Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.803/2006
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{T 0/2}
1P.803/2006 /fun

Beschluss vom 22. Dezember 2006

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________, Beschwerdeführer,
handelnd durch A.X.________ und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Sven
Oliver Dogwiler,

gegen

Jugendanwaltschaft des Bezirks Zürich,
Josefstrasse 59, Postfach, 8031 Zürich,
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.

Strafprozess; Haftentlassung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügungen
des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 17. und
23. November 2006 sowie 4. Dezember 2006.

Sachverhalt:

A.
Die Jugendanwaltschaft des Bezirks Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen
verschiedene Jugendliche, darunter den 16-jährigen X.________. Den
Angeschuldigten wird vorgeworfen, sie hätten bei mehreren Gelegenheiten eine
13-jährige Schülerin sexuell missbraucht und genötigt bzw. vergewaltigt
(sogenannter "Fall Seebach").  Am 17. November 2006 ordnete der
Jugendgerichtspräsident (Haftrichter) des Bezirksgerichts Zürich die
Untersuchungshaft gegen X.________ an. Ein Haftentlassungsgesuch des
Inhaftierten vom 19. November 2006 wies der Haftrichter mit Verfügung vom 23.
November 2006 ab. Am 4. Dezember 2006 verfügte er die Fortsetzung der Haft
bis zum 21. Dezember 2006.

Mit Verfügungen vom 12. und 13. Dezember 2006 ordnete die Jugendanwaltschaft
des Bezirks Zürich die Haftentlassung von X.________ und seine vorsorgliche
Unterbringung in einer geeigneten Familie an.

B.
Gegen die Haftrichterverfügungen vom 17. und 23. November sowie 4. Dezember
2006 gelangte X.________ mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 6. Dezember
2006 an das Bundesgericht. Er beantragt im Wesentlichen, die angefochtenen
Entscheide seien aufzuheben, er sei aus der Untersuchungshaft zu entlassen
und auf freien Fuss zu setzen.

Der kantonale Haftrichter hat ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet.
Die Jugendanwaltschaft des Bezirks Zürich stellt den Antrag, die Beschwerde
sei als gegenstandslos abzuschreiben; eventuell sei die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Sie begründet ihren Hauptantrag
damit, dass der Antrag um Haftentlassung zufolge der vorsorglichen
Unterbringung des Beschuldigten gegenstandslos geworden sei. Der
Beschwerdeführer hat sich mit Eingabe vom 20. Dezember 2006 zur
Vernehmlassung der Jugendanwaltschaft geäussert.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 88 OG muss ein
Beschwerdeführer grundsätzlich ein aktuelles praktisches Interesse an der
Aufhebung des angefochtenen Entscheids bzw. an der Überprüfung der erhobenen
Rügen haben; dieses Rechtsschutzinteresse muss auch noch im Zeitpunkt der
Urteilsfällung vorliegen (BGE 125 I 394 E. 4a S. 397; 120 la 165 E. 1a). Ein
aktuelles Rechtsschutzinteresse fehlt insbesondere dann, wenn der Nachteil
auch bei Gutheissung der Beschwerde nicht mehr behoben werden könnte (BGE 125
II 86 E. 5a S. 96; 118 la 488 E. 1a). Vom Erfordernis des aktuellen
praktischen Interesses wird allerdings dann abgesehen, wenn sich die
aufgeworfene Frage jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder
stellen könnte, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung
ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige
verfassungsgerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE
127 I 164 E. 1a S. 166; 125 I 394 E. 4b S. 397 mit Hinweisen).

An diesen Voraussetzungen fehlt es bei der Mehrzahl der Beschwerden, mit
denen die Verfassungs- und Konventionswidrigkeit der Anordnung oder
Erstreckung einer inzwischen dahingefallenen Untersuchungshaft gerügt wird.
Die damit aufgeworfenen Fragen können sich in der Regel nicht mehr unter
gleichen oder ähnlichen Umständen stellen. Vielmehr ist das Vorliegen von
Haftgründen im Einzelfall zu prüfen. Das Bundesgericht ist demnach auch nur
ganz ausnahmsweise auf Beschwerden eingetreten, bei welchen das aktuelle
praktische Interesse an der Haftprüfung dahingefallen war (BGE 125 I 394 E.
4b S. 397 f. mit Hinweisen). lm vorliegenden Fall stellen sich keine Fragen
von grundsätzlicher Bedeutung, die sofort höchstrichterlich beantwortet
werden müssten. Es steht vielmehr der Einzelfall im Vordergrund mit den
Fragen, ob die Weiterführung der Haft im Einzelnen gerechtfertigt war und vor
der Verfassung und der Menschenrechtskonvention standhielt. Entsprechende
Fragen können sich bei jeder Haftanordnung stellen und lassen sich im
Normalfall durch Haftbeschwerden bei den kantonalen Instanzen gerichtlich
beurteilen. Dies ergibt sich für den vorliegenden Zusammenhang auch aus dem
Urteil des Bundesgerichts 1P.775/2006 vom 15. Dezember 2006, in welchem die
Untersuchungshaft in Bezug auf einen angeblichen Komplizen des
Beschwerdeführers geprüft wurde.
Das vorliegende Verfahren ist somit nach Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72
BZP wegen des nachträglichen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses als erledigt
abzuschreiben (vgl. BGE 118 la 488 E. 1a S. 490 und E. 3c S. 494).

2.
Art. 72 BZP bestimmt, dass bei diesem Verfahrensausgang über die
Prozesskosten mit summarischer Begründung auf Grund der Sachlage vor Eintritt
des Erledigungsgrundes zu entscheiden ist. Bei der Beurteilung der Kosten-
und Entschädigungsfolgen ist somit in erster Linie auf den mutmasslichen
Ausgang des Verfahrens abzustellen. Dabei geht es nicht darum, die
Prozessaussichten im Einzelnen zu prüfen und dadurch weitere Umtriebe zu
verursachen. Vielmehr muss es bei einer knappen Beurteilung aufgrund der
Akten sein Bewenden haben. Lässt sich der mutmassliche Verfahrensausgang im
konkreten Fall nicht feststellen, so sind allgemeine prozessrechtliche
Kriterien heranzuziehen. Danach wird jene Partei kosten- und
entschädigungspflichtig, welche das gegenstandslos gewordene Verfahren
veranlasst hat oder bei welcher die Gründe eingetreten sind, die dazu geführt
haben, dass der Prozess gegenstandslos geworden ist. Die Regelung bezweckt,
denjenigen, der in guten Treuen Beschwerde erhoben hat, nicht im Kostenpunkt
dafür zu bestrafen, dass die Beschwerde infolge nachträglicher Änderung der
Umstände abzuschreiben ist, ohne dass ihm dies anzulasten wäre (BGE 118
lb 488 E. 4a S. 494 f.).

Soweit der Beschwerdeführer die Haftgründe des dringenden Tatverdachts und
der Kollusionsgefahr bestreitet, könnte ihm aufgrund der Sachlage, wie sie
sich aus den Akten ergibt, nicht gefolgt werden. Umstritten ist insbesondere,
inwiefern der Beschwerdeführer selbst strafbare Handlungen vorgenommen bzw.
sich daran beteiligt hat. Zweifellos gehörte er zum Kreis der möglichen
Täter. Die Untersuchungshaft sollte unter anderem die Abklärung der Rolle der
einzelnen Beteiligten ermöglichen. Im derzeitigen Stadium der Untersuchung
durfte der Haftrichter auch in Bezug auf den Beschwerdeführer von einem
hinreichenden Tatverdacht ausgehen. Weiter erscheint die Bejahung der
Kollusionsgefahr mit den anderen Mitbeteiligten und allenfalls noch weiteren
Personen ohne weiteres als nachvollziehbar. Es ist somit davon auszugehen,
dass die Beschwerde in Bezug auf die Haftgründe hätte abgewiesen werden
müssen. Ferner wird die Verletzung des Beschleunigungsgebots angesichts der
Anzahl der Tatbeteiligten und strafrechtlich relevanten Vorfälle zu Unrecht
kritisiert. Schliesslich beanstandet der Beschwerdeführer zu Unrecht die
vorübergehende Unterbringung in Untersuchungsgefängnissen, in welchen auch
Erwachsene festgehalten wurden (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1P.775/2006
vom 15. Dezember 2006, E. 5). Es ist somit davon auszugehen, dass der
Beschwerde kein Erfolg beschieden gewesen wäre.

3.
Bei dieser Sachlage würde der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig
(Art. 156 OG). Er stellt jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege,
welches gutgeheissen werden kann (Art. 152 OG).

Demnach beschliesst das Bundesgericht

in Anwendung von Art. 72 BZP i.V.m. Art. 40 OG:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird als gegenstandslos abgeschrieben.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt:
2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Sven Oliver Dogwiler, wird als unentgeltlicher
Rechtsvertreter ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit einem Honorar von Fr. 2'000.-- entschädigt.

3.
Dieser Beschluss wird dem Beschwerdeführer, der Jugendanwaltschaft des
Bezirks Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Dezember 2006

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: