Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.825/2006
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1P.825/2006

Urteil vom 4. Dezember 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________,
Y.________,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Alois Schuler,

gegen

Entsorgung + Recycling Zürich, Hagenholzstrasse 110, 8050 Zürich,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Simon Schaltegger,
Bausektion der Stadt Zürich, Lindenhofstrasse 19, Postfach, 8021 Zürich,
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer,
Militärstrasse 36, Postfach, 8090 Zürich.

Baubewilligung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich, 1. Abteilung,

1. Kammer, vom 25. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
Am 28. September 2004 erteilte die Bausektion der Stadt Zürich der Abteilung
Entsorgung + Recycling Zürich die baurechtliche Bewilligung für die
Erstellung eines Unterflur-Containers vor der Liegenschaft Trittligasse 36 in
Zürich. Der geplante Unterflur-Container soll auf öffentlichem Grund neben
dem Brunnen vor der Liegenschaft Trittligasse 36 erstellt werden. Sein
Standort befindet sich unmittelbar neben dem Haus Winkelwiese 6 (Kat.-Nr.
2238). X.________ und Y.________ sind Eigentümer einer
Stockwerkeigentumswohnung im Haus Winkelwiese 6.

Der Unterflur-Container besteht aus einem oberirdischen und einem
unterirdischen Teil. Der optisch wahrnehmbare Teil des Containers besteht aus
zwei seitlich aneinander gefügten, nach oben abgeschrägten Zylindern aus
Edelstahl, die im Querschnitt zusammen 73 cm breit sind. Der breitere
Zylinder ist rund 1 m hoch und weist einen Durchmesser von 56 cm auf. Er
dient als Einwurfsbehälter für die Kehrichtsäcke. Der 20 cm höhere Zylinder
ist im Durchmesser wesentlich schmäler und enthält die Aufhängevorrichtung
für die Entleerung des Containers. Die beiden Zylinder sind auf einer
ebenerdigen, runden Platte mit einem Durchmesser von ca. 1.90 m fixiert.
Unter dieser Bodenplatte befindet sich der eigentliche Unterflur-Container.
Es handelt sich um einen rund 3 m tiefen Auffangbehälter für die gefüllten
Kehrichtsäcke (17 l-110 l) mit einem Fassungsvermögen von rund 5 m3 und einem
Durchmesser von ca. 1.80 m.

B.
Mit Rekurs an die kantonale Baurekurskommission I beantragten X.________ und
Y.________ die Aufhebung der Baubewilligung vom 28. September 2004. Mit
Entscheid vom 26. Mai 2006 wies die Baurekurskommission den Rekurs gegen die
Baubewilligung ab, soweit sie darauf eintrat.

Gegen diesen Entscheid gelangten X.________ und Y.________ an das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, welches die Beschwerde am 25. Oktober
2006 abwies.

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 13. Dezember 2006 beantragen X.________
und Y.________ im Wesentlichen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 25.
Oktober 2006 sei aufzuheben. Sie rügen die Verletzung der Art. 9 und 29 Abs.
2 BV sowie des Fairnessgebots gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1
BV.

D.
Das Verwaltungsgericht sowie Entsorgung + Recycling Zürich beantragen, die
Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Stadt Zürich
verzichtet auf Vernehmlassung. In weiteren Eingaben halten die Parteien an
ihren Anträgen und Rechtsauffassungen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG, SR 173.110) in Kraft getreten. Dieses Gesetz ist auf ein
Beschwerdeverfahren nur anwendbar, wenn der angefochtene Entscheid nach dem
1. Januar 2007 ergangen ist (Art. 132 Abs. 1 BGG). Diese Voraussetzung ist
vorliegend nicht erfüllt, weshalb die Beschwerde nach der bisherigen
Rechtsordnung zu beurteilen ist.

2.
Beim umstrittenen Urteil des Verwaltungsgerichts handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über eine baurechtliche Bewilligung
für ein Vorhaben in der Bauzone, welcher sich ausschliesslich auf kantonales
und kommunales Baurecht stützt. Gegen diesen Entscheid kann staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte erhoben werden (Art.
84 ff. des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der
Bundesrechtspflege [OG; BS 3 S. 531]; Art. 34 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom
22. Juni 1979 über die Raumplanung [Raumplanungsgesetz, RPG, SR 700]).

2.1 Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist nach Art. 88 OG befugt, wer durch
den angefochtenen Entscheid persönlich in seinen rechtlich geschützten
Interessen beeinträchtigt ist. Nach der Praxis des Bundesgerichts sind die
Eigentümer benachbarter Grundstücke berechtigt, die Erteilung einer
Baubewilligung anzufechten, wenn sie die Verletzung von Bauvorschriften
geltend machen, die ausser den Interessen der Allgemeinheit auch oder in
erster Linie dem Schutz der Nachbarn dienen. Zusätzlich müssen sie dartun,
dass sie sich im Schutzbereich der Vorschriften befinden und durch die
behaupteten widerrechtlichen Auswirkungen der Baute betroffen werden (BGE 125
II 440 E. 1c S. 442 f.; 119 Ia 362 E. 1b; 118 Ia 232 E. 1a, je mit
Hinweisen). Trotz fehlender Legitimation in der Sache selbst kann ein
Beschwerdeführer aufgrund seiner Parteistellung im kantonalen Verfahren die
Verletzung von Verfahrensvorschriften rügen, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt (BGE 129 I 217 E. 1.4 S. 222 mit Hinweisen).

Die Beschwerdeführer rügten im kantonalen Verfahren, die bewilligten
Unterflur-Container seien mit den Einordnungsvorschriften der §§ 238 Abs. 2
und 204 Abs. 1 des kantonalen Planungs- und Baugesetzes vom 7. September 1975
(PBG) nicht vereinbar. Zudem beanstandeten sie eine Missachtung von § 239
Abs. 1 PBG und § 20 der Besonderen Bauverordnung I vom 6. Mai 1981 (BBV I).
Kinder könnten beim Versteckspiel in den Einwurfzylinder kriechen und in den
unterirdischen Abfallraum stürzen. Das Verwaltungsgericht bezeichnete diesen
Einwand als neue Tatsachenbehauptung, die nach § 52 Abs. 2 des kantonalen
Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG) nicht zulässig sei.
Die Beschwerdeführer halten diese Betrachtungsweise für verfassungswidrig.
Sie berufen sich in diesem Zusammenhang auf die ihnen zustehenden
Parteirechte und rügen eine formelle Rechtsverweigerung. Diese Rügen sind
zulässig, ohne dass geprüft werden müsste, ob die Beschwerdeführer in der
Sache zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert wären.

2.2 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen
weiteren Bemerkungen Anlass. Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist somit
einzutreten.

3.
3.1 Bauten und Anlagen müssen nach Fundation, Konstruktion und Material den
anerkannten Regeln der Baukunde entsprechen. Sie dürfen weder bei ihrer
Erstellung noch durch ihren Bestand Personen oder Sachen gefährden (§ 239
Abs. 1 PBG). Nach § 20 BBV I sind zugängliche überhöhte Stellen, wie
Terrassen, Balkone, Laubengänge, brüstungslose Fenster, Treppen, Stützmauern,
Schächte und Zugänge oder Zufahrten zu Hofunterkellerungen, so zu sichern,
dass keine Absturzgefahr, insbesondere für Kinder, besteht.

Im kantonalen Verfahren beanstandeten die Beschwerdeführer den umstrittenen
Unterflur-Container zunächst unter den Gesichtspunkten der Ästhetik und
Einordnung sowie der Geruchs- und Lärmimmissionen. Im Beschwerdeverfahren vor
dem Verwaltungsgericht brachten sie zudem vor, erst aus dem Entscheid der
Baurekurskommission ergebe sich die genaue Funktionsweise des
Unterflur-Containers. Die Bodenklappe, die sich erst beim Schliessen des
Containerdeckels öffne, führe zu einer akuten Gefährdung der im Umfeld des
Containers regelmässig spielenden Kinder. Aus diesem Grund verstosse die
umstrittene Baubewilligung auch gegen § 239 PBG und § 20 BBV I.

Das Verwaltungsgericht bezeichnete die Kritik an der Sicherheit für Kinder
als neuen Einwand, der bereits vor der Baurekurskommission hätte vorgebracht
werden können. Die neue Tatsachenbehauptung sei gestützt auf § 52 Abs. 2 VRG
nicht zulässig. Im bundesgerichtlichen Verfahren rügen die Beschwerdeführer,
die Verweigerung der Prüfung der dargelegten Sicherheitsmängel beruhe auf
einer willkürlichen Auslegung und Anwendung von § 52 VRG und verletze ihren
Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).

3.2 Der in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör
verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner
Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der
Entscheidfindung berücksichtigt (BGE 124 I 49 E. 3a S. 51 und 241 E. 2 S.
242, je mit Hinweisen). Die Begründungspflicht und der Anspruch auf
Begründung sind nicht bereits dadurch verletzt, dass sich die urteilende
Behörde nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und
jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf
die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (vgl. BGE 126 I 97 E.
2b S. 102; 124 II 146 E. 2a S. 149; 124 V 180 E. 1a S. 181; 123 I 31 E. 2c S.
34; 121 I 54 E. 2c S. 57, je mit Hinweisen). Keine Verletzung des rechtlichen
Gehörs liegt vor, wenn ein Gericht auf die Abnahme beantragter Beweismittel
verzichtet, weil es aufgrund der bereits abgenommenen Beweise seine
Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung
annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht
geändert würde (BGE 131 I 153 E. 3 S. 157; 130 II 425 E. 2.1 S. 428; 124 I
208 E. 4a s. 211, je mit Hinweisen).

3.3 Das Verwaltungsgericht hat auf die Prüfung der Sicherheitsbedenken der
Beschwerdeführer nicht in vorweggenommener Beweiswürdigung verzichtet,
sondern diese ausdrücklich als unzulässiges Novum bezeichnet. Entscheidet das
Verwaltungsgericht als zweite gerichtliche Instanz, können neue Tatsachen nur
soweit geltend gemacht werden, als es durch die angefochtene Anordnung
notwendig geworden ist (§ 52 Abs. 2 VRG). Die Beschwerdeführer haben bereits
im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausführlich begründet, dass sie erst
durch die Beschreibung der Funktionsweise des Containers im Entscheid der
Baurekurskommission auf die Sicherheitsmängel aufmerksam wurden. Diese
Ausführungen sind entgegen der Erwägungen des Verwaltungsgerichts im
angefochtenen Entscheid durchaus nachvollziehbar. Zwar trifft es zu, dass den
Beschwerdeführern bereits vor der Baurekurskommission bewusst sein musste,
dass mit dem Einwurfzylinder und der unterirdischen Mulde gewisse Gefahren
für spielende Kinder verbunden sein können. Sie durften jedoch damals noch
davon ausgehen, dass allenfalls in den Unterflur-Container gefallene Kinder
sich durch lautes Rufen bemerkbar machen könnten und beim Öffnen des
Zylinderdeckels erkannt würden. Der Schliessmechanismus des Zylinderdeckels
und der gusseisernen Bodenplatte, wonach sich zwei unter dem Einwurfzylinder
liegende Teile der Bodenplatte beim Schliessen des Zylinderdeckels öffnen und
beim Öffnen des Zylinderdeckels wieder schliessen, war den
Baubewilligungsakten nicht zu entnehmen. Die Beschwerdeführer gingen denn
auch von einem schlecht abgedichteten Behälter aus und machten geltend, die
Anlage führe zu übermässigen Geräusch- und Geruchsimmissionen. Die
Baurekurskommission entkräftete diese Rügen mit dem Hinweis auf die
"hermetische" Abdichtung, die mit der ausgeklügelten Funktionsweise des
Containers erreicht werde. Diese Funktionsweise mit den behaupteten erhöhten
Risiken für Kinder war für die Beschwerdeführer erst aufgrund der Erwägungen
der Baurekurskommission erkennbar. Die Baugesuchsunterlagen und der Entscheid
der Bausektion enthielten keine Hinweise auf die besondere Funktionsweise,
weshalb die Unkenntnis den Beschwerdeführern auch nicht angelastet werden
kann. Zwar ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass sich die
Beschwerdeführer über die Funktionsweise des Containers näher hätten
informieren können, indessen trifft nicht sie, sondern die Bauherrschaft im
Baubewilligungsverfahren die Pflicht, die sachdienlichen Informationen zu
einem Bauvorhaben einzureichen.

3.4 Es ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht die Kritik der
Beschwerdeführer an der Sicherheit des umstrittenen Containers in
willkürlicher Anwendung von § 52 Abs. 2 VRG zu Unrecht als unzulässige neue
Tatsachenbehauptung bezeichnete und damit gegen das Verbot der formellen
Rechtsverweigerung verstiess. Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit
gutzuheissen und der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts
aufzuheben.

4.
Dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens entsprechend sind keine
Gerichtskosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Entsorgung + Recycling Zürich
hat den Beschwerdeführern indessen eine angemessene Parteientschädigung
auszurichten (Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Oktober 2006 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Entsorgung + Recycling Zürich hat den Beschwerdeführern eine
Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Bausektion der Stadt Zürich und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Abteilung, 1. Kammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 4. Dezember 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber:

Féraud  Haag