Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.93/2006
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1P.93/2006 /ggs

Urteil vom 25. April 2006

I.  ffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter F raud, Pr sident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Schoder.

X. ________, Beschwerdef hrer, vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Suter,

gegen

Konkursmasse der Y.________ AG in Liq., Beschwerdegegnerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Daniel Menzi,
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Barf ssergasse 28, Postfach 157,
4502 Solothurn,
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, Amthaus I, Postfach 157, 4502
Solothurn.

Strafverfahren,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn, Strafkammer,
vom 1. Dezember 2005.
Sachverhalt:

A.
Im November 2003 wurde X.________ im Zusammenhang mit dem Konkurs von
Unternehmen, f r die er t tig war, wegen diversen Verm gensdelikten und
Urkundenf lschung angeklagt. Ausserdem forderte der Untersuchungsrichter das
Gericht auf,  ber die Einziehung des Betrags von Fr. 200'145.90 zu befinden,
der auf einem Konto des Beschuldigten bei der Bank Z.________ beschlagnahmt
worden war.

Mit Urteil vom 27. August 2004 sprach das Amtsgericht Thal-G u den
Angeklagten der Gl ubigersch digung durch Verm gensverminderung und der
Unterlassung der Buchf hrung schuldig und verurteilte ihn zu einer
Gef ngnisstrafe von zwei Monaten, unter Gew hrung des bedingten Strafvollzugs
mit einer Probezeit von zwei Jahren. In den  brigen Anklagepunkten sprach es
ihn frei. Der sichergestellte Geldbetrag von Fr. 200'145.90 wurde der
gesch digten Konkursmasse der Y.________ AG in Liq. zugesprochen.

X. ________ erhob gegen das Urteil des Amtsgerichts Appellation. Mit Urteil
vom 1. Dezember 2005 sprach ihn die Strafkammer des Obergerichts des Kantons
Solothurn vom Vorhalt der Gl ubigersch digung durch Verm gensverminderung
frei. Bez glich der Unterlassung der Buchf hrung best tigte das Obergericht
den erstinstanzlichen Schuldspruch und verurteilte den Angeklagten zu zehn
Tagen Gef ngnis, unter Gew hrung des bedingten Strafvollzugs mit einer
Probezeit von zwei Jahren. Auf die Zivilforderung der Konkursmasse der
Y.________ AG in Liq. trat es nicht ein und ordnete die Herausgabe des
sichergestellten Geldbetrags von Fr. 200'145.90 an den Angeklagten an.

B.
X.________ hat gegen das Urteil des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung des rechtlichen Geh rs (Art. 29 Abs. 2 BV) und des
Willk rverbots (Art. 9 BV) erhoben. Der Beschwerdef hrer beantragt die
Aufhebung des angefochtenen Entscheids, soweit das Obergericht den
Zinsanspruch auf dem am 27. Juli 1999 beschlagnahmten Geldbetrag von Fr.
200'145.90 verneinte.

C.
Das Obergericht beantragt die Beschwerdeabweisung. Die Staatsanwaltschaft des
Kantons Solothurn sowie die Konkursmasse der Y.________ AG in Liq. haben auf
Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erw gung:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erf llt und geben zu keinen Bemerkungen
Anlass. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdef hrer r gt eine Verletzung des Geh rsanspruchs (Art. 29
Abs. 2 BV) und des Willk rverbots (Art. 9 BV), da ihm auf dem herausgegebenen
Geldbetrag kein Zins zugesprochen worden sei.

2.2 Das Obergericht f hrte aus, dass zufolge des nunmehrigen Freispruchs im
Anklagepunkt der Gl ubigersch digung durch Verm gensverminderung gem ss   17
Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Solothurn vom 7. Juni 1970
(StPO/SO) im Strafverfahren auf die Zivilforderung der Konkursmasse nicht
eingetreten werden k nne. Das beschlagnahmte Geld k nne nicht als deliktisch
erworbener Ertrag eingezogen werden. Der Betrag sei dem Beschwerdef hrer
gem ss   56 Abs. 1 StPO/SO herauszugeben, sobald das Urteil in Rechtskraft
erwachsen sei. Einen allf lligen Zinsverlust h tte der Beschwerdef hrer als
Schadenersatz nach   36 StPO/SO geltend machen m ssen, was er aber
unterlassen habe.

2.3 Im Einzelnen bringt der Beschwerdef hrer dagegen vor, das Obergericht
gehe aktenwidrig davon aus, dass er kein Entsch digungsgesuch gestellt habe,
und wende damit   36 StPO/SO willk rlich an. Zudem sehe   38 StPO/SO vor,
dass dem freigesprochenen Beschuldigten, der kein Entsch digungsbegehren
gestellt habe, Gelegenheit gegeben werden m sse, dies nachzuholen. Da das
Obergericht, wenn auch f lschlicherweise, davon ausgehe, dass er kein
Entsch digungsbegehren gestellt habe, h tte es ihm konsequenterweise
Gelegenheit geben m ssen, dies nachzuholen. Indem das Obergericht dies
unterlassen und sein Begehren nicht gepr ft habe, habe es   38 StPO/SO
willk rlich angewandt und den Geh rsanspruch verletzt.

2.4 Der Umfang des Geh rsanspruchs bestimmt sich in erster Linie nach den
kantonalen Verfahrensvorschriften, deren Anwendung das Bundesgericht nur
unter dem Blickwinkel des Willk rverbots (Art. 9 BV) pr ft. Wo sich dieser
kantonale Rechtsschutz als ungen gend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden bundesrechtlichen Minimalgarantien zur
Sicherung des rechtlichen Geh rs Platz (BGE 126 I 15 E. 2a S. 16, mit
Hinweisen).

2.5 Gem ss   36 StPO/SO ist bei Freispruch oder Verfahrenseinstellung dem
Beschuldigten auf sein Begehren eine durch den Staat auszurichtende
Entsch digung f r Nachteile (Schadenersatz, Genugtuung) zuzusprechen, die er
durch Untersuchungsmassnahmen erlitten hat (Satz 1). Die Entsch digung kann
verweigert oder herabgesetzt werden, wenn der Beschuldigte durch
verwerfliches oder leichtfertiges Verhalten die Untersuchung schuldhaft
veranlasst oder erschwert hat (Satz 2). Hat der Beschuldigte kein
Entsch digungsbegehren gestellt, ist ihm nach   38 StPO/SO Gelegenheit zu
geben, ein solches Begehren zu stellen.

2.6 Im angefochtenen Urteil (S. 13) vertritt das Obergericht die Auffassung,
dass der Beschwerdef hrer den Zinsverlust als Schadenersatz nach   36 StPO/SO
h tte geltend machen m ssen. Das Gericht ging somit davon aus, dass der
Beschwerdef hrer kein Entsch digungsbegehren gestellt hatte. Folgedessen
h tte es dem Beschwerdef hrer nach   38 StPO/SO Gelegenheit geben sollen, ein
Entsch digungsbegehren nachzureichen. Indem das Obergericht dies unterliess,
wendete es   38 StPO/SO offensichtlich falsch an und verletzte dadurch den
Geh rsanspruch des Beschwerdef hrers.

3.
Nach dem Gesagten ist die staatsrechtliche Beschwerde begr ndet und
gutzuheissen. Der Beschwerdef hrer beantragt die Aufhebung des angefochtenen
Entscheids, soweit das Obergericht den Zinsanspruch verneinte. Da das
Obergericht davon ausging, dass der Beschwerdef hrer kein
Entsch digungsbegehren gestellt hatte, nimmt das Dispositiv des angefochtenen
Urteils auf das Entsch digungsbegehren nicht Bezug. Dementsprechend ist das
angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als dem Beschwerdef hrer keine
Gelegenheit gegeben wurde, ein Entsch digungsbegehren im Sinn von   36 Abs. 1
StPO/SO zu stellen. Das Obergericht wird dies nachholen und die Frage des
Zinsverlustes in einem separaten Entscheid beurteilen m ssen.

Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2
OG). Hingegen hat der Kanton Solothurn dem obsiegenden Beschwerdef hrer eine
angemessene Parteientsch digung zu zahlen (Art. 159 Abs. 2 BV).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil
des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 1. Dezember 2005
insoweit aufgehoben, als dem Beschwerdef hrer keine Gelegenheit gegeben
wurde, ein Entsch digungsbegehren im Sinn von   36 Abs. 1 StPO/SO zu stellen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdef hrer f r das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entsch digen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht
des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. April 2006

Im Namen der I.  ffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Pr sident:  Die Gerichtsschreiberin: