Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.90/2006
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 2006


1P.90/2006 /ggs

Urteil vom 13. April 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Beat
Frischkopf,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Hirschengraben 16, 6002 Luzern.

Strafverfahren (SVG),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer,
vom 24. Mai 2005.
Sachverhalt:

A.
Gemäss Polizeirapport von Wachtmeister A.________ der Kantonspolizei Luzern
fuhr er am 8. November 2003, um 02:25 Uhr, in einem vom Polizisten B.________
gelenkten, beschrifteten Patrouillenfahrzeug auf der Autobahn A2 in Richtung
Basel. Bei der Einmündung der A14 sei direkt vor ihnen ein gelber Lamborghini
auf die A2 eingebogen. Nach der stationären Geschwindigkeitsmessanlage habe
dieser auf der auf eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h beschränkten
Strecke so stark beschleunigt, dass sie ihm nicht zu folgen vermocht hätten,
obwohl sie mit Vollgas - d.h. mit 170 km/h - gefahren seien. Sie hätten den
Lamborghini stellen können, als er seine Geschwindigkeit verringert habe;
dessen Lenker, X.________, habe geltend gemacht, sein Tachometer sei kaputt
gegangen, weshalb er nicht wisse, wie schnell er gefahren sei.

Gestützt auf diesen Rapport und die Zeugenaussagen der beiden Beamten vom 11.
Februar 2004, in welchem sie den wesentlichen Inhalt des Rapportes
bestätigten - Wachtmeister A.________ gab dabei allerdings an, er sei beim
Vorfall am Steuer gesessen - wurde X.________ vom Amtsstatthalteramt Hochdorf
am 9. Juli 2004 wegen Überschreitens der signalisierten
Höchstgeschwindigkeit, Führens eines Fahrzeugs in nicht betriebssicherem
Zustand sowie Nichtmitführens des Abgaswartungsdokumentes in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG zu einer Busse von Fr. 1'000.-- verurteilt.

Auf Einsprache von X.________ hin bestätigte das Amtsgericht Hochdorf am 6.
Januar 2005 dessen Verurteilung, erhöhte indessen die Busse auf Fr. 2'500.--.

Das Obergericht des Kantons Luzern schützte diesen Entscheid am 24. Mai 2005.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. Februar 2006 wegen Willkür (Art. 9
BV) sowie der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), der
Pflicht zu rechtsstaatlichem Handeln (Art. 5 BV) und der Unschuldsvermutung
(Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK) beantragt X.________, diesen
obergerichtlichen Entscheid aufzuheben; eventuell sei er zu "kassieren und
zur Feststellung einer Ordnungsbusse wegen Nichtmitführens der
Abgaswartungsdokumente von Fr. 20.-- an die Vorinstanz zurückzuweisen".
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern verzichtet auf Vernehmlassung. Das
Obergericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der
Beschwerdeführer ist durch die ihm auferlegte Busse in seinen rechtlich
geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist, die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen.

1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ermöglicht indessen keine Fortsetzung des
kantonalen Verfahrens. Das Bundesgericht prüft in diesem Verfahren nur in der
Beschwerdeschrift erhobene, detailliert begründete und soweit möglich belegte
Rügen. Der Beschwerdeführer muss den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die
als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun,
inwiefern diese verletzt sein sollen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38
E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c). Soweit im Folgenden auf Ausführungen
in der Beschwerde nicht eingegangen wird, genügen sie diesen Anforderungen
nicht.

1.3 Nicht einzutreten ist auf die Rüge, das Obergericht habe die
Verpflichtung zu rechtsstaatlichem Handeln verletzt. Art. 5 BV enthält kein
selbständiges Grundrecht, auf das sich der Beschwerdeführer mit
staatsrechtlicher Beschwerde berufen könnte.

2.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, die Beweise willkürlich
gewürdigt und den Grundsatz in "dubio pro reo" in seiner Funktion als
Beweiswürdigungsregel verletzt zu haben. Zudem habe es alle offerierten
Beweise abgelehnt und dadurch sein rechtliches Gehör verletzt.

2.1 Nach den aus Art. 29 BV fliessenden Verfahrensgarantien sind alle Beweise
abzunehmen, die sich auf Tatsachen beziehen, die für die Entscheidung
erheblich sind (BGE 117 Ia 262 E. 4b; 106 Ia 161 E. 2b; 101 Ia 169 E. 1, zu
Art. 4 aBV, je mit Hinweisen). Das hindert aber den Richter nicht, einen
Beweisantrag abzulehnen, wenn er in willkürfreier Überzeugung der bereits
abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangt, der rechtlich erhebliche
Sachverhalt sei genügend abgeklärt, und er überdies in willkürfreier
antizipierter Würdigung der zusätzlich beantragten Beweise annehmen kann,
seine Überzeugung werde auch durch diese nicht mehr geändert (BGE 122 V 157
E. 1d; 119 Ib 492 E. 5b/bb, zu Art. 4 aBV).

2.2 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen
ohne Willkür behandelt zu werden. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht
den kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. Willkür in der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen
ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen
oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dabei genügt es nicht, wenn sich
der angefochtene Entscheid lediglich in der Begründung als unhaltbar erweist;
eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis
verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E. 2a S. 88, je
mit Hinweisen).

2.3 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten
Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in dubio pro reo" abgeleitet (vgl.
dazu BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 f.; 124 IV 86 E. 2a S. 88; 120 Ia 31 E. 2c und
d S. 36).

Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich
der Strafrichter nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt
überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob
sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a mit
Hinweisen). Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des
Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und
theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und
absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche
und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach
der objektiven Sachlage aufdrängen. Frei prüft das Bundesgericht dagegen, ob
der Sachrichter angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses nicht hätte
erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel am für den Angeklagten
ungünstigen Sachverhalt bejahen müssen; allerdings auferlegt sich das
Bundesgericht dabei einer gewissen Zurückhaltung, da der Sachrichter diese
Frage in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips zuverlässiger beantworten
kann.

3.
3.1 Der Rapport und die Zeugenaussagen der Polizeibeamten A.________ und
B.________ sind insoweit eindeutig und übereinstimmend, dass zur fraglichen
Zeit am fraglichen Ort ein gelber Lamborghini vor ihnen auf die A2 einbog und
bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach dem ortsfesten
automatischen Messgerät derart beschleunigte, dass sie ihm nicht zu folgen
vermochten, obwohl sie ihr Patrouillenfahrzeug auf 170 km/h beschleunigten.

3.2 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid erwogen, nach den
Technischen Weisungen des UVEK vom 10. August 1998 über
Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr sei die
Geschwindigkeitskontrolle durch Nachfahren grundsätzlich zulässig. Ziff. 7.1
der Weisung setze zwar für die Beweiskraft der Nachfahrkontrolle die
Verwendung eines justierten Messapparates voraus. Ziff. 13 erkläre jedoch
auch andere als die gebräuchlichen Methoden für die polizeilichen
Geschwindigkeitskontrollen für zulässig. Die vorgenommene Nachfahrkontrolle
sei daher zulässig gewesen, auch wenn das verwendete Patrouillenfahrzeug
nicht mit einem justierten Messapparat ausgerüstet gewesen sei. Da nach den
Aussagen der Polizeibeamten davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer
schneller gefahren sei als das Polizeifahrzeug bei einem Ablesewert von 170
km/h, stehe unter Berücksichtigung aller möglicher Ungenauigkeiten fest, dass
dieser mit einer Geschwindigkeit von mindestens 145 km/h unterwegs gewesen
sei.

Der Beschwerdeführer legt nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen
genügenden Weise dar, inwiefern das Obergericht in Willkür verfallen sein
soll, indem es Art. 13 der erwähnten Technischen Weisungen des UVEK so
auslegt, dass jedenfalls bei krassen Geschwindigkeitsüberschreitungen
Nachfahrkontrollen auch ohne justierten Messapparat zulässig sind. Zudem
übersieht er, dass diese Weisungen Empfehlungen an die kantonalen
Polizeiorgane darstellen, die den Strafrichter in seiner freien
Beweiswürdigung grundsätzlich nicht einschränken. Selbstverständlich sind die
Resultate von Nachfahrkontrollen ohne justierten Messapparat weniger genau
als von solchen mit einem derartigen Gerät. Mit dem Sicherheitsabzug von über
25 km/h zu Gunsten des Beschwerdeführers hat das Obergericht indessen
allfälligen Mess- bzw. Ableseungenauigkeiten mehr als grosszügig Rechnung
getragen. Es konnte daher ohne weitere Abklärungen zur Funktionsgenauigkeit
des Tachometers folgern, die Geschwindigkeit des Beschwerdeführers habe
mindestens 145 km/h betragen. Diese Beweiswürdigung ist weder willkürlich
noch verstösst sie gegen den Grundsatz "in dubio pro reo".

3.3 Der Beschwerdeführer behauptet in der staatsrechtlichen Beschwerde, die
beiden Polizeibeamten hätten "in wichtigen und entscheidenden Punkten absolut
widersprüchliche Aussagen gemacht" (Ziff. 1.4 S. 6) bzw. sich "in elementaren
Aspekten" widersprochen (Ziff. 1.2 S. 8). Diesen Vorwurf wiederholt er zwar
mehrfach, begründet ihn aber nur an einer Stelle (Ziff. 1.3 S. 9), an welcher
er ausführt, die beiden Polizisten hätten nicht einmal sagen können, wo genau
sie "auf ihrem nicht geeichten Tacho die behaupteten 170 km/h abgelesen haben
wollen". Damit wirft der Beschwerdeführer den Polizeibeamten eine blosse
Ungenauigkeit vor und begründet nicht, worin denn die elementaren
Widersprüche zwischen dem Polizeirapport und den beiden Zeugenaussagen der
Polizeibeamten bestehen könnten. Das genügt den gesetzlichen Anforderungen an
die Begründung einer Willkürrüge nicht.

Die Rüge entbehrt im Übrigen einer Grundlage: sowohl dem Rapport als auch den
beiden Aussagen lässt sich eindeutig entnehmen, dass das Patrouillenfahrzeug
zwischen dem fixen Radarkasten und der Ausfahrt Emmen-Nord 170 km/h erreicht
hatte, ohne den Abstand zum Lamborghini verringern oder wenigstens konstant
halten zu können.

Da somit in den Aussagen der beiden Polizeibeamten keine wesentlichen
Widersprüche erkennbar sind, die ihre Glaubhaftigkeit beeinträchtigen
könnten, und keine Anhaltspunkte vorliegen, die ihre persönliche
Glaubwürdigkeit in Frage stellen würden, ist das Obergericht keineswegs in
Willkür verfallen, indem es gestützt darauf als erwiesen ansah, dass der
Beschwerdeführer zur fraglichen Zeit am fraglichen Ort schneller fuhr als das
Patrouillenfahrzeug, dessen Tacho 170 km/h anzeigte.

3.4 Das Obergericht konnte unter diesen Umständen in willkürfreier
antizipierter Beweiswürdigung die vom Beschwerdeführer gemachten
Beweisofferten zur Einholung eines "technischen Gutachtens mit Weg-/
Zeit-Analyse" und eines Gutachtens zur Messgenauigkeit des Tachometers des
Patrouillenfahrzeugs ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs ablehnen.

Es ist ohnehin nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht
dargetan, inwiefern mit einem "technischen Gutachten mit Weg-/ Zeit-Analyse"
die vom Beschwerdeführer gefahrene Geschwindigkeit bestimmt werden könnte;
dafür fehlen offensichtlich zu viele Eckdaten. Eine Begründung für seine
Behauptung, dass bereits ohne Gutachten mit rudimentärsten physikalischen
Kenntnissen erkennbar sei, dass die Aussagen der Polizeibeamten unzutreffend
sein müssten, bleibt er schuldig.

3.5 Der Beschwerdeführer beklagt sich zwar auch über seine Verurteilung wegen
Führens eines Personenwagens in nicht betriebssicherem Zustand, erhebt in
diesem Zusammenhang aber keine Verfassungsrüge. Darauf ist nicht einzutreten.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist; sie
grenzt an Trölerei und wäre besser unterblieben. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht

im Verfahren nach Art. 36a OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. April 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: