Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.780/2006
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{T 0/2}
1P.780/2006 /fun

Urteil vom 22. Januar 2007

I. Öffentlichrechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Haag.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwälte Marcel Bosonnet
und Florian Wick,

gegen

Regierungsrat des Kantons Aargau, Staatskanzlei, 5000 Aarau.

Haftbedingungen,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Regierungsrats des Kantons Aargau vom

18. Oktober 2006.

Sachverhalt:

A.
X. ________ befindet sich seit dem 3. März 2006 in Untersuchungshaft im
Bezirksgefängnis Zofingen, wo er rechtshilfeweise für das besondere
Untersuchungsrichteramt Basel-Landschaft inhaftiert wurde. Mit Eingabe vom 6.
Mai 2006 ersuchte X.________ bei der Direktion des Bezirksgefängnisses
Zofingen um Erlaubnis, eine Playstation zu benutzen. Dieses Gesuch wurde vom
zuständigen Dienstchef abgelehnt.
Mit Beschwerde vom 22. Mai 2006 wandte sich X.________ an den Bezirksamtmann
des Bezirks Zofingen und machte darin geltend, die Nichtgewährung der
Benutzung einer Spielkonsole verletze die persönliche Freiheit im Sinne von
Art. 10 Abs. 2 und Art. 31 BV. Es sei nicht ersichtlich, wie die Benutzung
einer Playstation den Haftgrund gefährden könne, zumal es sich beim
fraglichen Gerät um ein neues Gerät handle. lm Übrigen sei das
Gefängnisreglement, soweit es die Benutzung eines solchen Gerätes nicht
gestatte, verfassungswidrig. Am 24. Mai 2006 teilte der Bezirksamtmann
X.________ mit, die Verweigerung einer Playstation sei korrekt erfolgt und
die Hausordnung - insbesondere Ziff. 8.1 - sei richtig umgesetzt worden.
Am 12. Juni 2006 überwies der Bezirkamtmann die Beschwerde vom 22. Mai 2006
zur Behandlung an das zuständige Departement Volkswirtschaft und Inneres des
Kantons Aargau. Dieses wies die Beschwerde mit Verfügung vom 15. Juni 2006
ab.
Dagegen erhob X.________ am 11. Juli 2006 Beschwerde beim Regierungsrat des
Kantons Aargau und beantragte, der Entscheid des Departements sei aufzuheben
und die Benützung einer Playstation sei ihm zu gestatten. Der Regierungsrat
wies die Beschwerde am 18. Oktober 2006 ab. Er berief sich auf Ziff. 8.1 der
Hausordnung des Bezirksgefängnisses und hielt fest, dass eine ordnungsgemässe
Kontrolle durch das Anstaltspersonal nicht oder nur mit unverhältnismässigem
Aufwand möglich wäre. Dem Beschwerdeführer stünden mit einem breiten Angebot
von Fernseh- und Radiosendern sowie Büchern und Zeitschriften ausreichende
Unterhaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ein Vergleich mit Anstalten in
anderen Kantonen erübrige sich, da eine einheitliche gesamtschweizerische
Regelung nicht vorgesehen sei.

B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 24. November 2006 beantragt X.________,
der Entscheid des Regierungsrats vom 18. Oktober 2006 sei wegen Verletzung
der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) aufzuheben.

C.
Die Abteilung Strafrecht des Departements Volkswirtschaft und Inneres des
Kantons Aargau äussert sich in ablehnendem Sinn zur Beschwerde, ohne einen
Antrag zum Verfahrensausgang zu stellen. Der Beschwerdeführer hat von der
Gelegenheit, auf die Eingabe des Departements zu antworten, Gebrauch gemacht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid steht kein anderes Rechtsmittel als die
staatsrechtliche Beschwerde offen (Art. 84 ff. OG). Der Beschwerdeführer ist
Adressat des angefochtenen Entscheids und in seinen rechtlich geschützten
Interessen betroffen (Art. 88 OG). Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ist in der
staatsrechtlichen Beschwerde darzulegen, welche verfassungsmässigen Rechte
als verletzt erachtet werden und inwiefern dies der Fall sei. Das
Bundesgericht prüft lediglich rechtsgenügend vorgebrachte und klare Rügen
(BGE 131 I 377 E. 4.3 S. 385). Auf appellatorische Kritik tritt das
Bundesgericht nicht ein (BGE 131 I 291 E. 1.5 S. 297 mit Hinweisen).
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen der staatsrechtlichen Beschwerde sind
erfüllt und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde
ist somit unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer rügt, die Verweigerung der Benützung einer Playstation
in der Untersuchungshaft verstosse gegen das Grundrecht der persönlichen
Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV).

2.1 Der Schutzbereich der persönlichen Freiheit umfasst nicht nur die
Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber hinaus alle
Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung
darstellen. Dieses von der Bundesverfassung garantierte Freiheitsrecht gilt,
wie auch die übrigen Grundrechte nicht absolut. Einschränkungen der
persönlichen Freiheit müssen gemäss Art. 36 BV auf gesetzlicher Grundlage
beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein; der
Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar (BGE 132 I 49 E. 5.2 S. 56; 130 I
16 E. 3 S. 18, 65 E. 3.1 S. 67, 369 E. 2 S. 373, je mit Hinweisen). Dabei
darf der Verhaftete in seinen Freiheitsrechten nur so weit eingeschränkt
werden, als es der Haftzweck und die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemässen
Anstaltsbetriebs erfordern (BGE 124 I 203 E. 2b S. 204; 123 I 221 E. 4c S.
228; 118 la 64 E. 2d S. 73, je mit Hinweisen).

2.2 Falls die Voraussetzungen für den Freiheitsentzug in einem formellen
Gesetz ausreichend konkretisiert sind, können die Haftbedingungen in einem
materiellen Gesetz (Gefängnisreglement) geregelt werden. Das
Gefängnisreglement muss ein Mindestmass an Klarheit und Regelungsdichte
aufweisen (BGE 124 I 203 E. 2b S. 205; 123 I 221 E. 4a S. 226, je mit
Hinweisen).

§ 241 Abs. 1 des aargauischen Gesetzes über die Strafrechtspflege vom 11.
November 1958 (Strafprozessordnung, StPO) sieht vor, dass der Straf- und
Massnahmenvollzug durch eine Verordnung des Regierungsrats geregelt wird.
Dieser erlässt insbesondere Bestimmungen über die Führung der Anstalten sowie
über die Rechte und Pflichten der Eingewiesenen unter Beachtung der vom
Ministerkomitee des Europarates beschlossenen Mindestgrundsätze für die
Behandlung der Gefangenen. Dem erwähnten Rechtsetzungsauftrag ist der
Regierungsrat mit der Verordnung über den Vollzug von Strafen und Massnahmen
vom 9. Juli 2003 (Strafvollzugsverordnung, SMV) nachgekommen. § 1 Abs. 3 SMV
sieht ausdrücklich vor, dass die Bestimmungen dieser Verordnung sinngemäss
auch für Personen in Untersuchungshaft gelten, soweit dies mit dem Haftzweck
vereinbar ist und das Strafprozessrecht keine abweichenden Vorschriften
enthält. § 75 Abs. 4 StPO unterstellt die Untersuchungsgefangenen ebenfalls
einer solchen Hausordnung.

Für die Bezirksgefängnisse bestimmt § 14 Abs. 3 SMV, dass der zuständige
Bezirksamtmann für den geordneten Betrieb, namentlich für die Sicherheit und
den richtigen Vollzug, verantwortlich ist. Er erlässt eine vom Departement
Volkswirtschaft und Inneres zu genehmigende Hausordnung. Damit richtet sich
die Durchführung der Untersuchungshaft vorliegend nach den Bestimmungen der
Hausordnung des Bezirksgefängnisses Zofingen vom 7. September 2005. Diese
enthält in Ziff. 8.1 unter dem Titel "Radio/Fernsehen/Video und weitere
elektronische Geräte" folgende Vorschrift:
In jeder Zelle sind Radioapparate vorhanden. Anstaltseigene Fernsehgeräte
können gegen ein Entgelt gemietet werden. Bei Untersuchungshäftlingen

entscheidet die Gefängnisleitung über den Zeitpunkt der Bewilligung eines
Fernsehgerätes.
Die Mitnahme von privaten elektronischen Geräten ist nicht gestattet. Die
Gefängnisleitung kann in Ausnahmefällen die Mitnahme von kleinen Tonträgern
mit Kopfhörern bewilligen."
2.3 Der Beschwerdeführer beanstandet sinngemäss, dass die Anstaltsleitung ihm
die Benutzung einer Playstation unter dem Vorwand der übermässigen
Beanspruchung des Gefängnispersonals durch die Notwendigkeit vermehrter
Kontrollmassnahmen verweigere. Es sei nicht ersichtlich, welche
Kontrollmassnahmen notwendig wären, die das Personal übermässig beanspruchen
würden; dies zumal die Spielkonsole direkt von Dritten oder einem
Fachgeschäft bestellt werden könne. In den Kantonen Zürich und Solothurn
seien Playstations erlaubt; es sei keine übermässige Kontrolle notwendig.

2.4 Der Regierungsrat führt im angefochtenen Entscheid aus, die öffentlichen
Interessen an der Aufrechterhaltung eines geordneten Gefängnisbetriebs ohne
unverhältnismässigen Verwaltungsaufwand einerseits und an der Nichtgefährdung
des Haftzwecks andererseits seien grundsätzlich höher zu gewichten als der
Wunsch des Gefangenen, seinen zivilen Unterhaltungsgewohnheiten und
persönlichen Vorlieben nachgehen zu können (vgl. BGE 118 la 64). Welche
Einschränkungen der persönlichen Freiheit sich mit dem Zweck der
Untersuchungshaft bzw. der Ordnung in der Anstalt vereinbaren liessen, sei
der reichhaltigen Rechtsprechung des Bundesgerichts und anderer Gerichte zu
entnehmen. Demnach seien alle Einschränkungen zulässig, welche die Vermeidung
von Flucht- und Verdunkelungsgefahr erforderten. Dazu könne u.a. auch das
Verbot des Haltens von eigenen Fernseh- oder Radioapparaten gehören (vgl. die
Hinweise in Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 6. Auflage, Basel 2005, S. 337 N. 39). Das Bundesgericht
habe bereits in BGE 99 la 262 E. 11c S. 284 festgehalten, dass jeder
komplizierte technische Apparat, der von aussen in ein Gefängnis gebracht
werde, Meldungen oder Instrumente (für Ausbruch oder Angriff) enthalten
könne, die von einem Laien, selbst bei gründlicher Kontrolle des Objekts,
schwer zu entdecken seien. Diese damals im Zusammenhang mit Plattenspielern
und Tonbandgeräten gemachte Feststellung gelte heute, angesichts der
Leistungsfähigkeit und Kompaktheit elektronischer Geräte, mehr denn je. Dies
werde bereits klar, wenn man den sehr technischen Ausführungen des
Beschwerdeführers zu den verschiedenen Gebrauchs-, Anschluss- und
Erweiterungsmöglichkeiten, welche eine Playstation 2 offenbar biete, folgen
möchte. Es entstehe der Eindruck, dass den Möglichkeiten eines Missbrauchs in
den Händen eines fachkundigen Anwenders keine Grenzen gesetzt seien, und dass
eine ordnungsgemässe Kontrolle durch das Anstaltspersonal entsprechend nicht
oder nur mit unverhältnismässig grossem Aufwand möglich wäre. Die
Verweigerung einer Playstation sei somit verhältnismässig und greife auch
nicht in den Kernbereich der persönlichen Freiheit ein.

2.5 Diese Beurteilung durch den Regierungsrat ist mit dem Grundrecht der
persönlichen Freiheit vereinbar. Ziff. 8.1 der Hausordnung sieht vor, dass
den Inhaftierten Radio- und gegen Entgelt auch Fernsehgeräte zur Verfügung
gestellt werden. Neben dem Zugang zur hauseigenen Bibliothek (Ziff. 8.2) und
der Möglichkeit, sich Bücher und Zeitschriften liefern zu lassen (Ziff. 8.3
und 7.3 der Hausordnung), wird den Insassen damit ein sehr breiter Zugang zu
verschiedenen Unterhaltungsmöglichkeiten geboten. Angesichts der vom
Regierungsrat erkannten Gefahren eines Missbrauchs, welche durch die Mitnahme
und Benutzung privater elektronischer Geräte gegeben wären, kann das in Ziff.
8.1 enthaltene Verbot nicht als unverhältnismässig bezeichnet werden. Ein
Untersuchungshäftling, der die offiziell vermittelten
Unterhaltungsmöglichkeiten nutzen kann und lediglich auf seine privaten
elektronischen Geräte verzichten muss, ist nicht im Kernbereich seiner
persönlichen Freiheit betroffen, sondern muss lediglich auf Annehmlichkeiten
verzichten.

Daran ändert auch die ausführliche Kritik des Beschwerdeführers nichts. Das
Bundesgericht hat bereits in BGE 99 Ia 262 E. 11c S. 285 ausgeführt, aus dem
Grundrecht der persönlichen Freiheit ergebe sich keine Verpflichtung des
Staates, den Untersuchungs- und Strafgefangenen jede innerhalb des
Gefängnisses technisch mögliche Unterhaltung zu vermitteln. Hier habe der
Kanton eine gewisse Gestaltungsfreiheit. Bei der vorliegenden Frage geht es
nicht um die Gewährleistung des für ein menschenwürdiges Dasein
unerlässlichen Mindestmasses an Freiheit, sondern um Lockerungen des
Anstaltsbetriebs, die der Staat als Träger des Gefängniswesens nach seinen
finanziellen und personellen Möglichkeiten einführen kann. Ziff. 8.1 der
Hausordnung kann somit nicht als verfassungswidrig bezeichnet werden. Damit
kann auch offen bleiben, ob den Gefahren, die mit einer Playstation verbunden
sind, durch die Plombierung der Hohlräume und die Versiegelung der für den
Internetzugang vorgesehenen Schnittstellen begegnet werden könnte. Solche
Änderungen am Gerät und deren nachhaltige Durchsetzung würden im Übrigen
regelmässige Kontrollen bedingen, was zu einem zusätzlichen Aufwand für das
Anstaltspersonal führte. Dem Beschwerdeführer stehen wie erwähnt ausreichende
Unterhaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, weshalb auch seine Berufung auf BGE
102 Ia 279 E. 9 S. 296 f. fehl geht.

2.6 An der verfassungsrechtlichen Haltbarkeit des angefochtenen Entscheids
ändert auch nichts, dass andere Kantone offenbar private Playstations in
ihren Untersuchungsgefängnissen zulassen. Der straf- und strafprozessuale
Vollzug fällt in die Gesetzgebungszuständigkeit der Kantone (vgl. Art. 123
Abs. 2 BV). Das Bundesrecht schreibt den Kantonen vor, dafür zu sorgen, dass
die Anstaltsreglemente und der Betrieb der Anstalten den Vorschriften des
Strafgesetzbuches entsprechen (Art. 383 Abs. 1 StGB). Eine einheitliche
gesamtschweizerische Regelung ist indessen nach den heutigen
verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Grundlagen nicht erforderlich.

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen
ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des
bundesgerichtlichen Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten
(Art. 156 OG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Mittellosigkeit
ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war
(Art. 152 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen:
2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Marcel Bosonnet wird als unentgeltlicher Verteidiger
eingesetzt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Regierungsrat des Kantons
Aargau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2007

Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: