
Entscheid der Steuerrekurskommission vom 9. September 2005 sei zu bestätigen.

X. ________ beantragt, die Beschwerde des Steueramts abzuweisen, und das
Urteil des Verwaltungsgerichts zu bestätigen; für den Fall einer Gutheissung
der Beschwerde beantragt er eventualiter, die Sache sei an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen zwecks materieller Beurteilung der Frage,
ob die Voraussetzungen von Art. 18 DBG erfüllt seien.

E.
Das Verwaltungsgericht beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter Verzicht auf eine Vernehmlassung. Die
Eidgenössische Steuerverwaltung wiederum beantragt, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom
1. März 2006 ist ein auf Steuerrecht des Bundes gestütztes,
letztinstanzliches kantonales Urteil, das mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht angefochten werden kann (Art. 97 Abs. 1 OG in Verbindung
mit Art. 5 VwVG und Art. 98 lit. g OG sowie Art. 146 des Bundesgesetzes vom
14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11]). Das
Kantonale Steueramt Zürich ist gestützt auf Art. 103 lit. c OG in Verbindung
mit Art. 146 DBG in fine zur Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids
legitimiert. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist
einzutreten.

1.2 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde können die Verletzung von
Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens
(Art. 104 lit. a OG) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts (Art. 104 lit. b OG) gerügt werden. Hat -
wie hier - als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden, so ist das
Bundesgericht an deren Sachverhaltsfeststellung gebunden, wenn der
Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig oder unter
Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ermittelt worden ist (Art. 105
Abs. 2 OG).

1.3 Das Bundesgericht wendet im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren
das Bundesrecht von Amtes wegen an; es ist gemäss Art. 114 Abs. 1 OG an die
von den Parteien vorgebrachten Begründungen nicht gebunden und kann die
Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder
abweisen (BGE 132 II 47 E. 1.3 S. 50).

2.
2.1 Der Einkommenssteuer unterliegen alle wiederkehrenden und einmaligen
Einkünfte mit Ausnahme der Kapitalgewinne aus der Veräusserung von
Privatvermögen (Art. 16 Abs. 1 und 3 DBG). Steuerbar sind alle Einkünfte aus
einem Handels-, Industrie-, Gewerbe-, Land- und Forstwirtschaftsbetrieb, aus
einem freien Beruf sowie aus jeder anderen selbständigen Erwerbstätigkeit
(Art. 18 Abs. 1 DBG). Das steuerbare Einkommen bemisst sich gemäss Art. 210
Abs. 1 DBG nach den Einkünften der Steuerperiode. Ein Einkommen ist nach
steuerrechtlichen Grundsätzen dann als zugeflossen und damit als erzielt zu
betrachten, wenn die steuerpflichtige Person Leistungen vereinnahmt oder
einen festen Rechtsanspruch darauf erwirbt, über den sie tatsächlich verfügen
kann. Voraussetzung des Zufliessens ist ein abgeschlossener Rechtserwerb, der
Forderungserwerb oder Eigentumserwerb sein kann. Der Forderungserwerb ist in
der Regel Vorstufe der Geldleistung. Bei diesem zweistufigen Erwerb erfolgt
die Besteuerung entweder beim Forderungserwerb oder beim Eigentumserwerb.
Vorherrschend ist in solchen Fällen die Besteuerung beim Forderungserwerb.
Von diesem Grundsatz wird in der Steuerpraxis nur ausnahmsweise abgewichen;
namentlich wenn die Erfüllung der Forderung - die Leistung - als unsicher
betrachtet werden muss, wird mit der Besteuerung bis zur Erfüllung zugewartet
(Urteil 2P.323/2003 vom 7. Mai 2005, publ. in: StE 2005 A 24.21 Nr. 16, E.
4.1 mit Hinweisen). Einkünfte aus gewerbsmässigem Liegenschaftshandel sind in
dem Zeitpunkt zugeflossen, in welchem der Kaufvertrag durch öffentliche
Beurkundung rechtsgültig abgeschlossen wurde und seine Erfüllung nicht
unsicher erscheint (Urteil 2A.67/1997 vom 14. Oktober 1998, publ. in: StR
54/1999 196, E. 5b mit Hinweisen; vgl. auch Urteil 2A.475/2002 vom 31. März
2003, publ. in: StE 2003 B 21.2 Nr. 17, E. 3.1; in diesem Sinn auch Ernst
Känzig, Wehrsteuer [Direkte Bundessteuer], I. Teil, 2. Aufl., Basel 1982, Rz.
167 zu Art. 21 BdBSt; Peter Locher, Kommentar zum DBG, Therwil/Basel 2001,
Rz. 75 zu Art. 18 DBG; Felix Richner/ Walter Frei/Stefan Kaufmann,
Handkommentar zum DBG, Zürich 2003, Rz. 21 zu Art. 210 DBG).

2.2 Der hier zu beurteilende Kaufvertrag wurde am 19. November 2002
öffentlich beurkundet und war grundsätzlich Zug um Zug zu erfüllen. Wegen der
in IV. Ziffer 6 enthaltenen Vertragsklausel, wonach vor der
Eigentumsübertragung noch die mutmassliche Grundstückgewinnsteuer abzuklären
und allenfalls der Vertrag entsprechend anzupassen sei, verzögerte sich diese
jedoch. Tatsächlich erfolgte der Eigentumsübergang erst am 14. Januar 2003.
Aber von einer unsicheren Erfüllung kann hier entgegen der Auffassung der
Vorinstanz nicht die Rede sein; denn die zu bezahlende Grundstückgewinnsteuer
wurde nicht etwa auf den Erwerber überwälzt, womit sich das Ausmass der
Grundstückgewinnsteuer in der Tat auf die Höhe des Erlöses ausgewirkt hätte
(Felix Richner/Walter Frei/Stefan Kaufmann/Hans Ulrich Meuter, Kommentar zum
harmonisierten Zürcher Steuergesetz, 2. Aufl. Zürich 2006, Rz. 37 ff. zu §
220 StG/ZH). Vielmehr blieb der Veräusserer entsprechend der gesetzlichen
Ordnung steuerpflichtig (vgl. § 217 StG/ZH). Der Kaufpreis von Fr.
1'710'000.-- als der für die Grundstückgewinnsteuer massgebende Erlös wurde
durch die von der Gemeindeverwaltung A.________ provisorisch ermittelte
Grundstückgewinnsteuer von Fr. 55'000.-- (statt Fr. 45'000.--), die ihr
sicherheitshalber direkt zu überweisen war, nicht berührt. Durch diese höhere
Sicherheitsleistung - die sich übrigens als übersetzt erwies, machte doch die
definitive Grundstückgewinnsteuer nur Fr. 44'360.-- aus - konnte die
Kaufpreiszahlung nicht ernstlich gefährdet werden. Im Übrigen kann aus dem
blossen Hinweis auf die Folgen einer Vertragsnichterfüllung im Kaufvertrag
(Art. 107 OR) offensichtlich nicht geschlossen werden, die Vertragserfüllung
sei deswegen unsicher. Die Vorinstanz ging deshalb zu Unrecht aufgrund
angeblich unsicherer Vertragserfüllung davon aus, der Gewinn sei erst im
Jahre 2003 erzielt worden. Damit wird kein anderer Sachverhalt zugrunde
gelegt, sondern bloss der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt
rechtlich anders gewürdigt.

2.3 Eine verbreitete Lehrmeinung postuliert allerdings, den
Realisationszeitpunkt bei Immobilientransaktionen generell auf den Zeitpunkt
des Grundbucheintrages (bzw. auf den Zeitpunkt der Anmeldung zur
Eigentumsübertragung gegenüber dem Grundbuchamt) anzusetzen, weil erst damit
ein Anspruch auf die Gegenleistung bestehe (Rolf Benz, Handelsrechtliche und
steuerrechtliche Grundsätze ordnungsmässiger Bilanzierung, Diss. ZH 2000, S.
92; Markus Weidmann, Einkommensbegriff und Realisation, Diss. ZH 1996, S. 148
ff.; Markus Reich/Marco Duss, Unternehmensumstrukturierungen im Steuerrecht,
Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 26; Markus Reich, Rechtsprechung im Jahr
2003 [1. Teil], IFF Forum für Steuerrecht 2004/3 S. 218-230, 218 ff., bei der
Besprechung des Urteils 2A.475/2002 vom 31. März 2003, publ. in: StE 2003 B
21.2 Nr. 17). Dabei hat diese Lehrmeinung vorab ausserordentliche
Geschäftsvorfälle vor Augen, wo es sich um die Realisation stiller Reserven
auf Anlagevermögen handelt (vgl. auch BGE 116 II 533 E. 2a/dd S. 539 f.).
Vorliegend geht es jedoch nicht um die Erzielung von Kapitalgewinnen auf
Geschäftsvermögen im Sinn von Art. 18 Abs. 2 DBG, sondern um
Liegenschaftsgewinne gemäss Art. 18 Abs. 1 DBG. Im Übrigen hätte hier der
Veräusserer grundsätzlich sofort leisten müssen, und zugleich war auch die
Kaufpreisrestanz zu bezahlen. In einem solchen Fall auf die tatsächliche
Eigentumsübertragung abzustellen, liesse den Realisationszeitpunkt vom
Gutdünken einer Partei abhängen, womit dieser Zeitpunkt allzu leicht
manipuliert werden könnte. Das erscheint als wenig sinnvoll und rechtfertigt
jedenfalls keine Praxisänderung. Das Bundesgericht entschied denn auch bei
einem Alleinaktionär, der einen von der Beschlussfassung der
Generalversammlung abweichenden Termin für die Fälligkeit einer
Substanzdividende bestimmt hatte, dass dieser nach Belieben festgesetzte
Zeitpunkt steuerrechtlich nicht massgebend ist (Urteil 2P.323/2003 vom 7. Mai
2005, publ. in: StE 2005 A 24.21 Nr. 16, E. 4.2 in fine; vgl. auch Urteil vom
17. Februar 1986, publ. in: NStP 40/1986 S. 81, 86 f., E. 3b).

3.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach insoweit gutzuheissen und das
angefochtene Urteil aufzuheben. Allerdings kann dem Antrag des
Beschwerdeführers, den Entscheid der Steuerrekurskommission vom 9. September
2005 zu bestätigen, nicht stattgegeben werden, denn die Vorinstanz äusserte
sich zur grundsätzlichen Steuerbarkeit des fraglichen Gewinnes noch gar
nicht. Vielmehr ist dem Eventualantrag des Beschwerdegegners zu folgen und
die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen zur Beurteilung dieser
materiellen Frage sowie zum Entscheid über die kantonalen Verfahrenskosten.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens zu einem Drittel dem Kanton Zürich, der Vermögensinteressen
verfolgt, und zu zwei Dritteln dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 156
Abs. 1, 2 und 3 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). Parteientschädigung
ist keine zuzusprechen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht :

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen und der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 1. März 2006
aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'100.-- wird zu einem Drittel dem Kanton Zürich
und zu zwei Dritteln dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
sowie der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Oktober 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: