Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung 1P.760/2006
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1P.760/2006 /ggs

Urteil vom 7. Juni 2007

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aeschlimann, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.

X. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt René Mollet,

gegen

Einwohnergemeinde Oftringen, vertreten durch den Gemeinderat, Zürichstrasse
30, 4665 Oftringen,
Departement Volkswirtschaft und Inneres
des Kantons Aargau, Justizabteilung,
Bleichemattstrasse 1, Postfach 2254, 5001 Aarau.

Einbürgerung,

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Gemeindeversammlung
Oftringen vom 28. September 2006.
Sachverhalt:

A.
Der Gemeinderat von Oftringen unterbreitete der Gemeindeversammlung vom 28.
September 2006 den Antrag auf Einbürgerung von 16 Personen. Dazu gehörte
X.________, türkischer Staatsangehöriger. Die vorberatende
Geschäftsprüfungskommission hatte die Einbürgerungen befürwortet; in Bezug
auf X.________ hatte sie die Einbürgerung lediglich mit 4 zu 2 Stimmen
empfohlen.

Die Gemeindeversammlung lehnte das Einbürgerungsgesuch von X.________ mit 275
Nein gegen 45 Ja ab. In der der Abstimmung vorausgehenden Diskussion war von
einer Invalidität des Gesuchstellers, vom Umstand, dass dieser im
Wesentlichen bei seiner Partnerin und dem gemeinsamen Sohn in Emmenbrücke
wohne, und von mangelnder Integration die Rede.

Mit Schreiben vom 18. Oktober 2006 teilte der Gemeinderat X.________ den
negativen Beschluss der Gemeindeversammlung mit. Zur Begründung wies er auf
die mangelnde Integration in den Oftringer Verhältnissen hin.

B.
Gegen diesen Entscheid der Gemeindeversammlung hat X.________ beim
Bundesgericht am 16. November 2006 staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er
beantragt, der Gemeindeversammlungsbeschluss sei aufzuheben und das
Einbürgerungsgesuch der Gemeindeversammlung erneut vorzulegen; zudem ersucht
er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Der Beschwerdeführer rügt
namentlich eine Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV und führt aus, der negative
Einbürgerungsentscheid beruhe auf dem Umstand, dass er in der Einladung zur
Gemeindeversammlung als IV-Rentner bezeichnet worden ist und im Laufe der
Versammlung der Anschein der "Scheininvalidität" erweckt worden sei. Dies sei
nicht korrigiert worden; auf all die für eine Einbürgerung sprechenden Gründe
sei nicht aufmerksam gemacht worden.

Der Gemeinderat beantragt die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer
hat dazu Stellung genommen. Das Departement Volkswirtschaft und Inneres des
Kantons Aargau hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Der Gemeinderat Oftringen hat das am 25. Januar 2007 genehmigte Protokoll der
Gemeindeversammlung nachgereicht. Es ist dem Beschwerdeführer zur Kenntnis
gebracht worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der angefochtene Beschluss und die staatsrechtliche Beschwerde stammen
aus dem Jahre 2006. Demnach ist nach Art. 132 Abs. 1 des
Bundesgerichtsgesetzes noch das Bundesgesetz über die Organisation der
Bundesrechtspflege (OG) anwendbar.

Der angefochtene Beschluss kann mit keinem kantonalen Rechtsmittel
angefochten werden, stellt einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid gemäss
Art. 86 Abs. 1 OG dar und unterliegt somit direkt der staatsrechtlichen
Beschwerde (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über das Kantons- und
Gemeindebürgerrecht [KBüG]; nicht publizierte E. 1.1 von BGE 131 I 18; nicht
publizierte E. 1 von BGE 132 I 196).

1.2 Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass er nach dem kantonalen
Bürgerrechtsgesetz einen Anspruch auf Einbürgerung habe. Für die Bejahung
seiner Legitimation muss er daher in unmittelbar durch die Bundesverfassung
geschützten Interessen betroffen sein.
Als Partei im kantonalen Verfahren kann der Beschwerdeführer die Verletzung
bundesverfassungsrechtlicher Verfahrensgarantien rügen, deren Missachtung
eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das gilt für Rügen der Verletzung
des rechtlichen Gehörs gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und trifft namentlich zu,
wenn das gänzliche Fehlen einer Begründung des angefochtenen Entscheides
beanstandet wird. Hingegen legitimiert diese Parteistellung nicht zur Rüge,
ein Entscheid sei mangelhaft begründet, d.h. die Begründung sei
unvollständig, zu wenig differenziert oder materiell unzutreffend. Eine
solche Rüge setzt vielmehr die Legitimation in der Sache selbst voraus. Eine
solche ergibt sich bei Anrufung spezieller Verfassungsrechte bereits aus der
Grundrechtsträgerschaft und dem Inhalt der als verletzt gerügten
Verfassungsrechte. Das trifft auf die Rügen zu, der angefochtene Beschluss
verletze Art. 8 Abs. 2 BV und beruhe auf Überlegungen, die gegen das
Diskriminierungsverbot verstiessen (BGE 132 I 167 E. 2.1 S. 168, mit
Hinweisen).

1.3 Demnach ist auf die Beschwerde einzutreten, soweit das
Diskriminierungsverbot gemäss Art. 8 Abs. 2 BV angerufen wird. Indessen kann
insoweit nicht darauf eingetreten werden, als der Entscheid der
Gemeindeversammlung in materieller Hinsicht als willkürlich und gegen Art. 9
BV verstossend gerügt wird.

2.
Der Beschwerdeführer macht in erster Linie eine Verletzung des
Diskriminierungsverbotes geltend. Er bringt hierfür vor, der negative
Beschluss der Gemeindeversammlung beruhe auf seiner Invalidität bzw. dem
Umstand, dass er als "Schein-Invalider" bezeichnet worden sei.

Gemäss Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht
wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. Eine
Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person ungleich behandelt wird aufgrund
ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, welche historisch oder in der
gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit tendenziell ausgegrenzt oder als
minderwertig behandelt wird. Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte
Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie
eine Benachteilung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder
Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft,
die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der
Identität der betroffenen Personen ausmacht. Eine indirekte oder mittelbare
Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine
offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung
geschützte Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige
einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich
begründet wäre (BGE 132 I 167 E. 3 S. 169; 129 I 217 E. 2.1 S. 223, mit
Hinweisen auf Rechtsprechung und Doktrin).

3.
3.1 Für die Beurteilung der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Rüge, der
Gemeindeversammlungsbeschluss bzw. die Begründung lasse sich vor dem
Diskriminierungsverbot nicht halten, ist vom Antrag des Gemeinderates
auszugehen. Ferner ist auf die Wortmeldungen anlässlich der
Gemeindeversammlung abzustellen. Gleichermassen ist das Schreiben des
Gemeinderates mitzuberücksichtigen, mit welchem dem Beschwerdeführer der
negative Beschluss und die von der Gemeindeversammlung angegebenen Motive
mitgeteilt worden sind; in diesem Rahmen ist auch der Vernehmlassung des
Gemeinderates Rechnung zu tragen.

In Bezug auf das vorliegende Verfahren sind die verschiedenen, allenfalls
voneinander abweichenden Begründungen miteinander in Beziehung zu setzen und
entsprechend zu gewichten. Dabei ist für das bundesgerichtliche Verfahren von
Bedeutung, dass ein kantonaler Entscheid auf staatsrechtliche Beschwerde hin
nicht schon allein wegen einzelner Begründungselemente, sondern nur dann
aufgehoben wird, wenn er sich auch im Ergebnis als verfassungswidrig erweist
(BGE 132 I 167 E. 4.1 S. 171, mit Hinweisen).

3.2 Der Gemeinderat befürwortete die Einbürgerung des Beschwerdeführers. In
der Einladung zur Gemeindeversammlung führte er aus: "Am 3. April 1980 ist er
(der Gesuchsteller) in die Schweiz eingereist und ist seither ununterbrochen
in Oftringen angemeldet. Er ist IV-Rentner."
Gemäss Protokoll erklärte ein Mitglied der vorberatenden Kommission an der
Gemeindeversammlung, dass das Einbürgerungsgesuch des Beschwerdeführers
intensiv diskutiert worden war. Zum einen stand die Invalidität in Frage, zum
andern der Umstand, dass der Gesuchsteller "hier in Oftringen mehr oder
weniger nur «Wochenaufenthalter» (sei), da seine Partnerin in Emmenbrücke
lebt". Darauf stellte ein Bürger den Antrag auf Ablehnung des
Einbürgerungsgesuches mit der Begründung, dass "der Gesuchsteller nur
Aufenthalter in Oftringen" sei.

Im Schreiben vom 18. Oktober 2006 führte der Gemeinderat aus: "Als Grund (für
den negativen Gemeindeversammlungsbeschluss) wurde die mangelnde Integration
in die Oftringer Verhältnisse ins Feld geführt. Dieser Vorbehalt stützt sich
auf den Umstand, dass Sie als Wochenaufenthalter in Emmenbrücke (Gemeinde
Emmen) Ihren Lebensmittelpunkt dort gefunden haben und nur noch wegen des
laufenden Einbürgerungsgesuchs in Oftringen angemeldet sind. - Nach unseren
Erkundigungen haben Sie Ihr Zimmer bei Familie ... anfangs September 2006,
d.h. ca. 3 Wochen vor der beschliessenden Einwohnergemeindeversammlung,
geräumt. Zudem sind Sie auch seit 1. Januar 2004 in der Gemeinde Emmen
steuerpflichtig. Dies dokumentiert eindeutig, dass keine Verbundenheit zur
Gemeinde Oftringen mehr besteht."
3.3 In der Einladung zur Gemeindeversammlung und der Traktandenliste wurde der
Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einigen wenigen biographischen Angaben
als IV-Rentner bezeichnet. Aus dem Vergleich mit den andern Gesuchstellern
und der Vernehmlassung des Gemeinderates ergibt sich, dass dieser Hinweis
anstelle einer Berufsbezeichnung steht. Dieser Umstand verletzt für sich
genommen das Diskriminierungsverbot nicht. Wäre der Hinweis in der
Traktandenliste unterblieben, so wäre auf eine Anfrage über den Beruf des
Gesuchstellers an der Gemeindeversammlung eine entsprechende Auskunft erteilt
worden.
Auf die Frage aus der Gemeindeversammlung, warum die vorberatende Kommission
die Einbürgerung des Beschwerdeführers lediglich mit 4 zu 2 Stimmen
befürwortete, war offenbar kurz von dessen Invalidität und deren Hintergründe
die Rede. Weder dem Protokoll der Gemeindeversammlung noch dem privat
verfassten Résumé über die Gemeindeversammlung kann entnommen werden, dass
auf diesen Punkt näher eingegangen worden wäre. Die Erwähnung der Invalidität
bringt für sich keine Diskriminierung zum Ausdruck. Ob den Äusserungen ein
diskriminierender Charakter zukommt, ist gesamthaft vor dem Hintergrund der
geführten Diskussion zu prüfen.

Die Frage des Wohnsitzes des Beschwerdeführers wurde an der
Gemeindeversammlung ausgiebiger diskutiert. Sie führte zu einem förmlichen
Antrag, die Einbürgerung mangels hinreichender Integration abzulehnen. Der
Gemeinderat nahm in seinem Schreiben vom 18. Oktober 2006 ausführlich Bezug
darauf. Dieser Fragenkomplex erweist sich isoliert betrachtet als neutral und
lässt keinerlei Zusammenhang mit der Invalidität des Beschwerdeführers oder
eine auf der Invalidität beruhende Diskriminierung erkennen.

Eine gesamthafte Betrachtung dieser Elemente zeigt, dass bei der Abweisung
des Einbürgerungsgesuches die Frage des effektiven Wohnsitzes klar im
Vordergrund stand. Die Gemeindeversammlung verweigerte die Einbürgerung, weil
der Beschwerdeführer ihrer Ansicht nach seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr
in Oftringen habe und damit nicht als integriert gelten könne. Die
Fragestellung lässt nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer wegen seiner
Invalidität diskriminiert und sein Einbürgerungsgesuch aus einem solchen
Grunde abgewiesen worden wäre (vgl. BGE 132 I 167 E. 4.3 S. 172). Auch eine
indirekte Diskriminierung ist nicht ersichtlich. Damit erweist sich die Rüge
der Verletzung von Art. 8 Abs. 2 BV als unbegründet.

3.4 Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er sei in Oftringen
tatsächlich integriert und der angefochtene Beschluss verletze demnach das
Willkürverbot, ist auf die Beschwerde, wie dargelegt, nicht einzutreten.

4.

Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Der Beschwerdeführer hat um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
ersucht. Da die Beschwerdesache keine besondern Schwierigkeiten aufweist und
die Beschwerde nicht als aussichtsreich bezeichnet werden kann, fehlen die
Voraussetzungen nach Art. 152 OG. Das Ersuchen ist demnach abzuweisen.
Hingegen rechtfertigt es sich in Anbetracht der Umstände, gemäss Art. 154 OG
auf Kosten zu verzichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Einwohnergemeinde Oftringen
sowie dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau,
Justizabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. Juni 2007

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: