Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.811/2006
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{T 0/2}
1P.811/2006 /fun

Urteil vom 26. März 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Thönen.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Herbert Brogli,

gegen

Staat St. Gallen, vertreten durch die Staatsanwaltschaft des Kantons St.
Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Strafverfahren, Beweiswürdigung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer,
vom 31. Mai 2006.

Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 20. April 2005 erklärte das Kreisgericht Rheintal den 1976
geborenen X.________ der schweren Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz für schuldig, verurteilte ihn zu einer Strafe von fünf
Jahren Zuchthaus abzüglich 840 Tage Untersuchungshaft, verwies ihn für die
Dauer von zehn Jahren aus dem Gebiet der Schweiz und auferlegte ihm die
Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 72'114.55.

Dagegen erhob X.________ Berufung.

B.
Mit Entscheid vom 31. Mai 2006 erklärte ihn das Kantonsgericht St. Gallen der
schweren Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig, verurteilte
ihn zu vier Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 840
Tagen und auferlegte ihm die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 12'893.85.

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 8. Dezember 2006 beantragt X.________,
der angefochtene Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben und er sei vom
Vorwurf der schweren Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz bzw. von
Schuld und Strafe freizusprechen, eventualiter sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das
Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid ist vor dem In-Kraft-Treten des
Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ergangen, weshalb
sich das Verfahren nach den Bestimmungen des OG richtet (Art. 132 Abs. 1
BGG).

1.2 Beim angefochtenen Entscheid des Kantonsgerichts handelt es sich um einen
letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der
Beschwerdeführer ist durch die strafrechtliche Verurteilung in seinen
rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist,
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen.

1.3 Das Bundesgericht hat die Akten aus dem Strafverfahren gegen den
Beschwerdeführer, nicht jedoch jene aus dem Strafverfahren gegen den Fahrer
beigezogen (E. 5.2).

2.
2.1 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar
und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend
begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, rein appellatorische Kritik
am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 110 Ia 1 E.
2a; 125 I 492 E. 1b, mit Hinweisen).

Macht der Beschwerdeführer eine Verletzung des Willkürverbots geltend, muss
er anhand der angefochtenen Subsumtion im Einzelnen darlegen, inwiefern der
Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 130
I 258 E. 1.3). Ähnliches gilt auch in Bezug auf den Grundsatz "in dubio pro
reo" als Beweiswürdigungsregel. Der Beschwerdeführer muss im Einzelnen
aufzeigen, inwiefern bei objektiver Betrachtung des ganzen Beweisergebnisses
erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel an der Schuld des
Beschwerdeführers bestehen bzw. weshalb dies von der kantonalen
Rechtsmittelinstanz zu Unrecht verneint wurde (BGE 125 I 492 E. 1b, mit
Hinweisen).

2.2 Die Beschwerde enthält vorwiegend appellatorische Kritik am angefochtenen
Urteil. Soweit der Beschwerdeführer zu den Beweisergebnissen in allgemeiner
Weise Stellung nimmt und darlegt, wie diese seiner Auffassung nach zu
würdigen sind, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten. Zu prüfen sind
nach dem Gesagten nur hinreichend begründete Verfassungsrügen. Dazu ist
auszuführen, was folgt.

3.
3.1 Gemäss dem angefochtenen Urteil wird dem Beschwerdeführer angelastet,
einen Herointransport in die Schweiz organisiert zu haben. Er habe am 16.
Oktober 2002 einen zwei Tage zuvor gekauften Mercedes Benz 200 nach Albanien
gebracht. Am 19. November 2002 sei eine Probefahrt durchgeführt worden. Der
Beschwerdeführer habe an diesem Tag mit dem als Fahrer eingesetzten
Y.________ immer wieder telefonischen Kontakt aufgenommen und ihn
schliesslich im Flughafen Zürich-Kloten und auf dem Parkplatz des Möbelhauses
IKEA in Spreitenbach getroffen. Der Drogentransport sei am 1./2. Dezember
2002 durchgeführt worden. Im Wissen, dass eine beachtliche Menge Heroin in
die Schweiz geführt werden sollte, habe sich der Beschwerdeführer durch
periodische Anrufe nach dem Standort des Fahrers erkundigt, um ihn in der
Schweiz zum richtigen Treffpunkt einweisen zu können. Der Fahrer sei am 2.
Dezember 2002 beim Zollamt St. Margrethen angehalten worden, als er mit dem
Mercedes Benz 200 in die Schweiz einreisen wollte. Dabei sei im umgebauten
Benzintank 39,4 kg Heroin sichergestellt worden. Der Beschwerdeführer habe
den Fahrer noch angerufen, als dieser bereits verhaftet gewesen sei, gemäss
eigenen Angaben aber auf Geheiss von Z.________.

Im Übrigen habe der Beschwerdeführer bereits bei der Überführung des Wagens
nach Albanien gewusst, dass sein Bruder am 2. Juli 2002 in Italien bei einem
Herointransport verhaftet worden sei. Der Bruder sei damals mit 38 kg Heroin
im umgebauten Benzintank eines gleichen Mercedes unterwegs gewesen.

3.2 Nach Ansicht des Kantonsgerichts ist nebst den belastenden Aussagen des
Fahrers das Aussageverhalten des Beschwerdeführers entscheidend.

Die Aussagen des Fahrers seien im Kerngeschehen klar und konstant. Er sei bei
seiner Darstellung der Probefahrt und der Treffen vom 19. November 2002
geblieben. Der Beschwerdeführer habe diesbezüglich seine Aussagen immer
wieder geändert und der Situation angepasst.

Gemäss den Aussagen des Fahrers habe er den Beschwerdeführer am 30. November
2002 in Pec/Kosovo getroffen und sei den ganzen Tag mit ihm zusammen gewesen.
Gleichentags soll der Mercedes präpariert und das Heroin in den Benzintank
eingebaut worden sein. Der Beschwerdeführer soll demgegenüber zunächst
ausgesagt haben, er sei nicht in Pec gewesen, später, er habe den Fahrer in
Pec zufällig getroffen und schliesslich, der Fahrer habe ihn am 1. Dezember
2002 in Pec aufgesucht.

Gemäss Aussagen des Fahrers hat der Beschwerdeführer anlässlich der Fahrt vom
2. Dezember 2002 in kurzen Abständen angerufen und ihn über den aktuellen
Standort befragt. Demgegenüber bestritt der Beschwerdeführer - gemäss dem
angefochtenen Urteil - diese Anrufe, gab aber einen Anruf nach der Verhaftung
des Fahrers zu.

3.3 Nach Ansicht des Kantonsgerichts ist die Mittäterschaft des
Beschwerdeführers auch ohne die belastenden Aussagen des Fahrers erstellt. Er
habe nach eigenen Aussagen den Mercedes nach Albanien gebracht. Mit diesem
Fahrzeug habe ihn der Fahrer am 1. Dezember 2002 in Pec aufgesucht. Der
Beschwerdeführer habe am 2. Dezember 2002 nochmals telefonischen Kontakt mit
dem Fahrer gehabt, als er noch nicht wusste, dass dieser verhaftet worden
war. Der Beschwerdeführer habe gewusst, dass sein Bruder am 2. Juli 2002 in
Italien verhaftet worden war. Die Überführung des Fahrzeugs nach Albanien am
16. Oktober 2002, die Treffen mit dem Fahrer im Raum Zürich und in Pec und
der Anruf nach dem vermuteten Grenzübertritt in die Schweiz am 2. Dezember
2002 liessen sich vernünftigerweise nicht anders erklären, als das der
Beschwerdeführer am Herointransport selber beteiligt war.

3.4 Im Übrigen verweist das Kantonsgericht für Sachverhalt und
Beweiswürdigung auf den Kreisgerichtsentscheid. Das Kreisgericht habe
namentlich die belastenden Aussagen des Fahrers nicht unbesehen übernommen,
sondern sich einlässlich mit seiner teilweise widersprüchlichen
Sachdarstellung auseinandergesetzt.

Nach Ansicht des Kreisgerichts kann dem Beschwerdeführer für den Zeitpunkt
der Überführung des Wagens nach Albanien (16. Oktober 2002) eine wissentliche
Vorbereitung des späteren Drogentransportes noch nicht angelastet werden.
Indessen habe der Beschwerdeführer spätestens im Zeitpunkt der Probefahrt vom
19. November 2002 gewusst, dass die Fahrt der Vorbereitung eines
nachfolgenden Drogentransportes diene. In diesem Zusammenhang sei er
wenigstens insoweit aktiv geworden, als er bei der Probefahrt in stetem
telefonischem Kontakt zum Fahrer stand, sich mit ihm traf, um ihm die im
Ernstfall vorgesehenen Treffpunkte zu zeigen. Im Zusammenhang mit dem
eigentlichen Herointransport habe er insoweit mitgewirkt, als er für die
Überlassung des Mercedes für den Einbau des Rauschgifts sorgte und während
des Transportes in stetem Kontakt zum Fahrer stand, um über dessen Standort
auf dem Laufenden zu sein und ihm nach der Einreise in die Schweiz den
richtigen Treffpunkt zuzuweisen.

4.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo"
und des Willkürverbots. Im Wesentlichen kritisiert er die Würdigung seiner
eigenen Aussagen und jener des Fahrers sowie das Fehlen von Randdaten für die
Telefongespräche am Tag des eigentlichen Drogentransports.

4.1 Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen
Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Nach der Praxis des Bundesgerichts
liegt Willkür in der Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene Entscheid
offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft
(BGE 131 I 467 E. 3.1). Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht den
kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. Willkür in der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen
ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen
oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dabei genügt es nicht, wenn sich
der angefochtene Entscheid lediglich in der Begründung als unhaltbar erweist.
Eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis
verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a, mit Hinweisen).

Gemäss Art. 32 Abs. 1 BV gilt jede Person bis zu ihrer rechtskräftigen
Verurteilung als unschuldig. Als Beweiswürdigungsregel besagt der daraus
abgeleitete Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich der Strafrichter nicht
von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt
erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu
unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat.
Bei der Frage, ob angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses erhebliche
und nicht zu unterdrückende Zweifel hätten bejaht werden müssen und sich der
Sachrichter vom für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt nicht hätte
überzeugt erklären dürfen, greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung
ein, da der Sachrichter diese in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips
zuverlässiger beantworten kann (BGE 127 I 38 E. 2a; Urteil 1P.428/2003 vom 8.
April 2004, E. 4.2).
4.2 Die Vorbringen des Beschwerdeführers vermögen, soweit sie den
Begründungsanforderungen gemäss Erwägung 2 genügen und darauf einzutreten
ist, die Gesamtwürdigung der kantonalen Gerichte nicht in Frage zu stellen.
Es ist bekannt, dass in Verfahren wegen Drogenhandels die Aussagen der
Beteiligten nicht selten Widersprüche enthalten. Die kantonalen Gerichte
haben die Aussagen des Fahrers im Wissen um diesen Umstand als erheblich
erachtet. Gemäss dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer zugegeben,
dass er den Fahrer nach seiner Verhaftung am 2. Dezember 2002 anrief. Für den
Nachweis der weiteren Anrufe an diesem Tag werden die Aussagen des Fahrers
herangezogen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht gelten die Telefonate zwischen
dem Beschwerdeführer und dem Fahrer, die Treffen im Raum Zürich und im
Kosovo, die Überführung des Mercedes am 16. Oktober 2002 und die Fahrten vom
19. November 2002 und vom 1./2. Dezember 2002 als bewiesen. Bei diesem
Gesamtbild erübrigen sich Nachforschungen in den Akten des gegen den Fahrer
geführten Strafverfahrens. Das entsprechende Gesuch um Aktenbeizug ist
abzuweisen.

Nach dem Gesagten und im Umfang der zulässigen Rügen ist es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die kantonalen Gerichte keine
vernünftigen Zweifel im Sinne des Grundsatzes "in dubio pro reo" zum Ausdruck
brachten, sondern zur Überzeugung gelangten, der Beschwerdeführer sei
schuldig.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich
kostenpflichtig (Art. 156 OG). Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung. Aufgrund des angefochtenen Urteils und der Beschwerdebeilagen
ist von seiner Mittellosigkeit auszugehen. Angesichts der Verurteilung zu
einer mehrjährigen Freiheitsstrafe konnte er sich zur Beschwerde veranlasst
sehen. Das Gesuch wird bewilligt (Art. 152 Abs. 1 OG). Es ist keine
Gerichtsgebühr zu erheben und dem Vertreter des Beschwerdeführers ist eine
Entschädigung auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen.

2.1 Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Herbert Brogli wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
amtlicher Verteidiger eingesetzt und aus der Bundesgerichtskasse mit Fr.
1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staat und dem Kantonsgericht St.
Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. März 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: