Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.226/2006
Zurück zum Index II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006
Retour à l'indice II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006


2A.226/2006 /vje

Urteil vom 3. Mai 2006
II.  ffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wurzburger, pr sidierendes Mitglied,
Bundesrichter Hungerb hler, M ller,
Gerichtsschreiber Feller.

X. ________,
Beschwerdef hrer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Kreis,

gegen

Departement f r Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, Regierungsgeb ude,
8510 Frauenfeld,
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Frauenfelderstrasse 16, 8570
Weinfelden.

Nichtverl ngerung der Aufenthaltsbewilligung,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 1. M rz 2006.

Das Bundesgericht zieht in Erw gung:

1.
Der t rkische Staatsangeh rige X.________, geb. 1949, reiste am 1. M rz 1979
mit Frau und Tochter in die Schweiz ein und erhielt im Kanton Appenzell A.Rh.
eine Aufenthaltsbewilligung. 1981 zog die Familie in den Kanton Thurgau, wo
1984 eine zweite Tochter geboren wurde. 1988 und 1990 wurden Gesuche um
Erteilung der Niederlassungsbewilligung wegen laufender Betreibungen
abgewiesen. Die Ehe von X.________ wurde 1991 geschieden; seiner
Unterhaltspflicht gegen ber der geschiedenen Ehefrau und den T chtern kam er
nicht nach, weshalb diese Sozialhilfe beanspruchen mussten. X.________ wurde
1994 und 1996 wegen der Anh ufung von Schulden fremdenpolizeilich verwarnt.
1997 wurde er arbeitslos; am 1. Mai 1999 wurde er ausgesteuert. In der Folge
bezog er Sozialhilfe. Per 1. Juni 2002 wurde ihm eine ganze IV-Rente
(monatlich Fr. 1'224.--) zugesprochen; ab 1. Januar 2004 erh lt er
Erg nzungsleistungen von mittlerweile monatlich Fr. 1'255.--.

Mit Verf gung vom 31. M rz 2005 lehnte das Ausl nderamt (Migrationsamt) des
Kantons Thurgau eine Verl ngerung der Aufenthaltsbewilligung von X.________
unter Hinweis auf die fortgesetzte Schuldenmacherei trotz zweier Verwarnungen
ab und ordnete seine Wegweisung an. Ein Rekurs an das Departement f r Justiz
und Sicherheit des Kantons Thurgau blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau wies die gegen den Departementsentscheid erhobene
Beschwerde am 1. M rz 2006 ab. Gest tzt darauf wurde X.________ eine
Ausreisefrist auf den 15. Mai 2006 angesetzt; das Bundesamt f r Migration
dehnte die Wegweisung am 7. April 2006 auf das Gebiet der ganzen Schweiz aus.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde und subsidi r staatsrechtlicher Beschwerde
vom 25. April 2006 beantragt X.________ dem Bundesgericht, den Entscheid des
Verwaltungsgerichts und die diesem vorausgegangenen unterinstanzlichen
Entscheide aufzuheben und ihm den weiteren Aufenthalt in der Schweiz zu
bewilligen, eventuell auf Zusehen hin bzw. unter Bedingungen und Auflagen.

Es ist weder ein Schriftenwechsel noch sind andere Instruktionsmassnahmen
angeordnet worden. Mit dem vorliegenen Urteil werden die f r beide
Rechtsmittel im Hinblick auf die Ausreiseverpflichtung gestellten Gesuche um
aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

2.
Der Beschwerdef hrer hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche
Beschwerde, welche gegen ber der Verwaltungsgerichtsbeschwerde subsidi r ist
(vgl. Art. 84 Abs. 2 OG), erhoben. Die Zul ssigkeit von Rechtsmitteln pr ft
das Bundesgericht von Amtes wegen mit freier Kognition (BG 130 I 312 E. 1 S.
317; 130 II 509 E. 8.1 S. 510, je mit Hinweisen).

2.1 Gem ss Art. 100 Abs. 1 lit. b OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
auf dem Gebiete der Fremdenpolizei unzul ssig gegen die Erteilung oder
Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch
einr umt (Ziff. 3), sowie gegen die Wegweisung (Ziff. 4).

2.1.1 Der Beschwerdef hrer kann weder aus einer Norm des Landesrechts noch
aus einer Bestimmung eines bilateralen Abkommens zwischen der Schweiz und der
T rkei einen Bewilligungsanspruch ableiten. Er macht geltend, ein solcher
stehe ihm unter dem Gesichtswinkel des Rechts auf Achtung des Familien- und
Privatlebens (Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 und 14 BV) zu.

2.1.2 Was den Schutz des Familienlebens betrifft, so kann sich der Ausl nder
im Hinblick auf die Erteilung einer ausl nderrechtlichen Bewilligung dann auf
Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 oder 14 BV berufen, wenn er eine enge Beziehung zu
in der Schweiz  ber ein festes Anwesenheitsrecht verf genden
Familienangeh rigen pflegt, die zum engen Familienkreis geh ren (Beziehung
zum Ehegatten sowie Beziehung zwischen Eltern und minderj hrigen Kindern).
Der Beschwerdef hrer ist seit 1991 von seiner Ehefrau geschieden. Die in der
Schweiz lebenden T chter sind l ngst vollj hrig und leben nicht in
Familiengemeinschaft mit ihm. Aus der Beziehung zu ihnen kann er,
vorbeh ltlich eines eigentlichen Abh ngigkeitsverh ltnisses, unter dem Titel
Recht auf Achtung des Familienlebens keinen Bewilligungsanspruch ableiten
(BGE 120 Ib 257 E. 1d und 1e S. 260 ff.; s. auch BGE 129 II 11 E. 2 S. 13
unten). Der Beschwerdef hrer hebt zwar unter Hinweis auf seinen
Gesundheitszustand hervor, dass seine beiden T chter ihn regelm ssig
betreuten. Selbst wenn, ohne zus tzliche Abkl rungen, vollst ndig auf die
Verh ltnisse abgestellt wird, wie er sie schildert, kann bloss angenommen
werden, dass das Verbleiben in der N he der T chter f r den Beschwerdef hrer
im Vergleich zu einer R ckkehr in die T rkei weit vorteilhafter w re, ohne
dass aber die Voraussetzungen f r die Annahme eines eigentlichen
Abh ngigkeitsverh ltnis erf llt sind.

2.1.3 Ein Bewilligungsanspruch liesse sich aus Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV
allenfalls insofern ableiten, als das Recht auf Achtung des Privatlebens in
Frage steht. Selbst langj hrige Anwesenheit in der Schweiz l sst f r sich
allein unter diesem Titel noch keinen Bewilligungsanspruch im Sinne eines
"faktischen" Anwesenheitsrechts entstehen. Erforderlich w ren besonders
intensive,  ber eine normale Integration hinausgehende private Bindungen
gesellschaftlicher oder beruflicher Natur bzw. vertiefte soziale Beziehungen
zum ausserfamili ren bzw. ausserh uslichen Bereich; es m sste von einer
eigentlichen Verwurzelung in der Schweiz gesprochen werden k nnen. Die
entsprechenden Kriterien sind zusammengefasst in einem k rzlich ergangenen
Grundsatzurteil des Bundesgerichts (BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S. 286). Der
Beschwerdef hrer weilt nunmehr seit rund 27 Jahren in der Schweiz. Zuvor aber
lebte er w hrend 30 Jahren in der T rkei. In der Schweiz hat er sich
insbesondere wirtschaftlich nie zu integrieren vermocht. Seit vielen Jahren
(ab der zweiten H lfte der 80er Jahre) kam er, obschon er ein regelm ssiges
Einkommen erzielte, seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach und
verschuldete sich kontinuierlich und massiv, dies unabh ngig von seiner per
2002 anerkannten Invalidit t. Auch ausdr ckliche fremdenpolizeiliche
Verwarnungen vermochten keine  nderung seiner Haltung herbeizuf hren.
Unabh ngig von der genauen Feststellung der Summe der Schulden oder der H he
der bezogenen Sozialhilfe kann von einer Verwurzelung in der Schweiz keine
Rede sein. Dem Beschwerdef hrer ist es auch nicht verunm glicht, in der
T rkei zu leben, zu welchem Land nicht jegliche Kontakte abgebrochen sind.
Nach eigenen Angaben hielt er sich dort letztmals im Jahr 2004 auf, und nach
verbindlicher Feststellung des Verwaltungsgerichts (vgl. Art. 105 Abs. 2 OG)
lebt dort ein Sohn des Beschwerdef hrers. Selbst mit der blossen
Invalidenrente - die Erg nzungsleistungen w rden bei einem Wegzug entfallen -
k nnte er seinen Unterhalt in der T rkei zumindest ebenso gut finanzieren wie
in der Schweiz. Entgegen seiner Auffassung l sst sich sein Fall in keinerlei
Hinsicht mit dem Fall vergleichen, welcher dem vorerw hnten Urteil (BGE 130
II 281) zugrunde liegt, und zwar auch nicht bei Ber cksichtigung der
jeweiligen famili ren Situation (kombinierter Schutzbereich von Privat- und
Familienleben, s. BGE 130 II 281 E. 3.2.2 S. 287 f.). Es fehlt an einem
"spezifischen Ausnahmefall" (vgl. BGE 130 II 281 E. 3.3 S. 288), welcher die
Annahme eines faktischen Anwesenheitsrechts rechtfertigte. Nicht ersichtlich
ist, inwiefern sich aus Art. 7 und 12 BV in ausl nderrechtlicher Hinsicht
 ber Art. 8 EMRK oder Art. 13 BV hinausgehende Anspr che ergeben k nnten.
Weiter wird der Beschwerdef hrer durch die Anwendung der allgemeinen
ausl nderrechtlichen Regeln auf ihn nicht diskriminierend behandelt, und ein
Bewilligungsanspruch l sst sich damit auch nicht aus Art. 8 Abs. 2 BV
ableiten (vgl. dazu BGE 126 II 377 E. 6 S. 392 ff.). Schliesslich kann der
Beschwerdef hrer keinen Bewilligungsanspruch aus Art. 9 bzw. 5 Abs. 3 BV
(Treu und Glauben) ableiten; die Erteilung fr herer Aufenthaltsbewilligungen
begr ndet kein schutzw rdiges Vertrauen in die Erneuerung der Bewilligung
(BGE 126 II 377 E. 3b S. 388).

2.1.4 Der Beschwerdef hrer hat unter keinem Titel einen Rechtsanspruch auf
Verl ngerung der Aufenthaltsbewilligung. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist damit im Sinne von Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 wie auch Ziff. 4 OG
unzul ssig, und es kann darauf nicht eingetreten werden. Es bleibt noch zu
pr fen, ob bzw. inwiefern auf die Beschwerde als staatsrechtliche Beschwerde
eingetreten werden kann.

2.2 Der Ausl nder, der  ber keinen Anspruch auf Erteilung einer Bewilligung
zum Verweilen in der Schweiz verf gt, erleidet durch den eine solche
Bewilligung verweigernden Entscheid keine Rechtsverletzung. Eine solche w re
gem ss Art. 88 OG Voraussetzung der Legitimation zur staatsrechtlichen
Beschwerde. Der Beschwerdef hrer ist insofern zur staatsrechtlichen
Beschwerde nicht legitimiert, als er die materielle Bewilligungsfrage zum
Gegenstand der R gen macht (BGE 126 I 81 E. 3b S. 85 ff., mit Hinweisen).
Dies gilt nicht nur f r die R ge, das Willk rverbot sei verletzt, sondern
auch insofern, als die Verletzung von speziellen Grundrechten ger gt wird,
nachdem sich bei der Pr fung der Eintretensfrage zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergeben hat, dass diese Grundrechte in Bezug
auf das ausl nderrechtliche Bewilligungsverfahren keine Rechtsanspr che
verschaffen.

Trotz fehlender Legitimation in der Sache selbst ist der Ausl nder, der
keinen Bewilligungsanspruch hat, zur staatsrechtlichen Beschwerde berechtigt,
soweit er - in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
gen genden Weise - die Verletzung von ihm im kantonalen Verfahren zustehenden
Parteirechten r gt, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung
darstellt (grundlegend BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 312 f.; vgl. auch BGE 128 I
218 E. 1.1 S. 220; 127 II 161 E. 3b S. 167; 126 I 81 E. 3b S. 86 sowie E. 7b
S. 94). Nicht zu h ren sind dabei aber R gen, die im Ergebnis auf eine
materielle  berpr fung des Bewilligungsentscheids abzielen, wie die
Behauptung, dass die Begr ndung des angefochtenen Entscheids unvollst ndig
oder zu wenig differenziert ausgefallen sei oder sich nicht mit s mtlichen
von der Partei vorgetragenen Argumenten auseinandersetze oder dass die
Parteivorbringen willk rlich gew rdigt worden seien. Ebenso wenig ist der
Vorwurf zu h ren, der Sachverhalt sei unvollst ndig oder sonst wie
willk rlich ermittelt worden (vgl. BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 313; 126 I 81 E.
7b S. 94; 118 Ia 232 E. 1c S. 236; 117 Ia 90 E. 4a S. 95).

Aufgrund dieser Vorgaben k nnte h chstens die R ge zul ssig sein, dem
Beschwerdef hrer sei das rechtliche Geh r verweigert worden. Sie l uft
allerdings im Wesentlichen auf die - unzul ssige - R ge hinaus, der
Sachverhalt sei unvollst ndig oder falsch ermittelt bzw. unzutreffend
gew rdigt worden. Die genaue Ermittlung der Schuldensumme bzw. der zuletzt
erbrachten F rsorgeleistungen war f r den Entscheid des Verwaltungsgerichts
nicht erheblich, weshalb der Verzicht auf entsprechende Abkl rungen den
Geh rsanspruch des Beschwerdef hrers nicht verletzte. Dasselbe gilt
hinsichtlich n herer Abkl rungen  ber die Beziehung des Beschwerdef hrers zu
seinen T chtern und der ehemaligen Ehefrau. W hrend es auf die Beziehung zu
Letzterer ausl nderrechtlich ohnehin nicht ankommen kann, liegt eine
Geh rsverweigerung bez glich der Kontakte zu den T chtern darum nicht vor,
weil der Beschwerdef hrer nicht aufzeigt, welche diesbez glichen Elemente das
Verwaltungsgericht gest tzt auf seine Sachbehauptungen im Hinblick auf die
sich stellende Rechtsfrage konkret n her h tte abkl ren m ssen; wie vorne (E.
2.1.2 am Ende) ausgef hrt, liesse sich n mlich selbst bei unbesehenem
Abstellen auf die Darstellung des Beschwerdef hrers nicht von einem
Abh ngigkeitsverh ltnis sprechen, welches f r das Entstehen eines
Rechtsanspruchs erforderlich w re. Insofern l uft die R ge ohnehin weitgehend
auf eine unzul ssige Kritik an der rechtlichen W rdigung der Situation
hinaus.

Soweit auf die staatsrechtliche Beschwerde  berhaupt eingetreten werden kann,
ist sie unbegr ndet und abzuweisen.

2.3 Der Beschwerdef hrer hat f r das bundesgerichtliche Verfahren um
Kostenbefreiung (unentgeltliche Rechtspflege) ersucht. Dem Gesuch ist wegen
Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren nicht zu entsprechen (Art. 152 Abs. 1
OG).

Entsprechend sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdef hrer
aufzuerlegen (Art. 156 OG), wobei bei der Festsetzung der Gerichtsgeb hr
(Art. 153 Abs. 1 OG) zu seinen Ungunsten der aufwendigen Art der
Prozessf hrung und zu seinen Gunsten seinen finanziellen Verh ltnissen
Rechnung getragen wird (Art. 153a Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten. Soweit auf die
Beschwerde als staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden kann, wird sie
abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgeb hr von Fr. 1'200.-- wird dem Beschwerdef hrer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdef hrer, dem Departement f r Justiz und
Sicherheit und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau sowie dem Bundesamt
f r Migration schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Mai 2006

Im Namen der II.  ffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das pr sidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: