Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.171/2006
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{T 0/2}
2A.171/2006 /ast

Urteil vom 15. Juni 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Müller,
Gerichtsschreiber Matter.

A. X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jean-Pierre Menge,

gegen

Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement Graubünden, Hofgraben 5, 7001 Chur,
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 3. Kammer, Obere Plessurstrasse 1,
7001 Chur.

Familiennachzug,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 3. Kammer, vom 17. Januar
2006.

Sachverhalt:

A.
A. X.________, geb. 1968, stammt aus Serbien-Montenegro. Im Jahr 1994 erhielt
er die Jahresaufenthaltsbewilligung, die auch der im Mai 1995 in die Schweiz
nachgefolgten Ehefrau sowie den 1998, 1999, 2001 und 2004 hier geborenen
Töchtern gewährt wurde. Inzwischen verfügen A.X.________ und seine
Angehörigen über die Niederlassungsbewilligung.

Im Juli 2004 adoptierten die Eheleute X.________ ihren damals 14-jährigen
verwaisten Neffen B.________ nach serbisch/montenegrinischen Recht und
stellten im darauf folgenden Monat bei der Fremdenpolizei des Kantons
Graubündens ein Gesuch um Familiennachzug, das mit Verfügung vom 9. November
2004 abgewiesen wurde.

B.
Nach erfolgloser Ergreifung der kantonalen Rechtsmittel (Beschwerde beim
Justiz-, Polizei- und Sicherheitsdepartement, sodann Rekurs an das
Verwaltungsgericht) hat A.X.________ am 24. März 2006
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde beim
Bundesgericht eingereicht. Er beantragt, den Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 23. Februar 2006 aufzuheben und den Familiennachzug
für seinen Adoptivsohn B.________ zu bewilligen.

Das kantonale Departement, das Verwaltungsgericht und das Bundesamt für
Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerden, soweit darauf einzutreten
sei.

C.
Mit Präsidialverfügung vom 3. Mai 2006 ist ein Gesuch um vorsorgliche
Aufnahme des Adoptivsohnes in der Schweiz abgewiesen worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur zulässig, soweit der
Beschwerdeführer einen grundsätzlichen Anspruch auf Bewilligung geltend
machen kann, nicht aber, wenn die Erteilung einer Bewilligung im freien
Ermessen der kantonalen Behörden steht (vgl. Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3
OG und Art. 4 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer [ANAG; SR 142.20]; BGE 130 II 281 E. 2.1 S. 284;
128 II 145 E. 1.1.1 S. 148 mit Hinweisen).

Gemäss Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG haben ledige Kinder von Ausländern, die in
der Schweiz niedergelassen sind, Anspruch auf Einbezug in die
Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern, wenn sie mit diesen zusammenwohnen
und noch nicht 18 Jahre alt sind. Der Beschwerdeführer ist im Besitz der
Niederlassungsbewilligung. Im hier massgeblichen Zeitpunkt der
Gesuchseinreichung (vgl. BGE 129 II 11 E. 2 S. 13 mit Hinweis) war der
Adoptivsohn erst 14 Jahre alt. Somit erweist sich die Beschwerde als
zulässig. Die Altersgrenze von 18 Jahren ist auch jetzt noch nicht erreicht,
so dass grundsätzlich auch die Berufung auf Art. 8 EMRK offensteht, für die
es auf das Datum des bundesgerichtlichen Urteils ankommt (vgl. BGE 129 II 11
E. 2 S. 13 f.). Gemäss Art. 103 lit. a OG ist der Adoptivvater zur
Beschwerdeführung legitimiert. Auf seine form- und fristgerechte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten, nicht aber auf die bloss
subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde (vgl. Art. 84 Abs. 2 OG).

1.2 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von
Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens,
sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts (Art. 104 lit. a und b OG), nicht jedoch die Unangemessenheit
des angefochtenen Entscheids (vgl. Art. 104 lit. c OG) gerügt werden. Hat -
wie hier - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden, ist das
Bundesgericht an deren Sachverhaltsfeststellung gebunden, sofern diese nicht
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen erfolgt ist (Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Es fragt sich, ob das Verwaltungsgericht Bundesrecht falsch angewendet hat,
indem es einen Anspruch des Adoptivsohns auf Einbezug in die
Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers verneint hat.

2.1 Zweck des so genannten Familiennachzugs ist es, das Leben in der
Familiengemeinschaft zu ermöglichen. Der Gesetzeswortlaut (Art. 17 Abs. 2
Satz 3 ANAG) verdeutlicht, dass die rechtliche Absicherung des Zusammenlebens
der Gesamtfamilie angestrebt wird: Verlangt ist ausdrücklich, dass die Kinder
mit ihren Eltern (Plural) zusammenwohnen werden. Nach der Rechtsprechung ist
der nachträgliche Familiennachzug durch Eltern, die sich beide in der Schweiz
niedergelassen haben und einen gemeinsamen ehelichen Haushalt führen,
möglich, ohne dass besondere stichhaltige Gründe die beabsichtigte Änderung
des Betreuungsverhältnisses rechtfertigen müssen. Innerhalb der allgemeinen
Schranken von Art. 17 Abs. 2 Satz 3 ANAG ist somit der Nachzug von
gemeinsamen Kindern an sich jederzeit zulässig; vorbehalten bleibt allerdings
das Rechtsmissbrauchsverbot (vgl. zum Ganzen: BGE 129 II 11 E. 3.1, S. 14 f.
mit Hinweisen).

2.2 Grundsätzlich ist es auch möglich, sich auf Art. 17 Abs. 2 ANAG zu
berufen, wenn es sich beim nachzuziehenden Kind um ein Adoptivkind handelt.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn mit der Adoption das bisherige
Kindesverhältnis erlischt und das Adoptivkind die Rechtsstellung eines Kindes
der Adoptiveltern erhält, wie dies nach schweizerischem Zivilrecht der Fall
ist (Art. 267 Abs. 1 und 2 ZGB; vgl. unveröffentliche Bundesgerichtsurteile
2A.655/2004 i.S. BFM gegen A. vom 11. April 2005; 2A.126/1996 i.S. J. vom 6.
Dezember 1996, 2A.36/1995 i.S. S. vom 9. Januar 1996; 2A.370/1994 i.S. L. vom
25. Oktober 1995, 2A.162/1994 i.S. D. vom 12. Dezember 1994; siehe auch
2A.425/2003 i.S. Y. vom 5. März 2004 E. 4.1.4).

Die Adoption ist indes ein Rechtsinstitut des Zivilrechts. Entsprechend
entfaltet sie in erster Linie zivilrechtliche Wirkungen. Sie muss
ausländerrechtlich nicht zwingend zur Folge haben, dass das adoptierte Kind
in die Niederlassungsbewilligung einzubeziehen ist. Kein Anspruch auf
Familiennachzug besteht namentlich dann, wenn Ausländer ein Kind erst kurz
vor dessen 18. Lebensjahr adoptieren, nachdem sie diesem zuvor nie selber
Pflege und Erziehung gewährt haben. Das muss erst recht dann gelten, wenn von
der persönlichen Ausgangslage her sowohl die Adoption als auch die Obhut
bereits früher möglich gewesen wären, die Betreuungsverhältnisse aber erst im
Hinblick auf das Erreichen des erwerbsfähigen Alters geändert wurden (vgl.
Urteil 2A.162/1994 E. 2d).

2.3 Hier liegt eine in der Schweiz als gültig anzuerkennende ausländische
Volladoption vor. Gemäss dem Verwaltungsgericht vermag dies indessen nicht zu
genügen, um den Einbezug in die Niederlassungsbewilligung der Adoptiveltern
zu begründen. Um einen solchen Anspruch zu rechtfertigen, stützt sich der
Beschwerdeführer insbesondere auf das unveröffentlichte Bundesgerichtsurteil
2A.655/2004 (vgl. E. 2.2 oben). Daraus kann er jedoch nichts zu seinen
Gunsten ableiten:
2.3.1 Dort war der Nachzug des Adoptivsohns u.a. wegen folgender Umstände
bundesrechtskonform: Der biologische Vater (und Bruder des Adoptivvaters) war
von Geburt an invalid und erwerbsunfähig. Die Grosseltern waren verstorben.
Um Familiennachzug wurde schon vor dem elften Altersjahr ersucht, nachdem die
nachmaligen Adoptiveltern sozusagen von der Geburt an (und bis zum Wegzug der
Familie in die Schweiz ununterbrochen) Pflege und Erziehung ihres Neffen (wie
auch die Betreuung von dessen Vater) wahrgenommen hatten.

2.3.2 Der hier zu beurteilende Fall liegt in mehrfacher Hinsicht anders, wie
die Vorinstanz zutreffend erwogen hat:

Die Behörden haben darauf abgestellt, dass die Adoptiveltern bisher noch nie
selber die Pflege und Erziehung ihres Neffen wahrgenommen haben, weder zu
Lebzeiten der leiblichen Eltern (im Gegensatz zum vorgenannten Fall), noch
nach deren Tod im Jahr 2000. Seither haben die Grosseltern vollumfänglich die
Obhut übernommen, mit Ausnahme von kaum ins Gewicht fallenden gemeinsamen
Ferien mit der Familie des Beschwerdeführers.

Diese vorrangigen und vollauf genügenden Betreuungsmöglichkeiten im
Heimatland bestehen anscheinend auch jetzt noch. Das Verwaltungsgericht hat
festgehalten, dass die Grosseltern körperlich wie geistig noch rüstig und
somit in der Lage sind, die Pflege und Erziehung ihres Enkels weiter
wahrzunehmen, soweit das überhaupt noch notwendig ist. Was der
Beschwerdeführer gegen diese Sachverhaltsfeststellung vorbringt, ist nicht
geeignet, sie als qualifiziert unzutreffend erscheinen zu lassen (vgl. E. 1.2
oben). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG bindet sie somit das Bundesgericht.

Die Vorinstanz hat im Weiteren die grossen Integrationsschwierigkeiten
hervorgehoben, die sich für den mittlerweile schon 16-jährigen Jungen bei
einem völligen Betreuungswechsel und Umzug in ein fremdes Land mit ganz
anderen Kultur- und Sprachgepflogenheiten ergeben würden. Diese
Schwierigkeiten wären umso bedeutender, als die Umstellungen sich hier - wie
gesagt - nebst dem gesellschaftlichen sogar auf das engste familiäre Umfeld
erstrecken würden. Die Behörden haben gestützt auf diese Umstände den Schluss
gezogen, der Nachzug des Adoptivsohnes verstosse gegen Sinn und Zweck der
Familiennachzugsregelung. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers haben
sie damit nicht gegen Bundesrecht verstossen (vgl. oben E. 2.1 u. 2.2).
Insbesondere kann ihnen nicht der Vorwurf gemacht werden, die jetzige
Situation mitberücksichtigt zu haben. Genauso wenig haben sie das Verfahren
unrechtmässig in die Länge gezogen. Schliesslich haben sie, im Zusammenhang
mit all den schon genannten Umständen, in Betracht ziehen dürfen, dass es dem
Beschwerdeführer und seiner Frau wesentlich auch darum ging, nebst ihren vier
Töchtern nunmehr einen Sohn zu haben, u.a. als Garantie einer späteren
Altersvorsorge. Zumindest insoweit sollte der Nachzug im Hinblick auf die
zukünftige Erwerbstätigkeit des Adoptivkindes erfolgen.

2.4 Gesamthaft verletzt es somit weder Art. 17 Abs. 2 ANAG noch Art. 8 EMRK,
dass die Vorinstanz dem Adoptivsohn den Einbezug in die
Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers verweigert hat.

3.
Nach dem Gesagten ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen. Auf die
staatsrechtliche Beschwerde kann nicht eingetreten werden.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Justiz-, Polizei- und
Sanitätsdepartement Graubünden und dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden, 3. Kammer, sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 15. Juni 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: