Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.804/2006
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{T 0/2}
1P.804/2006 /fun

Urteil 29. März 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Härri.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel
Buttliger,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, Obere
Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Einstellung des Strafverfahrens,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 31. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
Am 6. April 2000 reichte X.________ Strafanzeige ein gegen Y.________ wegen
Veruntreuung und Amtsmissbrauchs, eventuell Betrugs. X.________ warf
Y.________ vor, dieser habe sich als Notar bei der Teilung von zwei
Nachlassen unrechtmässig Gelder angeeignet.

Mit Verfügung vom 19. April 2000 trat die Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau auf die Strafanzeige nicht ein.

Am 2. Juni 2000 hob das Obergericht des Kantons Aargau (Beschwerdekammer in
Strafsachen) die Verfügung der Staatsanwaltschaft auf und wies diese an, die
Strafanzeige an die Hand zu nehmen.

Nach durchgeführter Untersuchung stellte die Staatsanwaltschaft das
Strafverfahren am 14. März 2003 ein.

Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht am 3.
Juli 2003 gut. Es hob die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. März 2003
auf und hielt diese an, das Verfahren im Sinne der Erwägungen zu ergänzen.

Das Bezirksamt Baden führte in der Folge weitere Einvernahmen mit Y.________
durch und nahm zusätzliche Abklärungen vor.

Mit Verfügung vom 28. Juli 2006 stellte die Staatsanwaltschaft das
Strafverfahren erneut ein. Sie kam (S. 15) zum Schluss, Y.________ habe die
Erben nie benachteiligen oder schädigen wollen. Allfällige
Sorgfaltspflichtverletzungen habe er nicht gewollt, schon gar nicht damit
zusammenhängende Schädigungen der Erben. Er sei auch jederzeit in der Lage
(gewesen), allfällige Schäden zu ersetzen. Die in der Untersuchung
festgestellten Unstimmigkeiten seien zivilrechtlich zu bereinigen.
Straftatbestände des Vermögensstrafrechts seien nicht erfüllt.

Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht mit
Entscheid vom 31. Oktober 2006 ab.

B.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid
des Obergerichtes vom 31. Oktober 2006 aufzuheben.

C.
Das Obergericht hat unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen
Entscheid auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der Beschwerdeführer hat
das vorliegende bundesgerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 2007
eingeleitet. Gemäss Art. 132 Abs. 1 BGG richtet es sich schon deshalb nach
dem bisherigen Recht.

1.2 Das angefochtene Urteil stellt einen Endentscheid dar. Ein kantonales
Rechtsmittel dagegen steht nicht zur Verfügung. Die staatsrechtliche
Beschwerde ist insoweit zulässig (Art. 86 i.V.m. 87 OG).

1.3 Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde setzt die persönliche
Betroffenheit des Beschwerdeführers in eigenen rechtlich geschützten
Positionen voraus (Art. 88 OG).

Nach der Praxis des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare
Handlung Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung
eines Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche
Beschwerde zu erheben. Der Geschädigte hat an der Verfolgung und Bestrafung
des Täters nur ein tatsächliches oder mittelbares Interesse im Sinne der
Rechtsprechung zu Art. 88 OG. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren
geht, steht ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der
Geschädigte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf
seinen Antrag hin verfolgt wird. Unbekümmert um die fehlende Legitimation in
der Sache selbst ist der Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher
Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren
Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG
erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus
einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren
teilzunehmen. Ist der Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht
Partei, kann er die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem
kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung
oder von Art. 6 EMRK zustehen (BGE 131 I 455 E. 1.2.1 S. 458 f., mit
Hinweisen).

Der in der Sache selbst nicht Legitimierte, dem im kantonalen Verfahren
jedoch Parteistellung zukam, kann beispielsweise geltend machen, auf ein
Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, er sei nicht angehört
worden, habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder er
habe nicht Akteneinsicht nehmen können. Hingegen kann er weder die Würdigung
der beantragten Beweise noch die Tatsache rügen, dass seine Anträge wegen
Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt wurden.
Die Beurteilung dieser Fragen kann von der Prüfung der materiellen Sache
nicht getrennt werden. Auf eine solche hat der in der Sache selbst nicht
Legitimierte jedoch keinen Anspruch (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160, mit
Hinweisen).

Der Beschwerdeführer ist - was er (Beschwerde S. 13) anerkennt - nicht Opfer
im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die
Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5). Die erweitere Legitimation,
welche die Rechtsprechung dem Opfer zuerkennt (BGE 131 I 455 E. 1.2.1 S. 459,
mit Hinweisen), steht dem Beschwerdeführer somit nicht zu.

1.4 Das Obergericht hat dem Bundesgericht die in der vorliegenden Sache
ergangenen Akten zugestellt. Dem entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers
(Beschwerde S. 7) ist damit Genüge getan.

2.
Die Beschwerde umfasst 67 Seiten. Bis Seite 36 befasst sich der
Beschwerdeführer mit Eintretensfragen. Es folgt sodann (S. 37 ff.) eine
Zusammenfassung des Sachverhalts. Die eigentlichen Rügen bringt der
Beschwerdeführer ab Seite 40 ("Geltendmachung der einzelnen
Grundrechtsverletzungen") vor.

3.
Der Beschwerdeführer rügt (S. 40-50) eine Verletzung seines Anspruchs auf
rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV.

3.1 Er bringt (S. 40 f.) zunächst vor, sein Anspruch auf rechtliches Gehör
sei verletzt worden, da sein damaliger Vertreter über die Einvernahme der
Mitarbeiterin des Beschuldigten, Z.________, vom 31. August 2000 nicht
informiert bzw. dazu nicht vorgeladen worden sei. Deshalb habe sein Vertreter
an der Einvernahme nicht teilnehmen können. Damit sei ihm die Möglichkeit
genommen worden, an einem Teil der Beweiserhebungen mitzuwirken.

Der Beschwerdeführer ist insoweit zur Beschwerde zwar befugt. Er hat die Rüge
in der Beschwerde an das Obergericht jedoch nicht vorgebracht. Entsprechend
hat sich dieses dazu nicht geäussert. Es handelt sich um ein unzulässiges
Novum (vgl. Marc Forster, in: Geiser/Münch [Hrsg.], Prozessieren vor
Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, S. 63 f. N. 2.14 und S. 83 ff. N. 2.50
f.). Auf die Beschwerde kann im vorliegenden Punkt daher nicht eingetreten
werden.

3.2
3.2.1 Der Beschwerdeführer macht (S. 41-44) geltend, das Obergericht habe den
angefochtenen Entscheid nicht hinreichend begründet.

3.2.2 Wesentlicher Bestandteil des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist die
Begründungspflicht. Diese soll verhindern, dass sich die Behörde von
unsachlichen Motiven leiten lässt, und dem Betroffenen ermöglichen, die
Verfügung gegebenenfalls sachgerecht anzufechten. Dies ist nur möglich, wenn
sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des
Entscheides ein Bild machen können. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die
Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und
auf welche sich ihr Entscheid stützt. Dies bedeutet indessen nicht, dass sie
sich ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen
Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den
Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 129 I 232 E. 3.2 S.
236; 126 I 97 E. 2b S. 102 f. mit Hinweisen).

3.2.3 Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Entscheid. Das Obergericht
hat sich auf das Wesentliche beschränkt, was verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden ist.

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, der Entscheid des Obergerichtes
überzeuge inhaltlich nicht, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
Insoweit geht es nicht um ein Parteirecht, sondern um die Sache selbst,
weshalb dem Beschwerdeführer die Legitimation fehlt. Er kann sich nicht auf
dem Umweg über die Behauptung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs die
Beschwerdelegitimation in der Sache selbst verschaffen (BGE 120 Ia 101 E. 3b
S. 110).

Die Beschwerde ist danach auch im vorliegenden Punkt unbehelflich.

3.3 Der Beschwerdeführer bringt (S. 45 f.) vor, die Staatsanwaltschaft habe
in der Einstellungsverfügung vom 28. Juli 2006 im Wesentlichen den
Schlussbericht des Bezirksamts Baden vom 7. Januar 2005 übernommen und keine
wesentlichen neuen Schlussfolgerungen hinzugefügt; dies obwohl im
Schlussbericht an mehreren Stellen festgehalten worden sei, die Beurteilung,
ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege, müsse der Anklagebehörde
überlassen werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Einstellungsverfügung der
Staatsanwaltschaft vom 28. Juli 2006 den Begründungsanforderungen unter dem
Gesichtswinkel von Art. 29 Abs. 2 BV genügt. Selbst wenn man dies verneinen
wollte, würde das nicht zur Gutheissung der Beschwerde führen. Der Mangel
könnte jedenfalls nicht als besonders schwer wiegend angesehen werden. Er
wäre damit im Verfahren vor Obergericht geheilt worden (vgl. BGE 126 I 68 E.
2 S. 72; 124 V 180 E. 4a S. 183, mit Hinweisen).

Die Beschwerde ist daher auch insoweit unbegründet.

3.4 Der Beschwerdeführer wendet (S. 47-49) ein, in der Strafuntersuchung
hätte sich eine weitere Befragung von Z.________ aufgedrängt. Weshalb darauf
verzichtet worden sei, lege das Obergericht nicht überzeugend dar.

Es kann offen bleiben, ob das Vorbringen den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1
lit. b OG genügt. Es ist jedenfalls unbehelflich. Bei der Frage, ob die
Begründung des Obergerichts überzeugt, geht es - wie (E. 3.2.3) dargelegt -
um die Sache selbst. Auf die Beschwerde kann somit im vorliegenden Punkt
nicht eingetreten werden.

3.5 Der Beschwerdeführer rügt (S. 49 f.), das Obergericht habe das
widersprüchliche Verhalten des Beschuldigten bei der Beurteilung des
Vorsatzes nicht gewürdigt.

Darauf ist nicht einzutreten, weil es um eine Frage der Beweiswürdigung geht.
Insoweit fehlt dem Beschwerdeführer die Beschwerdelegitimation.

4.
Der Beschwerdeführer rügt (S. 51-63) eine Verletzung des Willkürverbots nach
Art. 9 BV.
Seine Ausführungen dazu betreffen allesamt die Sache selbst. Es geht ihm um
die Durchsetzung des Strafanspruchs. Dieser steht, wie gesagt, nicht ihm,
sondern dem Staat zu. Auf die Beschwerde kann insoweit daher nicht
eingetreten werden.

5.
Dasselbe gilt, soweit sich der Beschwerdeführer (S. 63 f.) auf das
Legalitätsprinzip beruft.

6.
Soweit er (S. 64 f.) eine Verletzung des Gleichheitsgebots (Art. 8 BV) rügt,
macht er zunächst geltend, sein Anspruch auf hinreichende Begründung des
angefochtenen Entscheids sei nicht gewahrt worden. Es kann dahingestellt
bleiben, ob sich ein Anspruch auf hinreichende Begründung eines Entscheids
allenfalls nicht nur aus Art. 29 Abs. 2 BV, sondern auch aus Art. 8 BV
ergeben könnte. Die Rüge ist ohnehin unbegründet. Das Obergericht hat seinen
Entscheid genügend begründet. Es kann auf das oben (E. 3.2) Gesagte verwiesen
werden.

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, nach dem Gleichheitsgebot müsse ihm im
bundesgerichtlichen Verfahren dieselbe Legitimation zukommen wie dem Opfer im
Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG, ist die Beschwerde unbegründet. Das
Bundesgericht hat die verfahrensrechtliche Ungleichbehandlung zwischen dem
Geschädigten und dem Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG im
Grundsatzentscheid BGE 120 Ia 101 begründet. Darauf kann verwiesen werden.
Für die Ungleichbehandlung bestehen sachliche Gründe. Auf die Rechtsprechung
zurückzukommen, besteht kein Anlass.

7.
Der Beschwerdeführer rügt (S. 65 f.) eine Verletzung des Grundsatzes des
"fair trial" nach Art. 6 EMRK.

Insoweit macht er zunächst erneut geltend, der angefochtene Entscheid sei
nicht hinreichend begründet. Dazu kann auf das oben (E. 3.2) Gesagte
verwiesen werden.

Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, die Strafuntersuchung sei
unvollständig durchgeführt worden. Es bestünden daher objektiv begründete
Zweifel an der Unparteilichkeit der aargauischen Behörden.

Der Einwand ist unbegründet. Das Obergericht nennt für die Einstellung des
Verfahrens sachliche Gründe. Es bestehen keine Anzeichen für eine
Voreingenommenheit der aargauischen Behörden. Der Umstand, dass sie zu
Ungunsten des Beschwerdeführers entschieden haben, genügt dafür nicht.

8.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden
kann.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 29. März 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: