Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2A.118/2006
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{T 0/2}
2A.118/2006 /vje

Urteil vom 4. Juli 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart,
Ersatzrichter Locher,
Gerichtsschreiber Schaub.

Eidgenössische Steuerverwaltung, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner,
Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft, Postfach, 4410 Liestal,
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht,
Postfach 635, 4410 Liestal.

Direkte Bundes- und Staatssteuer 2002,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und
Verwaltungsrecht, vom 22. Juni 2005.

Sachverhalt:

A.
X. ________, geboren 1962, erhielt von der Pensionskasse Y.________ AG am 21.
Juli 2002 eine Nachzahlung von Invalidenrenten für die Zeit vom 1. März 1996
bis 30. Juni 2002 in der Höhe von Fr. 214'912.--. Ab 1. Juli 2002 erhielt er
von dieser Vorsorgeeinrichtung eine Rente von monatlich Fr. 3'242.--, d.h.
bis Ende 2002 wurden ihm noch weitere Fr. 19'452.-- ausbezahlt.
Am 24. Juni 2003 wurde X.________ für die Staatssteuer 2002 mit einem
steuerbaren Einkommen von Fr. 256'761.-- (satzbestimmend: Fr. 94'808.--) bzw.
für die direkte Bundessteuer 2002 mit einem steuerbaren Einkommen von Fr.
257'919.-- (satzbestimmend: Fr. 95'966.--) definitiv eingeschätzt. Dagegen
erhobene Einsprachen wies die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft
(nachfolgend: Steuerverwaltung) am 9. Oktober 2003 ab.

B.
Das Steuergericht Basel-Landschaft hiess Rekurs und Beschwerde des
Steuerpflichtigen am 29. Oktober 2004 gut. Die Rentenzahlungen vom Juli bis
Ende 2002 seien in die Kapitalleistung miteinzubeziehen und die Nachzahlung
sei nur zu vier Fünfteln zu besteuern, weil das versicherte Ereignis bereits
am 1. Januar 1994 eingetreten sei.

C.
Beschwerden der Steuerverwaltung gegen diese Entscheide wies das
Kantonsgericht Basel-Landschaft am 22. Juni 2005 ab. Es verwarf zwar die
Miteinbeziehung der Rentenzahlungen vom Juli bis Dezember 2002 in die
Kapitalleistung. Hingegen rechnete es die Nachzahlung abzüglich des nicht
streitigen Rentenfreibetrages in ein durchschnittliches Halbjahreseinkommen
um, d.h. es dividierte die Kapitalzahlung durch 76 Monate und multiplizierte
sie anschliessend mit sechs Monaten. Auf diese Weise resultierte schliesslich
- unter Berücksichtigung der Rentenzahlungen von Juli bis Ende Jahr -
dasselbe satzbestimmende Einkommen wie das von der Vorinstanz ermittelte.

D.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 24. Februar 2006 beantragt die
Eidgenössische Steuerverwaltung dem Bundesgericht, den Entscheid des
Kantonsgerichts vom 22. Juni 2005 aufzuheben und die Kapitalleistung von
Fr. 214'912.-- für das satzbestimmende Einkommen der direkten Bundessteuer
2002 unter Abzug des Rentenfreibetrags von 20 Prozent mit dem Faktor 0.15
(12/76) umzurechnen sowie den Entscheid des Kantonsgerichts vom 22. Juni 2005
betreffend die Staats- und Gemeindesteuer 2002 aufzuheben.
Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme. Die Steuerverwaltung
beantragt die Gutheissung der Beschwerde, X.________ deren Abweisung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, welches
Rechtsmittel zulässig und in welchem Umfang darauf einzutreten ist (BGE 131 I
153 E. 1 S. 156; 131 II 571 E. 1 S. 573).

1.2 Das kantonal letztinstanzliche Urteil des Kantonsgerichts kann sowohl
hinsichtlich der direkten Bundessteuer nach Art. 146 des Bundesgesetzes vom
14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) als auch
hinsichtlich der kantonalen Steuern, gestützt auf Art. 73 des Bundesgesetzes
vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der
Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14), mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht angefochten werden. Harmonisierungsrechtlich ist der
Streitgegenstand im zweiten Titel geregelt und von der Verweisung in Art. 73
Abs. 1 StHG miterfasst. Da es um eine Steuerperiode nach dem 1. Januar 2001
geht, ist zudem die Anpassungsfrist nach Art. 72 StHG abgelaufen (Art. 72
Abs. 2 StHG; vgl. BGE 131 II 1 E. 2.1 S. 4; 128 II 56 E. 1 und 2 S. 58 ff.).
Die Eidgenössische Steuerverwaltung, die für die einheitliche Anwendung des
DBG zu sorgen hat (Art. 102 DBG), ist gestützt auf Art. 103 lit. b OG (vgl.
BGE 124 II 58 E. 1e S. 64) sowie Art. 73 Abs. 2 StHG zur Anfechtung des
vorinstanzlichen Entscheids legitimiert. Nachdem ihr der angefochtene
Entscheid erst auf ausdrückliches Begehren hin am 26. Januar 2006 eröffnet
worden war, ist auf ihre frist- und formgerecht eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sowohl mit Bezug auf die direkte Bundessteuer
als auch die kantonalen Steuern einzutreten.

1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Beschwerdeführerin die
Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens (Art. 104 lit. a OG) sowie die unrichtige oder unvollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (Art. 104 lit. b OG) rügen.
Hat - wie hier - als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden, so ist
das Bundesgericht an deren Sachverhaltsfeststellung gebunden, wenn der
Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig oder unter
Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ermittelt worden ist (Art. 105
Abs. 2 OG).
Das Bundesgericht wendet im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren das
Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 114 Abs. 1 OG nicht an die
Anträge der Parteien gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als
den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen (BGE 131 II 361 E. 2
S. 366).

2.
2.1 Der Einkommenssteuer der direkten Bundessteuer unterliegen alle
wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte (Art. 16 Abs. 1 DBG); insbesondere
sind alle Einkünfte aus der Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung sowie aus Einrichtungen der beruflichen Vorsorge
steuerbar (Art. 22 Abs. 1 DBG). Solche Leistungen sind - unter Vorbehalt von
Art. 204 DBG - voll steuerlich zu erfassen (BGE 132 II 128 E. 3.1 S. 129 f.).
Hingegen sind Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen unter
Berücksichtigung der übrigen Einkünfte und der zulässigen Abzüge zu dem
Steuersatz zu berechnen, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen
Leistung eine entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet würde (Art. 37
DBG).

2.2 Seit den Urteilen 2A.68/2000 vom 5. Oktober 2000, publ. in: ASA 70 210,
E. 4c, und 2A.50/2000 vom 6. März 2001, publ. in: ASA 71 486, E. 4b, ist Art.
37 DBG nicht mehr nur anwendbar, wenn künftige Teilleistungsansprüche
abgegolten werden, sondern nun auch, wenn es sich um Nachzahlungen handelt.
Deshalb ist Art. 37 DBG auf die hier vorliegende Rentennachzahlung anwendbar
(Felix Richner/Walter Frei/Stefan Kaufmann, Handkommentar zum DBG, Zürich
2003, N 22 zu Art. 22 bzw. N 8 zu Art. 38 DBG). Wird diese für eine bestimmte
Anzahl Jahre ausgerichtet, ist sie zu einem entsprechend periodisierten Satz,
d.h. zur "Rente", die sich aus der Teilung der Zahlung durch die Anzahl Jahre
ergibt, zu besteuern (Peter Agner/Beat Jung/Gotthard Steinmann, Kommentar zum
Gesetz über die direkte Bundessteuer, Zürich 1995, N 3 zu Art. 37 DBG; Ivo
Baumgartner, in: Martin Zweifel/ Peter Athanas [Hrsg.], Kommentar zum
Schweizerischen Steuerrecht, Band I/2a, Bundesgesetz über die direkte
Bundessteuer, Basel/Genf/ München 2000, N 14 Art. 37 DBG; Peter Locher,
Kommentar zum DBG, I. Teil, Art. 1-48 DBG, Therwil/Basel 2001, N 18 zu Art.
37 DBG; Richner/Frei/Kaufmann, a.a.O., N 25 zu Art. 37 DBG). Wurde die
Kapitalzahlung für eine bestimmte Anzahl Monate ausbezahlt, ist ebenfalls die
jährliche Leistung zu ermitteln (Richner/Frei/Kaufmann, a.a.O., N 25 in fine
zu Art. 37 DBG, mit Berechnungsbeispiel), was auch klar aus dem Wortlaut von
Art. 37 DBG hervorgeht ("entsprechende jährliche Leistung", "prestation
annuelle ... en lieu et place de la prestation unique", "una prestazione
annua invece della prestazione unica"). Dabei spielt keine Rolle, in welchem
Zeitpunkt innerhalb der Steuerperiode die Kapitalleistung zugeflossen ist
(Baumgartner, a.a.O., N 13 in fine zu Art. 37 DBG; Richner/Frei/Kaufmann,
a.a.O., N 26 zu Art. 37 DBG). Ein solch schematisches Vorgehen ist im
Steuerrecht als Massenfallrecht unausweichlich und zulässig (BGE 131 I 291 E.
3.2.1 S. 306 f. mit Hinweisen).

2.3 Der Beschwerdegegner erhielt die Nachzahlung für IV-Renten vom März 1996
bis Juni 2002, d.h. für 76 Monate. Deshalb ist die gesamte Kapitalleistung
durch 76 zu dividieren und anschliessend für die Umrechnung auf ein
Jahreseinkommen mit zwölf zu multiplizieren. Wann die Auszahlung im Jahr 2002
erfolgt ist, spielt keine Rolle (vgl. E. 2.2). Das satzbestimmende Einkommen
des Beschwerdegegners für die Steuerperiode 2002 ist daher unter
Mitberücksichtigung des unbestrittenen übrigen Einkommens wie folgt zu
berechnen:
Fr. 214'912.-- ./. Fr. 42'982.40 (20 %) = Fr. 171'929.60
Fr. 171'929.60 : 76 x 12 = Fr. 27'146.80
Die differenziertere Berechnungsweise der Vorinstanz mag zwar zu einem
sachlich besser befriedigenden Ergebnis führen. Sie steht aber weder mit
Wortlaut noch ratio legis (Vereinfachung) von Art. 37 DBG in Einklang und
kann daher nicht geschützt werden.

2.4 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend die direkte Bundessteuer ist
deshalb gutzuheissen. Die nebst dem übrigen Einkommen für die Ermittlung des
satzbestimmenden Einkommens heranzuziehende jährliche Leistung ist auf Fr.
27'146.80 zu bestimmen.

3.
Die Bestimmungen des basel-landschaftlichen Gesetzes vom 7. Februar 1974 über
die Staats- und Gemeindesteuern (StG/BL) in Bezug auf die
Einkommensgeneralklausel (§ 23 Abs. 1 StG/BL), die Einkünfte aus Vorsorge mit
Einschluss der Übergangsbestimmung (§ 27bis StG/BL) und die
Kapitalabfindungen für wiederkehrende Leistungen (§ 35 StG/BL) lauten gleich
wie die entsprechenden Normen des DBG (Art. 16 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 204 und Art. 37 DBG). Zudem steht das kantonale Recht
vollumfänglich mit Art. 7 bzw. Art. 11 Abs. 2 StHG im Einklang. Mit Bezug auf
die kantonalen Steuern ist darum das zur direkten Bundessteuer Gesagte
massgebend. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend die kantonalen
Steuern ist ebenso gutzuheissen und der angefochtene Entscheid insoweit
aufzuheben.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in
Verbindung mit Art. 153 und Art. 153a OG). Es ist keine Parteientschädigung
zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG). Das Kantonsgericht wird über die
Kostenverlegung auf kantonaler Ebene neu zu befinden haben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend die direkte Bundessteuer 2002
wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid insoweit aufgehoben und die
nebst dem übrigen Einkommen für die Ermittlung des satzbestimmenden
Einkommens heranzuziehende jährliche Leistung auf Fr. 27'146.80 bestimmt.

2.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend die kantonale Steuer 2002 wird
gutgeheissen und der angefochtene Entscheid insoweit ebenfalls aufgehoben.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Steuerverwaltung des Kantons
Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Juli 2006

Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: