Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.94/2006
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1P.94/2006 /ggs

Urteil vom 27. März 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Kessler Coendet.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Hans-Jürg Zatti, Bezirksrichter, Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt für
Zivil- und Strafsachen, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich,
Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung,
Bundesamt für Gesundheit, Abteilung Recht, 3003 Bern,
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach, 8026
Zürich,
Obergericht des Kantons Zürich, Verwaltungskommission, Hirschengraben 15,
Postfach, 8023 Zürich.

Ausstand,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich, Verwaltungskommission, vom 12. Januar
2006.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich stellte mit Verfügung vom 6.
Juli 2005 ein Strafverfahren gegen X.________ betreffend Verletzung des
Berufsgeheimnisses in der medizinischen Forschung (Art. 321bis StGB) ein. Der
Anzeigeerstatter, Präsident der Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in
der medizinischen Forschung (im Folgenden: Expertenkommission), rekurrierte
am 26. August 2005 gegen die Einstellungsverfügung an den Einzelrichter in
Strafsachen des Bezirks Zürich.

B.
Das Rekursverfahren wurde Bezirksrichter Hans-Jürg Zatti zur Behandlung
zugeteilt. In diesem Verfahren beantragte X.________ mit Eingabe vom 15.
Oktober 2005, Bezirksrichter Hans-Jürg Zatti habe wegen seiner Mitgliedschaft
bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in den Ausstand zu treten. Das
Verfahren sei einem Richter zuzuteilen, der nicht dieser Partei angehöre.
Eventualiter sei der abgelehnte Richter aufzufordern, sich von bestimmten
Äusserungen einzelner, namentlich genannter SVP-Exponenten zu distanzieren.
Die Verwaltungskommission des Zürcher Obergerichts wies das Ausstandsbegehren
mit Beschluss vom 12. Januar 2006 ab.

C.
Gegen den Beschluss der Verwaltungskommission des Obergerichts führt
X.________ staatsrechtliche Beschwerde. Er verlangt, die
Verwaltungskommission sei anzuweisen, den betreffenden Bezirksrichter durch
einen Richter zu ersetzen, dem jeglicher Anschein von Befangenheit fehle.
Sodann sei diese Kommission anzuweisen, zukünftig ihre Entscheide mit einer
Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Die Kosten des angefochtenen Entscheids
seien dem Kanton Zürich oder den Kantonen Zug, Schwyz oder Obwalden
aufzuerlegen.

Bezirksrichter Hans-Jürg Zatti ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit
darauf einzutreten sei. Die Verwaltungskommission und die Staatsanwaltschaft
verzichten auf Stellungnahme. Die Expertenkommission hat sich nicht vernehmen
lassen.

Am 12. März 2006 hat X.________ eine Beschwerdeergänzung eingereicht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Verwaltungskommission hat mit der Abweisung des Ausstandsbegehrens
das anhängig gemachte Rekursverfahren nicht abgeschlossen, sondern im
Gegenteil dessen Fortführung zugelassen. Angefochten ist ein
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 1 OG, gegen den die
staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist.

1.2 Der angefochtene Entscheid stützt sich auf kantonales Recht und ist
kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG). Insbesondere steht die
Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich nicht zur
Verfügung. Gemäss § 428 der Zürcher Strafprozessordnung (StPO/ZH; LS 321) in
der Fassung vom 27. Januar 2003 ist dieses Rechtsmittel nur zulässig gegen
Urteile und Erledigungsbeschlüsse des Geschworenengerichts und des
Obergerichts als erster Instanz. Der angefochtene Beschluss fällt nicht unter
diese Bestimmung (Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004,
Rz. 1053).

1.3 Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 88 OG befugt, sich gegen die
Abweisung seiner Befangenheitsrüge zur Wehr zu setzen. Dabei kann er aber
einzig die Aufhebung des angefochtenen Entscheids verlangen. Seine Anträge,
es seien der Verwaltungskommission Anweisungen zu erteilen bzw. die
kantonalen Verfahrenskosten seien vom Bundesgericht neu zu verlegen,
scheitern an der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde.

1.4 Die staatsrechtliche Beschwerde muss die wesentlichen Tatsachen und eine
kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte
bzw. welche Rechtssätze inwiefern durch den angefochtenen Entscheid verletzt
worden sind (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Das Bundesgericht untersucht nicht
von Amtes wegen, ob ein kantonaler Hoheitsakt verfassungswidrig ist, sondern
prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich,
belegte Rügen (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 262; 129 I 113 E. 2.1 S. 120). Der
Beschwerdeführer hat sich mit der Begründung im angefochtenen Entscheid im
Einzelnen auseinander zu setzen und zu erklären, welches geschriebene oder
ungeschriebene verfassungsmässige Individualrecht verletzt worden sein soll.
Auf bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht
nicht ein (BGE 129 I 113 E. 2.1 S. 120; 125 I 492 E. 1b S. 495 f.). Es wird
im entsprechenden Sachzusammenhang zu prüfen sein, ob diese Anforderungen
hier erfüllt sind.

2.
2.1 Zur Hauptsache wehrt sich der Beschwerdeführer gegen die Abweisung seiner
Befangenheitsrüge. Insofern legt er über weite Teile seine Sicht der Dinge
dar, ohne aufzuzeigen, welches verfassungsmässige Recht durch den Beschluss
der Verwaltungskommission inwiefern verletzt sein soll. Immerhin enthält die
Beschwerdeschrift, unter Bezugnahme auf § 96 Ziff. 3 des Zürcher
Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni 1976 (GVG/ZH; LS 211.1), die
Aussage, der abgelehnte Richter sei ihm gegenüber feindlich eingestellt. Der
Beschwerdeführer macht dabei nicht geltend, diese kantonale Norm gehe weiter
als die verfassungsrechtliche Garantie des unabhängigen und unparteiischen
Richters (Art. 30 Abs. 1 BV). Die Prüfung einer willkürlichen Anwendung von §
96 Ziff. 3 GVG/ZH erübrigt sich somit. Hingegen ist mit freier Kognition zu
prüfen, ob die verfassungsrechtliche Garantie eingehalten worden ist (BGE 131
I 113 E. 3.2 S. 115), soweit entsprechende Verfassungsrügen überhaupt
rechtsgenüglich geltend gemacht werden.

2.2 An einer Stelle der Beschwerdeschrift wird die Frage aufgeworfen, ob eine
für die Ablehnung hinreichende Feindschaft bereits wegen der Mitgliedschaft
des fraglichen Richters in der SVP gegeben sei. An anderer Stelle in der
Beschwerdeschrift heisst es demgegenüber, der Beschwerdeführer erachte diesen
Richter nicht allein deshalb als befangen, weil er Parteimitglied sei,
sondern weil er sich - trotz entsprechender Aufforderung seinerseits - nicht
von Äusserungen der Parteiführung distanziert habe. Diese unklaren bzw.
widersprüchlichen Rügen genügen Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht, so dass an
sich nicht darauf einzutreten ist.

Im Übrigen hat die Verwaltungskommission zu Recht festgehalten, der
betreffende Richter erwecke in der vorliegenden Konstellation weder aufgrund
seiner Parteimitgliedschaft noch infolge unterbliebener Distanzierung von den
Drittäusserungen einen objektiven Anschein von Befangenheit. Insoweit kann
auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden, die schlüssig
und überzeugend erscheinen (Art. 36a Abs. 3 OG).

2.3 In der Eingabe vom 12. März 2006 reicht der Beschwerdeführer den Bericht
einer Tageszeitung über die Stadtzürcher SVP ein. Gestützt darauf sieht er
Grund zur Befürchtung, in dieser Partei werde eine strikte Unterordnung unter
die Ansichten der Parteiführung erwartet und geübt. Es kann offen bleiben, ob
es sich bei den neu behaupteten Tatsachen um unzulässige Noven im Verfahren
der staatsrechtlichen Beschwerde handelt (BGE 129 I 49 E. 3 S. 57 mit
Hinweisen). Diese Vorbringen sind von vornherein nicht geeignet, um eine
Befangenheitsrüge zu belegen; auf die vom Beschwerdeführer in diesem Rahmen
verlangten Abklärungen und Weiterungen kann verzichtet werden. Somit braucht
auch nicht geprüft zu werden, ob eine Beschwerdeergänzung nach Ablauf der
Beschwerdefrist (Art. 89 OG) überhaupt zulässig ist.

2.4 Der fragliche Richter hat im Rahmen des kantonalen Ausstandsverfahrens
erklärt: "Was der Gesuchsteller mit dem Ablehnungsbegehren anstrebt, kommt
einer Sippenhaftung gleich." Die Verwaltungskommission hat ausführlich
dargelegt, weshalb sie die Wortwahl "Sippenhaftung" im heutigen
Sprachgebrauch als harmlos einstuft. Der Beschwerdeführer räumt grundsätzlich
ein, dass das Wort umgangssprachlich harmlos verwendet werden könne; er
verwahrt sich aber gegen eine derartige Benutzung des Begriffs. Deswegen
empfindet er den angeführten Satz als beleidigend; es werde ihm damit eine
Denkweise unterstellt, die insbesondere unter der Herrschaft des
Nationalsozialismus in Deutschland verbreitet gewesen sei.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Argumentation des
Beschwerdeführers hier wiederum widersprüchlich ist. Folglich ist dem
Vorwurf, der erwähnte Satz beweise die feindliche Haltung, die Grundlage
entzogen (E. 1.4). Ohnehin besteht vorliegend kein Anlass, die vom
Beschwerdeführer beantragte Klärung vorzunehmen, ob und inwiefern "Sippe" und
"Sippenhaftung" heute in der Amtssprache verwendet werden dürfen.

2.5 Zusammengefasst dringt die Befangenheitsrüge nicht durch, soweit darauf
eingetreten werden kann.

3.
Schliesslich beanstandet der Beschwerdeführer, dass im angefochtenen
Entscheid keine Rechtsmittelbelehrung aufgeführt ist und ihm Verfahrenskosten
auferlegt worden sind. Er zeigt nicht auf, inwiefern dadurch
verfassungsmässige Rechte verletzt sein sollen. Daher kann auf die
diesbezüglichen Rügen nicht eingetreten werden (E. 1.4).

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
(Art. 156 Abs. 1 OG). Weder Bezirksrichter Hans-Jürg Zatti noch der
Expertenkommission steht eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 OG,
analog).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, Bezirksrichter Hans-Jürg Zatti, der
Expertenkommission für das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung,
der Staatsanwaltschaft IV und dem Obergericht des Kantons Zürich,
Verwaltungskommission, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. März 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: